Wir könnten heute Morgen die 5 Kilometer an der Strasse entlang laufen, um dann den Abstieg in den östlichen Ounilacanyon anzugehen. Aber, wie gesagt, wir haben Osterurlaub und überbrücken die Strecke mit dem 4x4 und starten dann bei Taifest. Der Ort hat zwar einen Namen und eine Moschee, aber nur „gefühlte“ 10 Einwohner. Die stehen am Rand des Platzes und lachen sich kaputt über die 106 Bekloppten. Das briefing ist kurz: „Bemüht euch nicht, eure Füsse trockenzuhalten!“
Durch das Ounila-Tal ging also die Karavanenroute, bis die Franzosen 1960 die N9 über den Tizi´N Tichka (gefährliche Bergweide) ausbauten. Es beginnt eine Reise, die schöner nicht sein kann: Alte Lehmbauten, verfallene Burgen des Sultans, verfallene Burgen des Pashas, uralte Speicher (Agadire), Unterstände für die Lastentiere, Sklavenkeller und Rasthäuser aus längst vergessenen Zeiten. Führt der Weg hinauf, liegen auf den Höhen zerbrochene Pfeilspitzen und Hügel aus Feuersteinen.
Der Pfad führt am Steilufer entlang, oft unterbrochen von Bewässerungskanälen, die flussaufwärts abgezweigt werden und das Tal in einen Garten Eden verwandeln. Es wäre blöd, hier und jetzt auf Zeit zu laufen. Palmen wachsen in dieser Höhe nicht mehr. Es gibt kleine, winzige Getreidefelder, meistens werden aber Futterpflanzen wie Klee und Lupine angepflanzt. Dieser Ort ist nur 70 Euro Flugkosten von Deutschland entfernt und ist doch am schönsten Arsch der Welt!
Dieser Arsch ist bekannt, seit vor 100 Jahren Jacques Majorelle Bilder von diesem Traumtal gemalt hat. Jacques Mojorelle hat in Marrakesch die Majorell-Gärten angelegt, die 1980 von Yves Saint- Laurent und seinem Lebensgefährten Pierre Bergé erworben und restauriert wurden. Seit dem Tod von Yves Saint-Laurent sind die Gärten Museum. Must-Have-Seen!
Wir müssen kurz auf die Strasse, weil das Tal zu schmal wird. Der Ort Tizgui N´Barda ist für seine starken Erdbeben bekannt. Hier beginnt der Antialtas, der Treffpunkt der afrikanischen Kontinentalplatte und der europäischen. Von hier aus geht die Erdspalte 500 Kilometer nach Westen und mündet im aktiven Gebiet der Kanarischen Inseln.
Unter unseren Füssen haben wir ab sofort Vulkangestein, uraltes. Dieser Erdspalten-Canyon zeigt uns senkrecht aufgebrochenen, roten Sandstein aus leblosen Erdzeiten, wenige Meter höher gibt es Felsen aus puren Muschelschalen. Dann folgt eine Phase von Korallen, die mit ihren runden Formen aus dem Kalkstein leuchten, als sei hier noch das alte Mittelmeer.
Das Tal ist touristisch nicht erschlossen, es gibt diesen Trail und einen, der von Norden kommt, sonst nichts. Kleine Dreckspatzen verdecken die Markierungen, kratzen sie ab, oder schicken uns in die falsche Richtung. Normales Revierverhalten. Ich hätte es als Knilch nicht anders gemacht. Hinter mir wird diskutiert, ob ich Bonbons im Rucksack habe.
Vor einer Koranschule stehen wohlgeordnet Schuhe, auf der einen Seite schwarze, auf der anderen rosafarbene. Das Klo der Schule ist ohne Blickschutz, einfach zwei Porzellan-Trittbretter inmitten der Strasse.
Wir kommen an den Speichern vorbei, die navajomäßig in den Steilhängen kleben. Dies sind die berühmten Speicher an den Steilhängen des Ounila. „08. Juli 1911, Berlin“ ist unterhalb der Steinplatte eingeritzt. Die „Berlin“ löste die Panther am 5. Juli 1911 in Agadir ab. Agadir war aber ein „geschlossener Hafen“, leglicher Handel war dort Ausländern verboten. Man präsentierte einen „bedrohten“ Deutschen, den Bergbauassesor Hermann Wilberg.
Geografisch hatte man schon damals in Berlin nix drauf. So dachte der Außenminister Caprivi, man könnte von Deutsch Südwest den Sambesi erreichen. Er wusste nicht, dass die Victoriafälle dazwischen liegen.
Treiber der deutschen Wünsche nach Südmarokko war Max Mannesmann, der vom Sultan zahlreiche Bergbaukonzessionen kaufte. Als die Panther in Agadir erschien, war der britische Außenminister Sir Edward Grey beim Forellenangeln und verstand den Deutschen Botschafter Paul Graf von Wolff-Metternich überhaupt nicht. Ob denn Deutschland einen Flottenstützpunkt in Agadir haben wollte. Was denn? Keine Ahnung. Auch der Staatssekretär (es gab keinen Außenminister) Alfred von Kinderlen-Wächter hatte keine Ahnung. Und der Reichskanzler, der Kaiser und die Militärführung waren ahnunslos. Wer also entsandte die Panther und die Berlin? Wer denkt, ich sei Deutscher: Ich bin in Frankreich aufgewachsen!
Am 08.07.1911 jedenfalls ritzten Mannschaften der Berlin hier auf meinem Weg eine Nachricht in den Felsen, am 15.07.1911 verlangte das Deutsche Reich Französisch Kongo im Gegenzug zu dem Verzicht auf Südmarokko zu erhalten. Wie heisst es auf Tamaziyt: „Lächlik!“
Am 4. November tritt Deutschland alle Interessen an Marokko ab, erhält von Frankreich 275.000 Ouadratkilometer Kongo-Kolonie, ein ödes Sumpfland, in dem die Schlafkrankheit grassierte und fortan „ Deutsch-Schlafkongo“ genannt. Berlin hatte noch nie Geographiekenntnisse. Der britische Schatzkanzler David Lloyd George schlug sich nach diesem lächerlichen Vorstoß der Deutschen auf die Seite Frankreichs. Der Grundstein für den Krieg war gelegt.
Bei km 16 ist der Verpflegungspunkt für uns. Ab sofort wird es schwierig. Wir laufen hoch hinauf auf die Mergel (nicht Merkel)-Halden. Unter uns, kurz vor Timsal, ist der Weg knapp oberhalb des Flusses sichtbar, den die Hamburg-Marokko-Gesellschaft vor 120 Jahren anlegen liess. Der Weg wird nun von einem Bewässerungskanal belegt, weswegen wir auf die Höhe ausweichen müssen. Von hier oben haben wir einen hervoragenden Blick auf den Anghomar, den wir morgen erobern werden.
Ich liege auf einem Hügel, dessen unzähige Pfeilspitzen mir in den Rücken piksen. Dies ist nicht der erste Bericht, bei dem ich den genauen Fundort verschweige. Ich lieg 30 Minuten hier, lasse die winzigen, scharfen Dingerchen durch meine Hände rieseln und träume von einer anderen Welt. Ich weiss nicht, wie alt diese Pfeilspitzen sind, ich weiss nicht, wer sie anfertigte. Vielleicht sahen die Menschen aus, wie heute die dreckigen, freundlichen Rotzbengel mit ihren eiskalten Händchen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass die nachfolgende Gruppe in den Lehmruinen stöbert und nicht beikommt. Und dass ich hier auf dem Hügel träume, ohne eine Platzierung zu versäumen. Ich weiß, daß ich wiederkommen muss und ich weiß, daß ich Fragen habe.
Unser Ziel nach 29 km und 6 Stunden ist der Fußballplatz bei Amniter (1730 m). Der Fußballplatz ist genial, es gibt keine Steine, unter denen sich Skorpione verstecken könnten. Die zwei Skorpionarten produzieren mit ihren Stichen höllische Schmerzen. Die weißen, kleinen Dinger machen dich absolut bewegungslos.
Stephan hat ne Flasche Whiskey. Dazu bin ich zu blöd, obwohl 20 kg Gepäck erlaubt sind! Thiery hat auch das Gepäcklimit ausgenutzt und so wird doch noch ein schöner Abend. Ich schicke einen Helfer nach Ouarzazate zum Bierholen und investiere dafür 100 Euro. Stunden später kommt er mit leeren Händen wieder und gibt er mir das Geld zurück.
Es ist kalt, ich greife in meine Tasche, um mir für die kalten Abendstunden saubere Strümpfe rauszusuchen. Da trifft mich ein schmerzhafter Schlag im Handgelenk. Ich schaue mit offenem Mund zu, wie sich meine Haut rot und weiß verfärbt. Der Blutdruck steigt ins Unermäßliche. Eine gefühlte Ewigkeit später krabbelt eine Wespe hinaus, die ich fluchend erschlage. Für alle Tierfreunde: Eine Wespe, die gestochen hat, wird in einem Lager mit 120 Menschen zur Furie!
Ich habe gefroren wie verrückt heute Nacht! Die leeren Wasserflaschen vor dem Zelt haben Eisreste. Der Start wird vorverlegt, die Klos sind eh verstopft. Naja, ich war‘s nicht. Es gibt auch heisse Duschen, befeuert per Holzofen. Das Wasser wird in Containern angefahren.Die Laune ist überschwenglich, wir haben Osterurlaub! Das Essen ist optimal. Es gibt auch Rotwein, aber erst am letzten Abend. Absolut fair!
War die letzte Etappe wunderschön, so ist die heutige Etappe majestätisch schön und eine unvergessliche Kerbe in meiner Timline. Nach 4 Kilometern wird kontrolliert. Es gibt einige Aussteiger, denn ab sofort gibt es kein Zurück und keine Transportmöglichkeiten mehr, keine Trage, keinen Hubschrauber, kein Gel, kein Wasser, einfach nichts. Hab mich einfach gehen lassen und bin am Ende des Läuferfeldes.
Auf den Wiesen von Megdaz wecken mich vier scheiß aggressive Tölen. Mit meinem Klaus-Kinski-Gebrüll habe ich die Meute auf einen Flußabbruch dirigiert, von dem aus mich die vier Biester mit Sabberfäden im Maul anbellen. „Den Letzten beißen die Hunde“ geht es mir durchs höhengeschwächte Hirn. Ich weiß aber, dass ich gewinnen werde. Es ist ein geniales Gefühl. Ich bin als Ultraläufer jeder Situation gewachsen!
Ein Goldsucher kommt mir auf einem Esel entgegen. Die Pfannen klappern an der Seite des Tieres, als er ihm einen Klapps auf den Hintern gibt, damit er sich seinen eigenen Weg suchen möge. Unser Weg führt nun durch den steinigen Flußlauf. Tief ausgewaschen sind die Ränder. Wir sind noch im Antiatlas, der Sandstein aus lebensloser Zeit wurde senkrecht in die Höhe gedrückt und liegt jetzt zerbröselt vor uns. Härtere Schichten haben dem Druck der Gletscher standgehalten. Der Sandstein jedoch endet abrupt und bietet Platz für Gneis, dem Gestein des Urkontinents Pangäa.
Der Laufuntergrund ist also wechselhaft, wir sind in einer Höhe von etwa 2200 Metern und haben nur die niedrigen Büsche als Hindenis. Man nennt diese Dingerchen „chauffage des bergers“, also Heizung der Hirten, weswegen eine französischen Versicherung auf die Idee kam, dass Läufer mit einem Feuerzeug und einem Spiegel laufen müssten.
Ich will jetzt nicht sagen, dass der Aufstieg zum Anghomar schwer wäre. Ich kann super atmen, bin richtig gut drauf und freue mich auf den Trans Atlas Marathon über 285 km, aber…. Der Weg ist weit, verdammt weit, die Sonne brennt höllisch und der Pass ist noch lange nicht sichtbar.
Bei km 14 nach etwa 4 Stunden sehe ich endlich den Tambda See. Es ist Marokkos höchster See, ein Gletschersee mit glasklarem Wasser. Ein seltsamer Algenring zieht sich entlang des Ufers. Es ist eine Art Riff, entstanden aus organischem Material, das sich verfestigt hat. Der See hat das ganze Jahr über eine einen Meter breite 0 Grad Zone, die dieses Algenriff ermöglicht. Mit meinem Rucksack ziehe ich das Algenriff zu mir ran und analysiere dessen Bewohner: Es sind verschiedene Fliegenlarven, erkennen kann ich die Eintagsfliegenlarven, die 4 bis 5 Jahre in dieser Algenbrühe leben. Dann die fetten, gewöhnlichen Fliegenlarven, die nur eine Saison leben. Es gibt auch noch kleine wusselige, das sind Wasserflöhe, die deutlich größer sind als bei uns. Fressfeinde gibt es nicht. Winzige Finken ernähren sich vegetarisch und zwitschern mir mein höhengestresstes Hirn voll.
Ich mache noch eine paar Selfies am Rande des Sees und präge mir diesen Ort ganz tief in meine Timeline ein. Am Ufer liegen Reste von tönernen Amphoren, 1000 Jahre alt, aber wen interessiert‘s? Ich drehe ein paar Scherben um, gerate sogleich ins Träumen, sehe die Karavanen vor mir, die Kamele und die Esel, die am See auftankten. Und die Frauen, die das Geschirr zerdeppern. Hahaha, kleiner Witz. Die Amphoren waren kostbar und Frauen hier oben nicht erwünscht! Ich hatte mal von einem Brunnen unten im Süden bei Cegagga berichtet. Dort war der Scherbenhügel aus Amphoren geschätzte 20 Meter hoch. Ich möchte diese Orte nicht verraten.
Nadja hat mich abgehängt. Ich habe das so gewollt, sie ist wirklich süss und nett, aber ich will alleine sein. Ich denke, viele Trailrunner verstehen das.
Der weitere Weg führt durch ein trockenes Flußtal, das von fiesen Olivinbomben und scharfen Steinen bedeckt ist. In 4 Kilometer Entfernung sehe ich 10 oder 15 Läufer in einer Linie aufgereiht. Ach ja: Olivin sind grüne Kristalline, runde Bomben, die ein wütender Vulkan auswirft. Die hier sind handballgroß. Dazwischen liegen Steine, aus denen Ammoniten ragen, die vom Hohen Atlas kommen. Genau dort, wo der versteinerte Meeresgrund des Hohen Atlas anfängt, biegt nun die ehemalige
Karawanenstraße abrupt nach rechts auf einen Hügel aus Vulkanasche ab. Exakt an der Grenze (bei km 18) steht eine Mauer aus schwarzem Basalt, dahinter, schon im Hohen Atlas, eine meterdicke Eisenschicht, entstanden durch Algen in einem uralten Mittelmeer. Auf einer Höhe von 2800 Metern betreten wir geologisch gesehen die europäische Platte, stark verwittert und von Basalttürmen des Antiatlas überlagert.
Ich brezele gleich hin, zu rutschig ist das Gebrösel. Dann laufe ich los, immer schneller, immer schneller, bis mir schwindelig wird. Meine Konzentration lässt noch eine Frage zu: Pinkele ich in Richtung Europa, oder rechts in Richtung des Stausees Al Mansour von Ouarzazate, wo die Flüssigkeit dann nie das Meer erreichen wird, denn der Draa verschwindet in der Sahara. Der Wind tut gut.
Der Stausee von Ouarzazate ist sichtbar. Er produziert 20 MW Strom und hatte Ouarzazate damit 40 Jahre versorgt, bis Gerhard meinte, man müsse hier Strom aus Sonne schaffen. Der ist jetzt da und beleuchtet Flüchtlinge an der Grenze zu Algerien. Seitdem haben sich die Karawanenrouten geändert.
Meine Route endet auch. Ich bin erschöpft, es geht 7 Kilometer und 500 Hm hinab. Das war früher für mich kein Problem, aber seit meinem Kniebruch in Australien wird es schwieriger. Ich bin froh, dass Richard mir mit seinen Events eine Alternative bietet. Heute Abend haben wir ein Galadiner mit Freibier!
Es war meine schönste Tour! Majestätisch!