Race to the Stones ist die größte englische Ultraveranstaltung und geht über 100 km. Diese kann man nonstop oder in 2 Etappen bewältigen. Unterschieden wird hier zwischen Läufern, Joggern und Walkern, je nach angepeilter Geschwindigkeit. Die Strecke läuft weitestgehend auf dem Ridgeway Trail, der jedoch nicht auf der gesamten Länge von 87 Meilen, sondern nur auf 60 Meilen zu bewältigen ist. Der Trail ist ein National Trail, ist sehr gut gekennzeichnet und durchquert fast die ganze Grafschaft Wiltshire. Er schließt direkt an den Thames Path in Oxford an, auf dem ich vor 8 Wochen den Thames Path 100 Miles gelaufen bin, der von London nach Oxford geht. Man kann diesen Lauf also auch als 2. Etappe einer England Durchquerung sehen.
Die Highlights dieses Laufes in Kürze:
Also, wenn das mal keine Anreize sind. Doch es gibt auch ein paar kleine Hürden vorab. Zunächst die Anreise mit Fähre und Auto. Dann ist in England auch noch die Fahrtrichtung anders . Naja, da gewöhnt man sich dran, schließlich ist das jetzt schon mein 3. Lauf hier. Mein Hotel ist leider etwas außerhalb, denn schöne, einsame Landschaft heißt auch wenig Zivilisation. Also auf in die Nähe von Swindon, das liegt 80 Meilen westlich von London. Von dort sind es dann nur 30 Minuten Fahrzeit zum Ziel in Avebury auf der Rutlands Farm, wo ich einen Parkplatz habe reservieren lassen.
Dort erwartet mich dann morgens um 5 Uhr der Busshuttle zum Start. Kostet natürlich auch extra, ist aber äußerst empfehlenswert. Die Fahrt dauert fast 2 Stunden. Das gibt den etwas verschlafenen Insassen bereits einen Eindruck von der Strecke, die man dann so vor sich hat. Als wir in Lewknor auf der Field Farm ankommen, ist das Gewusel groß. 4000 Teilnehmer bereiten sich auf den Start vor. An der Anmeldung erhalte ich meine Startnummer und muss meine medizinischen Daten auf der Rückseite eintragen. Dann wird der Inhalt des Rucksacks geprüft, den verpflichtend müssen viele Dinge, wie Streckenkarte, Regenjacke, Verbandspäckchen mit Zeckenzange und Blasenpflasterset, Stirnlampe mit Ersatzbatterien, Notfallhandy, 1,5 Liter Flüssigkeit, Notfallverpflegung usw. mitgeführt werden.
Meine Kontrolle ist erfolgreich und ich darf zum Start gehen. Doch zuerst noch schnell ein Abstecher zum T-Shirt Stand, denn auch das Shirt ist nicht im Preis drin. Im letzten Jahr wollte ich das erst im Ziel kaufen, da war es aber schon ausverkauft. Es besteht natürlich auch die Möglichkeit noch zu frühstücken, aber dafür bin ich jetzt etwas spät dran. Langsam verstehe ich auch, warum auf dem Packzettel auch Cash, also Bargeld steht. Ich habe aber einen Vorrat Oatsnacks mit und dann damit die Kohlenhydratspeicher füllen.
Jetzt schnell noch die überflüssigen Klamotten und das FinisherShirt (Vorabbelohnung und Commitment) in den Beutel tun und am Bagdrop abgeben, damit die Tasche auch gut zum Ziel kommt. Die LKWs sind farblich markiert, damit der Beutel auch zum richtigen Ziel kommt. Kurz vor dem Start steigt der Race Director unter dem Startbogen auf ein Auto und macht das Briefing für die Teilnehmer. Steht natürlich zum Glück auch alles im Roadbook, aber wer hat schon Zeit, das jetzt noch auf die Schnelle zu lesen. Die Streckenkarten sind auch drin und gut im Rucksack verstaut. Diesmal hab ich auch aus Erfahrung heraus meine Lesebrille eingesteckt. Die Startnummern sind farblich unterschiedlich, sodass e sofort klar ist, wer die 100km nonstop läuft, nämlich die „Weißen“. Von dieser besonderen Gattung gibt es ca. 1.400. Ich werde also im zweiten Teil der Strecke nicht alleine sein.
Um 8 Uhr geht es dann pünktlich los. Das langgezogene Feld setzt sich in Bewegung. Wir durchlaufen zunächst die Hügelkette der Chilterns. Dies ist zugleich auch der Abschnitt mit den meisten und steilsten Steigungen. Abschnitte nenne ich die Strecken bis zu den jeweils nächsten Verpflegungsstellen, die hier „Pitstop“, also Boxenstop genannt werden. Die Länge variiert zwischen 8 und 12 km. Die erste ist mit 11,3 km eine der längeren. Also dann rein ins Vergnügen. Die Sonne scheint bei rund 21 Grad, aber der Race Director hat etwas von typisch britischem Wetter gesagt. Wir sollten im Laufe des Tages erfahren, was dies bedeutet. Für euch vorab: Hitze, Wind, Regen und Kälte.
Recht schnell geht es dann auf waldigen Single Trails und am ersten steilen Anstieg am Watlington Hill kommt es zum Stau. Wir scherzen schon, ob ein „Toll Gate“, also eine Mautschranke kommt, aber es ist doch nur ein Viehgitter mit beweglichem Türchen, das immer nur einen Läufer durchlässt. Gute Gelegenheit für mich, ein paar extra Fotos zu schießen. Dennoch dauert es fast 18 Minuten, bis ich durch bin. Im letzten Jahr waren es nur 5 Minuten, aber da war ich etwas weiter vorne gestartet.
Kaum haben wir den Engpass passiert, gibt es die ersten schönen Ausblicke auf die Hügellandschaft von Oxfordshire. So landschaftlich schön und abwechselnd bleibt es und ich erreiche nach 1.31 Std den ersten Pitstop bei km 12. Nun erst mal die üppige Verpflegung genießen. Die ersten Teilnehmer müssen schon jetzt Blasen vom Medic, also dem Arzt, versorgen lassen. Besonders hiervor hatte der Race Director gewarnt, denn der Untergrund aus Kalksteinschotter und Feuerstein fordert schnell Tribut.
Mittlerweile ist es recht heiß geworden, also gut trinken und ein paar Salztabletten einwerfen und weiter geht’s. An der Versorgungstelle steht auch schon der Hinweis auf die nächste Sehenswürdigkeit, die Sankt Botolph Kirche aus dem 11ten Jahrhundert, die zur Ortschaft Swyncombe gehört, die heute jedoch nur noch aus der Kirche und dem Swyndon House besteht. Der Friedhof mit den historischen Kreuzen und Sarkophagen ist wirklich beeindruckend. Dann geht es weiter und wir erreichen den 5 km langen Grim’s Ditch. Dies ist ein sehr langer Graben mit gleichzeitigem Erdwall, der in der Eisenzeit, also 300 Jahre vor Christus erbaut wurde. Die Bedeutung ist bis heute unbekannt, als Verteidigungsanlange ist er jedenfalls zu niedrig. Aber zum Laufen sehr idyllisch und unberührt.
Dann ein weiteres Highlight. Wir durchqueren kilometerlang Weizenfelder im Gänsemarsch. In der hügeligen Landschaft ein einzigartiges Erlebnis. Etwas später kommen wir zu einer historischen Kirche, der Holy Trinity Church of Nuffield, bevor wir bei km 23 den Pitstop 2 in der Nähe der Ortschaft Wallingford erreichen. Etwas mehr als 3 Stunden sind vorbei, also Zeit für eine etwas längere Nahrungsaufnahme und, wie gesagt, zum Trinken.
Nun geht es auf einen ganz anderen Streckenabschnitt, zumindest landschaftlich gesehen. Wir erreichen die Themse. Ja , richtig: River Thames, der Fluss, der durch London fließt. Mit 346 km ist er der längste Fluss in England. Hier ist er noch nicht ganz so breit und hat sich gerade etwas weiter oberhalb aus 2 kleineren Zuflüssen gebildet. Wir erleben das typische England der Flüsse und Kanäle und sehen die berühmten Ruderboote und die nicht weniger berühmten Canalboats, die ich als Minihausboote bezeichnen würde. Gänse und Schwäne begleiten uns auf diesem Stück. Hier zweigt auch der Swan’s Way vom Ridgeway Trail ab. Für mich besonders wichtig, da meine Tochter gerade geheiratet hat und jetzt Schwahn heißt. Hin und wieder sind auch kleine Bunker zu sehen, die von neuerer Geschichte erzählen.
Bei der Ortschaft Goring überqueren wir die Themse an einer Schleuse. Fast hätte ich in Goring ein Pub aufgesucht und genüsslich ein Ale in der Sonne geschlürft, denn mittlerweile sind fast 30 Grad erreicht. Aber zu Trinken gibt’s ja auch am nahegelegenen Pitstop 3. Der liegt jedoch ein gutes Stück bergauf, denn nun geht es in die North Wessex Downs. Ich verstehe zwar auch nicht ganz, warum man eine Hügelkette mit Downs, also Tiefland bezeichnet, aber hier fahren die Autos ja auch auf der anderen Seite – was ich auch nicht verstehe.
Ich bin bei km 34, das erste Drittel ist also voll. Mit etwas über 5 Stunden bin ich recht zügig unterwegs. Aber der Preis ist hoch, die Hitze macht mir zu schaffen. Also jetzt einen Gang rausnehmen und die nächsten 10 km etwas ruhiger angehen. Gesagt – getan. 1 Stunde 46 min. Landschaft genießen, mit anderen Teilnehmern reden und Erfahrungen austauschen, denn auch das gehört dazu. Am Pitstop 4 geht es dann los auf die letzte Etappe, zumindest für die 2-Tages-Teilnehmer, denn die können sich gleich ausruhen. Die 7 Km gehen dann auch irgendwann vorbei. Könnt ihr die Müdigkeit zwischen den Zeilen lesen? Pitstop 5 mit dem Halfway Point kommt genau richtig, um wieder Kraft zu tanken. Ab jetzt wird herunter gezählt.
Dieser Pitstop ist eine riesige Zeltstatt. Die großen Zelte für Verpflegung und Entertainment, die kleinen (1 Mann Zelte) für die Übernachtung, die übrigens der Veranstalter bereitstellt. Also – ich bin dann mal ins Verpflegungszelt und zum Stand für die Nonstopläufer und staune: Es gibt Pasta Bolognese bis zum Abwinken, Eier/Schinken Sandwiches, vegetarisches Essen und ein Wahnsinns Kuchenbuffet. Hier treffe ich auch Ruth Jäger, die meinen Bericht vom letzten Jahr gelesen hatte und nun hier ist, um diesen Lauf zu genießen. Ich erzähle ihr noch ein paar Details über die 2te Hälfte. Fast eine halbe Stunde vergeht mit Plaudern, Verpflegen und Trinkrucksack befüllen. Dann geht es weiter, die Uhr zeigt 8.35 Stunden.
Die Pause war genau richtig, ich kann wieder zügig weitertraben. Mittlerweile habe ich mir ein paar kleine Blasen gefangen, aber nichts Ernstes, also weiter. Wir sehen immer mehr Schafe und nähern uns der kleinen Ortschaft Uffington. Das sagt den meisten vielleicht nichts, bringt uns aber zum nächsten prähistorischen Höhepunkt, nämlich dem White Horse, also dem Weißen Pferd. Dieses heute unter Denkmalschutz stehende Monument ist ein in den Kalkstein gehauenes liegendes Pferd. Es wurde ungefähr 1.000 vor Christus angefertigt und ist mit 110 Metern Länge das größte von 8 weißen Pferden in England. Auch hier ist die Bedeutung nicht geklärt, aber wir sind ja auch auf einem mythischen Lauf.
Kurz danach kommen wir an Waylands Smithy, einem Hügelgrab, vorbei. Dieses wurde um das Jahr 3300 v. Chr. herum errichtet. Es wurden Kreise aufgeschüttet und die Ränder mit größeren Steinplatten umringt. In das breitere Ende des Hügels, das von sehr hohen Steinblöcken begrenzt wurde, wurde ein Dolmen mit Seitenkammern eingebaut. Zum anderen Ende hin fällt der Hügel flach ab und wird von kleinen Steinplatten begrenzt. Es wird vermutet, dass diese Begräbnisstätte ein paar Jahrhunderte in Gebrauch war. Eine genaue Aussage hierzu ist schwierig, da bei der ersten Grabung 1920 in dem geplünderten Grab nur die durchwühlten Überreste von mindestens acht Personen gefunden wurden. Der kurze Abstecher von 2 x 500 m lohnt sich wirklich, wie die Fotos belegen.
Jetzt erreiche ich Pitstop 7 und das zweite Drittel ist geschafft. 11 Stunden sind vorbei. Wieder die Vorräte auffüllen und weiter geht’s. Dann sehen wir auch die lebenden weißen Pferde. Vielleicht ist die Verehrung unserer Vorfahren für diese edlen Tiere der eigentliche Grund für die Schaffung der riesigen Skulpturen.
Am Pitstop 8 gehen die Lampen an und die Blasenopfer werden mehr. Der Wind, der einem schon die ganze Zeit steif von vorne ins Gesicht bläst, hat dramatisch zugenommen und ich ziehe mir die Jacke über. Hier gibt es heiße Suppe, von der ich natürlich reichlich zu mir nehme. Es gibt auch das Nationalgericht Porridge, aber das lasse ich lieber aus.
Dann geht es auf die letzten 22 km, nur noch eine Verpflegungsstelle liegt vor mir. Es wird schwer, etwas von der Landschaft zu sehen. Die Schafe wundern sich bestimmt über die riesigen Glühwürmer heute Nacht. Es sind nur noch selten Läufer um mich rum. Die fühlen sich meist nicht so gut, sodass ich jetzt sogar einige Plätze gut mache. Nicht, dass das wichtig wäre.
Pitstop 9 gleicht dann schon eher einem gemütlichen Beisammensein am Lagerfeuer und vielen fällt es schwer, sich loszureißen und die letzten 11,7 km anzugehen. Ich esse schnell ein paar gesalzene Erdnüsse, Mangochips und Eiweißriegel (klingt wie ein tolles 3 Gänge Menü, ist es jedoch nicht, hilft aber) und lege los. Gut 17 Stunden sind rum und ich nähere mich endlich dem Ziel und damit auch dem Höhepunkt des Laufes, dem Einlauf im Steinkreis von Avebury.
Der Steinkreis liegt in der Grafschaft Wiltshire, ist der größte Steinkreis auf den britischen Inseln und gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO. Die Sandsteine stammen aus einem nahen Steinbruch. Der Steinkreis von Avebury umfasst inklusive des umgebenden Walls eine Fläche von ca. 15 Hektar, ist heute zum Teil bebaut und besteht aus dem großen äußeren Kreis und zwei kleineren inneren Kreisen. Die Mittellinie ist auf den Mitsommer Sonnenaufgang ausgerichtet. Und hier laufen wir auch ein.
Die Henge wurde 2600 bis ca. 2500 v. Chr. errichtet. Er gehört zu den großen neolithischen Henges. Von den ursprünglich 154 Megalithen sind heute noch 36 erhalten. Zusammen mit den Steinalleen bestand der Komplex aus ca. 600 Megalithen. Die Standorte der zerstörten Steine der Steinkreise wurden später mit Betonpfeilern markiert, sodass wir das wahre Ausmaß auch wahrnehmen können. Die zerstörten Alleen wurden leider nur teilweise ergänzt. Der gesamte Bereich ist frei begeh- und belaufbar. Anders als in Stonehenge, das knapp 45 min weiter südlich liegt, und das ich ein paar Stunden später besichtigen werde.
Doch genug der Daten und Dimensionen. In der Dunkelheit spüre ich die Faszination, die seit Jahrtausenden von diesen Steinen ausgeht und bin völlig überwältigt. Es ist auch noch genau Mitternacht und ich verliere mich in Gedanken an Geschehnisse aus der Vergangenheit. Meine mystischen Gedanken werden vom Jubel der Zuschauer nach 17.45 Std verdrängt. Doch auch das ist überwältigend. Die Freude über wahrhaft erlebte Zeitreise ist kaum beschreibbar.
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