Er soll alleinstehenden Damen kein schlechter Gesellschafter gewesen sein, der ansehnliche und charmante Mann mit Schnauzbart. "Immer von seiner Arbeit verfolgt und immer auf der Flucht vor seiner Krankheit" entdeckte er mit 37 Jahren das Engadin. Wenn es seine Migräne erlaubte, war er oftmals sieben Stunden und mehr am Tag unterwegs, bevor er in sein dürftig möbliertes Zimmer zurückkehrte. In Sils Maria war auch Theodor Adorno in den sechziger Jahren Stammgast. Er schrieb über die karge Unterkunft von Nietzsche: "Das Haus zeigt, wie würdig man vor achtzig Jahren arm sein konnte.“ Kurz ein Foto von diesem geschichtsträchtigen Haus, welches heute Museum und Hotel ist, und weiter der laufenden Meute hinterher.
Erst als dieses Traben und Rascheln mit dazwischen gestreuten Wortfetzen der anderen Läufer verfliegt, kehrt Ruhe ein. Das Ortsende ist erreicht und auf dem freien Feld bekommen wir gleich die Kraft der berühmten Oberengadiner Sonne zu spüren, es duftet nach Heu.
Ein deutscher General namens Graf von der Lippe, erbaute 1906 das Schloss Crap da Sass, das in seiner vollen Größe vor uns liegt. Der Silvaplana kommt in Sichtweite. Vor ein paar Tagen fand hier die älteste Windsurfregatta der Welt statt, der "Engadin Surf Marathon". Die Läufer vor uns spiegeln sich als Farbtupfer im klaren See.
Der Kies knirscht von unseren Schritten und mit diesem Viertausender-Panorama merken wir gar nicht, wie die nächsten vier Kilometer verfliegen. Die Sonnenbrille auf Augen schützt mich vor der hell scheinenden Sonne auf den glitzernden Berg vor mir. Seinem Ruf als Sonnenstube der Schweiz wird das Engadin tatsächlich gerecht. Ich liebe „Sonnenläufe“.
Von weitem schon hört man Blasmusik. Die große Gruppe Musiker ist rotweiß gekleidet und spielt für unsere Ohren irgendwie gekonnt falsch neben dem Ton. Dies klingt schon ziemlich schräg, sorgt nichtsdestotrotz oder gerafür Stimmung.
Nur einen Steinwurf weit entfernt, laufen wir schon auf den Lej da Champfèr zu. Der See ist glasklar. Einige verlassene Ruderboote sind am Ufer befestigt. Keiner spricht, die Kulisse ist über jeden Kommentar erhaben.