Wenn man am Morgen eines Laufs nicht vom Wecker geweckt wird, sondern von heftigen Regefällen, weiß man, dass es ein interessanter Tag wird.
Der Ultra Trail des Sources (UTDS, mit einem dicken ® dran – die Belgier scheinen Abkürzungen zu lieben, die mit UT anfangen) führt von Spa, bekannt durch das Mineralwasser und das Autorennen in Francorchamps, nach Trois Ponts, einem 2500-Seelen-Dorf 20 km weiter südlich. Man läuft entweder 80 km oder 42 km oder Staffel. Zur Orientierung die Ergebnisse von diesem Jahr: 140 Läufer auf 80 km (4 aus Deutschland), zwischen 6:55 und 14:58 h, 158 Läufer auf 42 km (5 aus Deutschland), zwischen 3:15 und 7:39 h, dazu 23 Staffeln auf 80 km zwischen 5:53 und 12:59 h.
Da ich mir die 80 nicht wirklich zutraue, war es also der Marathon, der in La Chefna startet. Mit inbegriffen sind 1.250 Höhenmeter, wobei Trois Ponts 250 m niedriger liegt als der Startpunkt, die Schwerkraft ist also auf der Seite des Läufers. Mit inbegriffen sind auch 2 ITRA Punkte und ein Punkt für die Qualifikation für den UTMB (also den am Mont Blanc oder die anderen Veranstaltungen der gleichen Organisation). Kostenpunkt 32 Euro, und noch einmal 10 Euro, wenn man mit dem Bus zum Start fahren möchte, was fast alle Läufer wollen. Mit inbegriffen ist auch ein Sportlerhandtuch als Geschenk, welches man aber auch für 20 Euro separat bestellen konnte, ebenso wie das Laufhemd (kräftiges Pink, sehr ausdrucksstark), das manche im Nachhinein aber auch als Geschenk bekommen haben. Eine Medaille gibt es nicht, aber das ist eigentlich ja auch ganz vernünftig so. Parkplätze in Trois Ponts gibt es dafür reichlich.
Der Tag ist da und ich bin auf alles vorbereitet. Neben der Standardkleidung befinden sich aufgrund der Wettervorhersage (anhaltender Regen) in meinem Rucksack ein langes Laufhemd, ein kurzes Shirt, eine Laufjacke, Ersatzstrümpfe, Rettungsdecke, wasserdichte Mütze, Baseballkappe – alles fein einzeln in verschließbaren Plastiktüten, dazu was man sonst noch so braucht. Ach, und eine Ersatzbrille. Ich war vor einigen Wochen beim Training einmal schwer gestürzt, und während mein Körper im Fallen statt der spitzen Steine auf dem Weg noch etwas Gebüsch zur Linderung des Aufpralls fand, war meiner Brille dieses Glück nicht beschert, als sie sich selbständig auf dem Weg nach unten machte. Und ich sehe nichts ohne Brille. Daher auch hier ein Ersatz dabei, man muss immer auf das Schlimmste vorbereitet sein. Und ich habe noch einmal geprüft, dass mein Handy ausreichend wasserdicht ist. Wenn man Fotos machen will, muss man es ja etwas exponiert tragen. Der Rucksack war also voll, aber anderen ging es auch so. Ein netter Herr und ich packen am Start nebeneinander gleichzeitig unsere Rucksäcke neu und müssen lachen, da beide genau gleich aussehen, inklusive der individuellen Plastiktüten.
Der Trail ist ein fest ausgezeichneter Wanderweg, so dass nur an wenigen Stellen die typischen Bänder von Ästen oder Zäunen flatterten. Es ist aber wirklich ein Trail. Um genau zu sein, es wird fast alles geboten. Ein wenig geteerte Straße, manchmal auch durch kleine Dörfer, viel breiter Waldweg, viel schmaler Waldweg, einige ganz schmale Rinnen, ein Abschnitt (runter) mit Tau zum Festhalten. Richtige Schuhe sind also essenziell, Stöcke äußerst sinnvoll, wenn auch nur etwa ein Drittel der Läufer welche dabeihaben. Ich liebe meine Stöcke ja und gehe für Trails nicht mehr ohne sie aus dem Haus.
Was es nicht gibt, ist eine Wasserdurchquerung, über die kleinen Bäche kann man springen, über die großen gibt es Brücken. Bei den Regenfällen der letzten Wochen und dem entsprechenden Wasserstand ist das auch gut so. Auch kann man die tiefen Pfützen auf den Wegen recht gut umlaufen, so dass meine Socken überraschenderweise großenteils noch weiß bleiben. Erstes Fazit ist also: Dies ist ein Trail, den man auch Einsteigern empfehlen kann. Nicht zu fordernd, nichts Verrücktes oder Gefährliches, aber recht vielfältig.
Der Start ist nicht am Halteplatz des Busses, sondern an einer Wegkreuzung mitten im Wald. Man muss von der Straße erst einmal eine kleine Wanderung machen. Aber schön, man hat den Wald für sich. Aufgrund des Wetters gibt es ohnehin weder Wanderer (außer einer größeren Pfadfindergruppe), noch Mountainbiker noch Reiter, also alles ganz konfliktfrei. Die Einführung des Rennleiters ist auf Französisch und Niederländisch, was natürlich zu Belgien passt, aber für Läufer mit anderer Muttersprache, deren es hier und heute allerdings nur sehr wenige gibt, nicht ganz so toll ist. Aber kein Problem, die eine Woche vor dem Lauf zugesandten Unterlagen sind ohnehin sehr ausführlich und dazu auf Französisch und Englisch.
Nach dem Startschuss, um angenehme 10 Uhr, so dass man von Deutschland prinzipiell ohne lokale Übernachtung teilnehmen kann, geht es, wohl um genau auf die 42 km zu kommen, erst einmal im Kreis 4 km lang 200 Höhenmeter runter, dann 200 hoch, dann richtig auf die Strecke.
Es regnet nicht. Der starke Regen am Morgen war wohl ein Glücksfall, so dass der für den Tag angekündigte Niederschlag zu 90% schon vor dem Start abgegangen ist. Dafür steigt der Nebel aus den Wiesen und Wäldern und man fühlt sich etwas wie in einer kühlen Sauna. Angenehm an der Strecke ist, dass es keinerlei Staus gibt, jeder kann von Anfang an recht vernünftig überholen und damit sein eigenes Tempo laufen. Die wenigsten sind zwar beim Trailrunning wirklich in Eile, aber so ist es doch ein Stück entspannter. Ab zweitem Durchlauf des Starts geht es die nächsten 5 km fast 600 m kontinuierlich und relativ gerade bergab. Man kann also durchaus etwas Tempo machen, muss nur beim Untergrund mit Geröll etwas aufpassen, dass man sich nicht übernimmt. Ich habe aber den ganzen Tag über niemanden stürzen sehen und auch niemanden mit den entsprechenden Wunden, wieder ein Pluspunkt.
Die restliche Strecke geht es dann immer ganz munter aber nie zu extrem auf und ab. An einigen Stellen sind die Stöcke äußerst hilfreich, aber nur bergauf, steil bergab geht es bis auf den Abschnitt mit Handlauf nie. Frisches Wasser gibt es bei Kilometer 12, was ganz gut ist, da die sporadischen kleinen Bächlein nicht so richtig für das Flaschenfüllen geeignet sind. Weil es zudem ja bewölkt und dazu um die 20 Grad warm ist, braucht man aber auch nicht mehr Wasser als man tragen kann.
Ab Kilometer 15 kommen dann die ersten Überholer aus der 80-km-Gruppe, die schon um 9 gestartet waren. Das Wetter wechselt zwischen Bewölkung, leichtem Nieselregen, kurzem intensiven Regen und sogar Sonnenschein, so dass am Ende für jeden etwas dabei und erträglich ist. Ich habe mich einmal zwischendurch regenfest gemacht, war aber eigentlich unnötig, wie so häufig. Anstatt von außen wird man von innen nass.
Bei Kilometer 26 kommt der einzige Verpflegungspunkt. Etwas spät vielleicht, aber umso besser ausgestattet. Neben Wasser Cola und isotonische Getränke, dazu Bananen, Orangen, Nüsse, Müsliriegel, Fruchtriegel, Gummibärchen etc., alles recht nett und reichhaltig angerichtet. Mit viel Mut hätte man sich also auch allein hier seine Kalorien zuführen können. Ich neige allerdings dazu, streng an meinen Ernährungsritualen festzuhalten, sprich morgens Weißbrot und Toast, beim Lauf ein Gel alle 30 Minuten und auf der Hälfte ein großer Haferriegel. Hat bisher immer funktioniert und wie man ja öfter hört, sind Magenprobleme auf dem Trail nicht wirklich hilfreich.
Nach dem Stopp geht es für viele recht langsam los, man merkt, dass die Ermüdung langsam einsetzt und das recht häufige, wenn auch nicht starke, Auf und Ab macht die nächsten Kilometer nicht zu den leichtesten. Schön ist da der Anblick eines Schlosses links in der Ferne, wohl Château de Froidcour, wie auch die Stellen mit Bebauung generell eher zauberhaft als störend wirkten. Nebenbei gibt es dann auch immer Symbole der lokalen Volksfrömmigkeit, was in Zeiten von schmerzenden Beinen auch eher tröstlich als irritierend ist.
Bei Kilometer 32 geht es durch den Ausflugsort Val de la Cascade, zuerst an einem Vergnügungspark vorbei, dann an den Wasserfällen und schließlich an den Eis- und Frittenbuden und den ganzen Wochenendausflüglern, was sich wirklich etwas komisch anfühlt. Wobei die Touristen die Läufer mit dem teilweise schon etwas gequälten Gesichtsausdruck vermutlich auch objektiv komisch finden.
Das letzte Stück führt von dort an einem Stausee entlang und eigentlich „nur“ hoch nach Trois Ponts, so dass ich annehme, dass ein lockeres Auslaufen bevorsteht. Stimmt aber nicht, stattdessen gibt es drei kurze aber kräftige Anstiege, woraus ich lerne, dass man nicht nur die erste Hälfte des Höhenprofils im Kopf (oder auf dem Handy) haben sollte, sondern die ganze Strecke. Geht dann aber auch irgendwie, viele gehen im wortwörtlichen Sinne einen nicht unerheblichen Teil dieses letzten Stücks.
Die Ankunft in Trois Ponts ist dann etwas unspektakulär. Die letzten 2 km führen wunderbar bergab, was mich persönlich wegen akuter Knieschmerzen allerdings eher bremst. Das Ziel ist am Kulturzentrum in Trois Ponts, direkt neben dem Carrefour, so dass man die vorletzten Meter zwischen Einkaufswagen und Autos rumkurvt. Auch eher ungewohnt.
Dann die Zielgerade und Schluss. Tatsächlich Schluss, denn eine Medaille gibt es ja nicht, also auch keine Übergabe, aber auch niemanden, der die Einlaufenden bejubelt. Schade. Dieser „Sense of Community“ fehlt mir erstmals, wenn auch die Verköstigung mit fast dem gleichen Angebot wie bei der Verpflegungsstation die Stimmung durchaus wieder heben kann.
Der Sieger hat eine wirklich geschmackvolle Trophäe erhalten, der Zweit- und Drittplatzierte jeweils Bier. Das scheint in Belgien eine Grundkonstante zu sein, es gibt immer und überall Bier – allerdings kein alkoholfreies.
Auch auf dem Lauf habe ich wieder einige Landsleute kennengelernt. Heute sind es Marc und Alexia, mit denen ich am Ende noch intensiv Erfahrungen von jenseits der Grenze austauschen kann.
Der UTDS ist wieder eine Empfehlung und macht Lust auf weitere Trailläufe in Belgien. Diese sind, anders als Radrennen und Comics, weiterhin ein Geheimtipp in Deutschland, haben aber immer noch einen Startplatz frei. Es war wirklich ein interessanter Tag, auch wenn das wider Erwarten und glücklicherweise nicht am Wetter lag.