Es gibt auf dieser Welt tatsächlich einen Traillauf mit Bier, Wein und Spanferkelchen. Beim Trail de Conímbriga Terras de Sicó in der Mitte Portugals werden 111 km mit 3200 HM nonstop gelaufen, 26 Std Zeitlimit, 3 UTMB Qualipunkte, 40 Euro Stargeld. Ein äußerst anspruchsvoller, harter Trail.
Conímbriga gibt´s nicht mehr. Die Keltenstadt wurde von den Römern zerstört, die eine neue Stadt mit Prachtvillen bauten. Dann kamen die Sueben, die Wilden aus der Uckermark, also Merkelland, und viel Sand legte sich über den Ort.
Terras de Sicó gibt es noch. Es ist eine ovale Hügelkette, maximale Höhe 600 Meter, mit dunklen Korkeichenwäldern, Karsthöhlen mit Knochen von Urmenschen und Burgen und Wehranlagen aus kriegerischen Jahrtausenden.
Damit es schön schaurig ist, wird um Mitternacht gestartet. Es gibt mindestens 11 Buffetstationen, überall Bier, Fleisch, Suppe und mehr. Die ersten 24 km müssen in 5 Stunden bewältigt werden. Für mich ist der Grund zunächst naheliegend: Man soll sich nicht zulange an einer Verpflegungsstation aufhalten.
Berühmt ist der Lammbraten vom Holzgrill, dazu gibt es Gemüse und gegrillte Kartoffeln. Eine Delikatesse ist der Queijo Rabaçal, dessen würziges Aroma von den Gänseblümchen der Almen stammt. Den Käse gibt es als Frischkäse oder gut gereift, mit frischem Brot. Zu empfehlen sind die Escarpiadas, kleines, zimtiges Süßgebäck aus dem Holzofen, die man mit dem Jeropiga, einem 20 % prozentigen Wein runterspült (mach es nicht, es schmeckt nicht!).
Bier, Wein und Schnaps gibt’s natürlich überall, es ist ein Volksfest. Die Region präsentiert sich, die Dorfbewohner futtern an den VP´s mit, tanzen und síngen. Man kramt seine besten Fremdsprachenkenntnisse hervor, und verwöhnt die Läufer wie die eigenen Kinder.
Damit kommen wir zu den zahlreichen Regeln dieses außergewöhnlichen Events: Es darf nur in zwei Stationen (Base De Vita) geschlafen werden, nicht auf der Strecke. Wer erwischt wird, erhält 15 Strafminuten. Weder Schuhe noch Kleidung dürfen innerhalb der Verpflegungsstellen gereinigt werden. Das Regelwerk ist ellenlang, doch niemand schert sich drum. Die Verpflegungstellen, ich nenne sie Buffets, sind in Feuerwehrhäusern, oder Gemeinderäume der einzelnen Dörfer untergebracht. Es gibt also immer eine feste Keramikabteilung, Tanz, Musik und Kaminfeuer.
Anreise: Freitag 2:30 Uhr mit Bus zum Flughafen Hahn, 6:00 Uhr einchecken, 6:45 Uhr Abflug, 8:30 Uhr Landung ( 27 Euro Hin und Zurück). Mit der Bahn 100 km (2,10 Euro) bis Viano do Castelo, wo ich Mauro treffe. Dann geht es nach Condeixa-a-Nova, Partnerstadt von Bretten, der Stadt also, die den Night52 ausrichtet.
Die Startnummernausgabe ist im Casa do Povo, übersetzt eigentlich Volksheim. Aber Google meint „Pflegeheim“, passt auch besser. Hier wird die Pflichtausrüstung kontrolliert und die Dropbags verteilt. Das mit den Dropbags hatte ich nicht gerafft, die Website ist nur auf portugisisch. Neben dem Hallenbad ist die Sporthalle. Dort kann man die Zeit bis zum Start um 0:00 Uhr auf eigener Matte verbringen.
Der Fernseher in der Taverne bringt den Wetterbericht: Extremer Schneefall! Doch seit Menschengedenken hat es hier nicht geschneit. Wer also soll so einen Scheiss glauben? Im Tal hat es die Brücke weggerissen, Häuser sind überflutet, es wird Starkwind erwartet. Fernando Fonseca, der Chef des Trails, gibt erstmal einige Runden Bier aus. Das beruhigt die Nerven.
Ich trage die Startnummer 1, alle Erwartungen sind auf mich gerichtet. Man googelt meinen Namen. Über 6000 Teilnehmer gibt es in allen Disziplinen, und ausgerechnet ich bekomme die Startnummer 1! Die Läufer scharen sich um mich. Ich sei doch mit so einem Wetter vertraut. Sie wollen Tipps, doch meine Ausrüstung ist auf Wüstenklima ausgerichtet.
Gut, ich bin bester Deutscher und erster Deutscher bei diesem Trail, der zum sechsten Mal ausgetragen wird. Dann bin ich auch noch ältester Teilnehmer (irgendwann ist es halt soweit), und an den Buffetstationen werde ich unschlagbar sein! In Wirklichkeit war ich der einzige Amateur, der im April den PGTA über 280 km und 17.000 Hm gemeistert hat. Damit habe mir hier einen Namen gemacht und deswegen erhalte ich die Startnummer 1. Noch einen deutschen Trailläufer kennt man hier: Philipp Reiter, der an diesem Wochende den Columbustrail auf den Azoren läuft. Unser Trail ist härter:
Von 252 Startern werden nur 130 finishen.
Nein, Alkoholkonsum an den Buffetstationen sind nicht der Grund für diese außergewöhnliche DNF-Quote. Nicht in der ersten Nacht und schon gar nicht in der zweiten. Am Tag zwischen den Nächten gibt es zwar Infusionen, aber die vom Notarzt.
Seit Stunden wird die Party auf dem Platz der Republik (Praca da Republica) live übertragen. Es ist der berühmteste Lauf in Portugal. Der DJ rackert wie ein Wilder, doch niemand wagt sich ins Freie. Sintflut! Kalt! Saukalt! Sehr saukalt! Mein Leiden fängt hier an: Die Erinnerungen sind weg.
Wir sind losgelaufen, - glaube ich. Feuerleuchten hell, grell, dann versinkt alles in Regenschnüren. Nach 3 Kilometern: Conímbriga, die Römerstadt, die nicht mehr ist. Paulo, der Angolaner, ist ein Bär von einem Mann und kann Feuer spucken, sodass die Ruinen glühen! Es ist ein unglaublicher Anblick. Ich stehe da und versuche Fotos zu schießen. Die Lichterkette der Läufer zieht an mir vorbei.
Regen und Atemdunst auf der Brille, Kältetränen in den Augen, ich sehe nichts. Bei km 5 plötzlich Licht. Viele Menschen. „Aqui! Aqui!“ Wie meinen? Durch den Fluß? Es ist eine Strassenunterführung, ein Kanal, ein Drecksloch. Es ist außergewöhnlich dieses Jahr, es regnet viel, sehr viel. Ich springe eher unfreiwillig ins tiefe, eisige Wasser, die Menge hinter mir brüllt mich hinein. Ich weiß nicht warum. Es gibt Körperteile, die lieben es eher warm. Auch die werden eiskalt abgeschreckt, als ich mich zu weit von der Tunnelmauer entferne und in ein Loch falle. Ich habe noch über 100 km vor mir und schon genug.
Bei km 10, in Beiçudo, ist das erste Buffet. 20 Läufer steigen aus, als hätten sie nur vorgehabt, günstig zu futtern. Bifanas, fruta variada, tomate, frutos secos, marmelada, batata frita, bolos secos, tostas, água, isotónico, café, chá, sal, gomas, coca cola. Bifanas sind Brötchen mit dünn geschnittenem, kräftig gewürztem Schweinefleisch, dazu gibt es Pommes (batata frita). Die Schweinchen hatten hier unter den Korkeichen ein schönes Leben. Spätestens nach 4 Stunden muss ich weiter. Cut Off, verstehen?
Es gibt ein Problem: Eisiger Regen. Alle Helfer und alle Feuerwehrleute sind hier und trinken dieses Grappa-Gemisch. Oh d´ont do it! Ich dackele zum Kamin. Ico (Fransisco) ist der Besenläufer, wartet, bis ich meine Biere getrunken habe. Dann gehe ich die Stufen hinauf und werfe mich durch den Dachausgang in den Eisregen. Es geht weiter!
N. war in Afganistan stationiert. Er erzählt offen, was sein Job war: Sniper. Er hat viel zu erzählen, unglaubliche Geschichten. Er verkauft nun Powergetränke für Läufer unter einem eigenen Label.