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13.03.16 - Special Event

The Wild Elephant Trail (210 km): Sri Lanka, die Träne Indiens

Autor: Joe Kelbel

 

2. Etappe ca 36 km

 

Ein Donnerschlag wie eine Atombombe reisst uns etwa um 3 Uhr morgens von den Matten. Das letzte Mal hatte ich das erlebt, als die Lampe im Hotelzimmer runterfiel. Jetzt löst ein Elefant die Schußanlage aus. Zwar ist das Gebiet des Tempels mit Elektrozäunen gesichert, aber die Eingänge über die zwei Wege sind nicht dicht. An Schlaf ist jetzt nicht mehr zu denken, Blutdruck und Puls sind für immer in die Höhe geschossen.

In Zimbawe hatte mir mal ein Elefant die Kerze im geschlossenen Zelt ausgeblasen. Ich möchte sowas nicht mehr erleben. Jetzt kommt die Erinnerung an den Geruch des Monsters in mir hoch, ich hechte aus dem Zelt und werde mit dem schrillen Schrei eines Pfaues ausgelacht.  Meine Füsse sind geschwollen. Der Versuch, meine Laufschuhe anzuziehen, erinnert an John Dunbar, als er versucht, seine Stiefel anzuziehen, um mit dem Wolf zu tanzen.

 

 
© trailrunning.de 47 Bilder

 

Der Sasseruwa Tempel

 

Nachdem ich meinen Laufrucksack gepackt und eine Dose Ölsardinen gefuttert habe, gehe ich hinauf zum Sasseruwa Tempel. Dort steht die riesige, 13 Meter hohe Buddhastatue mit der „Hab-keine-Angst-Geste“. Auf dem Boden liegen lange Säulen, die mit ihren Gegenstücken in die Löcher im Felsen links und rechts der Statue passen. Demnach muss die Statue in einem riesigen Haus gestanden haben. Man sagt, König Vattagamini Abhaya hätte sich hier vor den eindringenden Tamilen versteckt gehalten. Plausibel, denn in Dambulla, weiter östlich, wo wir in sechs Tagen sein werden, siegte er 14 Jahre später gegen die Tamilen. Das war etwa 100 v.Chr. Fast genauso alt ist also der Feigenbaum, der mit seinen dicken Armen den Vorplatz des Tempels beschattet. Buddha hatte seine Erleuchtung unter so einer Pappelfeige. Dahinter findet sich die Wohnung des Klausners. Den alten Mann hatte ich letztes Jahr besucht. Heute Morgen schläft er noch, die Tempelhöhlen sind verschlossen. In einer liegt ein riesiger Buddha und schläft, die andere Höhle ist mit uralten Fresken bedeckt.

Meistens starten wir um 6:30. Widerwillig zwinge ich mich in den Laufschritt. Es wird schnell brütend heiß. Das wissen auch die einheimischen Kinder, die uns Wasser zur Kühlung zur Verfügung stellen. Im Gegenzug fotografieren sie uns mit ihren Smartphones oder wir müssen Autogramme geben: „Joe war hier!“ krizzel ich in das Schulheft. Die Mädchen sind immer am Lächeln. Immer! Wenn sie sich (in voller Montur) in den Kanälen waschen, dann winken sie mir kichernd zu. Wenn ich vorbeilaufe, rufen sie mir nett hinterher.

Anders in moslemischen Städten. Dietmar ist vor mir und hat Luftballons verteilt. Halbstarke Jungs verfolgen mich: „Gimmi ballon!“ Dann wird der Druck größer: „Gimmi Cola, gimmi kamera, gimmi money!“ Seit letztem Jahr hat sich viel verändert in dieser Stadt, es sind keine Mädchen mehr zu sehen, eine wunderschöne Moschee wurde gebaut und entlang der Strasse entstehen Häuser mit Säulen und Balkonen. Wie Fliegen kleben die Jungs an mir, jeder mit zu großem Fahrrad. Die Verpflegungstation gleicht einem Fahrradparkplatz in Münster. Es herrscht gewaltiger Druck und schlechte Stimmung, man wird begrapscht und unangenehm belacht.

Entlang des Kanals wird Wäsche gewaschen, gefischt und gebadet. Die Idylle täuscht,  mich verfolgen etwa 6 Bengels mit ihren Rädern.  Auf die Bitte, mich alleine zu lassen, reagiert man mit Lachen.  Also mache ich wieder einmal den Klaus Kinski und hole das lästernde Rudel von den Rädern. Endlich kann ich in die Büsche.

Wenige Kilometer weiter ein ganz anderes Bild: Da steht eine Mutter mit ihren drei Kindern und schenkt mir einen Strauss aus Bougainvilleblüten. Lois Antoine de Bougainville war der erste französische Weltumsegler, er nahm Tahiti in Besitz. Seine Logbücher mit der Schilderung der pazifischen Sexualität prägten meine Jugend. Und natürlich James Cook, der 1779 in Tahiti ermordet wurde.

Oh, wie driften meine Gedanken in der Hitze ab. Auf der 210 km langen Strecke gibt es eine Stelle, da kann man Bier kaufen. Es ist ein Hotel, in dem pausenlos Hochzeitsfeiern  stattfinden. Meinen grotestken Auftritt im letzten Jahr habe ich in meinem Buch beschrieben, das es ab dem 03. April zu kaufen gibt (ISBN 978-3946413011).

Heute ist alles anders, die Angestellten sind mit geschätzten 200 Gästen beschäftigt, die das Hochzeitspaar feiern. Ich komme ungehindert bis zur Bar. Sie ist geöffnet, aber niemand, der mir Bier verkaufen könnte ist anwesend. Zurück auf den Parkplatz: „ I neeeed heeeelp!“ Sofort bin ich eingekeilt von weisshemdigen Securityleuten. Das gibt’s nicht! Die zücken ihr Handy und fotografieren mich, klopfen mir auf die Schulter: „Yes, we know you from last year!“ Dann habe ich vier Flaschen Bier in der indischen Größe von 0,66 Litern  mit 8,8 Umdrehungen vor mir.

Das Foto ist grotesk: Ich mit untrinkbarem Starkbier vor einer Bar, die mit einer afrikanischen Sonnenuntergangsidylle bemalt ist. Vor mir etwa 20 Personen, die diese Szene auf ihrem Handy festhalten wollen. Ich habe die Biere in 4,8 %iges Lion umgetauscht, ein Geschenk des Hotelmanagements. Meine Weiterreise ist ein Freudenfest. Oft mache ich nun Halt und schwätze mit den Leuten. Wir lachen viel, man hat von Deutschland gehört, jeder hat irgendwie einen Bekannten, der in Deutschland arbeitet oder studiert. Meine letzte Flasche Bier schenke ich einem Arbeiter, der auf einem sichtlich elefantengeplagtem Feld arbeitet. Blaues Hemd, blaue Kappe, bunt gestreifte kurze Hose, die linke Hand auf der Hacke, die rechte an der Flasche. Ich stehe lange da, schaue glücklich zu, wie er die große Flasche mit geschlossenen Augen ex trinkt.

Nach wenigen Kilometern komme ich im Zieldorf an. Weiße Banner und weiß gekleidete Menschen kündigen es an. Es gab einen Todesfall in diesem Dorf. Deswegen müssen wir ein wenig zusammenrücken. Stefan hatte einige private Häuser für uns reserviert, aber die Trauergäste brauchen auch Platz.

Getrauert wird nicht, ein Todesfall ist etwas Normales hier. Man sieht zu, dass der Geist des Verstorbenen nicht von bösen Geistern belästigt wird. Das macht man gerne mit Arrak, der aus Palmsaft oder Reismaische gewonnen wird.

Zu mir setzt sich ein alter Mann. Seine Zähne von Betelnuss zerfressen, er hat eine Schußwunde. Anne, unsere Ärtztin, schaut sich die Wunde an: Ein Streifschuss. Ich bitte einen unserer einheimischen Helfer, ob er übersetzen kann, was passiert ist: „Elefantenjagd, sie haben unsere Felder geplündert!“ Tatsächlich sterben etwa 100 Elefanten jährlich bei Konflikten mit Menschen. Während des bis 2005 andauerden Krieges starben tausende wegen der Minen. Ich frage, was die Behörden machen, wenn man auf Elefanten schiesst. Die Antwort ist einfach: „Ein Elefant stribt nicht an drei Gewehrschüssen.“

Ich werde auch nicht am Biss einer Kobra sterben. Leztes Jahr, als ich hier war, hat man so ein Vieh mit Knüppeln durchs das Dorf gejagt. Die armdicken, 3 Meter langen Kriechtiere sind schnell wie der Blitz. Die meisten tödlichen Bisse stammen von der Krait. Sie kommt gerne ins Haus und überrascht Menschen, die auf dem Boden schlafen. Betroffen sind also nur ärmere Bevölkerungsschichten oder eben Läufer. Die schwarz-weiß gestreifte Krait verkriecht sich tagsüber gerne in Schlafsäcke und Zelte und reagiert absolut aggresiv.

Was aus meiner Reisetasche flitzt, als ich mit der Stirnleuchte reinschaue, ist auch schnell. Vor den Achtbeinern habe ich keinen Respekt mehr, das handtellergroße Ding schleudere ich weg. Sorgen bereiten mir die sechsbeinigen Kakerlaken und Ameisen.

 

 
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