Atemberaubend, magisch, faszinierend - so kann man die Drei Zinnen, das bekannteste und wahrscheinlich meistfotografierte Motiv der Dolomiten beschreiben. Von der Straße im Tal aus, wenn man Richtung Cortina fährt, konnte ich sie schon bewundern, aber aus nächster Nähe, bzw. direkt davor bin ich noch nie gestanden.
So freue ich mich ganz besonders, mit dem Wahrzeichen der Dolomiten an diesem Wochenende auf Tuchfüllung gehen zu können. Mal abgesehen von einer Wanderung gibt es für uns Laufsportler insgesamt nur zwei Möglichkeiten den imposanten „Tre Cime di Lavaredo“ bei einer Veranstaltung von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Die erste Option bietet sich beim Lavaredo Ultra Trail, kommt aber wohl nur für wenige in Frage. Da muss man schon in der Lage sein, 120 Kilometer und 5.800 Höhenmeter zu bezwingen. Beim kürzeren Cortina Trail im Rahmen des LUT passiert man die Drei Zinnen leider nicht.
Deutlich kommoder geht es an diesem Wochenende beim Drei Zinnen Alpin Run, hier sind 17,5 km und 1.350 Höhenmeter zu meistern. Das ist für mich eine geile Alternative, die ich ausnützen will. Bereits zum 19. Mal findet der Lauf mit Start in Sexten, im äußersten Osten Südtirols, heuer statt. 1.000 Startplätze werden angeboten und die gehen weg wie warme Semmeln. Bereits seit einigen Wochen ist der Lauf ausgebucht. Wer ebenfalls mal Interesse hat, sollte sich rechtzeitig um eine Anmeldung kümmern. Überraschend für mich: Bei den Deutschen ist dieser Lauf offenbar sehr beliebt, wie ich bei einem Blick auf die Starterliste feststellen kann. 30 % aller Teilnehmer kommen aus Deutschland.
Ein paar kleine Hürden gibt es aber vorab für Läufer/innen aus dem Ausland noch bei der Anmeldung zu überwinden. Sofern man nicht Mitglied bei einem bei der IAAF anerkannten Verein ist, muss man in Italien immer ein ärztliches Gesundheitszeugnis vorlegen und beim Drei Zinnen Alpine Run zudem auch Inhaber einer Runcard „Mountain & Trail“ sein. Die ist aber recht unproblematisch für 10 Euro online zu erwerben.
Auch Angehörige und Freunde können den Zieleinlauf an der Drei Zinnen Hütte hautnah miterleben, hier wird vom Veranstalter ein Shuttle-Service (8 Euro) von Sexten zur Auronzohütte angeboten. Von dort geht es zu Fuß in einer Gehzeit von etwa eineinhalb Stunden mit fantastischem Panorama, teilweise direkt unter den drei weltberühmten Bergspitzen zum Zieleinlauf an die Drei-Zinnen-Hütte. 100 Plätze werden hierfür angeboten und es empfiehlt sich auch diese Buchung rechtzeitig vorzunehmen.
Los geht‘s am Freitag mit der Startnummernausgabe in Sexten. Ab 13 Uhr besteht die Möglichkeit die Startunterlagen im Haus Sexten, das sich direkt am Startplatz befindet, abzuholen. Am Ortsende, an der Talstation der Gondelbahn zum Helm, ist der Veranstaltungsmittelpunkt recht einfach zu finden und es gibt im Umkreis auch viele Parkplätze. Die Drei Zinnen selber sind von Sexten aus nicht zu sehen, da steht uns die Dreischusterspitze im Wege.
Am späten Nachmittag ist nicht sonderlich viel los, zwar gibt es eine kleine Schlange beim Einlass, da erst kontrolliert wird, ob Gesundheitszeugnis und Runcard beim Veranstalter vorliegen, aber dann geht es ruckzuck. Als Teilnehmergeschenk gibt es heuer eine hochwertige, wasserdichte Gepäcktasche, die wie ein Rucksack umgehängt werden kann. So kann man bequem seine Wämekleidung wieder vom Ziel nach unten transportieren. Über eines sollte sich nämlich jeder im Klaren sein: Wer rauf will, muss auch wieder runter - und zwar zu Fuß. Eine Transportmöglichkeit bergab von der Drei Zinnen Hütte gibt es nicht. So sind zu den 17,5 km Rennstrecke nochmals etwa 5 km einzuplanen. Die dürfen natürlich gemütlich gewandert werden.
Wer dann will, kann auch gleich eine zünftige Bergsteigerbrotzeit in die gut dimensionierte Tasche packen. Die typischen Südtiroler Leckereien befinden sich mit der Startnummer ebenso in unserem Startersackerl. Da sind unter anderem Schüttelbrot, Bergkäse, Kaminwurzen und Äpfel darunter. Finishershirts und weitere Bekleidungsutensilien aus der Drei-Zinnen-Kollektion können gegen Bares erworben werden. Sehr chic, nicht zu aufdringlich finde ich. Besonders der Hoodie in Funktionsqualität hat es mir angetan. Ab 18 Uhr wird zur traditionellen Knödelparty mit Tiroler Livemusik im Haus Sexten eingeladen.
Am Abend wird es leider ungemütlich, der Sommer verabschiedet sich. Wie von den Wetterfritzen angekündigt, fängt es an zu regnen und hört auch die ganze Nacht nicht wieder auf. Ich mache mir ernsthafte Sorgen. Hoffentlich wird nicht auf die Alternativstrecke auf den Helm (Monte Elmo) gewechselt.
Beim Frühstück weiß meine Hotelchefin aber schon mehr: Es wird definitiv zu den Drei Zinnen gelaufen, aber es gibt eine Startverschiebung um eine Stunde. Der neue Start ist um 11 Uhr. Die Info kann man auch der Website und auf Facebook entnehmen. Eine Stunde nochmals in die Kiste ist trotzdem nicht drin, die Abgabe der Wärmebekleidung bleibt bei 9 Uhr. Der Transport ist äußerst aufwändig. Erst in Transporter geladen und anschließend per Hubschrauber werden unser Bekleidungssäcke nach oben geflogen, das benötigt natürlich einen gewissen Zeitrahmen.
Im Haus Sexten besteht noch die Möglichkeit für ein Frühstück und der große Veranstaltungssaal bietet auch viel Platz. Keiner muss bei dem nasskalten Wetter im Freien rumzustehen. Der Wettergott hat dann doch ein Einsehen mit uns Läufern und schließt gerade noch rechtzeitig um 9 Uhr seine Schleusen. Auf der Startgeraden werden wir vom Sprecher mit den neuesten Informationen versorgt. Ich höre etwas von einer Streckenverkürzung ….
Während die Top-Läufer an der Startlinie bereits mit den Hufen scharren, erhalten wir von Rennleiter Gottfried Hofer kurz vor dem Start nochmals detailliertere Informationen über die Streckenverkürzung: „Es wird heute nur eine Sprintstrecke zu den Drei Zinnen geben“. Zehn Zentimeter Neuschnee an der Büllelejochhütte machen die Passierbarkeit der Originalstrecke unmöglich, das Risiko wäre einfach zu hoch. Die neue Streckenlänge wird etwa 12 Kilometer betragen, bei den Höhenmetern ändert sich nicht so viel, sie sollen noch bei etwa 1.300 Meter liegen. Auf direktem Wege führt die Strecke jetzt ab der Talschlusshütte durch das Altensteintal zur Drei-Zinnen-Hütte auf 2.400 Meter. Das ist immer auch die Abstiegsroute.
Dann geht’s aber pünktlich los, Gottfried Hofer eröffnet mit einem Startschuss das Rennen. Vom Startkorridor biegen wir nach rechts auf die Durchgangsstraße zu einer Ehrenrunde durch Sexten ab. Viele Zuschauer haben sich trotz des nicht gerade einladenden Wetters eingefunden und feuern uns lautstark an. Da sind auch einige wunderbare Exemplare von alten und teilweise riesigen Kuhglocken darunter. In der Ortsmitte ist die Kehrtwende, ein kurzer Stich lässt bereits die Oberschenkel warm werden. Oberhalb der Hauptstraße geht es an der Kirche und an einigen historischen Häusern vorbei, wieder zurück Richtung zum Startgelände.
Zwischen Sexten und Moos spürt man bereits, dass die Route meist leicht ansteigt. In der Ortsmitte von Moos liegen bereits drei Kilometer hinter uns. Nach rechts führt unser Weg ins Fischleintal. Der Name leitet sich vom rätischen „Fic“ für Geröll oder Mure ab, hat also überhaupt nichts mit Fischen zu tun. Knapp fünf Kilometer ist das Tal lang. Eine Buslinie führt bis zur Fischleinbodenhütte und einem großen Wanderparkplatz als Ausgangspunkt für eine Wanderung zu den Drei Zinnen und anderen Gipfeln. Für einige Minuten blockieren wir jetzt diese Verbindung, unsere Strecke führt über ca. einen Kilometer auf der Teerstraße entlang.
Dann geht es aber runter vom Asphalt und wir betreten den Naturpark Drei Zinnen (UNESCO Welterbe der Dolomiten). Er ist der nordöstliche Teil der Dolomiten und wird im Norden durch das Pustertal, im Osten vom Sextnertal, im Süden durch die Landesgrenze zu Belluno hin und im Westen durch das Höhlensteintal begrenzt. 500.000 Besucher kommen jährlich hier her.
Durch sanft ansteigende Lärchenwiesen geht es auf breiten Wegen noch moderat steigend voran. Direkt neben der Schotterstraße führt auch ein schmaler Pfad parallel zum Weg entlang. Mir gefällt der weichere Boden wesentlichen besser, so weiche ich auf den Single-Trail so lange wie möglich aus. Alles ist hier noch im grünen Bereich und gut zu laufen, auch wenn die Steigungsprozente ganz langsam zunehmen. Nach knapp 6 km erreichen wir die Fischleinbodenhütte, kurz davor steht für uns ein Besuch der ersten Getränkestation an. Wasser und warmer Tee werden angeboten.
Nur knapp zwei Kilometer sind es bis zur nächsten Getränkestation an der Talschlusshütte. Immer dichter wird der Baumbewuchs und auch unser Untergrund wird immer gröber, wobei es einige Rinnsale zu überqueren gibt, die den Regenfällen der Nacht geschuldet sind. Teilnehmer aus 20 Nationen sind heute am Start. Vor mir läuft ein schneeweißer Rauschebart im roten Läuferdress mit Aufschrift Fairbanks Alaska. Genau so stelle ich mir einen typischen Goldsucher am Clondike vor. „You come from Alaska?“. „Nee, from Germany“. Ahhhha. Der Nikolaus Oberle ist heute bereits zum 19. Mal am Start. Hat also alle Austragungen mitgemacht. In Alaska hat er gute Freunde, zu ihren Ehren trägt er das Shirt.
Nach 8 km erreichen wir die Talschlusshütte (1540 m), wir haben hier etwa 300 Höhenmeter im Aufstieg hinter uns. Unser Weg führt geradeaus weiter. Die Originalstrecke hätte hier eine Biegung nach links genommen und hinter dem „Einser“, dem Cima Uno entlang geführt, der im Übrigen zu einem weltweit einzigartigen Naturschauspiel zählt. Neben Einser existieren noch weitere mit Ziffern benannte Berge.
Die fünf Dolomiten-Gipfel Neuner, Zehner, Elfer, Zwölfer und der Einser links von uns bilden die größte Sonnenuhr der Welt, die sogenannte Sextner Sonnenuhr. Und so funktioniert sie: Von Moos aus betrachtet stimmt der Lauf der Sonne mit den Bergbezeichnungen überein. Zur Wintersonnenwende steht die Sonne um 12 Uhr genau über dem Zwölfer und um 13 Uhr genau auf der Spitze des Einsers. 9 Uhr- und 10 Uhr-Sonnenstände sind wegen des vorgelagerten Bergrückens von Moos aus zwar nicht sichtbar, jedoch gilt hier dasselbe Prinzip.
Außer den untenliegenden Schuttströmen gibt es nicht viel zu sehen vom Einser, nur hin und wieder öffnet sich die Wolkenschicht und lässt einen Blick auf den obersten Teil des Gipfels frei. Hoffentlich kommt nix runter. Von den steilen Felswänden ist im Oktober 2007 ein rund 60.000 Kubikmeter großer Felskeil abgebrochen.
Unser Pfad wird zunehmend steiler und windet sich an den Geröllhalden des Einser durch das Altensteintal aufwärts. Der Trail ist gut in Schuss, schwierigere Abschnitte sind oft mit hölzernen Bohlen als Stufen ausgebaut. Im mittleren Teil des Aufstiegs gibt es für uns heute wenig von der Umgebung zu sehen, aber als wir die tiefliegende Wolkenschicht durchbrechen, öffnet sich auch zunehmend für uns das Panorama. Ich bin heute aber auch mit etwas weniger zufrieden. Es könnte ja auch regnen und so bin ich durchaus glücklich mit den etwas geringeren Aussichten.
An der Baumgrenze wird die Vegetation immer spärlicher. Die Steilheit der Streckenführung nimmt hier spürbar etwas ab, hie und da queren wir auch den Hang, was uns etwas Zeit zu einer kurzen Erholung gibt. Nach den beiden Bödenseen ist auf der Hochfläche auch bereits die Drei Zinnen Hütte auszumachen. Sie liegt genau am Fuße des Paternkofels. im Sommer kommen täglich bis zu 2.000 Besucher. Eine letzte kleine Steigung liegt noch vor uns, wo mir bereits viele Finisher entgegenkommen, die sich auf dem Rückweg befinden.
Dann habe auch ich es geschafft, jeder bekommt noch eine wunderschöne Medaille um den Hals gehängt mit den Drei Zinnen darauf abgebildet. Aber wo sind sie denn jetzt eigentlich? Viele Wolken ziehen durch und ich bin etwas orientierungslos. Hier von der Hütte aus müsste das Wahrzeichen der Dolomiten eigentlich zum Greifen nahe sein.
Eine kleine Entschädigung ist vorerst das unglaubliche Kuchenbuffet direkt neben dem Zieleinlauf. Nach einer ersten Stärkung ist mir aber richtig kalt, ich begebe mich schnell zu meiner Wechselbekleidung. In einem Zelt kann man sich umkleiden. Lange mag ich mich aber auf dem zugigen Hochplateau nicht aufhalten, zumal sich die Namensgeber immer noch nicht zeigen.
Mehrmals drehe ich mich beim Abstieg um, ob sich doch noch was tut. Und plötzlich werde ich doch noch belohnt. Von Westen her öffnet sich die Wolkenschicht, zuerst liegt die Westliche Zinne frei und nach und nach präsentieren sich die gesamte Werkgruppe fast wolkenfrei. Genau 2.999 m ist die mittlere, die Große Zinne hoch. Magische zwei Minuten dauert der Spuk. Genauso schnell wie sich das Wolkenfenster geöffnet hat, ist es auch wieder verschlossen. Für heute habe ich genug gesehen.
An der Fischleinbodenhütte fährt alle paar Minuten ein Busshuttle und bringt uns wieder zurück ins Startgelände, wo am Nachmittag auch schon die Pastaparty steigt. Für den Gutschein bekommt man nicht nur einen Teller Nudeln, sondern gleich ein komplettes Menü mit Pasta, Kuchen, Obst und Getränk. Zuschauer und Begleiter, die nicht mit nach oben gekommen sind, konnten sich das Rennen live auf einer Großbildleinwand ansehen.
Am späten Nachmittag scheint wieder die Sonne. Ich denke, hier muss ich noch einmal vorbeischauen, die Originalstrecke laufen und die Dolomiten bei Sonnenschein erkunden.