Ein Juwel unter den Spendenläufen stellt der bereits im vierzehnten Jahr durchgeführte Rheinsteig-Erlebnislauf dar. Von den Baden-Badenern R(ud)olf und Brigitte Mahlburg zugunsten der „Aktion Benny & Co.“ mit nicht nachlassender Leidenschaft initiiert, haben zum zweiten Mal Helmut Hardy und Björn Niehenke samt Gattinnen die Regie inne. Sämtliche Erlöse dieses Benefizlaufs werden zugunsten der Erforschung der Duchenne Muskeldystrophie, eine nur Jungs befallende und tödlich verlaufende Muskelerkrankung, verwendet. Leider wird dieses Krankheitsbild nicht mit der Intensität erforscht, welche die Betroffenen und ihre Angehörigen sich erhoffen. Böse Zungen behaupten, die Fallzahlen reichten hierfür nicht aus…
Gute zwanzig Ultras, darunter einige Walker, laufen hierzu in acht Tagesetappen den kompletten Rheinsteig-Wanderweg inkl. der Zu- und Abwege über 355,5 km mit 11.692 Höhenmeter (+/-) ab und spenden dabei 50 Cent pro km. Läuferisch weniger Begabte wie ich, oder solche mit knapper Zeit, können auch etappen- oder teiletappenweise mitmachen und so sich und den Betroffenen etwas Gutes tun.
Wie in jedem Jahr bin ich wieder auf einer Etappe dabei, diesmal zur Abwechslung auf der sechsten. Offizielle 47,6 km bei +1418 und -1592 Höhenmeter lautet die Herausforderung, die Verpflegung ist wie immer mitzuführen. Aufgefüllt wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, unterwegs. Ach ja, eine Zeitnahme gibt es natürlich auch nicht, also sollte einem stressfreien Genusslauf nichts im Wege stehen.
Meine Leidenschaft, gleichermaßen fürs Laufen und fürs Spenden, führt zur bereitwilligen Opferung sowohl eines Tages Urlaubs als auch einiger kleinerer Scheine. Ich fahre diesmal zum Start der sechsten Etappe nach St. Goarshausen/Heide und freue mich über zahlreiche nette bekannte und neue Gesichter. Pünktlich um 8.30 Uhr startet der Tross, verstärkt durch einige Etappenläufer. Heinrich läuft seit vier Jahren nur noch barfuß, trägt aber heute in Erwartung vieler spitzsteiniger Passagen wenigstens zwei Paare Strümpfe übereinander. Auch so kann man in ein paar Tagen seinen kompletten Restbestand ruinieren.
Nach gerade einmal einem km sind wir nahe der Loreley, laufen zunächst am komplett erneuerten Besucherzentrum/Freilichtbühne vorbei und betreten nach dem Genuss des „Dreiburgenblicks“ (die Burgen Katz, Maus und Rheinfels auf der anderen Rheinseite) den Loreleyfelsen. Dort saß die sagenumwobene Blondine und riss die Schiffer in diesem gefährlichen Rheinabschnitt ins Verderben. Hier kann man sich aus dem Automaten für einen Euro das Lied („Ich weiß nicht, was soll es bedeuten...“) und Gedichte vortragen lassen. Einen steinernen Thron hat man auch gebaut. Aufgrund der Restfeuchte der Nacht findet sich leider keine Dame zum kurzzeitigen Posen bereit.
Gerade einmal ca. 1,5 km sind zurückgelegt. Nach verschiedenen Aufs und Abs erklimmen wir den sog. Lennig und haben einen sagenhaften Blick auf das Taubenwerth, eine Rheininsel. Dahinter liegt Oberwesel mit seiner roten Kirche, welche die älteste bildliche Darstellung von Koblenz birgt, ein ganz besonderer Schatz. Sehr gut zu erkennen ist auch die weitestgehend erhaltene Stadtmauer und ich hoffe, dass Ihr diese auf den Bildern auch erkennen könnt.
In das Urbachtal klettert der Steig durch verwilderte Weinberge über Felsen und Treppen zum Bach, um letztlich die „Alte Burg“ anzusteuern. Tolle, urwüchsige Wege, häufig mit mehr als nur Trailcharakter, lassen uns ins Schwärmen kommen. Hier liegen ausnahmsweise mal nur Steinreste, denn die 1359 erbaute Burg wurde schon kurze Zeit später wieder zerstört. Das Wetter scheint zu halten: War die eineinviertelstündige Anfahrt noch komplett verregnet gewesen, laufen wir bisher im Trockenen und hoffen auf die Wettervorhersage, die uns für den Nachmittag etwas Sonne versprochen hat.
Durch Niederwald und Büsche ersteigen wir die Felsen am Roßstein. Sehr gut sehen wir die Schönburg über Oberwesel. Ein wunderschönes Tal sorgt weiter für ein fleißiges Sammeln der Höhenmeter. Auf der folgenden Höhe sind die ersten Abschnitte seilgesichert, die kleine Christopherus-Skulptur am höchsten Punkt hat man zu unserer Freude mit selbstgestricktem Schal und Mütze warm verpackt. Natürlich bekommt die direkt unser Maskottchen, ein selbstgehäkeltes Herzchen, dazu gehängt.
In der Dörscheider Heide kommen wir zum aufwendig erneuerten und vergrößerten Gasthof Fetz, wo man uns schon seit Jahren mit kostenlosen Getränken Freude bereitet. Leider sind die zahmen Alpakas zum Beginn des folgenden langen Abstiegs, die ich noch vor einigen Jahren hier ablichten konnte, nicht mehr vorhanden. Schade, das war ein nettes Fotomotiv. Eine ganz tolle Idee hatte ein Winzer, der in einer Art Heiligenschrein 0,2l-Fläschchen seines Weines gegen Bezahlung zur Sofortverkostung bereitstellt. Gläschen sind auch dabei. Heute lassen wir dieses Schmankerl links liegen lassen. Allerdings weniger aus Abstinenzgründen, nein, irgendwelche unangenehme Zeitgenossen haben vor uns bereits alles geleert.
Wunderschöne schmale Trails bringen uns weiter voran. Das nächste Panorama präsentiert uns Kaub mit seiner Burg Gutenfels und der berühmten Zollburg Pfalzgrafenstein, die seit 1326 wie ein Bollwerk mitten im Rhein ruht. An der Treppe zum Stadteingang steht der Leitbergsturm, der zum Schutz der Dörscheider Pforte erbaut wurde und seit dem Mittelalter bewohnt ist (heute Privatbesitz). Berühmt ist Kaub als Blücher-Stadt: Am Jahreswechsel 1813/14 während der Befreiungskriege setzte der preußische Feldmarschall Gebhard Leberecht von Blücher an der Burg mit 60.000 Soldaten, 20.000 Pferden und 200 Geschützen über den Rhein, um die Truppen Napoléon Bonapartes zu verfolgen und die Franzmänner mal wieder nach Hause zu schicken. Am Kriegerdenkmal überrascht uns ein Einheimischer, befreundet mit einem unserer Mitläufer, mit einer opulenten Verpflegungsstation.
Vorbei an der Burg Gutenfels und dem Dicken Turm geht es wieder steil hinauf, die Pfalzgrafenstein wird ein letztes Mal gegrüßt und die nächsten km werden wir den Rhein nicht wiedersehen. In Serpentinen führt uns der Weg später ins Niedertal, durch das sich die rheinland-pfälzisch/hessische Landesgrenze („Willkommen im Rheingau!“) zieht. Hier wird eigentlich traditionell eine kurze Rast zum Verpflegen eingelegt, nur nicht heute. Kurz dahinter hat ein Waldkiosk geöffnet, an dem die frisch gebackenen Großeltern Siebert der ganzen Gruppe einen ausgeben. Der leckere Wein beschwingt auf den nächsten Bergabmetern. Auf der hessischen Seite wohnt der sog. Grenzvogt in seinem gemütlich aussehenden Waldhaus.
Oberhalb Lorchhausens erfreuen wir uns an einem herrlichen schmiedeeisernen Pavillon, den ein örtlicher Schmied gestiftet hat. Mit dem pharadäischen Käfig scheint’s allerdings nicht so zu funktionieren, jedenfalls wird bei Gewitter dringend geraten, mindestens 10 Meter Abstand zu halten. Bald sehen wir das Bacharacher Werth, die Wirbellay und Burg Stahlheck. Und natürlich Weinberge ohne Ende, deren Reben allerdings noch nicht ausgetrieben haben. Welche Unterschiede: Heute laufen wir hier bei rund 15 Grad, vor drei Jahren waren es weniger als zehn und es hatte kalten Wind, vor acht Jahren beglückten uns rund 25 Grad unter stahlblauem Himmel. Ein anderes Mal quälten uns heftige Graupelschauer mit böigem, eiskaltem Wind. Ja, um diese frühe Jahreszeit hast Du keine Garantie auf stabiles Wetter und musst auf alles gefasst sein.
Unterhalb des sog. Nollig wird der Rheinsteig zum Panoramaweg. Das Gelände um die Ruine Nollig herum gehört in Hessen zu den Lebensräumen mit der höchsten Artenvielfalt. Insbesondere finden sich hier Tiere und Pflanzen, die man sonst nur aus dem südlichen Europa kennt. Von der Burgruine führen rund 150 Meter über Schiefer, der in der in der Sonne wunderbar glitzert, wenn sie denn da wäre. Hinab nach Lorch geht es durch einen mittelalterlichen Hohlweg und weiter über die Wisperbrücke auf einen Parkplatz. Hier empfangen uns der ehemalige Mitläufer Ronald Nickel und sein Sohn Benjamin mit einer mobilen Verpflegungsstelle aus dem Kofferraum. Erfahrene unter uns freuen sich schon seit vielen km besonders auf die Buttermilch, von der Ronald nach eigenem Bekunden täglich mehrere Becher leert. Das ist aber auch lecker, gerade jetzt! Wir danken es ihnen, indem wir jede Menge Chaos verbreiten und verschlingen, was nur geht.
Wieder auf der Höhe, erschreckt den Naturfreund auf der gegenüberliegenden Seite eine riesige Wunde: Neben der Burg Sooneck besteht ein großer Steinbruch, in dem Quarzit gewonnen wird. Klar, das Zeug muss ja irgendwo herkommen, wenn es gebraucht wird. Aber hier beleidigt das Loch im Berg nicht nur mein Auge schon sehr. Zwischen Kaub und Lorch gab es übrigens mal einen „Freistaat Flaschenhals“, auf den schon am Infostand an der Landesgrenze hingewiesen wird. Das hat den aus heutiger Sicht wirklich grotesken Hintergrund, dass anlässlich der Besetzung des Rheinlands zur Absteckung der amerikanischen und französischen Zone jeweils 30 km betragende Radien um Koblenz bzw. Mainz geschlagen wurden. Beide Kreise trafen sich jedoch nicht genau und ließen einen schmalen Zwischenraum frei, der zwischen 1919-1923 eben diesen sonderbaren Freistaat ermöglichte.
Schleife für Schleife schrauben wir uns wieder nach oben und dort angekommen, ist Trechtingshausen mit seiner weitläufigen Burganlage Reichenstein eine Augenweide. Ob es irgendwo anders noch eine solche Burgendichte wie hier am Rhein gibt? Auf felsigem Pfad gibt es eine Seilsicherung, die den teilweise kriminell nach unten gehenden Trail entschärft. Klettern ist phasenweise angesagt. Nicht nur der lange Georg legt an „seiner“ Wanderhütte beim Dreiburgenblick (Rheinstein, Reichenstein und Sooneck) ein Spontanpäuschen ein. Das ist das wirklich Schöne an dieser Art der Fortbewegung: null Zeitstress, Landschaftsgenuss vom Feinsten und die Gewissheit, die Leidenschaft Laufen mit der, Gutes zu tun, verbinden zu können.
Wir toben den letzten traumhaften Trail durch einen schönen Wald nach unten. Bald haben uns die Weinberge wieder und durch die Assmannshäuser Lage „Höllenberg“ zieht es uns erneut, jetzt aber für heute letztmalig, unwiderstehlich zum Ziel nach Assmannshausen ins Tal. Das „WWW“ bekommt hier als Weinwanderweg eine völlig neue Bedeutung. Herrliche 46,4 km und gute 1.600 Höhenmeter haben wir heute in phantastischer Landschaft über neuneinhalb Stunden mit zahlreichen Päuschen überwunden und genossen. Ich habe überhaupt keine Probleme und bin froh, dass es ein paar Tage nach dem WUT schon wieder so gut läuft.
Kaum eine Erfolgsgeschichte hat nur positive Seiten, so ist auch hier Trauriges zu vermelden. So, wie es aussieht, war das heute die letzte Ausgabe, zumindest von diesem Organisationsteam. Kaum etwas Trauriges ist ohne Hoffnungsschimmer, so auch hier: Björn und Helmut können sich grundsätzlich vorstellen, eine ähnliche Veranstaltung über den Mosel- oder Eifelsteig zu organisieren. Beide wären für mich ebenfalls gut erreichbar. Vielleicht gibt es ja in den kommenden Jahren wieder Gutes mit neuen visuellen Eindrücken zu berichten. An mir soll es nicht scheitern!