133 Kilometer in vier Etappen stehen an, doch schon die erste Etappe, obwohl um 20 Kilometer gekürzt, schaffen 13 von 42 Läufern nicht. Hier muss man wie ich Bluthund, nicht Windhund sein.
Zaouiat Ahansal, sinngemäß „Sankt Ahansal“ ist ein abgeschiedener Ort, eine Tagesreise östlich von Marrakesch, im Mittleren Atlas. Er hat seinen Namen von dem Sidi (Heiligen) Said Ahansal, der im 13. Jahrhundert Koranschulen gründete, wo immer seine Katze vom Maultier sprang. Büchereien, Religionsschulen, Heiligenhäuser und mehrstöckige, hübsch verzierte Getreidespeicher zeugen von einem reichen, kulturellen Erbe und einer grandiosen Vergangenheit im nun nahezu verlassenen Ort.
Nach Zaouiat Ahansal pilgern dennoch während des islamischen Monats Shawaal die Gläubigen zum Kuppelgrab (qubba), um dem Heiligen und seinen Nachfahren Geschenke in Form von Nahrung und Kleidung zu bringen. Lahcen Ahansal, der 10fache Seriengewinner des Marathon des Sables, ist kein Nachfahre des Heiligen, der Familienname entstand, als sein Großvater nach Süden entlang des Draa Flusses zog, um bei den Tuareq als Karawanenführer Geld zu verdienen. 300 Schafe und den Familienname, den er wegen seiner Herkunft wählte, nahm er auf die 800 Kilometer lange Reise mit. Lahcen und sein jüngerer Bruder Mohamad (5facher Marathon des Sables Gewinner) gehören zum Stamm Ait Atta, dessen Stammvater Dada Atta (16.Jahhundert) 40 Söhne hatte, von denen die heutigen 150.000 Stammesmitglieder abstammen. Der Stamm Ait Atta war berüchtigt wegen seines bis 1933 geführten Widerstandes gegen die Franzosen.
Seit Januar lebt hier Simon. Der Deutsche ist Student der Anthropologie und soll die technischen Bedürfnisse der Bevölkerung erkunden. Kühlschränke für Bier wären angebracht. Auftraggeber ist irgendeine deutsche NGO. In einem sechswöchigen Crashkurs hat er Arabisch gelernt, jetzt lernt er noch Tamazight und Taschelit, die örtlichen Berberdialekte.
Lahcen ist der Organisator des Zaouiat Ahansal Trails, der also nur noch 113 Kilometer hat, aber mit 12.240 Höhenmeter aufwartet. Zaouiat Ahansal ist von schroffen, steil aufragenden Felsenmauern eingeschlossen. Die 600 Meter hohe Wand des Tamga Amsfrane zählt zu den besten Klettergebieten der Welt. Im oben gelegenen Höhlensystem verschwand vor drei Jahren ein Forscherteam. Im Tal ist „die Kathedrale der Felsen“, dort kann man im Frühling Raftingtouren machen. Hinter der Cathédrale des Rochers beginnt das Nationalreservat von Tamga. Die Anfahrt erfolgt über zwei 2000 Meter hohe Pässe im Jbel M´Goun-Massiv (4200 Meter), die wir über eine miese Straße im Anerguital erreichen. Die Anfahrt über das Ait Bougoumez Tal wäre kürzer, aber nur mit dem 4x4 befahrbar.
Abends Ankunft in Zaouiat Ahansal, das auch Startort des Trans Atlas Marathons (285 km, 14.000 HM) ist. Der TAM führt nach Westen, der Zaouiat Ahansal Trail nach Osten. Übernachtung in der Gite (Herberge) von Mustafa. Ich kann nicht schlafen. Zum Frühstück kann ich nur ein Stück Brot mit Olivenöl runterbringen.
Start 8 Uhr. Der Besenreiter hat einen Tresor dabei, in dem die Finishergeschenke sind. Es geht hinauf zum Massif von Taghia. Die Gite (Herberge) von Said ist der Treffpunkt der Extremkletterer. Wir folgen jetzt aber nicht dem klassischen Anstieg über 250 Meter hinauf zur Paroi des Sources, der Wand der Quellen, die mit einem auf Draht befestigten Weg erreichbar ist, denn es gibt erste Ausfälle. Die Strecke wird geändert. Marokkanische Läufer sind auf Sieg, nicht auf Durchhalten gedrillt. Die Gesteinsplatten stehen hier senkrecht, das ist nicht gut für Sprinter. Es sind die Ablagerungen des Ur-Mittelmeeres. Das Pendant zum Mittleren Atlas, die Dolomiten unterliegen stärkerer Erosion, wir dagegen haben hier regelrechte Messer unter den sich langsam auflösenden Sohlen.
Vom Pass kommend, reiten Familien auf Eseln nach Zaouiat Ahansal, dort ist heute Markttag. Die Esel haben weitausladende Körbe mit Gemüse an den Seiten, drängen mich immer wieder vom Pfad ab. Wenn ich nicht aufpasse, rammen sie mir die Körbe in die Seite. Esel würden einem Läufer niemals Platz machen. Die Menschen sind überaus freundlich, haben nichts dagegen, fotografiert zu werden, können weder Arabisch noch Französisch. Geldwirtschaft gibt es hier nicht, es wird getauscht. Cola oder gar Bier gibt es nirgendwo zu kaufen. Gut, dass ich vorgesorgt habe und dass unser Gepäck zum nächsten Camp transportiert wird.
Nach zwei Stunden erreiche ich den ersten Kontrollpunkt (km 8,5). Es gibt nur Wasser. 800 Höhenmeter, 43 % Steigung habe ich jetzt auf den nächsten 2 Kilometern zu bewältigen, bis ich den Tizi auf 2500 Metern erreiche. Tizi bedeutet in Tamazight Bergweide. Berge wurden nicht benannt, weil unwichtig für Hirten, es setzt sich allmählich das arabische Jbel für „Berg“ durch. Für uns bedeutet Tizi ein Zwischenhoch unserer Laufstrecke. Der folgende Abstieg führt 500 Meter hinunter zum VP nach Tourda. Ich überlege auszusteigen, das Gelände ist einfach nicht begehbar, ich habe furchtbar Knie.
Die Schlucht zwischen dem Timrazine und dem Taoujdad bildet den 350 Meter tiefen Apache Canyon, wie die Kletterer diesen Einschnitt benannt haben. Verzeiht mir, wenn ich nichtssagende Ortsangaben mache, aber mit meinem Bericht erscheinen diese Namen das erste Mal im Internet, darauf bin ich stolz. Der nächste Tizi auf 2300 Metern Höhe hat auch keinen Namen, ich entdecke keine Markierung mehr, laufe 30 Minuten hinab. Kathi brüllt von oben, sie war ganz weit weg von der Laufstrecke, ist bös gestürzt. Also laufe ich wieder eine Stunde hinauf, dann eine wieder hinab und erreiche das Camp, das heutige Ziel in der Nähe von Tissalmit (2100 m).
Das Camp ist auf einer Hochebene aus schwarzem Marmor errichtet. Ich lasse mich in ein Zelt fallen, schlafe zwei Stunden, wobei mir die versteinerten Muscheln den Rücken malträtieren. Als ich die Augen öffne, hängt über mir eine recht große Spinne: „ Idir! Au secours!“ rufe ich. Idir ist begeistert von der Größe des Viechs, weiß aber, dass das Ungeheuer sich nicht schnell bewegen will. Ich bin gerettet. Natürlich gibt es hier Skorpione, deshalb wird der Zeltuntergrund einmal umgepflügt. Die Biester mögen keine Veränderungen. Über das Gestein wird eine Bastmatte gelegt, darauf dann eine dünne Matratze. Es gibt Spagetti mit Gemüse. Der Rhythmus der Trommeln wiegt mich in den Schlaf.
Start 7:30. Wir sind nur noch 29 Läufer. Nach 100 Metern bin ich der letzte. Zwar hat Rachid, der in der Orga von Marrakesch und Agadir arbeitet, meine Gewichtsklasse, aber mit seinen Stöcken kann er den weglosen Anstieg schneller bewältigen. 800 Höhenmeter auf 3 Kilometer, Steigungsgrad 62 %. Ich kann heute besser atmen, mir gelingt es an Houda und Kathi dranzubleiben, hinter mir der Besenreiter, der ein süßlich-verlockendes Kraut raucht. Als ich mich grinsend umdrehe, bleibt er ebenso grinsend zurück.
Nach drei Kilometern und zwei Stunden bin ich auf 2800 Meter Höhe, erster VP. Youssef, der blauen Tracht der Tuareq trägt, übernimmt nun die Rolle des Besenläufers, denn Maultiere können nicht gut bergab. Ich auch nicht, mir hat sich ein langer Dorn von unten nach oben durch den Schuh und durch den kleinen Zeh gebohrt. Wegen der Höhe und der Anstrengung peile ich das nicht so recht. Als ich den Schuh ausziehe, bricht das Ding ab, der Rest bleibt stecken. Ich komme nicht hinunter an meinen Fuß, um irgendwas zu regeln.
Hier hat man den ersten vollständigen Saurier Marokkos gefunden, mich hoffentlich nicht. Obendrüber liegt eine fette Schicht Steinkohle, die von drüber liegendem, matschigem Phosphor besudelt wird, der in dicken Schlieren nach unten läuft.
Der Almou n´Ouhanad-See ist ausgetrocknet. Ein Nomade schöpft aus einem Brunnen Wasser für seine Schafe, die wahnsinnig vor Durst über die Fläche fetzen. Auch ein Bock ist wahnsinnig, will sich angesichts des Wasserreichtums noch schnell vermehren, bringt dadurch die Herde noch mehr durcheinander. Kathi ist auch durcheinander, sie bleibt zurück, muss aufgeben. Die ausgetrockneten Lehmplatten knacken unter meinen Füßen, wunderbar!
Ein winziges Dorf, die Kinder freuen sich, dass sie fotografiert werden. Eine Hirtin zeigt mir den Weg hinauf. Von oben sehe ich Houda in der Ebene, sie hat sich verlaufen, ruft klagend, wie ein kleines Zicklein nach mir. Rufe sind sehr weit hörbar, es gibt keine anderen Laute hier oben. Ich zeige ihr von oben die Richtung an, dann düst sie ab. Ich kämpfe mit der trockenen Luft, trinke viel Wasser, aber der Durst bleibt, der Magen rebelliert. Rieche Sauerkraut und Schweinebraten, mir geht’s nicht gut. Auf der Hochfläche Ano bekomme ich neues Wasser, das ich nicht mag.
Youssef erschreckt mich, als er plötzlich grinsend hinter mir auftaucht. Ich folge ihm über einen wunderschönen, ebenen Abbruch, der uns zu der Nadel von Alep nach Ouaguinana führt. Grandioser Blick über die Schluchten des Melloul, der am Endpunkt unserer Reise, in Imlichil entspringt.
Die 500 Jahre alten Wacholderbäume geben guten Schatten, dort kann ich mich kurz hinsetzen und mich ausruhen. Tiefer wachsen die Steineichen, die auch schon viele erschöpfte Menschen gesehen haben mögen.
Der Felsenbalkon ist breit, es tritt keine Höhenangst auf, doch dann reißt es mich von den Füßen. Auf der Kante fange ich mich blutend ab. Youssef ruft mir besorgt zu. Am Tizi Ougnana wartet er auf mich, zeigt mir den Zielort Ait Boumalne unten am Anergui-Fluss, der von rosa Oleander Büschen flankiert wird. Zwei Stunden, 54 % Gefälle bis dorthin, ich habe Prellungen an den Fußsohlen, kann kaum gehen. Über mir droht der nackte Jbel Tagounte (3300 m), das ist ein Berg.
Auffallend in Ait Boulmalne (1600 m) sind die zwei mehrgeschossigen Speichertürme( Agadire), sie zeugen von der Verteidigungsbereitschaft der Bevölkerung. Ich bin im Ziel. Die beiden Ärzte Philipp und Agnes stechen den Marokkanern die Fußnägel auf und mir holen Sie den Dorn aus dem Fuß. Mustafa schickt mich zum Duschen über die Hängebrücke in eine traumhafte Gite d´ Etappe, dem Tighrem (Wehrburg) Assif Melloul. In der Küche hantieren zwischen riesigen Kühltruhen Fatou, Fatima, Hadda und Touda, aus Schwarzafrika. Ich bettel nach Cola, doch sie sind standhaft, sie rücken nichts raus. Fatou ist die Chefin, sie spricht einige Wörter Französisch, macht mir klar, dass hier nichts verkauft wird. Sie müsse erst den Patron Said fragen, auf dessen Grundstück wir unten am Fluss campieren. Said muss ein seltsamer Vogel sein, denn er hält Vögel, viele, seltsame, auch Geier. Aus einem Käfig fletscht mich ein Wolf an. Neben dem Käfig sind Schlangen eingesperrt. Philipp hat mir ein starkes Schmerzmittel gegeben, ich bin total benebelt, bekomme keine Cola.
Abends lerne ich den Patron Said persönlich kennen, ein lustiger Typ und Veranstalter eines Ultratrails, der am kommenden Wochenende stattfindet. Als er hört, dass ich gerne Bier trinke, bittet er mich in einen Nebenraum und serviert warmes Heineken. Als ich das Gesicht verziehe, bringt Touda einen wunderbaren Rotwein. Sie wird von einigen Läufern verfolgt, die den Braten gerochen haben. Ich bin bekannt für meine Freundschaftsanfragen. Patron Said verliebt sich in Kathi: „Oh mon amour…“ Er kann gut singen, hat Tränen in den Augen, wir lachen uns krank, es ist eine wunderschöne Nacht.
Um Mitternacht gibt es Couscous. Ich versuche mir ein großes Stück Vogelfleisch aus der riesigen Schüssel zu angeln. Ich denke mal, es ist Hühnerfleisch, es ist mir aber egal. Für den Rückweg zum Camp nehme ich nicht die Hängebrücke, sondern den direkten Weg.
Said spendiert auch noch das Frühstück. Er ist heute Morgen sichtlich angeschlagen und kann nicht sprechen. Wir umarmen uns wortlos, dann gehe ich hinüber zum Start: 7:30 Uhr. Eigentlich hätte ich die gnadenlose Hängebrücke hinüber zum Start nicht gebraucht, denn wir laufen jetzt eh durch den Anagui, und zwar auf einer Länge von acht Kilometern. Das macht Spaß, kühlt die offenen Füße.
Wie kleine Kinder springen wir durch das glasklare Wasser, das von hohen, ockerfarbenen Felsenwänden gesäumt wird.
Mein Blick geht zurück ins Tal. Dort wird eine Skipiste gebaut, es soll das zweite Skigebiet in Marokko werden. Spanier verschenken ihre alten Doppelmayer-Lifte. Woher die Energie für die Schneekanonen kommen soll, ist mir schleierhaft. Ich glaube, man hat hier die falschen Vorstellungen. Das Wasser des Anagui, durch den wir vorhin gelaufen sind, wird wohl aufgestaut werden müssen.
In Batli, auf dem Hausdach ist der erste VP, es gibt warmen, stark gesüßten Tee, der noch mehr Durst macht. 1400 Meter Anstieg auf 6 Kilometer sind jetzt angesagt, die Laufuhr von Lahcen hat eine Steigung von 77 % ausgespuckt. Auf der Höhe von Zerkan steige ich weiter zum Tizi n´Tazazeougart (2800 m). Dort erwartet mich lautstark die Helfercrew. Sie schauen ungläubig, als mein Magen das dringend benötigte Wasser wieder auswirft. Ich kann nicht mehr, stolpere aber weiter. Unter mir liegen jetzt die verlassenen Häuser von Tigmi Tiydrin und es beginnt der Aufstieg zum Tizi n`Tidad.
Beim Abstieg nach Oulghazi (2200 m) sehe ich schon den wunderbaren Canyon des Assif Melloul, in den wir nun hineinlaufen. Ok, ich kann nur noch gehen, habe dafür Zeit, die wunderschöne, ockerfarbene Schlucht ausgiebig zu fotografieren. Als sich die Felswände zurückziehen, sehe ich Oulghazi, ein beeindruckendes Terrassendorf vor mir. Unten auf dem Dorfplatz ist unser Camp schon aufgebaut.
Ich lasse mich in mein Zelt fallen und beobachte die Kinder: Die kleinen Jungs sind sich ständig am Keilen, die kleinen Mädchen ziehen zu zweit Kreise um die sich raufenden Jungs. Ab und zu läuft jemand schnell an meinem Zelt vorbei und schaut neugierig hinein. Europäer hat man hier noch nie gesehen. Es wird nicht gebettelt, man ist nicht aufdringlich, sehr freundliche Menschen hier. Die marokkanischen Läufer spielen Fußball auf hohem Niveau, trotz Blasenpflastern und Verbänden an den Füßen. Die Journalisten und das Fernsehteam, die mit uns reisen, sitzen am Rand und machen Fotos.
Der Wassereimer im Duschzelt ist leer, zum Auffüllen gehe ich den kurzen Weg hinunter zum Fluss. Hinter der Stadtmauer ist das „Klo“ der Dorfbewohner, man muss aufpassen, wohin man tritt. Klopapier ist unbekannt, man nimmt Wasser und seine linke Hand. Das Flusswasser ist schnell, sodass ich davon ausgehe, dass es nicht verseucht ist. Mit einer Plastikkelle schöpfe ich Wasser in den Eimer und gehe hinauf zum Duschzelt, anschließend zur Massage. Jeden Nachmittag massieren uns die Ärzte die Beine. Das Olivenöl, das sie benutzen, riecht lecker. Abends gibt es Eintopf mit Schafskeulen. Der Koch gibt mir die besten Stücke. Das Gemüse hat einen nie erlebten, traumhaften Geschmack.
Als es dunkel wird, verziehen sich einige männlichen Teenager zu zweit in die Büsche, auch das ist Marokko. Aus dem Dorf kommen die Menschen hinunter, um den Trommlern zuzuhören. Es ist eine stark gemischte Bevölkerung: Die Berber sind vom Stamm der Ait Hdiddou und Ait Abdi. Dann gibt es noch Juden und Schwarzafrikaner, die während der letzten Sklavenkarawanen hängen geblieben sind. Bis tief in die Nacht dröhnen die Trommeln.
Hab sehr gefroren heut Nacht. Es gibt hartgekochte Eier, hervorragend gut. Drei müssen reichen, ich zittere am ganzen Körper, Unterzuckerung, wahrscheinlicher aber eine Wasservergiftung, wie mein Magen mir signalisiert. Die neugierigen Frauen lassen sich gerne fotografieren, lachen laut, wenn ich ihnen die Fotos zeige. Nur eine regt sich auf, dass man ihre Nase auf dem Foto sieht. Die Abgeschiedenheit des Hochtals trug wahrscheinlich ganz wesentlich zur Herausbildung von Einstellungen bei, die in der islamischen Welt ansonsten weitgehend unbekannt sind.
Der steile Aufstieg zu den majestätischen Tafelbergen ist überwältigend. Ich fühle mich wie John Wayne, bin aber der König der Trailläufer. Der Blick schweift weit über den einer Mondlandschaft gleichenden Horizont. Stille, ja Frieden breitet sich aus. Die erste Wasserstation ist bei km 6, nun beginnt ein weiterer Aufstieg durch ein steiniges Flussbett. Die Temperatur von 40 Grad ist nicht schlimm, denn die Luft ist trocken. Es ist die Sonneneinstrahlung, die Probleme macht. Da wir immer nach Osten laufen, ist meine rechte Gesichtshälfte verbrannt. In Tastaf gibt mir ein Dorfbewohner Tee, Brot und Olivenöl. Mohamed von der zweiten Wasserstation ist hierher runter gestiegen, um die nette Gesellschaft zu genießen. An seiner Station oben im Gebrige fülle ich mir die Wasserflasche auf.
Eine Hirtin zerschlägt mit einem Stein die grünen Rundbüsche, die Ziegen stürzen sich drauf. Die grauen Rundbüsche nennt man „Heizung der Hirten“, sie brennen dankt ihrer ätherischen Öle sehr gut, geben helles Signalfeuer und Wärme. Deswegen gehört ein Feuerzeug zur Pflichtausrüstung.
Oben treffe ich Touda, die sich mal wieder schlimm verlaufen hat. Gemeinsam suchen wir nun den Weg. „Schwierig“ ist ein germanisches Wort, was die Berber (Barbaren) hierher brachten: „schwier“ bedeutet „langsam machen“. Es geht auch nicht anders, zu schwierig ist der Untergrund.
Wie zwei Tränen in einem faltigen Gesicht, so liegen die beiden klaren Seen von Imilchil in der kargen Landschaft unter uns. Doch bis dahin sind es noch 4 Stunden. Traditionell entscheiden die Eltern über die Ehepartner ihrer Kinder. Als ein Pärchen nicht heiraten durfte, weinten beide so sehr, dass diese beiden salzigen Seen entstanden. Das fand dann die Bevölkerung doch zu grausam, deshalb findet in Imilchil einmal im Jahr ein speed dating statt. Das Moussem d' Imilchil verbindet das Jahresfest zu Ehren des Marabouts, des lokalen Stammesheiligen, mit dem traditionellen Erntedankfest der Ait Haiddidou-Berber und einem Heiratsmarkt. Marabout bedeutet „der, der die Pferde für den Kampf gegen die Ungläubigen zusammenzieht“. Verschiedene Stammesfamilien führen ihre typischen Tänze und Gesänge auf einem mit roten Teppichen ausgelegten Podium vor der eindrucksvollen Kulisse der majestätischen Viertausender auf. Dann geht man zum Standesbeamten, der die kollektive Eheschließung vollzieht. Das Fest findet am Samstag statt, dann werde ich leider schon zurück in Marrakesch sein.
Karawanen mit hübsch dekorierten Bräuten sind auf meinem Weg, ich darf sie nicht fotografieren. Mein Weg führt hinauf auf 2500 Meter Höhe. Dort ist eine seltsame, langgestreckte, verfallene Burg, sie könnte aus dem Mittelalter stammen. Als ich auf den schrägen Grat entlanglaufe, sehe ich, dass der untere Wall aus zerbrochenen Flaschen besteht. Es ist eine Festung aus dem Algerienkrieg(1956-62), man bewachte von hier aus den Ilmilchil-See. In der schmalen, etwa 1 Kilometer langen Festung saßen also die Franzosen und tranken nicht Wasser.
Was von oben aussieht, wie eine mehrspurige Mopetstraße, sind die eingetretenen Wege der Maultiere. Man schickte sie selbständig mit Getränken beladen vom See hinauf zur Festung und zurück. Der Menge der zerbrochenen Bier-und Weinflaschen nach hatten die Soldaten lockere sechs Jahre. Die Bevölkerung fand das wohl nicht so lustig, weswegen die Burg nach Abzug der Franzosen zerstört wurde.
Brutal zerquetscht hat die Wanderung des afrikanischen Kontinents die Schichten des Ur-Mittelmeeres, brutal in kreisförmige Schichten gepresst. Ich erkenne an, dass es was Gewaltigeres als mich oder Wolf Larsen gibt.
Aber auch ich bin langsam gefaltet, der Weg um den Ilmilch-See ist ewig lang. Irgendwann bin ich am Ufer, das von Salzflocken garniert ist. Der See ist 30 Meter tief und soll dicke Fische beherbergen. Er wird von Grundwasser gespeist und ist abflusslos. Wie die Fische hineinkamen, kann mir niemand sagen. Am Ufer sind Ziel und Camp.
Es war ein unerwartet harter Lauf, ich springe gleich in die Fluten des Sees. Er ist nicht zu kalt, obwohl wir in einer Höhe von 2300 Metern sind. Der Seeboden ist mit schwarzen Modder bedeckt, aus dem stinkende Metanblasen emporsteigen. Bis zu den Knöcheln sinke ich ein. Unheimlich. Zartes Grün beschattet die Ufer des Sees, die Blätter der Pappeln und Birken rauschen im Wind, sanft plätschert das Wasser in leichten Wellen über die Steine.
Ein Sturm zieht auf und reißt die Zelte um. Es regnet, nach 30 Minuten ist es vorbei. Die alten Kiefern sind abgestorben, die Regenfälle der letzten Jahre haben den Grundwasserspiegel steigen lassen.
Abends kommen etwa 500 Menschen zu unserer Siegerehrung. Eine Holländerin hat den hiesigen Alkoholiker geheiratet. Er ist stolz auf seinen Feigenschnaps. Er riecht grausam, ist aber nicht schlecht. Auch ein 16jähriger destilliert das Zeug, damit hat er sich dreimal die Reise nach Libyen finanziert. Dreimal kam er nicht rüber nach Deutschland: „Drink du mehr, drink du mehr“ ruft er immer wieder und lacht laut.
Dann fängt die Jugend an, ihre Künste zu zeigen. Brake Dance und Flik-Flak begeistern das Publikum. Als es zum Armdrücken kommt, ist mein Auftritt! Wie Lemminge, so stehen die Jungspunte aufgereiht, um gegen mich anzutreten. Es geht nicht darum, mich zu besiegen, das ist unmöglich. Es geht darum, den Kameraden zu zeigen, dass sie den Mut haben, gegen mich anzutreten. Lange liege ich auf dem Boden und drücke die Arme der männlichen Bevölkerung nieder. Um zwei Uhr werde ich auf Armen durch das nächtliche Zeltlager getragen, die Musiker folgen dem Tross mit viel Getöse. Ich bin der Held der Welt. Wirklich ein gelungener Abschluss für einen Bluthund!
Anreise:
Mit Ryan Air (Hahn) oder Air Arabic (FFM-international) nach Marrakesch: 50-150 Euro. Ab Marrakesch Transport durch die Organisation, oder mit Bus zur Provinzhauptstadt Azilal, und von dort Transport durch die Orga. Ab Azilal 150 Euro für Lauf, Essen und Camp.
Folgende Läufe, über die ich schon berichtet habe, stehen an:
05.-09. Oktober: Utat: 105, 42 und 26 km
18. November: Marokko-Atlas Zagora Ultra 52 km
28. Januar Marrakesch Marathon
15.-19. Februar UTMES: 105 km oder in zwei Etappen: 55 und 50 km
22.-28 März Tizi N´Trail : 75 km 3 Etappen
17.- 20 April: Eco Trail de Ouarzazate: 75 km 3 Etappen
19.-22 April Ultra Trail de Chaouen 85 km