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18.03.12 - Special Event

Ultra Marathon de Ouarzazate

Autor: Joe Kelbel

Sonntag

 

Der Muezzin kennt nachts weder Gnade noch  Ruhe.  Die winzigen Berberfinken, die in den zahlreichen Schießscharten der Kasbah sitzen, dulden auch niemanden, der lauter ist als sie, zwitschen zu jeder Gebetsstunde -  ein Höllenlärm. Es ist 4 Uhr, ich reiße die Holzverschläge auf und brülle den rostbraunen Quälgeistern ein heiseres „Halt´s Maul“ in den Arsch, worauf diese unbeugsamen Geister einen Aufstand losbrechen, der sich gewaschen hat.
Prämarathonaler Schlafmangel wegen arabisch-männlichem Geltungsdrang zwergenhafter Kleinscheißer. Und mir schmerzen Kopf und  Knochen.

 
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Der 10 Kilometerlauf kostet für Ausländer 10 Euro, der 3 Kilometerlauf nichts. Der Marathon ist ein Rundkurs, kostet 20.  15 Kilometer Strasse, und der Rest ein Horror von Steinwüste. 6 Stunden Zeitlimit. Angeblich 600 Läufer am Start, davon angeblich 100 Marathonläufer. Ich werde Fünftletzter, angeblich, es wird Überraschungen geben.

Witzig, aber ich bin mittlerweile bekannt, sehr bekannt. Tut gut, mache Fotos von den Sammlern, die es hier her verschlagen hat.  Zehn Minuten vor dem Start werden die letzten Startnumern (Dossars), die auf 2011 lauten, verteilt. Ziemliches Durcheinander. Dazwischen 10-Km-Kenianer, die heute Freude und viele Tränen haben werden. In der letzten Minute werden die Restplätze unter den Einheimischen verteilt. Riesenwirbel, der sich erst mit Polizeieinsatz entspannt.

Sekunden vor dem Start bewirkt das arabische Imponiergehabe, dass sich der gesamte Pulk noch vor der Freigabe über die Startlinie begibt. Die in der Startnummer integrierten Chips verursachen  ein Computerchaos.  Höllisches Gedränge, während die paar Europäer sich da raus und im Hintergrund halten.

 
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Es sind hauptsächlich kleine Berberfinken ohne Startnummer, die hier am Start stehen. Zwitschernde Jugend, die  kein Startgeld bezahlt hat, aber hier ihre Chance wittert. Es ist ihr Land, es ist ihr Lauf.  Sie werden mir über die Füße laufen und mir das Wasser wegtrinken, aber es könnte ihre Zukunft sein. Ich gönn`s ihnen und finanziere gerne mit meinen paar Euros diesen Event. Start.

Jede Stadt in Marokko  hat die l`Avenue Mohamed V, es sind die zentralen Prachtstrassen. Mohamed V war Sultan und wurde 1957, nach seinem Exil in Madagaskar, König von Marokko. Es ist die Hauptstrasse, aus der wir schnell eine Runde durch die Innenstadt laufen, ehe wir die 10 Kilometerläufer  wieder abliefern.

Wer glaubt, er würde  ab km 2 nichts trinken müssen, sei gewarnt: es ist verdammt trocken hier, der rissige Mund signalisiert Alarm, doch die Halbliterflaschen liegen verstreut auf der Strasse. Nichts mehr für langsame Marathonläufer, die Berberfinken haben zugeschlagen. Ich lege also einen Zahn zu. Nach 3 Kilometern habe ich Wasser, denn es gibt immer mehr Geher. Von nun an gibt es bis km 15 alle 1-3 Kilometer Wasser -  für denjenigen, der auf 3:45 läuft.  Fragt mich nicht wie, aber ich bin nach 6 Kilometern in dieser Zeit.  17 Grad zeigt die Reklametafel der Bank, es werden noch 30 Grad werden. Ich greife mir eine der im Ganzen angebotenen Apfelsinen. Wasserflasche, Fotoaparat und Apfelsine, mir schmerzen die Schultern.

Nachdem wir die 10 Kilometerläufer abgeliefert haben, laufen wir nochmals am Airport vorbei, der mit seinem Wachturm wie ein Gefängnis aussieht, dann geht es aufwärts zum Vorort Tmassinte.

 
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Die N 9, auf der ich vom Hohen Atlas heruntergefahren war, ist nun für die nächsten Kilometer unsere Laufstrecke, erfüllt vom Zweitacker- und Dieselduft. In diesem Land liebt man  Abgase und den Kampf mit den Motoren. Ich bin schon viel gelaufen, ich nehme das als knallharten Trainingslauf in einer Welt aus tausendundeiner Nacht. Und der beginnt verschärft ab km 15. Rechts geht es ab  zu den Atlas Studios in die Wüste.

Ouarzazate entstand vor 100 Jahren aus einem Stützpunkt der französischen Fremdenlegion. Viele Kriegsgefangene des deutschen Afrikacorps vom Rommel waren hier bis Kriegsende interniert. In den 50er Jahren begann mit Hitchcocks Film „Der Mann, der zuviel wusste“ die Filmindustrie zu boomen. Der Film, der demnächst in unsere Kinos kommen soll, ist „Der Ausländer“. In der Wüste stehen riesige Festungen. Wir kommen am Drehort von „Asterix und Obelix“ (mit Gerald Depardieu) vorbei. Römische Belagerungstürme und Steinschleudern stehen und liegen zerbrochen in der Gegend rum,  die Festungen werden schon für die nächsten Filme umgebaut, während der alte Schrott verkommt.

Km 21 ist erreicht. Ab hier beginnt der schöne Lauf. Doch wären die beiden Franzosen Jaques und Eric nicht, wer weiß! Mir geht es schlecht, ich kämpfe mich hinauf auf das Palteau der  großen Filme und den  Montagnes  Arguines. Ich bin froh über die Gesellschaft der Franzosen. Wir sind auf 1500 Meter Höhe und mich verlassen scheinbar die Kräfte. Dabei überhole ich immer mehr Läufer, die ich nie wieder sehen werde, denn es werden nur 49 ankommen.

 
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Es  gibt sehr viele Wasserstellen, Quadfahrer patrollieren in der Steinwüste,  bieten Wasser und Datteln an. Es ist verdammt heiß, eine trockene Hitze. Noch schlimmer ist die Psyche. Hier läuft man mit dem Kopf. Das ist mein 175ter. Immer wieder gibt es Grenzen. Hier ist so eine. Ein bunter Rinderschädel markiert die Strecke.

Hinter mir ist ein Polizeiauto. Überhaupt, sehr viel Polizei ist hier mitten im Nichts. Sie  verfolgen mich. Ich habe kaum noch Wegsteuerung, versuche geradeaus zu laufen.  Die Sonne brennt fürchterlich, vor allem die Waden glühen jetzt. Ich habe vergessen mich einzuschmieren. Gut, dass ich heute abend das Arganöl habe.

Verdammte Probleme, Magen- Darmanlage rebelliert, die dünne Luft macht das Atmen schwer und mir schmerzen die Schultern.  Ich denke an die rollenden Tüten im Fussraum des Trans-Atlas-Busses......

Ich weiss nicht, wann es war.....Wasser macht den Kopf wirr, Fata Morgana? Da stehen Panzer in Wüstentarnung aufgereiht am Horizont. Ein Foto aus der Ferne. Die Braveheart-Fotos sind ja gelöscht, bloß kein Risiko eingehen. Es wimmelt von Militär und Polizisten. Der Qued (Wadi) Malhe bietet auch keine Abwechslung. In der Ferne ist der Ort Ait Kdef mit seinen Neubauten sichtbar. Ich weiß jetzt nicht, ob ich jemals ankommen werde. Mir geht es saumäßig.

Wir laufen nun Richtung Stausee El-Mansour-Eddahbi ( „der Siegreiche und der Vergoldete“), der von dem Fluß Dades gespeist wird, Drehort von  „Die Brücke am Kwai“ und „Doctor Shiwago“. Wir werden ihn nie erreichen, denn hohe Zäune signalisieren Miltärhoheit und eine verdammt, absolut krankhaft stinkende Kläranlage kündigt von zivilisatorischen Fortschritt. An diesem Stausee beginnt der traumhafte Draafluss, der längste Fluss Marokkos, der hinter Zagora versickert. Ich hatte berichtet. Der Draa mit seinen Palmenhainen und Kasbahs ist ewas, was man gesehen haben muss.

Familien sitzen im Nichts und graben in senkrechten Minen nach Silber. Für die Claims haben sich die Familien verpflichtet, mit dem Grundwasser aus dem Minenloch das Gebiet aufzuforsten. Damit das klappt, steht an jeder Mine  ein Gendarm. Doch irgendwann ziehen die Familien weiter und von den winzigen Bäumen bleibt nur der Ring, in dem sie gepflanzt wurden.

Km 36 ist erreicht, seit einer Ewigkeit habe ich kein Wasser mehr, die Verpflegung besteht aus ein paar Datteln, die mir aber nicht bekommen. Was ich nicht weiss: Ich bin Fünftletzter, die zahlreichen Quads fungieren nun als Besenwagen, ich habe keine Hoffnung mehr auf Erfrischung.

Dieser Marathon ist für die, die hart im Nehmen ist. Es gibt nichts, gar nichts, absolut nichts, außer brutale Grausamkeit in einer Landschaft, die mal gar nichts zu bieten hat und mal absolut nichts. Wenn mich jemand fragt, ob ich hier nochmals laufen werde: Ja. Weil es absolut grenzwertig ist, grausam, trocken, pflanzenlos, unschön, schrecklich einsam und bekloppt. Aber mir gefällt das, ich mag diese Herausforderung, ich mag dieses Wochenende das nur aus Grenzsituationen besteht. Ich mag dieses Abenteuer, bei dem man jede Minute sein Überleben sichern muss.

 
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Plötzlich reisst mich ein  Wasserstand aus meinen Gedanken, schnelle Dusche unter dem klaren Wasser der Plastikflasche. Angeblich noch 5 Minuten bis zum Ziel. Ich suche den Weg durch den Verkehr der Stadt, frage nach dem Weg. Dann geht es steil hinauf  zum Ziel auf dem Place de Kasbah de Taourirt. Nach 4:12 Stunden komme ich ins Ziel, Platz 43. Was für ein Lauf! Ich habe viel erlebt auf meinen Läufen, aber das ist schon der Hit. Und ich bin schnell. Zusammen mit Eric und Jaques aus Lyon feiere ich diesen großartigen Lauf bis tief in die Nacht.

Früh am Morgen beginnt meine Rückfahrt über die bekannte Strasse durch den Hohen Atlas, über den Col du Tichka auf 2260 Metern Höhe. Es ist eine der wildesten und schönsten Strassen der Welt. Längst habe ich mich an rollende Plastiktüten und gegrilltes Ziegenhackfleisch gewöhnt. Einfach nur herrlich, so eine Tour. Das ist doch meine Welt!

 
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Zurück in Marrakesch. Die Medina ist ein Traum. Niemand weiss, wieviele Menschen in der winzigen Altstadt leben, es gibt keine Karten von dem Gewirr der Gassen, nicht ein Polizist lässt sich sehen. Klar,  ich erinnere mich an den Anschlag vom letzten Jahr  hier im Cafe Argana, am Place de Djemaa el Fna, mit  14 toten Touristen. Egal, heute Nacht regiert mein  Traum. Ich verbringe die Nacht in den Gassen und Riads, bis es Zeit ist, zum Flieger zu fahren.

Ein fantastisches Marathonwochenende bleibt tief in meinem Gedächnis und Träumen von tausendundeiner Nacht verwurzelt.

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