Wer nun an Tempel des Todes und Indy denkt, landet knapp daneben. Ganz knapp. Hier ist der Sandsturm gemeint. Und was für einer. Der bläst enorme Sandmassen aus der Sahara nach Westen und pudert die Kanarischen Inseln. Alles wird gelb vom Staub und Feinstaub. Wie es so heißt, die schlimmste Calima ever. Und wir sind nun mittendrin, laufen 117 km mit gut 7000 hm durch die Schluchten und über die Berge von La Gomera, der Urwaldperle im Atlantik.
Es ist ein guerillarun, wir laufen also nicht um die Wette. lassen stattdessen die Zeit außen vor und haben Freude am Laufen in einer außergewöhnlich schönen Gegend. Initiator ist Michael Raab aus München (laufcoaches.com). Er fand, dass der Wanderweg GR 132 auf La Gomera auch gut belaufen werden könnte und zog es 2019 das erste Mal durch. Die Begeisterung der Premieren-Teilnehmer war groß, und nun sind wir an der Reihe. Wir, das sind 11 Trailer jeden Alters, aus Nord und Süd und in allen Leistungsklassen. Ein überschaubares Feld also, man versteht sich sogleich.
Die Anreise erfolgt über den Airport Teneriffa- Süd, dann per Bus nach Los Cristianos und dann per Fähre rüber zur Insel. Im Landeanflug kann man sie schon sehen, die tiefen Barrancos. Da sollen wir durch? Blauer Himmel und tiefblaues Meer, gute 24° und die leckeren Tapas vertreiben die Zeit. Urlaubsfeeling macht sich breit. In San Sebastian angekommen, suchen wir unsere jeweiligen Unterkünfte und treffen uns zum Kennenlernen und ersten Abendessen in einem ausgesucht leckeren Lokal. In der Stadt tobt der Bär. Karneval. Ein Riesenevent ist das hier, alle sind verkleidet. Höllenlärm die ganze Nacht! So ab halb 5 wird es ruhiger…
Tag 1, Sonntag, 29 km / 1800 hm
…und da treffen wir uns auch schon. Ein Hotel im Zentrum ist Start und Ziel. Andreas kennt sich aus und führt uns durch die Gassen und Treppen raus ins Gelände. Das dauert und gibt schon mal einen schönen Vorgeschmack auf die Höhenmeter, 1800 werden es heute. Wir steigen gleich hoch ein. Das erste Schild GR 132 steht weit oberhalb der Stadt an einem Kreisverkehr. Ab hier geht’s ins Gelände. Ein guter Pfad, markiert und frei geräumt, schlängelt sich zwischen den Felsen durch in die Höhe. Super Ausblicke ergeben sich immer wieder in die Täler mit ihren Terrassen. Wir sind am Südhang und der ist ziemlich trocken. Entsprechend wachsen dort nur Pflanzen, die damit klarkommen. Viele sind es nicht, aber sie erfreuen das Auge sehr. Stachlig sind die meisten, also Abstand halten!
Der rote Boden ist vulkanisch, wie alles hier. Feiner Staub, grobe und scharfkantige Brocken, es lohnt sich, genau aufzupassen, wo man seine Treter hinsetzt. Ein Sturz ist hier gar nicht zu empfehlen, aber ein gut sortiertes Erste-Hilfe-Päckchen und jede Menge Wasser. Calima hat eine unglaublich trockene Luft im Gepäck, der Hals ist ruckzuck trocken, wir müssen ja schließlich auch ordentlich und heftig atmen. Also immer so 1,5 bis 2 Liter und Salztabletten parat haben. Interessant, die GPS-Maschinen zeigen nicht soo genau und soo zügig in die richtige Richtung. Man kommt mühelos zu ein paar extra-km. So geht’s mir dann auch prompt. Als mir die anderen dann entgegenkommen, ist wieder alles klar und nach 12 km treffen wir den ersten VP: Michaels Shuttle mit dem Gepäck und Wasser. Das bleibt übrigens die ganze Zeit so, ist genial, da man Sachen abgeben oder aufnehmen , Wasser nachfüllen und etwas Futter bekommen kann.
Die GR 132- Wegweiser sind präzise, sie verraten die Distanzen, wenn man nun auf dem Weg bleibt. Und der wird nun immer grüner: wir wechseln auf die Nordhänge, dort hat sich eine Nebelwald-Vegetation erhalten, die das Wasser zum Überleben aus den Wolken der Passatwinde filtert. Finsterer Filz auf steilen Hängen und nicht ein Tropfen Wasser weit und breit. Die Aussichten werden auch immer trüber, Fernsicht gibt es nicht mehr. Der blaue Atlantik – den müssen wir uns vorstellen. Der höchste Berg heute, der Enserada, ist grausam. Brutal steil hoch, aber drüben genial trailig herunter. Erst eine gepflasterte Straße bremst uns aus. Die führt in unzähligen Serpentinen zur Küste runter und wird von einem Wasserrohr begleitet, in dem es ständig gluckert und rauscht. Wer bis hier noch keinen Durst hatte, der kriegt ihn nun!
Und immer noch trennen mich 7 km vom Ziel. Es wird wohl spät. Ein paar Kurven noch auf Schotter, dann gibt’s erstmal bequemen Asphalt. Keine Stolpergefahr, einfach hoch. Oben wird es wieder trailig, in dem kleinen Ort geht’s zum Strand runter. An der Bar El Faro gibt’s isotonisches und kaltes. Cerveza pequeno. Hier werden wir heute Abend speisen.
Noch 2 km…und die sind sowas von gemein! Gut, das erste Stück, direkt am Meer ist klasse. 3m-Wellen, sturmgepeitscht! Die Gischt fliegt einem um die Ohren! Auf der Straße geht es zu den Häusern hoch. Nein, stimmt nicht, alles wieder runter, auf 0 und brutal steile Stufen hoch. Dieser letzte Kilometer schafft uns alle. Hölle. Aber oben liegt der Ort Agulo und das Hotel, in dem wir fast alle unterkommen. Pause, erfrischen und ab ins Taxi zum Essen. Ich schaffe nur ein paar der typischen schmackhaften Kartoffeln mit Mojo-Soße. Ich bin total am Ende. Wie soll das bloß weitergehen?
Tag 2, Rosenmontag, 40 km / 2300 hm
7:00, Frühstück. Viel haben wir Narren heute vor. Alle Malessen sind vergessen, fröhlich treten wir an. Gruppenbild mit den neuen Shirts, Gepäck ins Auto und ab in die Wand: 600 hm zum Nachtisch. Es geht richtig gut, da hat keiner mit gerechnet. Nächstes Gruppenbild oben am Mirador de Abrante, einem beliebten Aussichtispunkt, dann weiter ins rote und grüne Gelände. Wir sind auf der Nordseite, da gibt’s Wasser, also auch viel Grünes. Und sehr, sehr schöne Trails, meistens von der anspruchsvollen Sorte.
Wieder mal verlässt uns das GPS oder ich bin zu blöd, es richtig zu lesen. Also Umweg, statt ins Tal erstmal hoch und alles wieder zurück. Unten bei den Häusern schlängelt sich der Pfad durch das Gelände, das keiner haben will. Steil, steiler, brutal. Die Sonne brennt ins Genick, aber oben steht Michis Auto! Trinken, Pause, aber nur kurz. Es steht noch viel auf dem Programm. Den nächsten Berg umfahre ich gemütlich im shuttle, steige erst aus, als der Weg schön bergab führt und gelange so fast an die Spitze des Feldes. Playa del Vallehermoso, ein kleiner, steiniger Strand, da solls hin. Ein herrlicher Trail führt an Häusern vorbei, über einen Grat, durch Schilfdickicht, über eine Forststraße, wieder ein Stück hoch und dann grausam runter zum Meer. Wo das Auto steht und die 2 Führenden schon vor 40 Minuten durchgeflitzt sind.
Es folgt ein sehr, sehr anstrengendes Stück Weg. 600 hm hoch und 7 km oben am Grat längs bis zur Bar los Chorros. Ich brauche das nicht zwingend zum Glücklichsein und fahre unseren shuttle zu der Bar mit Auftrag, unterwegs Vorräte zu ergänzen. Ich bin in Begleitung, denn nicht nur ich übe Verzicht. So erleben wir Vallehermoso und auch mal ein wenig zivilisiertes Hinterland mit tollen Straßen! An der Bar stellen wir den Wagen ab – wir haben über whatsapp Kontakt zum Chef- und traben langsam weiter, nach Alojera, jeder in seinem Tempo. Mitten in dem kleinen Ort finden wir eine Bar und ein kaltes Cerveza. Das muntert gewaltig auf, hier am Tiefpunkt brauche ich das. Die Sonne plagt mich und ab hier geht’s mächtig aufwärts.
Auf einer Straße könnte man alles umgehen, km und hm sparen, ist aber nicht wirklich schön. Der Pfad ist ordentlich beschildert und führt irgendwie in die Wand. Es gibt keinen Gipfel, keinen Pass. Wohin führt uns das? Ich argwöhne schon, klettern zu müssen, aber an der schlimmsten Stelle wird’s flach. Der Weg umkurvt die Wand, führt zu einer kleinen Kirche, einer von vielen am Weg, zum – jawohl, zum shuttle!
Michael erwartet uns hier, macht uns Mut und munter für den letzten Abschnitt nach Valle Gran Rey, Tal des großen Königs. Gemeint ist Hupalupa, ein König der Gomeros, den ersten Einwohner der Insel. Tourismus pur, seit 50 Jahren Heimat von Aussteigern und Blumenkindern. Man trifft sie auch heute noch hier. Eine geniale Pizzeria versorgt unsere Truppe nach diesem mächtig fordernden Tag.
Tag 3, Dienstag, 50 km / 2600 hm
Wir sind alle in unterschiedlichen Quartieren untergekommen und so starten die einen früh, andere später und manche überhaupt nicht. Es ist wird mächtig anstrengend und erste Verluste treten ein.
Im bewährten 3er-Team wählen wir die shuttle-Variante: die ersten 10 km mit 1000hm werden im Wagen bewältigt. Der muss ja sowieso da hoch und der Anstieg sieht so einladend auch nicht aus. Und mit dem sportlichen Ehrgeiz ist auch nicht gut bestellt. Damit kann ich leben! In Chipude, einem beschaulichen Bergdorf, steigen wir aus. Es bleiben noch gute 500 hm übrig, bis wir den höchsten Berg der Insel, Alto de Garajonay (1487 m), erklommen haben. Der schöne Trail verläuft im Grünen, Kiefern mal links, mal rechts, Blicke ins Tal und in die Weite. Der Staub ist weniger geworden und stört nicht mehr. Ich komme gut voran. Viele Wanderer sind unterwegs, manche in geführten Gruppen, denen die Natur erklärt wird.
Gleich nach dem Gipfel beginnt ein traumhafter Trail, 6 km bergab durch einen verzauberten uralten Nebel/Lorbeerwald. Die Flechten an den Bäumen, holen sich das Wasser aus den Wolken. Dieser Urwald ist ein wahrer Hochgenuss. Am einzigen, immer Wasser führende Bach entlang laufen wir bis zu einem Picknickplatz, daneben steht eine Bar. Hier beginnt ein Tunnel, 800 m lang durch den Berg. Ohne Lampe geht hier nichts. Am Einstieg ist es noch trocken, dann wird’s nass, ein Einsturz von der Seite blockiert den Abfluss. Das Wasser steht knöcheltief. Am Tunnelausgang dann wieder Wärme und Sonne…
Im Gras auf dem Rücken liegend, die Füße hoch an den Baum gelehnt, so kann das Wasser die Treter wieder verlassen. Höchst bekömmlich das, auch ohne ein Bier. Es folgt eine Straße mit sanfter Steigung. Rechts tropft kaltes Wasser am Fels herunter, alles ist grün, ich wandele im Schatten. Weit oben hats ein paar schöne Aussichtspunkte wie den Bailadero, der genau auf dem Grat liegt. Da wartet Michael und da treffen wir uns. Die 6 Restläufer sind alle erstaunlich dicht zusammen. Es gibt Trailer, denen weder Steigung noch Länge einer Strecke was anhaben kann. Ich ziehe den Hut!
Ganz so harmlos ist auch das nun folgende Stück nicht. Es ist ein schwieriger, schmaler, oft kaum erkennbarer Trail über sehr gemeine, glatte Felsen mit Rollsplitt drauf. Wer da ins Rollen kommt, wird zerlegt! Andererseits ist es gerade hier wunderschön – Kiefernwälder, Stauseen, Aussichten, wirklich ein Traum! Unten das Dorf La Laja (ohne Bar) mit dem schlimmsten Anstieg überhaupt. Die Hitze, die Treppen und das Pflaster wären ja nicht soo schlimm. Aber muss das hier soo steil sein? 2,5 km sind es bis zur Straße und zur Bar. Aber man erst mal dahin kommen. Mannomann. Alle paar Meter setze ich mich in den Schatten, bis ich wieder bei Atem bin. Oben ist für mich Schluss. Die letzten 15-17 km durch die trockene Wüste überlasse ich den Profis. Den zwei Kathis und Mathias schaue ich zu, wie sie davontraben…
Vor lauter Faszination lasse ich sogar mein Bier stehen, das will was heißen!
Wir fahren zum Starthotel, entladen und parken das Auto, checken ein. Erst in gut 3 Stunden kommen die HeldInnen an! Das shuttle war eine gute Wahl!
Ein fantastisches Helado (Eis), dann zum Fährterminal, um die Rückfahrt klarmachen. Dort steigen gerade die 4 aus, die auf die Inselfähre ausgewichen sind. Leichte Seekrankheit und schwankender Gang lassen vermuten, dass die Überfahrt auch Höhepunkte hatte.
Spät nach 8 treffen wir uns alle in einem ganz besonderen Lokal mit einer vorzüglichen Küche, geführt von einem berühmten Läufer: Cristofer Clemente Mora. Er hat bei vielen Ultratrails vordere Plätze belegt (Trans Gran Canaria, Stubai Ultra, 80 m du Mont Blanc usw.). Viele seiner Trophäen zieren das Lokal.
Hier klingt das Abenteuer GR 132 aus, wir gehen nun alle unsere eigenen Wege. Manche verlängern und verbringen jetzt richtigen Urlaub hier oder auf Teneriffa, andere sehen zu, dass sie nach Hause kommen.
Fazit
La Gomera ist ein Prachtexemplar von Insel. Berge und Schluchten, trockene Wüste und Wald, alles dicht beieinander. Der GR 132, aber auch die anderen Caminos, sind prima beschildert. Es fordert allerdings Kraft, viel Kraft, die steilen Pfade zu bewältigen. Aber mit Michaels Orga klappt das. Rechtzeitiges Buchen ist wichtig – für den Flug, die Fähre und besonders für die Unterkünfte, damit man nicht zu teuer oder zu weit ab logiert. Das Bier schmeckt und der Fisch (Atun) ist köstlich.
https://www.laufcoaches.com/gr132-around-la-gomera