Schon im Mittelalter war die Loreley ein bekannter Ort. Zum Einen wegen des markanten Felsens als Wegmarke, zum Anderen wegen der gefährlichen Stelle für die Schifffahrt. Hier lag eine Sandbank in der Mitte des ohnehin schon schmalen Rheins, hinter der sich gefährliche Strudel bildeten. Diese Gefahrenstelle wurde mittlerweile entschärft, aber enge Kurven und starke Strömungen bergen immer noch erhöhtes Gefahrenpotential. Eine Lichtsignalanlage hilft hier, Unfälle zu vermeiden.
Loreley ist auch der Name einer Nixe auf diesem Felsen. Der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Legende zufolge, kämmte sie dort ihre langen, goldenen Haare und zog die Schiffer mit ihrem Gesang an. Diese achteten trotz gefährlicher Strömung nicht mehr auf den Kurs, so dass die Schiffe an den Felsklippen zerschellten.
Ein Besuch des Felsens ist folglich ein Muss für jeden Rheintouristen. Wir machen uns am Morgen auf den Weg dorthin. Hinter dem zu so früher Stunde noch verwaisten Besucherzentrum führt uns ein Fußweg mit Treppen zum Aussichtspunkt. Majestätisch überragt der riesige Schieferfelsen das enge Rheintal. Begeistert versuchen wir dieses unglaubliche Panorama in uns aufzunehmen. Die Sonne scheint schon recht kräftig und vertreibt schnell die Kühle der Nacht.
Heute stehen 47 km auf dem Plan. Zunächst haben wir aber eine Verabredung mit dem Vertreter der regionalen Presse. Ein Fotoshooting im Weinberg steht an. Das geht überraschend schnell über die Bühne. Ein kurzer Abschied und wir können endlich zu unserer Lieblingsbeschäftigung übergehen: Laufen.
Loslaufen ist heute für mich ein Problem. Außerdem Anhalten und Bergablaufen. Nur bergauf geht es ganz gut. Aber so wie es aussieht, bin ich nicht die einzige mit diesem Problem. Mit Schwung läuft es dann besser. Zuerst geht es die Weinberge hinunter. Zum nächsten Aussichtspunkt führt der Weg dann wieder steil hinauf (km 5).
Ein phantastischer Ausblick auf das tief eingeschnittene Rheintal und schroffe Felsen entschädigt für den Aufstieg. Die nächste Klamm schickt uns wieder bergab. Der Urbach hat hier sein Bett gegraben. Auf der anderen Seite geht es wieder bergauf bis zum nächsten Aussichtspunkt. Auf 4 km Länge sind das 200 hm.
Der Rhein macht hier einen Bogen, und so kann man immer nur ein kurzes Stück des weit unter uns liegenden Stromes sehen. Auf der anderen Rheinseite liegt Oberwesel, die Stadt der Türme und des Weins. Von hier oben ist die wunderbar erhaltene Stadtmauer aus dem 16. Jahrhundert gut zu erkennen. Von uns aus gesehen, erhebt sich links die rote Liebfrauenkirche und rechts die höher liegende Martinskirche mit ihrem als Wehrturm gebauten Glockenturm. Auf einer bewaldeten Anhöhe thront die Schönburg aus dem 11. Jahrhundert, heute internationale Jugendherberge und Burghotel.
Ein paar 100 m vom Rhein entfernt, erleben wir ein seltsames Phänomen: da der Strom viel tiefer liegt und man ihn dadurch nicht sehen kann, kommt der Gegenhang optisch näher und bildet mit der Umgebung eine Einheit. Mit dem Wald und den Feldern könnten wir genauso bei uns zu Hause unterwegs sein. Wiesenflächen runden das Bild noch ab.
Km 15, wir erreichen Dörrscheid. Im Landgasthof Blücher werden wir erwartet. Zum ersten Mal verzichte ich auf den Kaffee. Ich hab Durst. Es ist doch wärmer als die vergangenen Tage. Wir ordern Getränke und verzehren unsere mitgebrachten Brote in der Gaststube.
Von der Terrasse aus blickt man auf Weideland mit Lamas. Wofür die hier wohl gehalten werden? Ich dachte Lama-Trekking am Rheinsteig gäbe es nur in Geisenheim.
Es geht wieder bergab und 1 km später stehen wir oberhalb des Rheins. Unten liegt Kaub mit seiner im Strom gelegenen Burg Pfalzgrafenstein. Bis zum Preußisch-Österreichischen Krieg war die Burg Zollstation und wurde anschließend bis in die 1960er Jahre als Signalstation für die Schifffahrt genutzt. Das kleine Eiland, auf dem sie aus den Fluten lugt, nutzte General "Vorwärts" Blücher bei der Verfolgung der napoleonischen Truppen in der Silvesternacht 1813 / 1814 für seinen legendären Übergang über den Rhein. Sie ist für Besucherverkehr zugänglich und über eine regelmäßig verkehrende Personenfähre von Kaub aus erreichbar. Gelegentlich finden kulturelle Veranstaltungen auf der Burg statt. Seit 2007 ist die Burg nach der Restaurierung wieder mit einem historisch belegten Farbanstrich versehen und kann bei Dunkelheit angestrahlt werden.
Oberhalb von Kaub liegt die Burg Gutenfels auf einem Felssporn in 110 m Höhe. Sie ist seit 2007 in Privatbesitz. Über eine steile Weinbergtreppe erreichen wir Kaub auf Rheinniveau.
3 km und 260 hm später sehen wir die Burg Gutenfels unter uns. Unterhalb der Höhe schert der "Paul-Claus-Pfad" aus und leitet uns in kurzen Serpentinen hinunter ins Niederthal. Ganz in der Nähe standen einst die Galgen des Mainzer Hochgerichtes denen des kurpfälzischen Hochgerichtes gegenüber und grüßten sich grässlich. Der Grenzvogt vom Niederthal hat hier eine Infotafel erstellt und ein Grenzbuch ausgelegt, in dem Wanderer ihre Eindrücke in Worte fassen können. Auch wir verewigen uns, bevor wir durch das Grenztor zum Rheingau unseren Weg fortsetzen.
Es geht nun fast 10 km wellig oberhalb des Rheins entlang. Wir kommen gut voran.
Nach Lorch fällt der Trail ziemlich steil ab. Als wir unten zu sein glauben, müssen wir scharf links in eine Art Bachbett einbiegen. Es ist ein alter Hohlweg, der schnurgerade in die Stadt hinein führt. Der Untergrund ist steinig und unangenehm zu laufen. Ich bin froh, als wir endlich die Straße erreichen. Rolf führt uns zum Hafen wo Lauffreund Ronald mit Sohn uns mit seinem "Buttermilchauto" erwartet. Ja, es gibt wirklich Buttermilch. Aber auch Cola, Wasser, Saft, Waffeln, Kekse und noch so einiges mehr. Außerdem will er uns den Rest der Strecke begleiten.
Wir genießen die Pause, denn es geht gleich wieder bergauf. Ronald hat hier Heimvorteil und weiß so viel zu erzählen, dass für die gebannt Zuhörenden die Zeit wie im Flug vergeht.
Bei der nächsten Pause beschließen die Langsameren sich von der Gruppe abzusetzen. Sie wollen im eigenen Tempo das Ziel erreichen. Wir haben nun doch schon einige richtig Fußkranke, die sich nicht von den Schnelleren hetzen lassen wollen. Es sind ja nur noch gut 15 Kilometer.
Erstaunlich, wie steil Straßen angelegt werden können. Schnell erreichen wir wieder den Höhenweg. Ohne größere Vorkommnisse sind wir schon bei km 40. Jetzt geht es wieder steil nach oben. Norbert begleitet mich; Simone und Christian sind von hinten aufgelaufen. Dann geht es wieder steil bergab. Plötzlich hinter einer Kurve steht unsere Gruppe Spalier.
Simone hat Ihren ersten Marathon geschafft. Locker springt sie über die symbolische Marke und lässt sich gebührend feiern. Kurz hinter Ihr kommt Heinrich. Er hat nun zum 2. Mal den Marathon barfuß gelaufen. Ja, tatsächlich richtig barfuß. Und Georg hat seinen 50. Marathon. Wir kommen aus dem Beglückwünschen nicht mehr raus.
Die letzten Kilometer sind ein Klacks; die schmerzenden Beine fast vergessen. Oberhalb von Assmannshausen sammeln wir nochmal und laufen den letzten Kilometer gemeinsam bergab.
In Assmannshausen verzögert die geschlossene Bahnschranke unseren Triumphzug. Im Rheinhotel Lamm, direkt am Rheinufer, gibt es zuerst einmal Kaffee und Kuchen - und eine Aufzug.
Heute ist der große Tag: die offizielle Spendenübergabe. Der Speisesaal ist liebevoll dekoriert. Das große Erlebnislauf-Banner ziert einen Tisch mit diversen Präsenten. Doch heute gibt es nicht nur die üblichen Reden: im Zentrum steht der Tod des Lauffreunds Martin im letzten Jahr. Bei der Trauerfeier wurden Spenden gesammelt und so kann eine Gesamtsumme von 14.000 Euro an die Aktion Benni und Co übergeben werden.
Nach einer gemeinsamen Schweigeminute geht es fröhlich weiter. Neue Läufer sind angekommen: Josefine und Robert lassen sich morgen auf dem Standesamt in Kiedrich rauen. Vorher werden sie samt Trauzeugen die morgige Etappe laufen.
Nun wird jeder Läufer namentlich aufgerufen und kurz vorgestellt. Jeder bekommt ein kleines Präsent und eine große Flasche Wein.
Nach dem Essen geht es dann nach draußen. Polterabend. Rolf hatte jeden Läufer gebeten, Porzellan mitzubringen und so gibt es für das junge Paar eine Menge Arbeit.
Am nächsten Morgen verabschieden wir uns. Pünktlich bricht die Gruppe zur vorletzten Etappe auf. Das Brautpaar wird in die Mitte genommen.
Für Norbert und mich ist unser erster Etappenlauf zu Ende. Vom Pensum waren die von uns gewählten Etappen optimal. Länger hätte ich es wohl nicht geschafft. Die Gehpausen sind genau richtig und das Warten auf Langsamere kein Problem. Wir haben unsere Zeit mit Menschen geteilt, die das gleiche Hobby haben und uns in fantastischer Natur bewegt. Wir mussten uns um nichts kümmern, nur laufen, essen und schlafen. Bei den offiziellen Anlässen wird einem bewusst, dass man Teil einer guten Sache ist; das macht auch ganz schön stolz. Ich finde zwar, dass Laufen ruhig Selbstzweck sein darf. Wenn man Anderen helfen kann, gibt es einem trotzdem ein gutes Gefühl.
Der Rheinsteig-Erlebnislauf ist für alle gut trainierten Läufer geeignet. Von versierten Ultras, die bei den Wartepausen noch zusätzliche Runden drehen, bis zum Marathonneuling waren alle Läuferklassen dabei. Wobei es, glaub ich, mehr Spaß macht, wenn man nicht immer hinten laufen muss.
Die Organisation ist top. Die Hotels sind meist über dem Durchschnitt. Die Verpflegung ist mehr als ausreichend (Halbpension). Während des Laufs gibt es genügend Möglichkeiten, sich noch mit Essen einzudecken. Trinkrucksack oder Getränkeflaschen sind aber, vor allem bei warmem Wetter, zwingend notwendig.
Die Regionalbahn bringt uns zurück nach Koblenz. Wir erkennen einige Orte wieder. Erstaunt stellen wir fest, wie unscheinbar und mager doch der Ausblick von hier unten ist. Wer die Schönheit von oben kennt, kann nur enttäuscht sein. Und wer sich die traumhaften Ausblicke hart erarbeitet hat, weiß sie noch mehr zu schätzen.