Sollen doch andere auf den Winter warten: Wir sind jetzt schon mal da. Luxusboutiquen und edle Restaurants bekommen wir nicht zusehen, dafür laufen wir am Spielcasino von St. Moritz vorbei. Kurz darauf, so schnell kann ich die vielen goldenen Sterne gar nicht zählen, sind wir schon am Grand Hotel Kempinski angelangt.
Liegt es am kurzen Laufrock oder an meinem auffälligen Oberteil? Wer Wohlstand zu zeigen hat, stellt ihn hier ungeniert aus. Einem Sportwagenfahrer mit Liechtensteiner Kennzeichen bin ich immerhin ein Foto wert. Schön, sich einzubilden, mit jedem Schritt modische Akzente zu setzen. Nicht dass es mir am Ende ergeht wie dem Komponisten Richard Strauß. Der nämlich kehrte im Sommer 1904 durchnässt und vom Regen gezeichnet von einer Bergtour des Fuorcla Surlej ins Grand Hotel St. Moritz zurück. Der Rezeptionschef erachtete Strauss einer Beherbergung für unredlich und meinte, Rucksack-Touristen hätten hier nichts verloren. Strauss wanderte weiter bis nach Pontresina, welches, so heißt es, von den Brotkrumen, die vom benachbarten Tisch in St. Moritz fielen, lebe. Sein Gepäck ließ er schnurstracks vom Grand Hotel nachschicken.
1830 lebten in St. Moritz nur gerade 200 Einwohner. Gewissermaßen jedem bekannt ist, dass St. Moritz als Geburtsort des alpinen Wintertourismus (1864) und Schauplatz von zwei Olympischen Winterspielen (1928 und 1948) ist. Und wer hat´s erfunden? Ein Schweizer! Der Hotelier Johannes Badrutt. Englische Sommergäste waren zu einer Wette aufgelegt. Badrutt wettete, dass es im Winter in St. Moritz viel schöner sei als im Sommer. Sie könnten kommen und sich davon überzeugen, er übernimmt die vollen Kosten, sollte dies nicht zutreffen. So kam es wie es kommen musste. Natürlich reisten die Engländer zur Winterzeit an und verließen St. Moritz erst, als der Osterhase seine Eier im grünen Gras versteckte. Dies sprach sich herum und Winter für Winter folgten immer mehr Wohlhabende den englischen Pionieren.
Freude an der Farbenvielfalt. Fast schon unwirklich still liegt er da, der berühmte St. Moritzer See, über den im Winter (weil zugefroren) beim White-Turf-Rennen die Millionäre seit 1907 ihre Pferde jagen.
Auf der gegenüber liegenden Seite des Sees spiegelt sich die rote Rhätische Bahn und prachtvollen Hotelbauten im See. Eine ältere Generation Spaziergänger überträgt ihren gemächlichen Lebensrhythmus auf uns und die Atmosphäre am See.
Plötzlich geschieht etwas Unerwartetes - damit hat keiner gerechnet. Es geht steil aufwärts, zunächst noch in der Sonne, bald darauf im Wald. Wer hier laufen möchte, den treibt weniger der bergläuferische Gipfelehrgeiz. Eher lautet die Devise: lieber lieblich (ca. 200 HM) als ständig steil.
Nur zwanzig Pferdekutscheminuten vom urbanen Zentrum St. Moritz entfernt streifen wir den Lej da Staz nur kurz und laufen an einem um 1900 erbauten Restaurant vorbei. Die Karte lockt mit üppigem „Engadiner Frühstück“. Rösti, Schinken im Brotteig und vielem mehr. Mir kommt unser Frühstücks-Alptraumerlebnis wieder in den Sinn.