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10.06.13 - Special Event

Bhutan - The Last Secret

Autor: Joe Kelbel

1. Etappe 30,7 km, +1263 m  - 729 m

 
Klingt einfach, wird es aber nicht.

Start im Kloster Punakta Dzong, der  Gouverneur ist da und 1000 begeisterte Schulkinder. Sie singen für uns die Nationalhymne. Eine wunderschöne Hymne, deren Schall von den hohen Klostermauern verstärkt wird. Und da ist wieder dieser eiskalte Schauer, der den Rücken runter fließt. Ein großartiger Lauf, großartige Tage stehen uns bevor, tiefe, neue Freundschaften mit Einwohnern und Mitläufern und weitreichende Erkenntnisse, ein Blitzgewitter an Erlebnissen. Nach 200 km und 6 Lauftagen werde ich weinend das Ziel erreichen.

Der Gouverneur steht neben dem Lama, der ewiglange Gebete murmelt. Wir wollen endlich los. Start. Die Kinder fetzen über die Brücke, bilden eine Gasse, wir sind Helden, noch nie hat das Land so was erlebt.

Ich werde einen klitzekleinen Teil des Glückes finden, und ja, Gabriel Jäger, der deutschstämmige Buddhist aus dem Einmann-Kloster in Brasilien, wird später frei lachend meine Erkenntnis bestätigen: “If you climb the mountains, you will find the answers, but new doubts will apear. Fight the doubts. “

 
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In Bhutan ist der tibetische Buddhismus fest verankert. Er ist wesentlicher, liberale Teil der Glücksfindung. Unser Lauf hinauf zum Kloster Choten Nyingpo in brütender Hitze ist der Weg dazu. Immer wieder durch Ketten von Gebetsfähnchen (lang ta). Meistens sind die zwölf Silben des Guru Padmasambhava und verschiedene Mantras aufgedruckt, je nach Wünschen des Patrons der Fähnchen. Dann gibt es noch Felder der Gebetsschwerter (Dhar Char=Lebensverländerung). Sie bestehen aus drei wichtigen Teilen: Das Schwert mit den aufgedruckten Mantras, das Rad, die Spitze und stehen für die drei Götter der Weisheit, Strenge und Barmherzigkeit (Sanskrit: Manjushri,Vajrapani, Avalokitshevara).Aufgestellt werden sie an bestimmten astrologischen Tagen.

5:24 Std, nicht gut, aber effektiv.

 
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Ein Wasserhahn für alle. Zeltcamp im Innenhof des Klosters. Die meditative Zeremonie im Kreis der Mönche darf ich nicht fotografieren, dabei ist es lustig, wie die kleinen Mönche und einige von uns bei den monotonen Gesängen müde in sich zusammensacken und wegpennen. Das tiefe Brummen der langen Hörner, das monotone Stampfen der Trommeln. Der Lama betet für gesunden Lauf und gutes Wetter. Gefaltete Hände vors Gesicht, dann tiefe Verbeugung bis die Stirn den Boden berührt, dreimal. Räucherstäbchen in den Händen. Chipstüten, Süssigkeiten und bunte Sachen in großen Körben vor dem Altar. Stefan steuert mehrere Federballsets bei. Bis tief in die Nacht dauert das monotone Zwiegespräch, das uns nach Stunden in unseren Zelten in den unruhigen Schlaf wiegt, während draußen topfdeckelgroße Falter taumeln.

 

2. Etappe 28,7 km + 2384m, - 1649m, 
Aufstieg auf 3500 Meter Höhe

 

Die schwierigste Strecke des Laufes. Holger sitzt in einem Berg ungeordneter Ausrüstung zwischen Pulsmesser, GPS-Uhr und Sauerstoffmessgerät, kommt zu spät zum Start. Durch den nebelverhangenen Dschungel geht es steil aufwärts.
Immer wieder kommen wir an kleine Häuschen vorbei, darin von Wasserkraft betriebene Gebetsmühlen, davor Opfergaben. Kann auch mal eine Flasche Bier sein.

Holger geht es schlecht, er ist schwer gestürzt, war kurz weg gewesen. Auch mich hat es gerissen. Erst denke ich, mein Arm sei gebrochen, weil ein heftiger Schmerz vom Arm in den Kopf schießt. Doch er bleibt im Kopf. Aspirin.

Dann reißt es mich erneut. Mein Schuh ist 30 Zentimeter tief im Schlamm, die Öffnung leuchtet  einsam aus der  Tiefe. Bin total lehmverschmiert. Sich im Wasser zu waschen ist gefährlich, denn…..

 
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Es liegt Blut auf der Laufstrecke, viel Blut, jeden Meter dicke Tropfen. Erst denke ich, ein Läufer hätte sich verletzt, dann wird es so viel, dass er längst tot sein müsste.

Noch mehr Blut. Glaube, es werden “hot cows” über den Pass getrieben, zwecks Fortpflanzung. Jedenfalls ist der 4 Meter tiefe, 40 cm schmale Weg vollgeblutet und vollgeschissen. Ich habe keine Ahnung, wie viel Blut eine tamponlose Kuh so verliert, jedenfalls fühle ich mich wie im Schützengraben von Verdun, und stinken tut es wie Nashorn. Ja, die gibt es hier, auch Elefanten. Und wo ich ungewollte reinrutsche, das ist bestimmt ein blutiger Scheißhaufen einer menstruierenden Elefantenkuh. Ich denke über die Masse des Menstruationsblutes nach, da flutscht mir ein seltsames Wesen über den Arm. 10 cm lang, vorne und hinten klebrig. BLUTEGEL.

Verdammte Scheiße. Halbes Kilo Tabak und Salz schmiere ich mir auf dem Körper. Ich ziehe die Viecher an dem einen Ende mit spitzen Fingern von meiner Haut ab, bis sie wie ein Gummi abglitschen, setze sie zurück auf die Halme, damit sie sich an nachfolgende Läufer ankleben. Wie kleine Stöckchen, so ragen die Schleimwesen in die Laufstrecke.

Fleischfressende Pflanzen locken mit ihren dicken Kannen. Orchideen und wundersame Insekten, Gefechte gegen Klebetentakel, die zunächst Schmerzmittel und Gerinnungshemmer einspritzen. Nach 5 Minuten lassen sich die prallen Blutbomben fallen, hinterlassen eine viren- und bakterienfreie, aber stark siffende Wunde.  Compressionsklamotten helfen insoweit, dass der Egel, sobald das Blut in seinen Mund schießt augenblicklich vom Blutdruck zum Platzen gezwungen wird. Als ich  meine Schuhe binde, schauen mich zwei geschlitzte, grüne Augen an. Ich frage nicht nach ihrem Namen.

Hinter dem Pass will ich Kühe fotografieren, deren Hälse blutüberströmt sind. Erst denke ich, der Hirte hat an ihren Halsschlagadern genascht. Doch es sind die ekelhaft schwarzrot ewignässenden blutigen Spuren der Blutegel. Es dauert Stunden, bis der Gerinnungshemmer der Blutsauger seine Wirkung verliert. 

Aggresiv geworden vom Blutgeruch greifen mich die Kühe an. Ich drücke die  Hörner zur Seite. Ist ganz einfach, ich bin ein Held! Sogar die kleine blonde Charla macht hier den Torero. Puls und Laufgeschwindigkeit sind allerdings stark überhöht. Der Hirte, der unter einer blauen Plastikplane übernachtet hat, schreit, dann fliege ich ins Tal.

Diese Talseite ist warm und trocken. Ein Meer aus roten Walderdbeeren bedeckt den mit Kiefernadeln garnierten Waldboden. Brigid wird vom Hund gebissen, sieht böse aus. Chyntia macht DNF.

8:09 Std, das war ein verdammt harter Lauf.

Die zwei Ärzte verbrauchen sämtliche Druckverbände, um die schmerzlosen Blutegelwunden zu schließen. Alle sind gut gelaunt, verdammt schönes Land.

Übernachtung auf 2500 Meter Höhe im Farmhaus, angenehme Kiefernnadeln auf Lehmfussboden: Klo, Dusche? Lalala! Hello Kitty-Edition! Gepennt habe ich wie ein Murmeltier. Alle in einem Raum, nur Chianpierdro, der Oberschnarcher, wurde in den Hühnerstall verbannt.

Frühstück. Holger ist kreidebleich, starrt vor sich hin. Überall aufgelöste Füße und nässende Blutegelwunden.

 

 
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