In diesem märchenhaft nostalgischen Dorf könnte man schöne Szenen für Mittelalter-Filme drehen. Eigentlich sollten wir hier unsere Wasserflaschen nachfüllen können, aber keiner aus der vierköpfigen Gruppe, mit der ich gerade laufe, sieht die Wasserstelle. In meinem Rucksack steckt ein Zettel mit der genauen Position, wo die für uns gerichteten Flaschen stehen, doch ich habe keine Lust, ihn raus zu kramen. Noch habe ich keinen starken Durst. Bei unserem 100 Meilen Lauf gibt es nur sechs richtige Verpflegungsstellen, dazu einige Positionen, an denen ohne Betreuungspersonal Kisten mit Getränken für uns bereit gestellt werden, was bei den restlichen Stellen auch unübersehbar mit Kreidepfeilen markiert ist.
Nun laufen wir über Weinberge abwärts und kommen teilweise unter die Nebelgrenze. Statt Aussicht auf die Rheinebene und hinüber zu Schwarzwald und Odenwald umgibt uns nun eine ganz besondere Lichtstimmung. Das Laub der Rebstöcke färbt sich golden, aber wegen dem ungewöhnlich warmen Herbst nicht so stark wie um die Jahreszeit gewohnt.
Im Kurpark von Bad Bergzabern zeigt ein Stein an, dass es noch 730 km bis nach Berlin sind. Ok, falls jemand von uns morgen Mittag noch weiter will....
Bald geht es wieder bergauf, bergab, bergauf, bergab.... Immer wieder laufen wir über schöne Weinberge, dann wieder durch ebenso schönen Wald. Wir kommen am Gasthof Wappenschmiede vorbei, dann durchqueren wir das malerische Weindorf Gleiszellen.
Vom nächsten Weinberg aus sehen wir die Burg Landeck. Doch bevor wir die Burg erreichen, kommen wir an unserer ersten Verpflegungsstelle an. Ich habe ordentlich Hunger, was bei dem üppigen und vielseitigen Verpflegungsangebot kein Problem ist. Günther weiß durch seine eigenen Ultratrail-Teilnahmen, was Läufer brauchen.
Dann folgt der Trail hinauf zur beeindruckenden Burg Landeck. Schon oft saß ich in dieser Burg im Biergarten mit der schönen Aussicht, aber heute verzichte ich auf diesen kurzen Abstecher und fotografiere nur von außen den 11 m tiefen Burggraben und den mit 23 m höchsten und besterhaltenen Bergfried der Pfalz. 1689 wurde die Burg von den Franzosen zerstört.
Bei so einem kleinen Teilnehmerfeld ist es klar, dass ich schon jetzt manchmal zwanzig Minuten lang keine anderen Läufer sehe, aber wie bei jedem langen Trail treffe ich dann bis zum Schluss doch immer wieder auf andere Teilnehmer.
Der gesamte Weinsteig bietet eine angenehme Mischung aus mal mehr, mal weniger breiten, mal flachen, mal steilen Waldwegen, dazwischen richtig schöne Pfade, die das Herz jedes Trailrunners höher schlagen lassen. Nur sehr selten spüren unsere Füße Asphalt unter den Sohlen. Der Name "Weinsteig" lässt zwar erwarten, dass man meist über Weinberge läuft, aber überwiegend führt diese Route durch Laub- oder Kiefernwald, oft auf sandigem Boden.
Als nächstes erreiche ich die Madenburg, eine der größten Burganlagen in der Pfalz. Sie wurde schon im 11. Jahrhundert erbaut und im 17. JH im Pfälzischen Erbfolgekrieg zerstört. Schon oft besuchte ich diese faszinierende Ruine, auch ein Besuch im Biergarten mit Pfälzer Küche gehört meist dazu. Heute nehme ich mir zumindest ein paar Minuten Zeit, um von unsere Laufroute hinein in die Burg abzuzweigen und die schöne Aussicht zu fotografieren.
Erneut laufe ich über Weinberge. Vor mir sehe ich den wie ein kleines Schloss wirkenden Slevogtshof, in dem einst der Impressionist Max Slevogt lebte. Einige Kilometer später komme ich an zwei faszinierenden Felsmauern vorbei, die auch bei Kletterern sehr beliebt sind und grandiose Fotomotive bilden. Dann erreiche ich die Reichsburg Trifels, die mit über 100.000 Besuchern pro Jahr eines der wichtigsten Touristenziele im Pfälzer Wald ist. Hier wurde einst Richard Löwenherz gefangen gehalten.
Am großen Parkplatz bei der Waldgaststätte Barbarossa unterhalb des Eingangs der Burg ist wie an jedem schönen Sommertag viel los. Von hier aus führt ein schöner Trail hinab nach Annweiler. Plötzlich höre ich ein recht lautes Krachen hinter mir. Ich drehe mich um und sehe, dass ein mir folgender Läufer neben dem Weg liegt. Beim Sturz drückte seine Wasserflasche gegen die Rippen und er weiß nicht, ob sie gebrochen ist. Ich warte ab, ob ich Hilfe holen muss, aber schließlich steht er auf und meint, dass er weiter kann. Trotz der Verletzung schafft er noch viele Kilometer, muss aber schließlich doch aufgeben.
In Annweiler steht die nächste Kiste mit Getränken für uns bereit. Zufällig ist Christine Bruhn auch gerade hier und schaut nach dem rechten. Ich laufe einen kleinen Umweg über den Marktplatz, da mir Annweiler immer sehr gut gefällt. Dann steigt der Pfad wieder durch Kastanienwälder bergauf. Heute sind bei dem grandiosen Wetter unglaublich viele Spaziergänger unterwegs. Viele von ihnen sammeln Esskastanien, die hier zahlreich den Weg bedecken. Manchmal muss man aufpassen, dass man auf diesem losen Untergrund nicht stürzt.