Die EcoTrail Serie hat es mir angetan. Das Konzept „Trail goes to City“ finde ich so genial, dass ich gerne mal bei jedem der attraktiven Läufe starten würde. Diesmal ist die Veranstaltung in Florenz an der Reihe. Weil im letzten Jahr aufgrund lang anhaltender Regenfälle der 80 km Lauf auf die 43 km Strecke umgeleitet werden musste, ist es sogar der Jungfernlauf. Die Anforderungen hören sich machbar an: für die 80 km und 2.400 Hm darf man 17 Stunden benötigen. Bei Start um 7 Uhr morgens wird der Nachtanteil auch nicht so krass sein wie z. B in Paris. Laura hat sich übrigens die 43 km lange Strecke ausgesucht.
Norbert, Laura und ich reisen bereits am Donnerstag an. Zeit genug um sich etwas einzugewöhnen. Als wir in Florenz ankommen, ist es dort sehr windig und trotz Sonnenschein, frisch. Am Lauftag werden allerdings nach kalter Nacht, 22 sonnige Grad erwartet. Am Abend soll es dann wieder kalt werden. Deshalb nehmen wir die Auflagen des Veranstalters sehr ernst: Camelbag für 1l Wasser, Becher (an den VPs gibt es keine), Stirnlampe, Windbreaker, Rettungsdecke, Mobiltelefon, Trillerpfeife und Essensvorrat - alles wird eingepackt.
Die Startnummer bekommen wir am Freitag auf dem Piazzale Michelangelo, einem beliebten Touristentreff. Die Aussicht vom Hügel südlich des historischen Stadtzentrums über ganz Florenz ist grandios. Zu Ehren des großen Renaissancekünstlers Michelangelo wurde eine 5,17 m hohe Kopie des Davids in der Mitte der Piazza aufgestellt. Zu Füßen der imposanten Figur liegt die Veranstaltungslocation mit Bühne und diversen Zelten. Zur Startnummer gibt es ein original Buff-Schlauchtuch, ein Funktionsshirt und für die Läufer der langen Strecke eine EcoTrail-Kappe von Buff. Alles in leuchtend grün.
Am Samstagmorgen ist es nicht ganz so kalt wie befürchtet. Etwa 8 °C sind ja für uns momentan nichts Ungewöhnliches. Norbert und ich machen uns um Viertel nach 6 auf den Weg; Lauras Start wird erst um 9 Uhr sein, sie hat noch Zeit. Die steilen Stufen hinauf zum Piazzale sind uns mittlerweile hinlänglich bekannt. Oben weht ein kalter Wind.
Im Startbereich läuft Musik, ansonsten ist nichts los. Nanu, ich dachte man soll um 6 Uhr 30 hier sein? Eine Helferin informiert uns, wo wir die Taschen abgeben können. Wir müssen die stark befahrene Straße überqueren. Dort befinden sich die Tennisanlagen des T.C Mentor Net. In einem beheizten Raum treffen wir nun endlich auf unsere Kaufkollegen.
Kurzfristig entscheide ich mich, die Windjacke in den Rucksack zu stecken und mit Kurzarmshirt und Armlingen zu laufen. Kurze Hose war für mich sowieso Pflicht. 10 Minuten vor dem Start machen wir uns im Konvoi mit den anderen auf den Weg zurück zum Startbereich. Ungewöhnlich sanfte Musik begleitet die Startvorbereitung. Was beim Briefing auf italienisch und englisch erklärt wird, habe ich schon wieder vergessen. Noch das obligatorische „Vorher“-Bild, dann geht es los.
Norbert und ich haben uns hinten eingereiht. Es geht über den Platz und die Straße. Hier führen Treppen zum Kloster der Olivetaner Abtei hinauf, dann geht es weiter unterhalb den Weg entlang. Auf der anderen Seite, liegt das verschlafene Florenz. Wir sind gespannt, was uns in den nächsten Stunden erwarten wird und freuen uns, endlich unterwegs zu sein.
Links oben bestaune ich die aufwendige Marmorfassade der Basilika San Miniato al Monte, die als eine der schönsten Kirchen in Italien gilt. Sie trägt den päpstlichen Ehrentitel Basilica minor. Hinter der nächsten Kurve geht es steil nach oben. Alle sind am Gehen. Oben angekommen, finden wir uns in einem stillen Wäldchen wieder. Der erste Single Trail führt uns im Bogen um die Klosteranlage herum.
Dann geht es steil bergab, durch ein Tor. Ich erkenne die Straße, die zum Piazzale Michelangelo führt. Wir laufen auf dem Gehweg hinunter, erreichen den Fluss Arno und überqueren die Ponte San Niccolo. Dahinter befinden sich Pfeile, die uns zum Flussufer hinunter leiten. Auf einem Trampelpfad geht es am Wasser entlang bis zur nächsten Brücke, der Ponte Giovanni de Verazzano. Hier überqueren wir erneut den Arno und laufen weiter flussaufwärts. Die nächste Brücke, eine interessante Kombination aus Eisenbahn und Fahrzeugbrücke, bringt uns erneut zum anderen Ufer.
Zunächst hatte ich ja den Eindruck, dass nur Italiener am Start wären. Aber jetzt finde ich mich zwischen einem Iren, einer Thailänderin, zwei Finnen und einem Esten wieder. Infos über schöne Trails in ganz Europa werden ausgetauscht.
In Girone haben wir 8 km geschafft und es geht zum ersten Mal bergauf. Rechts und links befinden sich Olivenhaine und je höher wir kommen, desto besser wird die Aussicht auf die typischen Hügel der Toskana. Ungefähr auf halber Höhe führt die Straße nun auf und ab. Ich wundere mich, wieso man eine Straße mit so steilen Passagen gebaut hat. Links haben wir einen schönen Blick auf Florenz, rechts befindet sich eine lange Mauer.
Das kleine Örtchen Settignano streifen wir bei km 13. Hier war bereits im Mittelalter der Sommerwohnsitz reicher Florentiner und wohl wegen des nahen Marmorsteinbruchs der Geburtsort vieler bekannter Bildhauer. Auch Michelangelo verbrachte hier seine Kindheit. Settignano ist auch der Schauplatz der Novelle Pippo Spano von Heinrich Mann.
Immer noch wechseln sich steile Anstiege mit ebenso steilem Gefälle ab. Unvermittelt stehen Streckenposten an der Strecke und weisen auf Abzweige hin, die ja sowieso mit Pfeilen versehen sind; welch ein Aufgebot an Helfern. Einer bietet sogar Wasser an. Hinter einem Garten mit auffällig mediterraner Vegetation geht es endlich auf einen Feldweg, der in einen Singletrail mündet.
Steil bergauf zwischen Bäumen führt der Trail. Langsam wird es warm. Zwischen den Bäumen hindurch kann ich immer wieder die schöne Aussicht genießen. Nach kurzem Abstieg queren wir ein Sträßchen. Der Streckenposten ruft uns zu, dass wir nun durch ein großes Tor zum Castel di Poggio, kommen, km15.
Gleich erscheint das stattliche Gebäude über uns, es sieht aus wie eine Festung. Wir nähern uns auf der Wiese, die von verstreut stehenden Kiefern und Zypressen beschattet wird. Mittlerweile gehört das Castel einer Stiftung und kann nach Absprache besichtigt werden. Hinter dem Schloss geht es steil auf der Zufahrtstraße bergab, Helfer weisen uns rechts auf den nächsten Trail. Wir steigen nun höher, der Wald aus Steineichen und Zypressen wird licht. Oben angekommen, erreichen wir eine große Wiese. Der erste VP bei km 17 liegt hier in der warmen Sonne.
Ich bin überwältigt vom großen Angebot. Aber zunächst am Wichtigsten: ich lasse mir meine Flaschen wieder mit Wasser füllen. Das werde ich unterwegs brauchen. Dann etwas Fruchtschorle in den Becher, wahlweise Brot mit Olivenöl, Nutella oder Honig dazu Salami und Käse. Etwas geschnittene Linzer Torte, Waffel- oder Schokoladenkekse, geschälte Haselnüsse, Mandeln, Apfel- oder Bananenstücke, Rosinen oder getrocknete Aprikosen. Ich fühle mich wie im Schlaraffenland.
Nur schwer kann ich mich wieder losreißen. Doch der nächste Trail wartet schon. Diesmal ohne große Steigungen in leichten Wellen, bietet er für mich Laufvergnügen pur. Bei km 18,6 erwartet mich der Streckenposten am Check Point. Hier wird die Startnummer gescannt, und die Durchgangszeit festgehalten. Wir haben noch eine knappe halbe Stunde bis zum Cutoff mit 3h30. Außerdem erfolgt hier die Trennung der kurzen Distanz. Wir laufen rechts den Berg hinauf.
Ein breiter Feldweg, mit hellen Steinen geschottert, führt durch weiß blühende Schlehenhecken auf den 702 m hohen Poggio Pratone bei km 20, der mit seinen hohen Antennenmasten weithin sichtbar ist. Auch einige militärisch anmutende Satellitenschüsseln verzieren die Landschaft. Für uns geht es nun auf einen schmalen Trail.
Auf der nächsten Anhöhe warten weitere Streckenposten. Sie verteilen typisch toskanischen Cantuccini an die Läufer und wünschen weiterhin viel Spaß. Norbert und ich erfreuen uns kurz am grandiosen Rundblick. Es wird nun tatsächlich spaßig, denn auf den nächsten 2 Kilometern verlieren wir 150 Höhenmeter. Ich bin ganz in meinem Element. Gerade als ich denke, es wäre nun genug, wechselt der Trail in flacheres Gelände und weitere 2 km fliege ich dahin.
Schwungvoll springe ich auf die Straße, wo Streckenposten eventuell kommende Autos anhalten. So gesichert überqueren wir die Fahrbahn zum Feldweg auf der anderen Seite. Nanu, hier kommen uns Läufer entgegen. Haben die sich verlaufen? Ich erinnere mich dunkel daran, auf dem Streckenplan eine Kreuzung gesehen zu haben. Das wird dann wohl hier sein. Das Begegnungstück ist auch nur kurz. Wir werden rechts geleitet, km 24,1.
Auf den nächsten 2 Kilometern führt ein gut zu laufenden Trail wellig und dann aber auf dem nächsten Kilometer 120 Höhenmeter hinauf. Der Wald ist ein einziger Abenteuerspielplatz mit bemoosten Steinen, umgestürzten Bäumen, enormen Felsplatten und kleinen Bachläufen. Obwohl die Gegend wirklich schön ist, sind wir nicht ganz glücklich, denn wir erwarten hier bei km 27 einen VP, mitten in der Wildnis allerdings unwahrscheinlich.
Nach einem heißen Abstieg über 100 Höhenmeter erblicke ich endlich die Kirche Madonna del Sasso hinter km 28. Über eine kleine Brücke gelangen wir in das kühle Innere des Gebetshauses. Hier befindet sich der VP2. Ich bin erschöpft, aber schlage das Angebot einer Sitzgelegenheit des Helfers aus, denn ich muss mich konzentrieren: Wasser nachfüllen, dann trinken und essen. Salz nicht vergessen. Obwohl wir unterwegs nur selten einen Läufer zu Gesicht bekommen, haben sich hier doch einige versammelt. Die Helfer sind alle bester Laune.
Weil ich den Ausgang nicht gleich finde, begleitet mich einer zu der steilen Treppe. Unten gelangt man auf eine schöne Terrasse mit Blick auf Valdarno und das Val di Sieve. Die Kirche auf diesem exponierten Platz entstand auf Grund eines Marienwunders um 1484 das nach dem Bekanntwerden ab Ende des 16. Jahrhunderts viele Pilger anzog. Die Kirche soll einen tollen Hochaltar aus der Zeit um 1500 beinhalten und einige alte Statuen und Bilder.
Die Besichtigung schenken wir uns aus nachvollziehbaren Gründen, dafür statte ich der Toilette einen Besuch ab. Man muss eben Prioritäten setzen. Es geht nun wellig weiter. Dass die Landschaft hier einmalig ist, brauche ich nicht laufend zu erwähnen. Ab km 29 geht es dann zur Sache: auf 4 Kilometern müssen wir fast 400 Höhenmeter nach oben. Die Sonne knallt nun richtig, es gibt wenig Schatten.
Unterhalb des Gipfels des Poggio Ripaghera befindet sich mit 890 m unspektakulär der höchste Punkt des Laufs bei 33,1 km. Spektakulär dagegen ist der 3 km lange Abstieg. Teilweise ist es so steil, dass ich nicht laufen kann. Meine Oberschenkel brennen. Das letzte Stück geht dann über blühende Wiesen, die in Steilheit aber dem bewaldeten Trail in nichts nachstehen.
Ich bin froh, als ich vor mir einen steilen Weg nach oben erkenne; endlich die Beine entspannen. Im kleinen Flüsschen tauche ich die Kappe ein und kühle damit meinen Kopf. Die Freude darüber währt aber nur kurz. Der nun folgende Anstieg geht gefühlt senkrecht nach oben und ist extrem anstrengend. Ich fotografiere Blumen als Ablenkung. Nach weiterem Auf und Ab erreichen wir das Begegnungsstück von vorhin bei km 37,5. Die Läufer waren also da schon über 13 Kilometer und unzählige Höhenmeter weiter.
Zum Ausgleich geht es nun bis km 40 relativ flach und anschließend noch einen Kilometer auf der Straße. Ich bin jetzt richtig platt. Die Hitze ist inzwischen unangenehm geworden. Hinter jedem Abzweig hoffe ich auf den nächsten VP. Vor uns liegt eine weite schattenlose Wiesenfläche mit einem Gehöft auf der anderen Seite etwas erhöht. Da könnte der VP sein. Doch wir werden enttäuscht: Passanten klären uns auf, dass die Kirche Monte Senario unser Ziel ist. Diese liegt vor uns oben auf dem Berg. Das sind noch mindestens 2 Kilometer, obwohl unsere beiden Uhren bereits die erforderlichen 42 km. Das könnte für den Cutoff mit 9 Stunden noch eng werden.
Zunächst laufen wir frustriert die befahrene Straße entlang, die über uns thronende Kirche fest im Blick. Endlich erreichen wir den Wald. Ein Streckenposten informiert uns, dass es nun noch 20 Gehminuten bis zum Checkpoint sind. Muss ich dazusagen, dass es 20 Minuten bergauf geht?
Ich habe gelesen, dass, wenn der Wind weht, aus den Höhlen des Berges Geräusche zu hören sind. Deshalb heißt er Monte Sonario oder heute Senario. In früherer Zeit dachten die Menschen, hier würde Gott wohnen. Die, die ihm nahe sein wollten, zogen auf den Berg. Das Kloster des Servitenordens wurde 1245 gegründet und es besteht heute noch. Die Mönche und Nonnen verehren Maria und haben sich der Nächstenliebe verschrieben.
Ziemlich am Ende meiner Kräfte erreichen wir das Portal auf 800 Meter Höhe. Zum Glück wird hier am Eingang sofort die Startnummer gescannt. Geschafft. Wir müssen noch ein Stückchen durch den Innenhof und eine steinerne Treppe nach oben. Hier werden wir schon erwartet. „ Herzlich willkommen! Wollen Sie ausruhen? Möchten Sie eine warme Suppe, heißen oder kalten Tee?“ Erst muss ich erneut meine Flaschen füllen, dann ein Ja zu Nudelsuppe mit Parmesan und Tee.
Wir setzen uns mit steifen Knochen auf die Holzbank. Norbert bringt mir noch Käse und Brot. Langsam erwachen meine Lebensgeister. Mit einem Honigbrot in der Hand verabschieden wir uns. Während wir das Kloster verlassen, fällt mir auf, dass doch einige Besucher Vorort sind. Manche interessieren sich mehr für die Läufer als für die alten Gemäuer.
Es geht nun bergab. Bis km 45 laufen wir auf einem schönen Trail mal mehr und mal weniger steil und verlieren dabei 200 Hm. Nun bin ich wieder in der Spur und auch unser Kilometerschnitt hat sich spürbar verbessert. Zwischen km 45,6 und 50 laufen wir auf der Straße wellig, aber tendenziell bergab. Die kleinen Ortschaften sind fast menschenleer. Es wird allmählich Abend.
Helfer leiten uns jetzt auf Feldwege. Beim oberflächlichen Studium des Höhenprofils sehen die Kilometer zwischen km 50 und 55 relativ flach aus. Leider übersieht man dabei kleine Zacken, die in unregelmäßigen Abständen nach oben zeigen. Das sind immer 50 bis 70 Höhenmeter nach oben und gleich wieder hinunter. Manchmal geht es zu einer Kirche, manchmal einfach nur zu einem Haus. Und manchmal ist da auch nur Landschaft. Wir durchqueren Weinberge, Olivenhaine und Wäldchen. Alles sehr abwechslungsreich, aber zu dieser Stunde einfach nur kräftezehrend. Die hereinbrechende Dämmerung macht das Ganze nicht einfacher.
Ab km 55 geht es dann wieder bergauf. Bis zum VP bei km 59 (laut Ausschreibung sollte sie bei km 57 sein) machen wir erneut 150 Höhenmeter. Ich merke erst bei der Durchsicht der Bilder, dass es die gleiche VP ist, wie am Anfang bei km 17. Ich bin gedanklich auch mit Wichtigerem beschäftigt. Zum Beispiel: wieviel Wasser brauche ich für die 10 km zum nächsten VP? Ich bin so müde, dass ich ungern unnötiges Gewicht durch die Gegend schleppen will. Essen mag ich gar nichts mehr, aber ich muss Energie zu mir nehmen. Es hat nun auch merklich abgekühlt. Daher ziehe meine Jacke an und hole ich schon einmal die Stirnlampe heraus.
Nachdem wir uns bei den Helfern bedankt haben, brauchen wir etwas Zeit, um wieder anzulaufen. Zum Glück geht es weiter bergab. Bei km 60 streifen wir Fiesole, biegen aber gleich wieder nach rechts. Es wird dunkel. Ab jetzt verschwimmen meine Erinnerungen an die Strecke. Wer es genau wissen will, kann in Franks Bericht nachlesen. Er ist auf der kurzen Strecke unterwegs und ebenfalls hier gelaufen, aber bei Tag.
Ich weiß noch, dass wir wohl oberhalb der Stadt auf einem steinigen Trail unterwegs sind. Es ist gerade noch so hell, dass Norbert ohne Lampe laufen kann. Bei km 63 erreichen wir dann erneut die 14.000 Einwohner zählende Stadt Fiesole, die etwa 9 km nordöstlich von Florenz liegt. Es ist ein beliebtes Ausflugsziel, nicht zuletzt wegen des fantastischen Ausblicks auf Florenz. Es gibt ein Römisches Theater und das sehenswerte Kloster Convento di San Francesco. Außerdem jede Menge Kunstschätze aus verschiedenen Epochen, Sitz des Europäischen Hochschulinstituts, des Departements für Renaissancestudien der Harvard University und der Georgetown University, sowie Sitz des Bischofs von Fiesole. Hier lebt seit Jahrhunderten die florentinische Oberschicht und es ist die reichste Gemeinde der gesamten Toskana.
Gleich am Eingang zur Altstadt packt nun auch Norbert seine Lampe aus. Hier im Ort könnte man es zwar auch ohne Lampe versuchen, aber es gibt doch einige dunkle Ecken, wo man leicht eine Markierung oder eine Stolperfalle übersehen kann. Während wir einen steilen Serpentinenweg hinauf laufen, entdecke ich unter mir ein grandioses Bild. In einem dunklen Friedhof leuchten hunderte von rötlich schimmernden Totenlichtern. Ich würde gerne vor Ergriffenheit stehen bleiben, muss aber weiter.
Dann geht es auf Kopfsteinpflaster bergab. Wir landen auf einer Art Terrasse mit dem hell erleuchteten Florenz zu unseren Füßen. Schon allein für diesen Ausblick hat sich die ganze Schinderei gelohnt. Nach kurzem Fotostopp müssen wir allerdings erst einmal die Strecke suchen. Was im Hellen sicher kein Problem ist, gestaltet sich nun äußert schwierig. Jede Hofeinfahrt und jeder Parkplatz könnte ein Abzweig sein, und wir wollen uns auf keinen Fall verlaufen, wie es vorhin schon zwei Laufkollegen passiert ist, die versehentlich falsch einen steilen Berg hinunter gelaufen sind. Denn hier geht es nur steil bergab oder bergauf.
In der Unterstadt ist plötzlich die Hölle los. Streckenposten warnen: “Es ist Samstagabend und die Menschen in den Autos wollen pünktlich zum gemeinsamen Familienessens und nehmen daher keine Rücksicht auf Läufer.“ Deshalb versuchen wir so gut es geht ihnen aus dem Weg zu gehen. Bei km 66 verlassen wir Fiesole und machen uns auf den Trail zum Monte Ceceri, wo bekanntlich Leonardo Da Vinci seine Flugübungen gemacht hat. Sicher war es damals nicht dunkel, sonst hätte er sich bestimmt den Hals gebrochen. Der Trail mit Steinen ist vor allem bergab eine Tortur, denn er ist steil und auch noch seitlich abschüssig.
Zum unangenehmen Nachtlaufen gesellt sich mittlerweile die Angst, den letzten Checkpoint nicht rechtzeitig zu erreichen, da wir durch die Unsicherheit immer langsamer werden. Laut Ausschreibung sollte dieser bei km 67 sein. Da sind wir aber längst vorbei. Kein Ort ist weit und breit weder zu sehen noch zu hören und der Cutoff von 14 Stunden rückt ständig näher.
Dann erkennen wir doch Lichter unter uns und die Carabinieri von Maiano rufen uns irgendetwas auf Italienisch zu. Ich weiß nur, dass es wohl knapp wird. Wir rennen auf der beleuchteten Straße bergab. Weitere Streckenposten weisen nach links. Es geht in einen dunklen Hof. Nanu, ist das richtig? Unschlüssig bleiben wir stehen. Hier ist weit und breit kein VP. Ein Helfer kommt angerannt und weist uns weiter. Er meint der Checkpoint käme erst in 300 Metern.
Oh je, das wird richtig knapp. Es geht noch ein Stück einen Weinberg hinunter und dann lange geradeaus. Fünf Minuten vor Cutoff erreichen wir die letzte VP und haben schon fast 70 Kilometer auf der Uhr. Die Helfer hier sind wieder super freundlich, aber wir wollen uns nicht lange aufhalten. Es sind ja noch 13 Kilometer und das Zeitlimit wird bei unserem Tempo eng.
Zunächst geht es aber wieder einmal steil bergauf. Eine kleine Gruppe Läufer ist vor uns. Wir würden gerne dranbleiben, um uns die Suche nach dem Weg zu teilen. Sie sind aber einen Tick zu schnell und wir müssen abreißen lassen. Da sind wir aber auch schon oben und die Orientierung fällt nun leichter. Leider lässt der nächste trailige Abstieg nicht lange auf sich warten. Ich verlasse mich ganz auf Norbert und konzentriere mich dorthin zu treten, wo er auch getreten war. Trotzdem ist es teilweise so steil, dass ich nur mühsam aufkommende Panik verhindern kann. Ich höre einen Bach rauschen und erkenne einen Übergang. Oh je, ein Steg ohne Geländer, über unbekanntem, dunklen Abgrund gibt mir den Rest: „Ich will heim!“
Dann, schwupp die wupp, haben wir Settigiano erreicht. Der Helfer kommt mir bekannt vor, war der nicht heute Morgen schon hier? Mit heiserer Stimme gibt er die Richtung vor. Es geht nun auf einer Straße angenehm bergab. Bis km 75 verlieren wir erneut 150 Höhenmeter. Selten habe ich einen Abstieg so genossen.
Unter uns liegt jetzt nicht Girone, wie ich vermutet hatte, sondern bereits die ersten Häuser von Florenz. Es geht unter der Bahnlinie hindurch. Eine Helferin gibt Anweisungen. Ich verstehe „gelbe Flecken“ und erkenne erst im Weiterlaufen, dass wohl Yellow Flags, also Flaggen gemeint sind. Wir folgen den gelben Fähnchen durch einen dunklen Park in dem allerlei metallene Kunstwerk aufgestellt sind. Im Schein der Stirnlampen ist das ganz schön gespenstisch. Wir verlassen den Park direkt am Ufer des Arnos, wo wir heute Morgen bereits gelaufen sind, km 76.
Da wir den Übergang über die Stahlbrücke nicht nehmen, ist die Strecke doch noch unbekannt. Wir verpassen irgendwo einen Wegweiser und laufen nun anstatt direkt am Fluss oberhalb entlang. Weil es aber immer parallel geradeaus weiter geht, fällt es uns gar nicht auf. Dafür biegen wir aber eine Brücke zu früh über den Arno ab, da wir uns von den Pfeilen vom Hinweg verwirren lassen. Nun müssen wir improvisieren um wieder auf die Strecke zu finden. Das ist nicht so schwierig, da wir wissen, wo sich das Ziel befindet. Glücklicherweise haben wir weder einen Umweg noch eine Abkürzung gemacht, denn wir sind immer nur parallel gegangen.
Zum Schluss müssen wir auf dem holprigen Gehweg an der Straße entlang zum Piazzale Michelangelo hinauf. Wir haben keine Lust mehr zu laufen, für das Limit von 17Stunden um 24 Uhr reicht es auf alle Fälle. Irgendwann sind wir oben. Im Zielbereich herrscht gechillte Stimmung, Musik wird gespielt, die Helfer applaudieren. Auch vom Zelt, wo die Finisher sich ausruhen, ertönen Glückwünsche. Wir bekommen eine schwere Medaille und werden zur Verpflegung begleitet.
Mit heißem Gemüseeintopf und warmem Tee lassen wir uns unter die Heizstrahler im Aufenthaltsbereich nieder. Wir verweilen etwas und feuern die Läufer an, die noch kommen. Dann wird es zu kalt und wir gehen zur Gepäckaufbewahrung, um uns umzuziehen. Nach Hause geht es noch einmal kräftig bergab. Meine Beine signalisieren bereits den kommenden Muskelkater.
Obwohl es bereits nach Mitternacht ist, wartet Laura noch auf uns und berichtet von ihrem Hitzelauf, der in Begleitung de M4Y-Kollegen Frank Albrecht ein nettes Ende gefunden hat.
Fazit:
Der EcoTrail Florenz ist für Leute, die gern etwas Abwechslung erleben wollen. Richtige Trailer wollen weniger Straße, Straßenläufer keinen Trail. Hier ist alles und von allem genug dabei. Dazu ein bisschen City, aber ohne den normalen City Hype, dafür viel Natur. Liebevolle Streckenauswahl, erstklassige motivierte Helfer, tolle Verpflegung, super Streckenmarkierung - für mich ist das perfekt.
Eigentlich war das Wetter beim langen Lauf optimal. Die heißen Mittagsstunden sind in mediterraner Umgebung normal. Da wir sie aber vorwiegend auf der Höhe verbracht haben, waren sie nicht so belastend. Die Strecke ist tatsächlich fast 84 km lang, aber das Zeitlimit auch für langsamere Läufer sicher kein Problem. Im Nachhinein muss ich sagen, bin ich ganz schön stolz es geschafft zu haben.