In der Terminliste von Marathon4you.de gibt ein paar Veranstaltungen, die kein Marathon- und kein Ultralauf sind. Dazu gibt es gute Gründe. Nehmen wir den Engadiner Sommerlauf (25 und 11 km). Der Lauf hat eine lange Tradition und findet dieses Jahr bereits zum 39. Mal statt (Jubiläumstermin 2019 vormerken!). Die Teilnehmerzahlen steigen kontinuierlich, weswegen vor ein paar Jahren die Infrastruktur angepasst und die Strecke geringfügig geändert wurde. Das hat mit dem Anspruch der Schweizer zu tun, die auch im Laufsport nicht als Discounter, sondern als Anbieter perfekter Veranstaltungen bekannt sind.
Reichen tut das aber nicht, um als „Unterdistanz“ bei Marathon4you.de gelistet zu werden. Dazu bedarf es eindeutiger Alleinstellungsmerkmale. Und die hat der Engadiner Sommerlauf ohne Zweifel. Trotzdem habe ich ihn vor Jahren nur aus der Not heraus „entdeckt“. Als ich mich nämlich als Hardcore-Runner noch rühmen konnte, in keiner Ergebnisliste unter Marathon aufzutauchen, zwangen mich einige Wehwehchen vorübergehend zur Marathon-Abstinenz. Damit daraus keine Lauf-Abstinenz wird und um trotzdem im Sommer in den geliebten Bergen läuferisch und wettkampfmäßig unterwegs zu sein, erinnerte ich mich an die Schwärmereien einiger Bekannter für den Engadiner Sommerlauf. Ich war begeistert und habe inzwischen tausend Gründe, um einem weiteren Prinzip von Marathon4you.de untreu zu werden und von einer Veranstaltung zu berichten, an der wir nicht aktiv teilgenommen haben. Immerhin kenne ich die Strecke aber von meiner Sub-42-Premiere. Außerdem gibt es zwischenzeitlich weitere klassische Laufberichte.
Die 25 km lange Strecke des Hauptwettbewerbs führt von Sils nach Samedan. Hä? Nie gehört! So ging es mir. Ziemlich genau in der Mitte dieser Orte liegt aber St. Moritz. Auch wenn das nicht meine Preisklasse ist, der Nobelort der Superlative war mir natürlich ein Begriff. Man kann sich darauf verlassen: Wo die Reichen dieser Welt Urlaub machen, ist es super schön. Das bestätigen auch Arosa, Davos, Grindelwald, Gstaad, Interlaken und Zermatt (in alphabetischer Reihenfolge), allesamt auch Austragungsorte äußerst attraktiver und beliebter Laufveranstaltungen.
St. Moritz ist zwar bekannter als die anderen Orte an der Engadiner Seenplatte, aber nicht unbedingt schöner. Sils, Silvaplana, Pontresina, Celerina und Samedan, alles Orte an der Strecke des Engadiner Sommerlauf, liegen mindestens genauso herrlich an den Seen und zwischen den Bergen und sind ideale Lauf- und Urlaubsreviere.
Der Engadiner Sommerlauf weist auf seinen 25 km gerade mal 200 HM auf. Zu wenig? Seit letztem Jahr gibt es Abhilfe, und zwar von der allerbesten Sorte. Am Samstag vor dem Hauptlauf startet in St. Moritz der Vertical Sommerlauf 5,5 km und knapp 1000 HM hinauf zur Startplattform der Abfahrtsstrecke der Ski-WM inklusive dem „Freien Fall“. Wer sich nicht für Skisport interessiert: Die Plattform liegt auf 2836 m Höhe am Piz Nair. Fast senkrecht geht’s für die Ski-Stars die ersten 150 Meter abwärts. Sie beschleunigen dabei bis auf 140 km/h.
In umgekehrter Richtung und zu Fuß geht es natürlich nicht ganz so schnell. Dennoch sind die Siegerzeiten von Flurin Wehrli (48.22,3) und Flurina Eichholzer Flurina (53.04,1) beachtlich.
So erlebte M4Y-Reporter Wolfgang den „Freien Fall rückwärts“ im letzten Jahr: „Dann stehe ich am Fuße des finalen Aufstiegs und kriege den Fön. Da soll ich hinauf? Jammern hilft bekanntlich nicht, also weiter bergan. Einen blauen Fangzaun kann ich sehen, zwischen ihm und mir liegt ein heftiges Geröllfeld. Schwierig, die Steine sind los und man muss genau hinsehen, wohin man tritt. Dann stehe ich am Beginn des Fangzaunes und kann zum ersten Mal das bereitgestellte Sicherungsseil fassen. Nur auf mich konzentriert erreiche ich den Anfang der vielen Stahltreppen, die mich noch vom Ziel trennen. Die kann ich erstaunlicherweise zügig nehmen, werde an deren Ende namentlich begrüßt und bin nach einer Stunde und sechzehn Minuten oben. Puh!“
Den ganzen Laufbericht samt eindrucksvoller Bilder
kann man hier auf Trailrunning.de einsehen.
Gestartet wird in Sils, das Ziel ist in Samedan. Shuttlebusse und Gepäcktransport sind organisiert, Parkplätze vorhanden. Das Warm-up kommt sehr gelegen, es kann frisch sein am Morgen. Nicht vergessen, wir sind auf ungefähr 1800 m Seehöhe.
Der Ort ist nicht groß, schnell ist man am Silvaplanasee, wegen des Malojawindes ein Mekka für Surfer. Gegenüber des Sees liegt der gleichnamige Ort, auf unserer Seite Surlej mit der Talstation der Corvatschbahn (dazu später mehr). Nach gut 5 km ist man am im 19. Jahrhundert erbauten Schloss Crap da Sass, ein beliebtes Fotomotiv.
St. Moritz (Bad) begrüßt das Läuferfeld standesgemäß mit der imposanten Anlage des Kempinski Hotels. Das mondäne St. Moritz-Dorf liegt am steilen Nordufer des St. Moritzersees. Schnell lässt man die Häuser hinter sich und taucht in eine traumhafte, ursprüngliche Berglandschaft ein. Die Strecke ist flach, allerdings kommen durch einige kurze, manchmal durchaus knackige Anstiege, insgesamt 200 HM zusammen.
Der malerische Stazer See ist nur ein kleines Gewässer, Richtung Pontresina geht es weiter. Pontresina ist Zentrum des Nordischen Skisports. Im Ort gibt es viele alte Häuser im typischen Engadiner Stil, mit Erkern, Gittern und Malereien. Sehenswert ist auch die Kirche StaMaria aus dem 12. Jahrhundert. Und natürlich gibt es viele erstklassige und noble Hotels und Restaurants.
Gleich bei meiner ersten Teilnahme am Engadiner Sommerlauf bin ich in Pontresina gelandet und habe hier seither jedes Jahr ein paar herrliche Urlaubstage verbracht. Besonders zu empfehlen ist das urige „Hotel Steinbock“, Herberge seit 1651 und in dritter Generation unter Leitung der Familie Walther, die gleich nebenan auch das luxuriöse „Hotel Walther“ mit bekannter Gourmet-Küche betreibt. Viele Annehmlichkeiten dieses ****S-Hotels stehen auch den „Steinbock“-Gästen zur Verfügung.
Zurück zum Lauf: Es geht jetzt nordwärts nach Celerina. Vom 1500 Einwohner zählenden Ort sieht man aber mehr oder weniger nur die Kirche San Gian (Sankt Johannes), ebenfalls ein beliebtes Fotomotive beim Engadiner Sommerlauf.
Nach Samedan ist es nun nicht mehr weit, wo in der Promulins Arena das Ziel ist. „Schade, dass das Vergnügen entlang der Seen mit Blick auf die Berge schon vorbei ist“, schrieb Anton in seinem Laufbericht.
Die internationale Laufelite ist regelmäßig in der Gegend, denn die Höhe von 1800 und kilometerlange Wege ohne nennenswerte Steigungen sind ideal für ein Höhentraining. Irgendwann begegnet einem auf seinem Läufchen um den St. Moritzsee garantiert eine Gruppe Läuferinnen oder Läufer in höllischem Tempo, von denen einem der eine oder die andere bekannt vorkommt.
Die Attraktivität des Engadiner/Vertical Sommerlaufs und die einmalig schöne Landschaft der Engadiner Seenplatte sind ja alleine schon Grund genug für die weiteste Anreise. Aber für ambitionierte Marathonläufer und Trailrunner wird viel mehr geboten. Hat man sich einen schnellen Citymarathon vorgenommen, nimmt man die bewährten Trainingspläne und zieht das durch. Je nach Ambitionen kann auch ein Höhentraining dabei sein. Bei einem Bergmarathon oder beim Trailrunning, vor allem im Hochgebirge, kommen weitere Faktoren dazu.
Auf Höhen zwischen 2000 und 3000 m zu laufen, ist etwas ganz anderes als durch die Häuserschluchten unserer Großstädte zu düsen. Empfehlenswert ist, Puls und Ausdauer in solchen Höhen einmal zu testen, und zwar bevor man sich für einen Wettkampf entscheidet. Das kann man in unseren Breiten aber nicht vor der Haustür, dazu muss man in die Berge.
Ich war schon an vielen Plätzen in den Alpen. Aber nirgendwo habe ich auf 1800 m Höhe, und das sollten es schon sein, so ideale Laufbedingungen gefunden, wie hier. Man kann sich nicht nur kilometerweit auf nahezu ebenen Wegen bei verschiedenen Tempi austesten, sondern auch das Gehen und Laufen mit Stöcken, die einem im Gebirge unschätzbare Dienste erweisen. Das muss, ebenso wie das Tragen des Rucksacks und stabiler Trailschuhe, geübt werden.
Für das Bergauf- und Bergab-Training habe ich hier einige Tipps. Übrigens, 13 Bergbahnen und diverse öffentliche Verkehrsmittel in der Region sind kostenlos, wenn man in bestimmten Hotels (z. B. Steinbock und Walther, Prontesina) für mind. 2 Nächte gebucht hat. Auf dieses Angebot sollte man unbedingt achten.
Man kann z. B. mit der Corvatsch-Bahn fahren und auf 3303 m Höhe in der Sonne liegen und auf der Rückfahrt an der Mittelstation aussteigen und in einer guten halben Stunde auf die nur 40 m höher gelegene und bis auf das letzte Stück fast ebenem Weg erreichbaren Fuorcla Surlej (2755m) laufen. Wer noch Luft hat, dem raubt der Blick auf Piz Bernina (4049 m), Piz Roseg (3937 m) und unzählige andere Berg- und Eisriesen den Atem. Auch hier begegnet man den ganzen Tag über Läuferinnen und Läufer beim Training.
Wie wär’s mit einem Läufchen früh morgens zur Alp Languard (2330 m)? Von der Bergstation Muottas Muragl (die erste Bahn fährt um 7.45 Uhr) läuft man auf dem Panoramaweg (der Weg trägt den Namen nicht ohne Grund) in 60 bis 90 Minuten. Auf der Alp wird einem nach getaner „Arbeit“ ein vorzügliches Frühstück serviert. Von dort lohnt sich ein kleiner Rundweg zum „Paradies“, einer kleinen Berghütte etwas oberhalb mit fantastischem Blick u. a. auf Piz Bernina und Piz Palü. Danach hat man die Qual der Wahl: Entweder mit der Seilbahn zurück nach Pontresina, oder zu Fuß.
Nicht viel zu laufen gibt es auf der Diavolezza (rätoromanisch: Teufelin), einem Skigebiet auf fast 3000 m Höhe. Aber auf einer (geführten) Gletschertour oder auf einem Abstecher auf den Piz Trovat (3146 m) kann man mal testen, wie es sich Anstrengungen auf diesen Höhen anfühlen.
Die Talstation der Bergbahn liegt übrigens direkt an der Haltestelle Bernina-Bahn, die von St. Moritz nach Tirano führt.
Auch direkt am Lago Bianco auf dem Bernina Pass (2234 m) hält der Zug. Hier kann aussteigen und zunächst am See entlang und später auf gutem Weg zur Alp Grüm mit Prachtblick auf den Piz Palü laufen. Gemütliche Wanderer brauchen dafür 90 Minuten. Etwas unterhalb der Hütte ist ebenfalls ein kleiner Bahnhof, von dem aus man mit der Bahn zurück zum Bernina Pass fahren kann.
Ein absoluter Leckerbissen im doppelten Sinn ist ein Ausflug (mit der Bahn oder zu Fuß) von Sils auf Furtschellas. Kleine Erinnerung: In Sils wird der Engadiner Sommerlauf gestartet. Von der Bergstation gibt es einen Rundweg zu nicht weniger als 6 Bergseen. Als gemütlicher Wanderer braucht man für die Strecke mit ca. 350 m Höhenunterschied 2,5 Stunden. Zurück an der Bergstation sollte man dann unbedingt ein „Plättli“ mit Bündner Fleisch-, Wurst- und Käsespezialitäten bestellen.
Auch das soll nicht unerwähnt bleiben: Mir sind unterwegs mehr Murmeltiere begegnet als Menschen. Massentourismus findet anderswo statt - in der Schweiz nicht.
Natürlich gibt es 100 weitere Möglichkeiten, sich als Bergläufer oder Trailrunner zu testen, zu trainieren oder einfach nur Spaß zu haben. So schön und lohnend der Engadiner Sommerlauf auch ist, wer das Wochenende um ein paar Tage verlängert, wird in vielfacher Hinsicht überaus reich belohnt.
Wir sehen uns beim 40. Engadiner Sommerlauf und 3. Vertical Sommerlauf am 17. Und 18. August 2019
Männer
1. Wehrli Flurin, Pontresina 48.22,3
2. Dalcolmo Nico, Dürnten 48.36,8
3. Blatter Heinz, Samedan 48.46,9
Frauen
1. Eichholzer Flurina, Zernez 53.04,1
2. Kälin Marina, St. Moritz 56.07,6
3. Kaufmann Seraina, Ftan 56.23,1
166 Finisher
Männer
1. Kosgei John Kiprop, KEN-Naivasha 1:22.48,2
2. Boudalia Said, I-Questo-Vas 1:25.14,1
3. Lopua Dennis Cox, KEN-Naivasha 1:27.21,5
Frauen
1. Doll Stefanie, D-Gundelfingen 1:33.40,1
2. Njeru Joyce Muthoni, KEN-NAIVAS 1:34.56,7
3. Iozzia Ivana, I-Lurate Caccivio (CO) 1:35.50,8
919 Finisher