Die Veranstaltung nennt sich nicht umsonst Trail Challenge und nicht Trailrun, weil es wirklich eine Challenge, also eine echte Herausforderung ist. Daher muss man sich dafür auch qualifizieren. Da ich schon viele Trailläufe in den USA gemacht habe, ist das für mich kein Problem. Aber schon mal vorab die harten Fakten: 50 km Singletrail, 2.500 Höhenmeter, 23 Bachquerungen, nur einmal über eine Brücke.
Also anmelden und nichts wie hin. Hin klingt einfach, ist es aber nicht. Der Start ist in Hyner, einem Ort mit knapp 100 Einwohnern, der noch nicht mal in einem Navi geführt wird, zum Glück aber bei Google. Hyner liegt mitten in Pennsylvania und dieser US-Staat liegt zwischen New York und dem Eriesee. Gut 50 km bevor ich den Ort erreiche, zeigt ein Schild am Straßenrand an: You are entering the Pennsyvania Wilds. Das deutet schon etwas an, auf was man sich hier einzustellen hat. Die einzige Straße heißt auch noch passenderweise „Long Run Road“.
Eine Stunde später bin ich dann an der Registration und kann mir meine Startnummer abholen. Es gibt für jeden Teilnehmer noch ein T-Shirt und ein Paar Laufsocken mit dem Logo, und das bei einem Startgeld von nur 65 USD. Kurz vor 8 Uhr morgens versammeln sich dann die 194 Starter (in der Startliste nicht als Starter geführt, sondern als Crazies, also Verrückte) an der großen Brücke über den Susquehanna River. Der Race Director Craig Flemming gibt die letzten Instruktionen und warnt alle noch vor den hohen Wasserständen und den zu erwartenden hohen Temperaturen. Ersteres dürfte kein Problem sein, auch wenn 23 Wasserläufe zu überqueren sind. Letzteres macht uns nachdenklich, denn wir frieren doch gerade bei 2 Grad und Nebel.
Aber bei den Teilnehmern handelt es sich in der Regel um erfahrene Trailläufer und jeder hat Wasserflaschen und einen gewissen Vorrat an Lebensmitteln dabei. Somit kann es dann auch pünktlich losgehen. Wir laufen über die Brücke, vorbei an der amerikanischen Flagge und biegen dann direkt auf den Trail ab. Zunächst geht es ständig leicht bergan, immer parallel zum Fluss. Die Klippen werden schroffer und nach einer Linkskurve wird der Trail auch steil. Am Beginn der starken Steigung steht dann auch „Humble Hill“, also der Hügel, der Dir Ehrfurcht einflößt. Und das tut er auch.
Trotz Kälte und Nebel, läuft der Schweiß in Strömen. Ist aber schon ein Erlebnis, durch die wilden Wälder im Nebel zu laufen, sorry, zu krabbeln. Am Ende der ersten Steigung sollte der höchste Punkt der Strecke liegen, der Hyner View im Hyner View State Park. Schade, denke ich, dass ich wegen des Nebels nichts davon haben soll.
Doch weit gefehlt: Kurz vor dem Gipfel durchstoßen wir die Wolkendecke und haben eine tolle Aussicht auf die umliegenden, in Watte gepackten, Hügel. Da dies der einzige Punkt der Strecke ist, der mit dem Auto über eine Straße zu erreichen ist, haben sich hier ein paar Schaulustige eingefunden, die uns applaudieren. Zum Glück ist hier auch nach knapp 4 km, 450 HM und 1 Stunde 5 Minuten die erste Verpflegungsstelle. Es gibt alles, was das Herz eines Läufers begehrt: Powergels, Powerbars, M&Ms, Nüsse, Brezeln, Gatorade, Gingerale, Orangenlimonade und Wasser. Also auftanken, die Aussicht genießen und sich dann direkt hinab in die Nebel stürzen, denn der Trail führt in die andere Richtung wieder ziemlich steil, hinab.
Ich laufe mit Christopher aus Toronto und mit Maggie und David, einem Pärchen aus Pennsylvania. Unten am Talgrund lernen wir zum ersten Mal die Bachläufe kennen, die von nun an unsere ständigen Begleiter sein werden. Dauernd müssen wir sie queren. Das Wasser ist eiskalt und beim ersten Mal noch sehr bekommt man fast einen Schock. Aber wir erinnern uns, was Craig, der Race Director gesagt hatte: 23 Mal! Die Füße sind ja jetzt schon taub.
Kurz danach biegen wir von der 25 km Strecke bei km 13 ab. 25 km werdet ihr fragen? Ja, es gibt auch eine „Weicheier-Variante“, die 1 Stunde später startet. Weicheier wird hier halt anders definiert. Also rechts ab für uns. Der steile Trail hieß diesmal „Sledgehammer“, also Schmiedehammer. Das ist der ganz schwere, dicke Hammer.
Der Nebel hat verzogen und es wird langsam warm. Auch die Füße tauen langsam wieder auf. Wir schliessen zu zwei weiteren Läuferinnen auf: Serena und Tania aus Hamburg. Nein, nicht Hamburg in Deutschland, sondern Hamburg Pennsylvania. Die erzählen uns, dass bei ihrer letzten Teilnahme hier heftig Schnee lag, und das Vorankommen noch schwieriger war.
Oben, am Ende des Sledgehammers erwartet uns die nächste Verpflegungsstelle und wir nehmen alles gierig auf, besonders die Getränke, denn mittlerweile sind 2,5 Stunden vergangen und die Sonne brennt auf uns nieder. Also weiter. Nach einer kleinen Steigung haben wir wieder eine tolle Aussicht, diesmal ohne Wolken. Und schon geht es wieder steil hinab. Der Untergrund ist meist Geröll oder zumindest steinig, eben echter Trail.
Unten angekommen, eine Überraschung: Wieder Wasser. Also rein ins kühle Nass. Oft stellen wir uns die Frage, wo denn? Der Trail ist zwar mit orangenen Bändchen gekennzeichnet, nur manchmal ist nicht erkennbar, wie man zur nächsten Markierung kommen soll. Kreativität ist gefragt. Über Baumstämme mal drüber, mal unten durch, durchs Wasser, durch Matsch, manchmal auch etwas zurück, um sich bei der letzten Markierung neu zu orientieren. Hauptsache, die orangenen Bänder nicht aus dem Blick verlieren. Adam aus Glendale, NY ist hier besonders einfallsreich, ich sehe ihn immer wieder. Er hat sich eine Blase gelaufen und will das Wasser umgehen. Das geht aber nicht lange gut. Ich höre bei der 80sten Bachquerung auf zu zählen. Wir sind aber noch lange nicht im Ziel.
Langsam löst sich unsere Gruppe auf dem schweren Terrain wieder auf. Ab und zu sehe man mal wieder einen Läufer, sonst ist es einsam und still. Doch plötzlich ist oberhalb ein ziemliches Getöse, ich denke an einen Erdrutsch und schaue, genau wie die Läuferin vor mir, nach oben. Wir trauen unseren Augen nicht: Da stürzt sich ein Schwarzbär den Hang hinunter! Als er uns sieht, fährt ihm der Schreck in Glieder. Genau wie uns. Auf der Stelle macht er kehrt und flüchtet bergauf. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass ich vor lauter Schreck viel zu spät meine Kamera zücke und die einmalige Begegnung mit dem Bär auf dem Trail nicht im Bild festhalten kann. Beim After Race Dinner erzählt mir ein Ranger, dass diese Bären harmlos und extrem scheu und selten sind. Wir hätten ein echtes Highlight erlebt.
Mittlerweile sind die Temperaturen auf 25 Grad angestiegen und es geht bergauf. Zwischen einigen weiteren Bächen dann der nächste Schreck, bzw. die nächste unliebsame Begegnung, diesmal mit Schlangen. Ebenfalls erst hinterher erfahre ich, dass es sich um eine Art Blindschleiche handelt, die ebenfalls absolut harmlos ist.
Oben befinden wir uns in einem lichten Wald aus Eichen und hohen Lorbeerbüschen. Darunter noch Preisel- und Blaubeersträucher. Nach knapp 5 Stunden erreichen wir dann eine Rangerhütte mit etwas Schatten und erweitertem Verpflegungsangebot. Es gibt zusätzlich noch Kartoffeln und Suppe. Nach kurzer Ruhepause geht es dann weiter und nach knapp 45 Minuten erreichen wir die VS am oberen Ende des Sledgehammers. Hier ist also die Zusatzrunde zu Ende und wir müssen den Sledgehammer herunter. Unten laufen wir dann nach rechts wieder auf dem 25 er Kurs. Inzwischen ist der Trail von knapp 1.000 Läufern ziemlich beansprucht und matschig.
Immer wieder erreichen wir Bäche, einmal dürfen wir sogar über 1 km im Bachbett selber laufen. Hier treffe ich Bruce aus North Potomac, der mich dann fragt, ob der Trail als Triathlon gewertet wird. Gleich geht es wieder bergan, irgendwie müssen ja die 2.500 HM zusammenkommen. Nach gut 40 km und einem weiteren Hügel kommen wir endlich auf den Hyner View Challenge Trail, der zunächst langsam ansteigt, dann immer heftiger wird und im sogenannten SOB (Son Of a Bitch), das möchte ich hier mal nicht übersetzen, mündet. Jeder Schritt föllt unheimlich schwer.
Endlich oben angekommen, gibt es zum Glück Verpflegung. Auch Ranger sind vor Ort. Etwas kaputt und deshalb froh zu hören, dass es nur noch abwärts gehen soll, laufe ich weiter, allerdings ständig leicht bergauf. Ich zweifle an meinen Englischkenntnissen. Doch dann erreiche ich den Spring Trail und es geht tatsächlich bergab, und zwar heftig, Richtung Susquehanna River. Dort sehe ich die Brücke, über die wir kurz nach dem Start gelaufen waren. Geschafft, denke ich.
Irrtum, hinter der Brücke geht es wieder einen Berg hinauf, denn das Ziel liegt an einer Hütte etwas oberhalb. Und endlich – der Zielbogen ist in Sicht. Nach 9 Stunden 21 Minuten (die Zieluhr zeigt die 25 Km Zeit an) ist es geschafft! Ich erreiche als 142ster von 155 Finishern das Ziel. 39 haben es nicht geschafft. Nun darf ich mich offiziell „crazy“ bezeichnen. Ein wahrer Ehrentitel.
Mit Hot Dogs, Bier und Kuchen kann man sich stärken. Dann steht noch ein 2 km langer Fußmarsch zum Parkplatz an.
Ein tolles Erlebnis, dass ich nur empfehlen kann und das ich sicher nicht vergessen werde!