Es gibt Läufe, an denen man schon seit Jahren teilnehmen möchte, aber es irgendwie terminlich nie so richtig passt. Das ist bei mir der Fullestrand-Ultra. Einerseits führt er direkt am Gartentor des malerischen ehemaligen Wohnhauses meiner Großeltern vorbei (Kilometer 31,0), in dem ich viele Wochenenden meiner Kindheit verbringen durfte. Anderseits geht die Strecke an beiden Seiten der Fulda entlang (unter Einheimischen liebevoll „Fulle“ genannt), die in meiner Jugend, damals noch als Kanufahrer, mein Trainingsrevier war. Erinnerungen!
Zudem habe ich vor einigen Jahren als kleines Werk der Heimatforschung ein Buch mit historischen Postkarten über diesen Flussabschnitt zusammengestellt, so dass der Lauf für mich auch eine kleine Werbeveranstaltung ist (Details zum Buch unter www.fullefahrt.de). Unter den Fotos streue ich einige historische Postkartenabbildungen aus dem Buch ein.
Der Fullestrand-Ultra, der aktuell sogar mehrmals im Jahr angeboten wird, ist die Schöpfung von Sylke Kuhn, die unter dem Banner Laufwerk Kassel kleine lokale Veranstaltungen organisiert, und zwar mehrere pro Monat. Für mich sind diese selbst organsierten Läufe etwas Neues, unter denen, die jenseits der 100 Marathons sind, aber oft ein fester Teil des persönlichen Laufprogramms. So kommt Sylke selber inzwischen auf fast 800 Marathon- und Ultra-Läufe und bietet dank Ihres intensiven Engagements jedem in der Region die Chance, zumindest auf die begehrten 100 zu kommen. Neben den Läufen in und um Kassel, allein schon eine herrliche Gegend, finde ich den Ultramarathon um den Edersee (66 km und 1.700 HM) besonders verlockend. In der gleichen Region organisiert übrigens auch Jürgen Haschen unter dem Banner Kassel42 ähnliche Veranstaltungen.
Heute sind mir mit 7 Leuten auf der Strecke. Man trifft sich ganz unkompliziert um kurz vor 7 Uhr an einem Parkplatz nahe der Karlsaue, also im grünen Zentrum Kassels. Mit der Stadt kommt man daher kaum in Berührung. Von dort geht es erst fuldaaufwärts auf die Höhe von Fuldabrück, dort über den Fluss und fuldaabwärts über Bergshausen, Kassel, Sandershausen und Spiekershausen zur erneuten Flussüberquerung über die Staustufe in Wahnhausen. Von dort dann zurück nach Kassel. In Summe sind es knapp 47 km Strecke und 300 Höhenmeter, also perfekt für jeden, der einmal ganz vorsichtig Ultra probieren möchte, oder der einfach gerne an einem malerischen Fluss, der allerdings fast vollkommen gestaut ist, entlang läuft. Kostenpunkt 5 Euro ist auch nicht zu viel.
Die Laufstrecke ist unter detaillierten Kenntnissen der lokalen Gegebenheiten sehr professionell zusammengestellt und eine Meldung der Teilnahme beim DUV ist inbegriffen. Obwohl die Strecke weitgehend auf Wander- und Radwegen verläuft, ist sie doch so abwechslungsreich, naturverwöhnt und mit kleinen Trail-Abschnitten gespickt, dass sie sich doch deutlich von städtischen Laufveranstaltungen abhebt. Kassel hat ja auch einen eigenen Marathon, der aus meiner Sicht aber leider die Reize der Stadt eher wenig zur Geltung bringt.
Los geht es erst einmal gemeinsam. Einige kennen sich, einige sind auch besonders schnell oder genießen die Strecke besonders ausgiebig. Wenn man wie ich eher im Mittelfeld unterwegs ist findet man normalerweise auch einen oder mehrere Partner, so dass ich nur etwa 1/3 der Strecke alleine gelaufen bin, auch, da ich teilweise ausgiebig fotografiert habe. Eh man sich versieht ist man auch schon aus der Fuldaaue heraus und am Fluss oder auch über Hügel und Felder unterwegs.
Es ist angenehm kühl am Morgen und es sind auch noch keine Radfahrer unterwegs. Die erste Brücke ist etwa bei Kilometer 8, so dass man von da an einen angenehmen Weg nach Norden hat, ohne direkt in die Sonne zu laufen. Hier finden sich auch einige sehr schöne Waldabschnitte, die bei etwas mehr Regen auch durchaus matschig sein können. Heute war alles wunderbar und man kam mit seinen normalen Trainingsschuhen gut über die Strecke. Etwa bei Kilometer 20 ist man wieder in der Fuldaaue, wo sich auch zufällig ein „Streckenposten“ befand. Allerdings für den samstäglichen Parkrun, der einige hundert Meter parallel entgegen unserer Laufrichtung verläuft. Die meisten Parkrunner sind allerdings schon durch, so dass man sich nicht in den Weg kommt, sondern nett begrüßt oder anfeuert.
An der Stadtschleuse vorbei geht es über die Felder in Richtung Sandershausen und dann in das Fuldatal, so wie es die Ausflügler von vor 100 Jahren mangels fester Wege meist per Boot erlebt haben. Diese Strecke bis Hann. Münden, wo die Fulda endet, ist als Fahrradweg gut ausgebaut, aber auch schon stark zugewachsen, so dass man fast zu wenig vom Fluss sieht, aber dafür meist Schatten und ein sattes Grün um sich herum hat. In Spiekershausen geht es am Fuldagarten und der Marienkirche vorbei direkt am Fluss entlang bis zu alten Mühle. Aufgrund der Staustufe gibt es das alte Wehr nicht mehr, daher auch leider kein Mühlrad mehr. Auch sonst hat sich in 100 Jahren viel getan, so dass man einige Orte, wie den ehemaligen Bahnhof Kragenhof, nur noch ahnen kann. Das mit dem Fullstrand ist übrigens gar nicht so weit hergeholt: Dieser Abschnitt war früher als „Niedersächsische Riviera“ bekannt und noch in meinen Kindertagen bin ich dort in schilfumwachsenen Sandbuchten schwimmen gegangen.
Nach einem längeren Anstieg in Richtung der Eisenbahnbrücken geht es herrlich durch den Wald zur Staustufe nach Wahnhausen und dort über die Fulda. In der Schleife hat man im Prinzip einen ausgezeichneten Blick auf das Gut Kragenhof, in dem diese Tage u.a. häufiger einmal spannende Rockkonzerte stattfinden, allerdings ist zwischen den zahlreichen Bäumen und Büschen nicht viel zu erkennen. Stattdessen eine Wandergruppe mit Alpacas – auch nicht alltäglich.
Allmählich nimmt ab 10 Uhr die Frequenz der Radfahrer zu, aber es ist noch genug Platz für alle. Viele Radler kehren auch zwischendurch, d.h. auch schon vor dem Mittag, gerne einmal ein, gerade gegenüber dem Dorfkern von Spiekershausen im „Roten Kater“ oder in den zahlreichen kleineren Biergärten am Rande von Kassel. Auch Motorboote, Ruderer oder Stand-Up-Paddeler sieht man jetzt öfter. Gleichzeitig geht es langsam auf die 27 Grad zu, was für die meisten anderen Ausflügler perfekt ist, mir am Ende doch etwas warm wird. Aber schon bald tauchen wieder die Stadtschleuse und dann die Orangerie auf, so dass es nur noch wenige Meter bis zum Ziel sind. Ich war mit 2,5 Litern Wasser gut versorgt, man hatte aber an vorher bekannt gegebenen Stellen wie Friedhöfen oder Gaststädten auch so die Möglichkeit, noch einmal zusätzlich an Trinkwasser zu kommen. Wie gesagt alles bestens geplant.
Die Zeit und Strecke wird individuell per Foto der Laufuhr übermittelt, so dass man schon kurz nach dem Zieleinlauf – die Veranstalterin war natürlich schon etwas länger angekommen – per Mail seine Urkunde bekommt. In Summe eine tolle Veranstaltung, insbesondere natürlich durch den persönlichen Bezug. Diese Art von selbst organisierten Läufen, die mir wie gesagt neu war, hat jedoch durchaus Potenzial für die Zukunft. Gerade durch die große Anzahl und Vielfalt, man muss in seiner Zielregion nur etwas suchen. Etwa auf der Seite des 100 Marathon Clubs findet man wertvolle Hinweise für ganz Deutschland.