Wir alle freuen uns, dass wir endlich weiterlaufen können. Stefan nervt uns abends und morgens mit seinem Briefing. Er pocht auf die Einhaltung der Sicherheits- und Ordnungsregeln. Er hat Recht, man unterschätzt schnell die Gefahren.
Es gibt heute Zeitstrafen. Nicht gegen mich, ich habe mir Sicherheitsregeln zugelegt, als diese noch nicht gefordert waren. Dazu gehört an erster Stelle: keine Ohrhörer! Nur so höre ich den Ruf der grünen Fruchttraube: „Move on, move On!“ Die Bindengrüntaube ruft ein permanentes „Barack! Barack!“ Also: „Sei gesegnet, sei gesegnet!“ Permanent hört man einen Pfau rufen, der hier nicht mit „Leo! Leo!“ imponiert, sondern mit „Piau! Piau!“ Bienenfresser, Hornvögel und unglaublich viele Sitticharten, die laut kreischend über meinem Kopf schwirren. Eisvögel, die einen blau wie Joschka die anderern grün, wie Trittin.
Die Sichtung eines Paradiesvogels ist natürlich der Hit. Die männlichen Schönheiten sind orts- und weibchentreu, sodaß jeder Läufer sie sehen kann, wenn er denn einen Blick dafür hat. Unübersehbar sind die ständig anwesenden Kuhreiher, dann die großen weißen Reiher, Löffelschnabel, Ibisse, Klaffschnabel und der Wollhalsstorch. Über den Weg huschen Warane, große, kleine. Mangusten sind hinter Schlangen her, die schnell im Gebüsch verschwinden. Auf dem Weg sitzen Eidechsen, die ihre Füße vor der Hitze schützen, indem sie sie abwechseln in die Luft heben.
Bei km 34 steht der Aufstieg in die Ritigala Mountais (766m) an. In den Bergen mit dem meisten Niederschlag Sri Lankas gibt es der Legende nach eine Wunderpflanze (Sansevi), die alle Krankheiten heilen kann. Sie wird von Yakkas, Geisterwächtern bewacht. Die Yakkas halfen im 3. Jahrh.v Chr. König Pandukhabaya die Schlacht gegen seine acht Onkels zu gewinnen. Diese Schlacht fand auf der Wiese vor dem gerade umrundeten See statt.
Nach etwa 3 km erreichen wir die Klosterruinen von Ritigala. Zunächst kommen wir an einem rituellen Badereservoir vorbei, das Pandukhabaya 400 v. Chr. anlegen ließ. Die Wissenschaft sagt, das Schwimmbad diente zur rituellen Waschung. Dagegen sprechen aber die Urinale, deren repräsentative Verzierungen von regelrechten Pinkelorgien zwischen Mann und Frau erzählen. Wir könnten jetzt der Fantasie freien Lauf lassen, jedenfalls finde ich es erstaunlich, dass man die 2400 Jahre alten Graffity auf den Klos entziffern konnte. Die englischen Wissenschaftler schreiben daraufhin, diese Pinkelorgien wären ein Akt der Entsozialisierung, ein Gegenstück zur enthaltsamen Welt der hier lebenden Mönche gewesen. Also hat man sich nicht aus Spaß gegenseitig bepinkelt?
Mein Weg führt weiter hinauf. Die nächste Plattform wurde von kleinen Zimmerchen dominiert. Die Engländer schreiben von diesem Ort, er sei für „solitary practices“ gut gewesen, also nennen wir es mal Meditationsräume. Es geht steil hinauf zur nächsten Plattform, dem Hospital, wo die Menschen mit eben diesen kostbaren, lebensverlängernden Pflanzen behandelt wurden. Aryurveda mit künstlichem Wasserfall und Ölbad.
Da ich die Story mit den Urinalen nicht mehr toppen kann, beende ich hiermit die Tempelbeschreibung und hechte von Plattform zu Plattform, hinauf auf den Berg.
Rodrigo hat Steven hinunterbegleitet. Rodrigo macht die Kontrolle oben am Ende des steilen Weges und begleitet jeden Läufer wieder hinab, weil ihn dort oben die Mücken auffressen.
Als ich dann mit Rodrigo nach unten laufe, begleitet er mich bis zum Camp. Die Läufer, die nach mir kommen, können wegen der einbrechenden Dunkelheit und der damit verbundenen Elefantengefahr nicht mehr den Weg hoch zum Tempel angehen. Sie erhalten eine Zeitstrafe.
Unser Camp ist das Visitorcenter des Naturreservates, auf Betonstelzen, gegen Elefantenrandale gebaut. Ein Monsterbau, der eher nach Amerika als hier in das touristenlose Gebiet passt. Die Sanitäranlage ist gut und erinnert an die Tempelanlage. Duschen gibt es nicht, wir benutzen die Arschbrause, die neben dem Klo angebracht ist. Die Schlafenszeit hat sich auf 8 Uhr eingependelt, dann ist aber auch absolute Ruhe.
In der Nacht hat es heftig geregnet, die Luft ist jetzt brutal schwül. Wir langsamen Amateure starten eine Stunde vor der Elite. Es geht sogleich ins dunkle Gestüpp. Nicht das erste Mal fragen wir uns, warum wir dies hier machen. 1,5 Stunden später überqueren wir bei Horiwila die Bahnstrecke Colombo- Anuradhapura.
Anuradhapurna war im 3. Jahh v. Chr, die neuntgrößte Stadt der Welt. Ich weiß nicht, wer das errechnet hat, jedenfalls ist diese Stadt wegen seines Original-Budda-Feigenbaumes weltberühmt. Ein Blick auf die Gleise und den schnuckligen Bahnhof, und jeder sieht, warum ich Gleise erwähne: Die Schmalspurgleise und der Bahnhof stammen aus dem 19. Jahrh.
Bahnfahren in Sri Lanka ist ein preiswertes, entspannendes und schönes Erlebnis, nicht wie das saugefährliche Autofahren. Heute wird mein Kumpel und Fernsehmoderator Michael aus alten Börsianerzeiten von einem Auto 70 km südlich von hier angefahren, verliert ein Bein und einen Arm. Seine Schilderungen der medizinischen Versorgung in Sri Lanka sind grauenvoll, viele von Euch haben es wohl in der Presse gelesen.
Wir haben zwei Ärzte: Josh und Anne. Sie haben mit uns viel zu tun, wobei ich
bemerken muss, dass einige Hypochonder sich ihre Blasen auch selbst abkleben könnten. Wir haben alle ein Päckchen Nadeln erhalten, um sich die Blasen abends selbst aufzustechen. 2008 wäre ich wegen so einer Blase fast gestorben: Sepsis.
Nachdem ich nun meine dunklen Gedanken aufgearbeitet habe, überholen mich die
schnellen Profis, zunächst Nathan, der britische Nationalläufer, dicht gefolgt von Sanath, dem srilankesischen Nationalläufer (er wird später auf dem Motorrad erwischt und darf umgehend abreisen). Damit wird unsere Vermutung, dass er auch letztes Jahr beschissen hat, wahrscheinlicher.
Xavi hat früher den CBXR organisiert, den Costa Brava Xtrem Run. Ich hatte von
diesem brutalen Lauf in hoher Mittelmeerbrandung berichtet. Er und seine drei
Kumpels sind Meister des Trailrunnings. Die schnellste Frau ist uns auch bekannt: Christina Khinast, die Österreicherin, die seit Jahren die Ultralisten dominiert. Mit Abstand folgt die zweite Frau: Sophithida, die Kambodschanerin, die große Hoffnung Kambodschas.
Am Baum eine Markierung aus dem letzten Jahr: ein Liebesherz. Es wurde von Salva angebracht, der damals Markierer war und gilt Nary Ly, die andere große
Hoffnung Kambodschas. Sie tritt bei der Olympiade im August in Rio an. Ich werde sie am 10. Juli im Trainingscamp in Iten/Kenia beim zweiten Itenmarathon wiedertreffen, bevor ich dann weiter zum Mauritius Marathon fliege.
Eine Familie hat eine Sitzgruppe am Streckenrand aufgebaut. Das ist ein Superservice. In Sri Lanka gibt´s keine Bänke oder sonstige Sitzgelegenheiten. Ich teile meine Dose Zwiebelmettwurst mit den Jungs. Sie sprechen kein Englisch, sind aber absolut höflich und sehr zuvorkommend. Die salzige Zwiebelmettwurst begeistert sie, beim Pumpernikel flippen sie fast aus. Die Mutter freut sich, dass die Söhne internationalen Kontakt haben. Es ist ein unbezahlbarer Moment.
Ebenfalls erwähnenswert auf dieser Etappe finde ich den Jungen, der vor einem besseren Haus steht und Eis anbietet. Dieses Eis in Plastikschläuchen kostet 10 Rupien, also 0,6 Cents und ist das köstlichste Eis, das ich je gegessen habe.
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Den Rest meiner heutigen Reise streiche ich aus meinen Erzählungen. Ich laufe generell nicht am Limit, heute bleibt mir nichts anderes übrig. Das ist gefährlich. Quasi auf allen Vieren komme ich ins Ziel, nachdem ich die letzten Reserven gegen aggressive Hunde aufgebracht habe. Meine Haut ist von roten Pusteln übersäht, es juckt und brennt überall.
Dieser Tag war Scheisse, ich habe meine Kondition nicht sichern können, zuviele Fehler gemacht, bin sonnenverbrannt, unterzuckert, verdurstet und völlig kraftlos. Wir übernachten in privaten Häusern eines Dorfes. Wen interessiert der Name? Es gibt eine herrliche Dusche hinterm Haus, das war´s für heute.