Von Podentes, km 18, habe ich nur noch die Speisekarte aus dem Internet: Queijo, pão, mel, fruta variada, tomate, frutos secos, marmelada, batata frita, bolos secos, tostas, água, isotónico, café, chá, sal, chocolate, barras, coca cola. Queijo ist Käse, pão ist Brot. Ich kann mich an diesen Punkt nicht mehr erinnern, habe auch keine Fotos gemacht.Der Abstand zwischen den Buffets ist kurz, weite Teile der Strecke sind durch Buschwerk, da geht es nur in gebückter Haltung durch.
Ich erinnere mich an km 24 Penela, die einzige Buffetstation, die nicht in einem geschlossenen Raum ist, sondern unter einer Ballustrade an dem Kastell der Römer. Die kontrollierten schon damals, wer nach Conímbriga wollte. Die Vandalen (römische Bezeichnung Barbaren= Berber) zerstörten die Burg, zogen weiter nach Afrika und gingen in den dortigen Stämmen auf. Als sie wiederkamen, nannte man sie Mauren. Das damalige Mauretanien umfasste die heutigen Maghrebstaaten und dehnte sich bis zu den Pyrenäen aus. Ferdinand der Große (León) konnte diese wichtige Festung durch eine razzia (=Überfall) von den Arabern zurückerobern, gründete dann das Königreich León-Kastilien. Beeindruckend sind die Mauern, die Buffetstation nicht so sehr. Es ist zu kalt hier. Auch zwei Feuertische spenden keine Wärme. Joe! Gib auf! 10 Mitkämpfer verabschieden sich.
In Podentes verirre ich mich, laufe zweimal im Kreis. Der Regen geht in Schnee über, waagerechter Schnee! Auf einer Landstrasse suche ich den Weg. Die Markierung ist top, wirklich top, überall Refektoren und alle 5 Meter Markierungsband. Aber mein IQ ist stark gesunken. Ich muss zurück, weit zurück. Meine Stirnlampe will nicht mehr.
Eins habe ich gelernt auf meinen Läufen: Ersatzbatterien kann man nicht austauschen. Erstens hast du kein Licht mehr, zweitens sind die Finger geschwollen (erst recht bei so einer Kälte), drittens ist dein IQ dermassen tief, dass du nicht mehr raffst, welche der Batterien wo einen Pluspol hat. Ich krame meine Ersatzlampe raus. Die brennt wohl seit Stunden, ist also nicht mehr brauchbar. Eine Gruppe holt mich ein, die haben Licht. Gemeinsam nehmen wir den ersten Aufstieg.
Ich habe schrecklichen Husten. Mein Bellen kann Lawinen auslösen, meine Bronchien geben komische Geräusche ab. Zunächst marschieren wir in einer Reihe, dann löst sich die Reihe auf und jeder sucht panikartig festen Untergrund. Plötzlich kommt mir jemand, auf dem Bauch liegend, von oben entgegengerutscht. Mit allen Vieren rudert er entgegen seiner Rutschrichtung. Ich kann ihm nicht helfen, zwischen uns geht gerade eine 30 Zentimeter breite Schlammlawine ab. Der Berg kommt zu uns!
Meine Hände krallen sich in den Schlamm, meine Fingernägel füllen sich mit Dreck und kleinen Steinchen, die sich immer tiefer reinbohren. Es donnert, Blitze schlagen auf dem Gipfelstein (340 m) ein. Dicker, waagerechter Graupel.
Ich schaffe es tatsächlich auf den Gipfel. Ich bin so kälteblöd: Wo eben der Blitz einschlug, auf diesen Betonstein, stelle ich meinen Fotoaparat, um per Selbstauslöser ein Beweisfoto zu schiessen. Da tut es einen Schlag. Es ist glücklicherweise nur der Wind, der die Lumix von dem Stein geblasen hat. Ich muss weiter!
Schon der erste Schritt reisst mich um. Nach einem Meter habe ich auf der Seite liegend eine Geschwindigkeit erreicht, bei der ich keinen Busch mehr greifen kann. Es geht senkrecht hinab. Ich drehe mich auf den Bauch, versuche die Zehen in den Hang zu drücken, greife mit blanken, kalten Händen in Dornen, reisse Stachelbüsche und noch mehr Dreckslawinen los. Keine Chance! Mein Leben läuft nicht vor meinen Augen ab, aber ich storniere meinen Flug nach Sri Lanka am Mittwoch. Dann plötzlich ein Busch: Oh! Der riecht gut! Heiliger Kräuterduft! Ich bin gerettet.
Im Morgengrauen erreiche ich Casas Novas, km 34. Halbleichen sitzen in einer Reihe, zwei der Halbleichen können ganz gut deutsch: „Es ist soo kalt“ Ja ja ja, Kate Winslet sitzt auf der schwimmenden Tür, Leonardo hängt im Wasser und Kate sagt: „Es ist soo kalt!“ Die Halbleichen hier sind wie Kate, wimmern, obwohl doch ich hier der Leidende bin.
In der Ecke ein Kamin, an dem dampfende Kleidungsstücke schmoren. Auch hier steigen etwa 20 Läufer aus. Die Helfer sind echt gut drauf, lustige Sprüche auf international. Als ich nach zwei Bier frage, ist das Eis gebrochen. Ich hätte gerne die Chicharro, Fischsuppe aus Makrelen gegessen, aber dafür ist es zu früh.
Paolo, der Feuerspucker, fragt mich, ob ich gute Fotos von ihm in Conímbriga gemacht habe. Er kommt aus Angola, ehemalige portugisische Kolonie. Mauro ist in Namibia geboren. Seine Mutter wanderte zu Fuss über die Grenze von Angola und über die Epupafalls nach Windhoek in die Klinik. Mauro hat drei Brüder, einen in Mosambique, einen in Angola einen in Kanada. Als ich aus der Buffetstation trete, bin ich wieder topfit. Der Anblick der vielen Kate Winslets hat mich motiviert.
Es ist jetzt so hell, dass ich den Berg hinter mir sehe. Er ist tatsächlich weiß. Die folgende Stunde ist angenehm. Es regnet wie Sau, die Wege sind Bäche - aber was kümmert mich das? Der folgende Berg hat auch nur eine Höhe von 350 Metern, aber es beginnt wieder dichtes Schneetreiben. Jetzt wird es mir zu viel. Tief gebückt, mit einer blanken Hand ziehe ich die Kaputze ins Gesicht. Ja, die Kaputze habe ich nur gefunden, weil der Wind sie mir nach vorne geblasen hat.