Aufstieg durch die Weinlage Assmannshäuser Höllenberg , dessen Produkt mir heute Morgen den Schweiss auf die Stirn treibt. Steil geht es hinauf zum Jagdschloss Niederwald mit seiner Zauberhöhle. Dreißig Jahre lang war diese Höhle verschlossen. Nun, auch diesen Weg haben wir gemeistert. Bürgermeister Volker läuft ja auch mit.
Hier oben, genau gegenüber der Mündung der Nahe, ist ein kleiner Turm. Hier schenkte an Wochenenden der fingerlose Strickler-Willi besten Traubensaft aus, bis ich die letzte Seilbahn nach Assmannshausen verpasste. Er war ein liebenswerter Spinner, sammelte Kriegsschrott, der hier oben reichlich vorhanden war, denn gegenüber, ab Bingerbrück, gingen die Transporte an die Westfront. Tiefe Krater zeugen noch von der brutalen Bombardierung. Naja, irgendwann fielen seine Finger seiner explosiven Leidenschaft zum Opfer. Seit seinem Tode gehören die zahlreichen Fundstücke, die sich immer noch im Turm befinden, quasi zum Weltkulturerbe, wie mir Bürgermeister Volker erzählt. Wir dürfen gespannt sein, wie sich dieses Gebiet in 2014, nach all den Aufhübschungen präsentieren wird.
Es gibt in den Weinbergen kleine „Automaten“, die man mit seinem Personalausweis öfnnen kann. Und , oh Wunder , ein kleiner Weinkeller öffnet sich.
Rüdesheim, Niederwalddenkmal. Es wurde nach dem Krieg gegen Frankreich 1870/71 zur Erinnerung an Deutschlands politische Einigung errichtet. Germania mit gesenktem Schwert, wird gerade alles aufgehübsht, auch das Restaurant aus den 70ern wird abgerissen.
Abtei Sankt Hildegard ist ein sehr aktives Kloster, mit Nonnen, die den Kran, den sie für die Renovierung brauchten, mit gesegnetem Gewinn auf ebay verkauften.
Kloster Nothgottes wurde vom Ritter Brömser aus Rüdesheim aufgrund des Fundes eines Gnadenbildes auf seinem Acker gegründet. (14.Jh.).
Windeck mit Steinbruch, dann das Kloster Marienthal: Ein Jäger fand hier im Wald ein Marienbild, seine Augenverletzung wurde geheilt. Er errichtete hier eine Kirche (1326).
Schlangenbad. Den Name gab die längste Schlange Europas, die Äskulapnatter dieser Stadt.
Bei Johannisberg verlassen wir den Wald, über uns Burg Schwarzenstein (1873). Wir laufen zum Schloss Vollrads. Graf Matuschka-Greiffenclau nahm sich 1997 in den Weinbergen das Leben, als seine Hausbank das Konkursverfahren über den Besitz beschloss. Seitdem ist die Nassauische Sparkasse Schloßbesitzer mit Weinbergen und Restaurant. Es ist das älteste Weingut Deutschlands.
Überquerung des Pfingsbaches. Hallgarten. Kloster Eberbach (1136) wurde durch den Film „Der Name der Rose“ berühmt, der hier gedreht wurde. Hinter der sagenhaften, geheimisvollen Tür verbirgt sich aber lediglich ein fledermausbewohnter Dachstuhl. Wir umrunden das Kloster in einem weiten anstrengenden Bogen.
Kiedrich wird von der Ruine Scharfenstein (1160) dominiert, eine Grenzbefestigung der Erzbischöfe von Mainz. Wir sind angekommen. Empfang beim Bürgermeister. Briefumschlag Der Bürgermeister ist auch zuständig für Nottrauungen. Zum Glück gibt es Sekt aus dem Hochzeitsweinberg, das reicht uns schon, Nächstes Jahr hat er uns in seinen Weinkeller eingeladen. Die Turnerschaft Kiedrich hat einen Riesenscheck mitgebracht, alle Achtung. Ein großartiger Tag.
Der achte und letzte Lauftag. Es kommt mir vor, als seien wir monatelang unterwegs gewesen, Weltreise. Bei so langen Läufen kommt das Raum-Zeitgefüge durcheinander. Man erinnert sich schwer an das Wo und an das Wann. So habe ich beim gestrigen Lauftag angenommen, wir wären irgendwie in Schlangenbad gewesen. Es wird nicht mein einziger Raum-Zeitfehler gewesen sein, es ist schwierig, nach einem langen Lauf sich zwischen Wäschewaschen und Abendessen an den Tag zu erinnern. Die Fotos könnten helfen, aber wer will sich noch durchschnittlich 150 Fotos anschauen, während die Mitläufer schon längst ihren Regenerationsschlaf halten?
Als ich an diesem achten Lauftag aufwache, bin ich geheilt. Der Rücken, die Beine, die Knie, alles wunderbar. Etwa 70 Läufer sind wir heute. Die frischen, ausgeruhten Kiedricher zeigen uns nun, wie man läuft. Mancher der 30, die vor einer Woche in Bonn gestartet sind, läuft wie auf Ostereiern. Hinten im Feld krebsen die „Versehrten“, doch auch diese Restanten werden wir ins Ziel schleppen. Wir sind ein Team, „hier werden Sie geholfen!“
Unser Weg führt uns hoch zu Burg Scharfenstein (1160) und am Weinberg der Ehe vorbei. Jetzt verstehe ich, warum der Bürgermeister gestern unbedigt eine „Nottrauung“ absegnen wollte: Die brauchen mehr Weinstöcke! Nothochzeit für einen guten Zweck, quasi auch so eine Art Spendenlauf. Und dann kommen wir tatsächlich nach Schlangenbad.
Entdeckt wurde die Wirkung der acht Quellen durch ein Rind. Dem ging es nicht besonders, badete aber täglich in diesem Wasser, bis ein Hirte merkte, dass das Tier kräftiger und frischer wurde. Naja, dann kamen die Menschen.
Bis Schloß Biebrich, dem Ende des Rheinsteiges, aber nicht unseres Laufes, sind es noch 14 Kilometer. Rauenthal, Georgenborn, Frauenstein, hoch zum Aussichtsturm.
Am Steinbruch „Spitzer Stein“ war Gothe sehr interssiert, der Goethestein erinnert aber eher an das Interesse des Meisters an Philippine Lade, die er hier beim Nürnberger Hof kennengelernt hatte. Oder war er nur wegen des Weines hier? Goethe fand jedenfaslls erst durch den Wein zum Leben, denn durch einen Fehler der Hebamme kam der neugeborene Johann „schwarz und ohne Lebenszeichen“ zur Welt. Man wickelte ihn deshalb drei Tage lang in warme, weingetränkte Umschläge. „Egal wie dicht du bist, Goethe war Dichter.“
Schiersteiner Hafen. Am Biebricher Schloß ist das Ende des Rheinsteiges. Kleine Zwischenparty bei fettem Eis mit Sahne, doch wir haben noch weitere 8 Kilometer vor uns.
Anmerkung zu den Kilometerangaben: Die 320 Rheinsteigkilometer wurden damals, vor 10 Jahren bei Gründung des Rheinsteiges, geschätzt. Auch die 12000 Höhenmeter sind keine amtlichen Angaben. Ein Ultraläufer muss immer mit mehr rechnen, zumal Start und Ziel des Rheinsteigerlebnislaufes nicht mit dem Rheinsteig identisch und Übernachtungsgelegenheiten nicht direkt auf dem Steig zu finden sind.
Die letzten acht Kilometer durch Wiesbaden sind unangenehm. Wir kommen aus der Einsamkeit, aus einer entbehrungsreichen Zeit, die Wilhelmstrasse mit dem aufgesetzten Flair von Luxus ist nicht unser Revier. Dick bemantelte, wohlgenährte, schalgeschmückte Bürger treffen auf knapp bekleidete, schwitzende Sportler. Wir latschen triumphierend und müffelnd durch das Kurhaus mit seinem spiessigen Casino. Wir sind die blutverschmierten Gladiatoren im Tempel der Dekadenz. Geruch von kilometerlang erkämpftem Schweiß vertreibt den Gestank des Geldes.
Und doch regiert das Geld. Der Oberbürgermeister ist im Osterurlaub. Deshalb überreicht die Stadträtin den Umschlag.
Eine lange Reise geht hier zu Ende, die ich mir ohne die Mahlburgs nicht zugetraut hätte. Was die beiden m4y-Heros an Organisation gebracht haben, war fantastisch. Ich habe unseren Leitrolf während des Laufens beobachtet, wie er die Brille aufgesetzt, Telefonnummern rausgesucht, unsere Ankunft geregelt, und nebenbei Spendengelder gesammelt hat: „Ich schick´ euch die Spendenquittung dann zu.“
Wir haben die Strecke mit Aufklebern samt Spendeninfos gepflastert, haben Spaziergänger informiert, gekämpft, gesammelt, gelitten und verdammt viel Spass gehabt.
Wir sind aber nicht mit klappernder Büchse betteln gegangen. Die Mahlburgs haben mir etwas beigebracht: Gesunde Muskeln für kranke Muskeln - ich laufe, Du gibst. Ich mache Werbung für Dich, komme mit meiner Truppe bei Dir vorbei, leere Deinen Weinkeller, Deine Hand für die Hand, die eine Scheiß-Erbkrankheit hat.
An jeder Ecke habe ich Rolf erlebt, wie er geworben hat, während Brigitte hinten das Feld der Versehrten und Besenwagenliebhaber betreut hat. Es war mir immer klar, dass die Mahlburgs die Wahl zum m4y Hero gewinnen würden. Ich registrierte, dass m4y- Leser gar nicht so dumm sind, obwohl Laufen dumm macht. Äääh, was wollte ich schreiben?
Didi Beiderbeck lief die letzte Etappe mit, nachdem er auf der linksrheinischen Seite den Rheinburgenlauf gefinisht hat. Er ist glücklicher Verlierer gegen die Mahlburgs beim m4y-Voting, hat stark abgenommen, wird den UTMB als erster blinder Läufer finishen, da bin ich mir jetzt sicher.
Zum Abschuß unserer Reise ahlen wir uns noch in den Thermen. Freier Einbtritt in Sauna und Schwimmbad, doch lasst mich noch wichtige Worte sagen:
Unser Leitrolf hat auf dieser Reise viele Marathon- und Ultra-Neulinge geschaffen. Um es zu erklären: da sind 30 Läufer, die 320 km angehen. Niemand sollte von denen erwarten, dass sie irgendwelche Neulinge bei so einer langen Reise noch versägen könnten. Diese 30 Ultras sind froh, wenn sie jeden Tag von immer wieder anderen Läufern begleitet werden. Irgendwann sind dann diese frischen Läufer auch nicht mehr so frisch und die Ultras können wieder mithalten.
Jedenfalls sind wir für jeden Frischling dankbar, lassen niemanden auf der Strecke, auch wenn manche nur Rohkost essen aber trotzdem 320 km laufen. Es gab in unsrerer Truppe etwa 60 % nichtmilitante Vegetarier. Ich schreibe das, weil auch ich in diesen acht Tagen eine unheimliche Lust auf Salat entwickelt habe und eventuell…ach Quatsch! Man darf doch auch einmal Buttermilch trinken! Ich muss auch für kein Image mehr kämpfen.
Die Mahlburgs haben mir gezeigt, dass wir alle Menschen sind und uns gegenseitig helfen können. Ob wir nun Salatfresser, Biertrinker oder Menschen sind, die Gott für ein zeitiges Sterben bestimmt hat. Ob wir Eltern sind, deren Leben wegen der Erbkrankheit ihrer Kinder beeinträchtigt wird, bis sie nach weniger als 18 Jahren aufopfernder Fürsorge den Tod ihres Kindes miterleben. Wir alle sind füreinander da. laufendhelfen.de. Verstanden?