O Sankt Michael, beschütze uns auf unseren Wegen - genauer, damit ja nichts verwechselt wird - auf dem trail de´l archange am Ufer der Bucht von Mont Saint Michel ganz besonders. Schließlich leuchtest du uns golden wie ein Leuchtturm auf dem Weg. Auch aus der Ferne. Danke vielmals.
Der 26. Mai ist der Tag. Der Trail de l’Archange, 55 km der Extraklasse, beginnt. Morgen dann einer der schönsten Marathons der Welt, aber aus der anderen Richtung. Alles zusammen unter dem Eventnamen Run in Mont Saint Michel. Alles trifft sich an der Klosterinsel, die eines der eindrucksvollsten Bauwerke überhaupt ist. Allein deswegen lohnt sich die Reise. Ein Kurzurlaub, mit Kultur, Lauf und leckerem Essen. Unvergesslich.
Die Trailer (etwa 550) versammeln sich unweit des Ziels an einer Pferderennbahn. Dort ist umsonst Parken, dort fahren die Busse ab. Manche mit mobiler Begleitung lassen sich direkt zum Start fahren. Das ist in Granville, eine Fahrtstunde entfernt, an der Küste der Normandie. Dort legen auch die Fähren zu den britischen Kanalinseln ab. An einem Sportzentrum versammeln sich alle, es gibt kleines Frühstück, Windschutz in der Halle und mehrere Toiletten. Ich treffe einen Deutschen, den Thomas, erkennbar am Rennsteig-Shirt. Sonst ist alles fest in französischer Hand. Gut, wenn man die Sprache versteht, sonst muss man raten. Die Ansagen, die Plaudereien, die Witze in der Toilettenschlange, mir entgeht das total.
Pünktlich um 8 geht es ab. Nur über eine Straße und schon sind wir auf Trail. Hier, weit oberhalb des Strandes, sind es Trampelpfade, ab und zu Schotterwege, gelegentliche Asphaltabschnitte durch Ortschaften, immer mit toller Aussicht ins Land und zum Meer hin. Immer wieder müssen wir bergab, dann auch flott berghoch. Laufen im Pulk, bis zur ersten Enge - einspurig zwischen den Zäunen geht‘s weiter. Und dann auch wieder Straße, der Pulk sortiert sich neu. Die ganz Flotten sind natürlich weit voraus, aber so in der Menge ist es auch gemütlich. Denn alle unterhalten sich angeregt, das können so nur die Franzosen.
Immer, wenn ich mich als sprachunkundig oute, heißt es - ah, l`allemand, bonne courage! Das verstehe ich. Es ist total klasse. Sehr schnell ist die Warmlaufphase zu Ende. Nach 10 km gibt es den ersten Ravito. Getränke, was zum Knabbern, Banane und eine sagenhafte Aussicht über Jullouville, quasi ein Rückblick auf die Strecke bisher. Noch sind wir eng beieinander, leichtes Gedränge am Tresen. Hier muss man unbedingt seine Reserven auffüllen, denn die richtigen Trails fangen jetzt so richtig an.
Jede Menge Höhenmeter kommen auf uns zu. Der Weg führt durch die Steilküste, ganz runter, wieder ganz hoch, auf nur einer Spur und technisch durchaus mit Anspruch. Ich komme mir vor wie in den Alpen, oberhalb der Baumgrenze. Die Felsen, das Kraut, die Viecher- so kleine Mücken, sie nennen sie mouches, sind überall, im Auge, im Mund. Und wehe, man bleibt mal stehen für ein Foto oder für die Aussicht. Die mouches zeigen sich dann begeistert...
So langsam zieht sich die Kolonne in die Länge, die Steigungen fordern. So geht es bis etwa km 18. Dann beginnt ein langsam abfallendes Stück guter Waldweg in den Ort St.Jean-le-Thomas. Bei 20 km ein zweites Ravito, alle machen ausgiebig Pause. Lorenz ist wesentlich heftiger aktiv, als es der Wetterbericht versprach. Die 20° obere Grenze sind bereits jetzt weit überschritten. Jeder füllt seine Flaschen nach, denn Schatten wird von nun an selten.
Wie auch- wir laufen am Strand längs. Schatten spendet höchstens der Mützenschirm. Über eine Düne springen wir in den Sand, am Wasser entlang ist er fest und laufbar, endlose Weite drumrum. Weit weg: unser Ziel, wie eine Fata Morgana. Das Wasser ist in diesem Watt weit zurückgegangen, kann aber enorm schnell wieder auflaufen. Hier hat es mit den gefährlichsten Tidenhub der Welt! Plötzlich stehen wir im Matsch - dem Wattboden. Laufen ist hier schlecht, aber mit skaten kommt man gut voran.
Es schlindert sich gut. Endlich dann ein paar Dünen, die Schuhe sind nun doppelt schwer - Schlamm und Sand in dicken Placken... Es dauert, bis das abfällt. In Les Genets bei 28 km gibt es Ravito 3 und die Erfrischungen. Das Wasser aus den Flaschen wird weniger zum Trinken, vielmehr zum Baden genutzt. Abkühlen um jeden Preis.
Die Sonne schlaucht. Und zwar alle, keiner läuft mehr. Höchstens im Schatten - ja, da kommt was- oder bei vorüberziehenden Wolken. Ein fester Trampelpfad führt uns an der Küste lang, es gibt überall Häuser, alte und moderne - alle lausig teuer - mit Meerblick. Ein paar Schattenspender stehen verloren in den Gärten, Blumen blühen farbenprächtig, ein paar Hunde haben sich heiser gebellt, es sind ja schon so 450 Läufer vorbei. Die gehören alle gehörig begrüßt. Schön flach ist es jetzt, rechts ein weiter Blick über eine riesige Bucht. Auf der anderen Seite, ganz weit weg, kann ich ein paar bunte Läufer erkennen. Da muss ich auch hin.
Aber erstmal der absolute Höhepunkt, schöner noch als der Steilküstentrail vorhin. Alle sind aufgeregt. Es kribbelt. Was wird sein? Schaffe ich das? Oder ist schon die Flut zu hoch? Denn nach dem nächsten Ravito 4 (km 38) queren wir die Bucht, Traversee, von Posten, Croix rouge und DLRG gesichert. Na ja, sowas eben. Der Hauptspaß: rein in den Fluss und rüber. Schuhe aus, oder auch nicht. Ist momentan ja Süßwasser, es strömt ganz ordentlich. Ist auch tief, jedenfalls so tief, dass der Löns nass wird. Und so herrlich kühl, eine Wohltat. Eine Frage bleibt: Socken auch aus oder nicht?
Mein Vorschlag: beides, Schuhe und Socken. Den Sand brockelt man sich hinterher ab, ein kleines Handtuch, von weisen Läufern sowieso immer mitgeführt, hilft dabei. Auf dem hohen Ufer gegenüber sitzen sie dann und putzen sich. Muss man aber nicht, denn nach 2 km kommt die zweite Flußtraversee. Dasselbe nochmal. Da aber nun noch so 12 km zu laufen sind, lohnt es sich hier unbedingt, die Füße schön trocken und sandfrei zu kriegen. Jeder weiß ja, was nasse Socken anrichten können...
Bei km 45 die letzte Stärkung, Ravito 5. Es wird nun hart. Pralle Sonne, wir traben durch die Salzwiesen, wo die Lämmer weiden, die so gut schmecken. Agneau pre-sale ist eine hiesige Spezialität, das Fleisch hat einen ganz besonderen Geschmack...
Erst Gras, dann trockener Schlamm. Von Hufen uneben getreten. Nicht gerade einfach. Aber keiner läuft mehr. Diese 7 km sind wie ein Wüstenmarsch. Gluthitze von oben, von unten, und der Wind ist auch warm. Kein Ravito mehr, nur noch trinken aus dem Rucksack. Sankt Michael, bewahre uns vor dem Höllensturz! Da er viel zu tun hat, werden zwei Läufer vom Roten Kreuz eingesammelt, Kollaps. Schluss, kurz vor dem Ziel. Immerhin: die Klosterinsel wird größer und deutlicher, das Ziel! Endlich - der Damm dorthin. Ich erkenne ihn kaum wieder, man hat einen Teil umgebaut, die Insel soll wieder eine werden, dauernd von Wasser umspült, wie es sich so gehört. Eine Stelzenbrücke soll dabei helfen, sie steht seit 4 Jahren da.
Viel Betrieb: Touristen hin und zurück, zu Fuß, in Bussen oder Kutschen. Und Läufer kehren zurück, sie feuern uns an; das gibt den nötigen Schwung. Ich laufe wieder, denen zeige ich‘s jetzt. Am großen Vorplatz links halten, Posten weisen uns ein. Durch ein kleines Tor in der Festungsmauer geht es steil hoch, verdammt steil. Rechts rum, wieder links, nochmal rechts, die Serpentinen haben aber ein Ende. Alle jubeln, manche erkenne ich wieder, Freude überall. Da- eine Treppe. Noch kein Ziel in Sicht. Alles voller Touris. Doch dann die Zeitmeßmatte, vor der ersten Stufe. Abpfiff ! Endlich angekommen.
Nun noch die Treppe hoch, ganz entspannt. Die Muskeln sind da anderer Ansicht und spannen erst nochmal richtig ob der ungewohnten Bewegung. Oben scharf rechts und zu einer Terrasse abwärts, da wird mir die Medaille verehrt, das Finisherhemd, Erfrischungen bis zum abwinken, alles bei prächtiger Aussicht nach Süden. Grandios.
Aufpassen: wer noch rauf zum Kloster will, hat nur bis 18:00 Zeit, dann machen die dicht. Zehn Taler kostet der Eintritt, die hohen Treppen kosten nochmal reichlich Kraft. Außerdem ist es herrlich kühl in den heiligen Hallen, ich schleiche mit Rucksack und Medaille zwischen den Touris herum. Es lohnt sich und man kann sich bei Sankt Michael für diesen tollen Tag bedanken. Auf der höchsten Spitze, golden glänzend, frisch renoviert, waren wir von Anfang an gut behütet
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Fazit
Ein ganz besonderer Traillauf. Er hat Berglaufcharakter, Waldpassagen und Strand. Alles reichlich. Und die Flüsse erstmal! Vorbildlich organisiert ohnehin. Sie Startnummern werden nach Hause geschickt, der Bus im voraus bezahlt (Listen werden abgehakt), gratis Parken in Startnähe, Shuttlebusse dahin zurück. Versorgung unterwegs und im Ziel prima.
Was benötigt man: gut passende Schuhe (Profil egal), 1-1,5 l Wasser, etwas Lieblingsgel/Riegel zusätzlich, Sonnenschutz, ein kleines Handtuch, evtl. Wasser zum Füße abspülen. Da kann man auch unterwegs eine kleine Flasche ergattern. Bei RV 4 mitnehmen, bei RV 5 zurückgeben, geht auch. Dropbags für das Ziel. Ein paar Taler für Besichtigungen, gehobenes Essen, wenn man denn kann.
Der Rückweg ist speziell: gratis-shuttles fahren von der Stelzenbrücke zum Parkplatz, unbedingt bis zur letzten Station warten!! Unsere Navettes stehen auf P7, ganz, ganz weit weg zu laufen...prägt euch also den Lageplan gut ein. Steht alles auf der guten website (auch auf englisch). Das können die nämlich auch ganz gut.
Am Sonntag läuft dann der Marathon: flache Strecke ab Cancale (der Ort mit den besten Austern der Welt) bis zum Tor-Vorplatz. Sehr beliebt, über 3000 Läufer und laut einiger Experten unter den zehn schönsten Maras der Welt, denn die ganze Zeit hat man die Insel im Blick. Wer also lieber sanft traben möchte, ist hier auch sehr gut aufgehoben.
Bloß eins noch: am Tag danach gut, gut essen gehen. Wenn nicht hier, wo sonst?