Regen. Die Hälfte der Mannschaft hat “Höhenscheißerei”, was immer das für ein Krankheitsbild sein mag. Neben dem Stehklo liegt eine Zahnbürste, es gibt anscheinend Akrobaten unter den Mönchen. Wie krempelt man die rote Kutte hoch? Tragen die Mönche Unterwäsche?
Zwei Pässe mit jeweils über 3700 Hm müssen wir überwinden, dann geht es 3000 Meter hinab. Jacob macht DNF.
Erinnerung an eine morsche Brücke aus zwei bemoosten Baumstämmen. Ich rutsche hinüber, ein Moosstück bricht ab und ich beiße in insektenverseuchtes Holz, kurz neben einen fetten Tausendfüßler. Klaus kommt nicht so glimpflich davon, er denkt, dass die Brücke halten würde, zumal der dicke Joe schon drüber ist. Er wird 4 Meter, bzw. zwei Wasserfälle tiefer im eiskalten Wasser unter Verlust seiner Ausrüstung wach. Wie nachfolgende Läufer das zerbrochene Hindernis überwunden haben, ist mir nicht überliefert.
Viele Hunde aus dem Kloster begleiten uns, bleiben stehen, schauen zurück, als würden sie uns ermuntern wollen. Lange geht es durch ein wildes Flusstal. Kleine Käfer flitzen vor mir unter die Steine, es sind “stink bugs”, Stinkwanzen. Die Stinkdrüsen der Krabbler entfalten bei Röstung ein interessantes Aroma, gelten als Delikatesse.
Platz 14 erreiche ich an diesem Tag.
7:08 Std, aber es war eine große Lauffreude.
Übernachtung im Farmhaus. Einige der Läufer liegen in Betonbottichen, die mit heißen Steinen erwärmt werden. Ich bin in einer Bar. Dort sitzen die Alten und kauen Betelnuss (Doma), die Volksdroge, die macht nicht nur rote Zähne. Ein Blatt des Betelnussbaumes wird mit Kalk bestrichen, ätzt die Mundhaut auf, damit die Droge aufgenommen werden kann. Auf das Blatt mit dem Kalk kommt ein Stück Betelnuss, alles zusammen wird in der Backentasche gelagert und durchgemischt. Ich hab´s vor Jahren probiert, Scheiß Zeug, haut dir Magen und Birne weg. Doma wurde im 8. Jahrhundert vom Guru Rinpoche eingeführt. Er wollte mit der Betelnusskauerei die Angewohnheit verdrängen, seine getöteten Feinde zu verspeisen.
Ich sitze auf einem abgesägten Baumstumpf, die Tischdecke ist schwarz vor Fliegen, die Zuckerreste sabbern. Die Alten erzählen von einem normalen Leben, Fernsehen gibt es seit 1999, die erste Straße wurde in den 60ern gebaut. Internet? Ja, manchmal. Dieses Jahr wieder, allerdings gibt es keine Möglichkeit für einen Zugang. Aber der König hat schon 50.000 Follower auf Facebook. Ob sie glücklich sind? “Joe, Sir”, sagt der Alte zu mir, “this is happy land!”
Eigentlich wollte ich nach dem ersten Druk 11.000 Bier gehen, da kommen aber einige unserer einheimischen Helfer herein. Am ersten Tag hatte ich 20 Laufcaps verteilt, daran kann ich sie nun erkennen. Der kleine Tashi trägt das Cap vom Frankfurt Marathon. Er studiert Wirtschaft in Indien, ist jetzt auf Ferienjob hier in Bhutan. 9 Euro gibt es am Tag vom großen Tashi. “Ist das ok?” Ja, sagt er, der große Tashi ist fair und kameradschaftlich, es ist gutes Geld. Die vier Jungs trinken Whiskey, kaufen sich von der Wirtin Zigaretten in einem Land, wo Zigaretten verboten sind. “Mum” nennen sie die Wirtin, “Are you happy?” - “Yes”. Aber sie träumen vom Australien oder Amerika. Inder bauen die neuen Häuser. Viel Kapital fließt in dieses Land. Ja, ihre Eltern haben auch schon Grundbesitz, aber die Jugend will große Autos fahren, ich solle unbedingt wiederkommen. “Are you comming back?” Ich sage, sie sollten doch in ihrem eigenen Land bleiben, es aufbauen, dieses Land ist wunderschön, hat mehr Potential als andere Länder. “I will come back! Sure!“
Randall, unser Mitläufer, ist Vermittler zwischen Investoren und der Regierung von Bhutan. Seine Schwester ist mit dem Außenminister verheiratet. Die Regierung besitzt neun Firmen in Bhutan. Ich zahle die Runde Whiskey und die Kippen, alles preisgünstiger als mein Druk 11.000.
Hach, dann kommen Salva, Manu, Raj und Stefan-Schweiz und all die koreanischen Läufer in das kleine verrauchte Hinterzimmer. Sie bestellen Druk 11.000 und Mangosaft. “Mango” ist ein spanisches Wort, natürlich für eine internationale Frucht. Bei uns gibt’s halt Pflaumen. Als dann Sophie erscheint, liegen wir natürlich gröhlend und schenkelklopfend auf dem Boden. Ob sie ahnt warum, wir Mangojuice trinken?
Start 6 Uhr, es wird ein langer Tag. Die ganze Nacht haben die Scheiß Köter vor dem Fenster gebellt. Mücken haben das Restfleisch, das aus meinem Schlafsack schaute, zerstört. Das Stehklo ist verstopft, die Glühbirne am Arsch. Habe vor dem Haustempel gepennt. Die ständig suppenden Räucherstäbchen haben das Resthirn blockiert, meine Nase verdickt.
Heute Morgen geht alles schief, und die Kochcrew hat verpennt. Meine Laufklamotten stinken wie der verschimmelte Pelz eines toten Rammlers, sind auch genauso feucht, also absolut passend. Ich bin erstaunt, dass sie über Nacht nicht zerbrochen sind.
Als ich die Luft aus der Matte drücke, penne ich Ausversehen ein. Ali aus Beirut weckt mich. “Joe mon ami, couchon!“ „Ca va?“ Mein hochgereckter Arsch in untypischer Schnarchhaltung hat ihn verwundert.
Ich habe nix dabei, in meinem Rucksack, nix, nix, nix. Totaler Packfehler. Gott oh Gott! Mein Geld blieb in der Bar gestern. Alle 10 km ist ein Kontrollpunkt, dort gibt es Wasser und von Daniel geliehene Kohle.
Ich kann zwei Flaschen Cola kaufen. Gerettet. Immer noch sind die Hunde aus dem Kloster bei uns, mal hier mal da. “Ich kenn dich!” Dann guckt mich wieder einer treudoof an und läuft einige km mit mir zusammen.
Die heutige Tour geht rund um Paro. Paro besteht eigentlich nur aus der Landebahn, aber in den Seitentälern besticht die Schönheit des Landes mit seinen kleinen Feldern, auf denen auch die Pflanzen mit den gefiederten Blättern wachsen. “We katt them, before ripe!” Jajajaja, und im Himmel ist Jahrmarkt! “Sometime, yes Sir Joe, sometime wi smoke plant, butt tis is illegal!” “Also lebt ihr in einem glücklichen Land? “ Yes Joe, Sir, wi happi!”
Man wird tatsächlich mit “Sir” angesprochen. Vorne und hinten steht ja groß mein Name, und manchmal beugt sich jemand aus dem Fenster eines der seltenen Autos und ruft ein freundliches “Good Job, Joe, Sir!”
Vom Weg an der Landebahn kann man herrlich die Flugkünste der Druk-Air- Piloten beobachten. Die Straße am Ende der Landebahn wird bei Landungen gesperrt. Eine Kneipe reiht sich an die nächste. Man nennt sie Cum-Bar. Was sich wie Rotlichtviertel oder Fertilisationsklinik anhört, ist in Bhutan verboten. Ich glaube, es heißt so viel wie zusammenkommen, also im Sinne von treffen, ach Ihr wisst schon…. Man trinkt hauptsächlich Whiskey und Gin.
An einer Gebetsmühle ein dicker roter Pfeil, eine “Mum” trägt bündelweise die großen Bierflaschen (660cl) des Druk 11.000. Gebetsmühlen immer im Uhrzeigersinn drehen!
Unterhalb des mächtigen Paro Dzong hat die Regierung Strohhütten gebaut. Slumbewohner werden umgesiedelt, jetzt ohne Stacheldraht aber mit fließend Wasser aus dem Gemeinschaftsbrunnen. Lauf über Müll, aus dem Klohaus dringt bestialischer Gestank, der mich würgen lässt.
Am Fluss Paro Chhu ein Resort, ein besseres Hotel also. Ich steige die Treppen hinauf. Ja, sie haben Bier, das normale, das Lagerbier, die dritte Biersorte Bhutans, auch aus den indisches Kingfisher-Flaschen. Meine Rettung.
Der Aufstieg zur verfallenen Klosterfestung Drukyel Dhinkha (3500m) ist hart aber wunderschön.
Indische Gastarbeiter hocken am Straßenrand. Es sind Familien mit Oma und Kleinkindern, jede hat 10, 20 Meter zugewiesen bekommen. Nun wohnen sie auf diesen paar Metern unter Plastiktüten und klopfen mit der Hand wochenlang die Steine, sortieren nach Größe und Aussehen. Wird hier etwa das “Gross National Happiness” auf Kosten der Ärmsten erhöht? Ich kann es nicht beurteilen. Es erfolgt kein Gegengruß aus den teilnahmslosen Gesichtern, die kein Englisch sprechen.
Die Bhutanesen lernen Englisch “ in the Pipiclass”. Immer wieder rufen mir winzige Mädchen “I love you, Sir, Joe” zu. Das ist traumhaft lieb. Lesen können die Winzlinge also auch schon. Die Mädchen der Kochcrew fragen mich direkt, ob ich verheiratet bin.
Oft kochen sie das Nationalgericht: Kewa Datschi, Kartoffel in Käsewasser, etwas Knoblauch und Ingwer, dazu viele Chilischoten. Man kann die Kartoffeln auch weglassen, dann heißt es Emadatse und brennt dir den Arsch weg.
8:27 Std. Uff! Endlich was zu futtern.
Brigid fährt ins Krankenhaus. Der Hundebiss sieht böse aus. Zeltcamp unterhalb der Klosterruine. Aufstechen der Blasen. Ich bin einer der wenigen, der keine Probleme an den Füssen hat. Ihr wisst, welche Schuhe und Socken ich trage. Ein kleiner Junge verkauft kleine, handgerollte Käsestücke. Ein wunderbares, wohliges Geschmackserlebnis!
Eddas Gepäck ist weg, mitsamt der vielen Fotos. Sie heult wie ein Schlosshund.
Ich weiß, wo es Druk 11.000 für sie gibt. Auch die Koreaner sind schon dort. Die bandagierten Beine von Jungkeun werden von Fliegen belagert. Die Nacht quält mich mit thrillerhaften Träumen. Die vielen Eindrücke, diese allgegenwärtige Religion, die Anstrengungen und das Durcheinander im Hirn sind zu viel.