Die zweite Kontrollstelle mit integrierter Labestation erfolgte bei Kilometer 13,5 – bei der Berghütte Odrodzenie, die man nach 2 Stunden 25 Minuten erreicht haben musste. Ich kalkuliere bei Marathons in der Ebene mit Kilometerzeiten zwischen 6 und 6:30 Minuten – wenn es gut geht. Doch man stelle sich vor: fast zweieinhalb Stunden für dreizehneinhalb Kilometer wurden eingeräumt. Zum Glück kann ich nur sagen, denn es wurde auch diesmal für mich wieder sehr knapp. Ein Grund war die Hitze. Kein Wölkchen war am Himmel zu sehen. Die Fernsicht im Gebiete des Karkonoski-Nationalparks war grandios, im Südwesten reichte sie bis ins tschechische Grenzgebiet, wo sich das Schisprung-Mekka Harrachov befindet. Im Nordosten überblickte man die Euroregion Neiße-Niederschlesien.
Mir setzte die Hitze sehr zu. Bei den Anstiegen schwitzte ich ähnlich stark wie 1981 einmal bei einem Spontanausflug ohne Ausrüstung vom Plateau des Grand Canyon zum Colorado-River hinunter, ohne auf eine Wasserflasche zurückgreifen zu können. Ich fand, dass die Labestellen bei der Bergmarathon-WM etwas zu weit auseinander waren, alle 5 km wären ideal gewesen. So aber hat man die Kontrollpunkte mit der Versorgung kombiniert und logistisch die Sache vereinfacht.
Nach der zweiten Kontrollstelle folgte ein sehr steiler Anstieg auf dem Wege zum Schlesienhaus (Domek Slaski), das rund 9 km entfernt war und erstmals bei Kilometer 22 erreicht wurde. In der Zwischenzeit kamen mir die Führenden der Weltelite auf dem steinigen Wanderweg hinunter laufend, manche auch stolpernd, aber voller Energie, entgegen. Bald darauf auch Austrian-Mountain-Man Robert Gruber. Ich hatte in 2:30 Stunden gerade einmal 13,5 km zurückgelegt, die Allerschnellsten befanden sich indessen schon wieder auf dem Rückweg. Robert gönnte sich eine kurze Trinkpause. Ich sah, dass seine Schienbeine aufgeschlagen waren, er war offenbar gestürzt. Machher im Ziel klagte er über Brustkorbschmerzen infolge einer Prellung.
Als ich noch ca. 3 km bis zum Schlesienhaus vor mir hatte – ich vermochte auf den großen Gesteinsblöcken mitten im Weg nie richtig zu laufen, auch nicht abwärts, es war mir einfach zu gefährlich - kam mir Ernst Fink inmitten einer großen Gruppe von Läufern entgegen, von denen auf der Anfangsetappe einige noch hinter mir gelegen waren.
Ich will bei der Gelegenheit noch anführen, dass ich heuer den Jahresmarathonrekord unseres Clubs einstellen bzw. überschreiten möchte – er liegt bei 41 erfolgreichen Teilnahmen. Als Mitglied bei den Marathon Maniacs würden 52 Marathons pro Jahr den höchsten Level – die Titaniumauszeichnung – bedeuten. Daher gehe ich lieber kein Risiko ein und passe auf meine Sehnen, Bänder und Gelenke auf.
Ernst war diesmal für mich überraschend weit hinten, wenn auch um ca. 6 km vor mir. Die Halbdistanz beim Schlesienhaus war noch rund 3 km entfernt, wo wieder eine Verpflegungsstadion für die Läufer/innen eingerichtet war. Auf der ursprünglichen WM-Strecke war eine daran anschließende, ca. 2,5 km lange Schleife vorgesehen, die aber wegen Bauarbeiten noch am Vortag gecancelt wurde. Dadurch entfiel auch ein weiterer steiler Anstieg, sodass die Marathonstrecke insgesamt von 44 auf 42,195 km verkürzt wurde.
Dank sei Rübezahl im Nachhinein, der der Sage nach zumeist harmlose Wanderer ärgert und in die Irre führt oder für ein starkes Gewitter sorgt. Ich hätte ohne diese Verkürzung das Etappenziel bei Kilometer 33,5, nämlich erneut die Berghütte Odrodzenie, in der Max-Zeit (5 Stunden 30 Minuten) nicht mehr geschafft.
Der Marathon verlangte einem alles ab. Die Wasserstellen lagen zu weit auseinander. Offiziell gab es zwischen 13,5 und 33,5 km keine Versorgung, doch beim Schlesienhaus hat man dieses Schema durchbrochen und eine Labung angeboten. Ich habe das Kleingedruckte (Regulamin auch in Deutsch) nicht gelesen, sonst hätte ich tatsächlich eine Wasserflasche oder eventuell einen Trailrucksack mitgenommen.
Um die Mittagszeit hatten wir in den Felsen bei den Anstiegen weit über 30 Grad. Ich habe Läufer gesehen, die sich einfach hingesetzt haben und aufgaben. Mein Mund war so trocken, dass ich ein Brennen im Gaumen spürte und auf jegliche Kommunikation verzichtete. Es kamen mir Dutzende Ausflügler entgegen, heraufgekommen per Sessellift und mit Wasserflaschen bepackt. Aber das kümmerte mich nicht, ich dachte an Badeseen, Gebirgsbäche, Mineralwasser mit Kohlensäure – und hatte noch 9 km vor mir, als ich nach 33,5 km das zweite Mal bei der Berghütte Odrodzenie vorbeikam. Es wurden die zeitlich längsten 9 Kilometer in meiner Hobbymarathonlaufkarriere seit 2001, denn es ging steil bergauf bei der größten Nachmittagshitze. Zwar hatte ich auch den dritten Kontrollpunkt mit maximal 5:30 Stunden Laufzeit knapp geschafft, doch dass ich für 9 km fast 2 Stunden benötigen würde, hätte ich nie erwartet.
Ich hatte außerdem angenommen, dass die Veranstalter die ausgegebene Richtzeit von 7:30 Stunden nicht so genau nehmen würden, denn im Vorjahr gab es Finisherzeiten um 8:40 und mehr. Die letzten 2 Km ins Ziel bei der Bergstation auf Szrenica ging es wieder steil aufwärts, für mich ein Grund mehr zu gehen. Doch 200 Meter vor dem Ziel kam mir gestikulierend eine Betreuerin im Laufdress entgegen und meinte auf Polnisch, dass ich mich beeilen müsse. Sie wollte mit mir hochlaufen, doch ich blieb stoisch gelassen und sagte auf Englisch zu ihr: „ Sorry, still 7 minutes left, don’t worry …“
Ich denke, dass sie mich für unsportlich hielt. Aber was bringen einem dehydrierten Läufer 40 oder 50 Sekunden, wenn er noch genug Zeit für ein ordnungsgemäßes Finish hat. Jemand anders hat mir dann die Medaille umgehängt, ein schönes Exemplar, das eigens für die WM designt wurde.
Auf einer Anhöhe in der Sonne auf einer Bank sitzend hielten meine beiden Kollegen Ernst Fink und Robert Gruber nach mir Ausschau – sie hatten mitbekommen, wie knapp ich am Misserfolg vorbeischrammte. Ernst schaffte den Bergmarathon in 5:51, Robert wäre ohne Sturz zumindest in der Altersklasse weiter vorne gelegen, so erreichte er mit 3:23 den siebten Platz in der auf Zehnerspannen ausgerichteten Altersgruppe Sen2 (entspricht M-30), sowie den 10. Gesamtplatz mitten in der Weltelite.
Einen Vergleich würde ich gerne noch anführen: Beim heurigen Ultramarathon Mozart 100 in Salzburg schaffte ich die 55 km mit ca. 1700 Höhenmetern in 7:10 Stunden, für die Strecke auf der 13 km kürzeren Bergmarathon-WM benötigte ich 7:24 Stunden.
Mein Fazit: Der Riesengebirgs Marathon ist eine reine Trailrunning-Strecke, für schnellere Straßenläufer eher schwierig. Von über 700 Startern erreichten 563 das Ziel in der vorgeschriebenen Zeit, die Ausfallsquote betrug an die 20%.
Es gibt zwei Quali-Punkte für den UTMB, was dem einen oder anderen bestimmt auch was sagt.
Die Sieger erreichten folgende Finisherzeiten:
Herren:
1. Mitja KOSOVELJ (SLO): 3:07:36
2. Andrew DAVIES (WAL): 3:13:39
3. Ionut ZINCA (ROU): 3:14:00
10. Robert Gruber (AUT): 3:23:02
Damen:
1. Antonella CONFORTOLA (ITA): 3:44:51
2. Ornella FERRARA (ITA): 3:48:
3. Anna CELIŃSKA (POL): 3:51:21