An der Flaggerschartenhütte (2.481 m) liegen 48 km hinter mir. Lachende Helfer umsorgen mich und die anderen Läufer an der hier befindlichen 3. VP. Das Angebot ist reichhaltig. Suppe, Bananen, Wassermelonen, Riegel, Süßkram, Iso u.a.m..
Die Streckenbeschaffenheit ändert sich auf dem weiteren Weg zum Penser Joch kaum. Meist anspruchsvolle Singletrails führen abwechslungsreich an kleinen Seen und Bächen vorbei. Die höher steigende Sonne sorgt dafür, dass trotz der noch recht angenehmen Temperaturen der Flüssigkeitshaushalt über die Hautoberfläche reguliert wird. Jetzt heißt es genug trinken und Sonnenschutz auftragen. Nach etwa 12 h Laufzeit kommt die Hütte am Penser Joch in Sicht. Dort ist mit ca. 56 km knapp die Hälfte der Gesamtdistanz geschafft.
Ich schnappe mir meinen Drop-Bag und wechsle die völlig verschwitzte Kleidung. Eine Portion Pasta und zwei alkoholfreie Biere machen mich fit für den Weiterweg. Für 59 Teilnehmer ist hier jedoch das Rennen bereits zu Ende. Sie scheitern zwar nicht an der Cut-Off-Zeit um 17:00 h. Sie beugen sich vielmehr dem Höhenprofil und den technischen Anforderungen des Südtirol Ultrarace und nutzen die Möglichkeit, von hier aus zum Startort zurückgebracht zu werden.
Der Ausspruch eines Teilnehmers trifft es auch aus meiner Sicht auf den Punkt: „If this is trail, the Transgrancanaria race is a walk in the park.“
Um 13:00 h, 4 Stunden vor der Cut-Off-Zeit verlasse ich den VP. Einige Wölkchen und etwas Wind machen den Weiterweg erträglicher. Nächstes Ziel ist das Gerölljoch auf ca. 2.500 m. Über Blöcke und Restschneefelder geht es dort hinauf. Bergwachtler notieren die Startnummern und schicken uns dann auf einen ca. 1.000 Höhenmeter langen Abstieg. Spätestens hier wird jedem klar, woher der Name des Jochs stammt. Die Oberschenkel brennen, Stockeinsatz kann die Schläge auf die Kniegelenke etwas abfedern. Im Abstieg kann ich etliche Teilnehmer einsammeln. Bergauf werde ich mit zunehmendem Alter langsamer, deswegen muss ich bergab einfach mutiger sein.
Nach dieser Steilstufe wird das Tal etwas weiter. Wir überqueren einen Bach und erreichen eine ausgedehnte Weidefläche mit Kühen und jeder Menge Haflingern. Die scheinen sich paradiesisch wohl zu fühlen. Sie jagen im Galopp kreuz und quer über das Gelände.
Einige Almhütten kommen in Sicht. Ein paar Einheimische stehen neben dem Weg und halten zwei Maßkrüge in der Hand. Es ist wohl klar, dass ich mich nicht für den mit Wasser entscheide. Leicht benebelt fällt der weitere Abstieg auf einem teilweise befestigten Fahrweg dann auch gar nicht schwer.
Ich erreiche bald den Talgrund des Valle Sottomonte (1.500 m). Hier steht die Nachmittagshitze und es bewegt sich kein Lüftchen. Ein Schotterweg zieht sich schier endlos zum Verpflegungspunkt Ebenberg Hütte. Das Helferteam dort erfüllt nahezu jeden Wunsch und ist einfach gut drauf. Die Ansage, dass es bis zum nächsten Übergang, der Alplerspitze (2.624 m) nur ca. 2 1/2 Stunden wären, höre nicht nur ich gerne. Glauben will ich das aber erst, wenn ich oben bin.
Meine Skepsis stellt sich schnell als richtig heraus. Bis zur Alpleralm geht es noch recht flott auf einer Fahrstraße aufwärts. Dann zeigt ein Markierungspfeil nach rechts und es wird weglos. Rote und weiße Farbklekse zeigen die ungefähre Wegrichtung an. Hohes Gras, Feuchtgebiete, Geröll, Blockgelände, alles was die Orientierung und das Vorwärtskommen erschwert, wird hier aufgeboten. Ich ziehe an einigen, nicht nur leise fluchenden, Laufkollegen vorbei und erreiche nach fast 3 Stunden einen Sattel. Die Hoffnung, dass es danach eher wieder abwärts gehen könnte, stellt sich schnell als Trugschluss heraus. In leichter Gratkletterei geht es erst mal noch gute 100 Höhenmeter in Richtung Gipfel des Alpler.
Wolkenfetzen jagen über den Grat und von links und rechts nähert sich bedrohliches Donnergrollen. Es geht recht ausgesetzt auf einem weiteren Grat in Richtung Pfandlspitz (2.538 m). Es beginnt zu regnen und ich beeile mich, möglichst schnell aus dem Blitzschlag gefährdeten Gratgelände abzusteigen.
In der schwülwarmen Luft und unter der schnell übergeworfenen Regenjacke schwitzt es sich besonders gut. Die dabei generierte Duftnote übt eine wohl magische Anziehungskraft auf eine Gruppe Schafe aus. Laut blöckend nähern sie sich von hinten, um begehrlich an meinen Waden zu schnuppern und das offensichtliche Objekt ihrer Begierde, meine Regenjacke, anzuknabbern. Erst als ich mich mit erhobenen Teleskopstöcken zur Wehr setze, lassen sie von ihrem Vorhaben ab.
Glücklicherweise streift uns nur ein Ausläufer des Gewitters und nach wenigen Minuten ist der Spuk vorerst vorbei. Der Weg schlängelt sich über Almen und Latschenfelder zur Hirzer Hütte bei km 80. Am dortigen VP komme ich gegen 20:20 h an. Kaum sitze ich unter einer Überdachung, beginnt es erneut zu gewittern. Ich esse, fülle meine Flaschen auf und ziehe Regenkleidung an. Nach einigem Überlegen entscheide ich mich, trotz des stärker werdenden Regens, aufzubrechen. Friedrich M., der älteste Teilnehmer, schließt sich mir an. Vor uns liegen ca. 700 Höhenmeter Aufstieg zur Oberen Scharte des Hirzer.
Blitz und Donner begleiten uns beim Aufstieg, kommen aber glücklicherweise nicht näher. Allerdings geht der Regen in Hagel über. Durch die Kapuze der Regenjacke werden die Einschläge nicht gedämpft. Während wir weiter aufsteigen kommen uns etliche Läufer entgegen, die teilweise schon am Einstieg des mit Drahtseilen versicherten Schlussanstiegs waren und wegen des Gewitters dort umgekehrt sind.
Wir erreichen eine kleine Felsnische, in der sich bereits zwei Kollegen verkrochen haben. Sie entscheiden sich gerade in dem Moment zur Umkehr, als wir vor ihnen stehen. Wir nehmen ihre Plätze ein und warten ab. Der Hagel geht zwar wieder in Regen über, die schwarze Wolkenwand des Gewitters steht aber immer noch über dem Tal und Blitz und Donner haben auch nicht nachgelassen.
Nach wenigen Minuten ohne Bewegung kriecht die Kälte in die nassen Klamotten. Wir entscheiden uns zum Abstieg auf die Hirzer Hütte. Unter diesen Wetterbedingungen halte ich einen Weiterweg auf einem versicherten Steig, der uns wieder auf 2.600 m geführt hätte, für unverantwortlich.
Wir brauchen etwa ½ Stunde, um die schützende Hirzer Hütte wieder zu erreichen. Im Gastraum treffen wir auf knapp 50 hier gestrandete Läufer. Diejenigen, denen es am schlechtesten geht, werden nach wenigen Minuten von der Bergwacht mit zwei Kleinbussen evakuiert.
Wir anderen finden uns mit der Situation ab. Nach kurzer Zeit heißt es, dass das Rennen zunächst unterbrochen wird. Da sich die Wetterbedingungen auch bis zur Cut-Off-Zeit um 24:00 h nicht wirklich bessern, wird klar, dass damit für uns hier Schluss sein wird.
Ein Weißbier gegen den Frust, ein doppelter Espresso gegen die Müdigkeit, dann heißt es warten. Schnell entspannen sich Gespräche mit italienischen Kollegen, die, trotz meiner eher rudimentären Sprachkenntnisse, die Zeit schnell vergehen lassen. Gegen 02:30 h stehen fünf vom Veranstalter organisierte Kleinbusse vor der Hüttentür, die uns in gut einer Stunde Fahrtzeit nach Bozen zurück bringen.
Von den 217 Einzelstartern konnten lediglich 48 die komplette Runde innerhalb des Zeitlimits beenden.
Die Sieger der ersten Ausgabe des Südtirol Ultrarace sind die Einheimischen Alexander Rabensteiner (18:42.20 h) und Annemarie Gross (22:14.30 h). Matthias Dippacher (D-Heroldsbach) belegte mit 19:24:54 h einen hervorragenden 2. Platz, gefolgt von Paolo Leonardi (20:08:42 h).
Mein Fazit:
Das Südtirol Ultrarace wird sich unter den großen Ultratrails etablieren. Die Strecke ist weit mehr als anspruchsvoll. Vor allem die steilen und teilweise sehr ausgesetzten Übergänge erfordern Schwindelfreiheit und absolute Trittsicherheit. Bei Gewitter oder Schlechtwetter sind diese wohl auch objektiv gefährlich.
Die Finisherquote von lediglich 22 Prozent sagt eigentlich alles. Auch wenn ich die 47 LäuferInnen, die an der Hirzer Hütte wegen Schlechtwetters angehalten wurden, dazu zähle, würde sich die Quote auf nur 43 Prozent erhöhen.
Das Zeitlimit ist auch für mich als langsamen Läufer ausreichend bemessen. Der nächtliche Start in Bozen sollte beibehalten werden. Auch wenn es in 2013 nachts im Tal nicht wirklich abgekühlt hatte, brannte zumindest nicht die Sonne auf den ersten 2.000 Aufstiegsmetern.
Verbesserungspotential besteht beim Verpflegungsangebot und besonders bei der Streckenmarkierung. Die Organisatoren haben zugesagt, diese vielfach geäußerten Kritikpunkte bei der Wiederholung zu berücksichtigen. Ich persönlich meine allerdings, dass die Orientierung und Wegsuche bei einem Ultratrail in den Alpen durchaus ein Teil der Herausforderung sein kann. Würde das entsprechend kommuniziert werden, könnte sich jeder darauf einstellen.
Die vielen freiwilligen Helfer von Bergwacht und diversen Vereinen waren mit Herz und Seele dabei. Die Stimmung an den Versorgungsstellen war einfach toll. Die Organisatoren reagierten absolut souverän auf den eigentlich so nicht vorhergesagten Wetterumschwung. Innerhalb weniger Stunden wurde für die Teilnehmer ein Shuttle-Service organisiert, der alle nach Bozen zurückbrachte.
Das Angebot an Duschen und Ruheräumen im Zielbereich war ebenfalls bestens ausgestattet. Im Zielbereich gab es während des möglichen Zielzeitfensters durchgehend Essen und Getränke. Das Preis-/Leistungsverhältnis ist absolut angemessen. Ich jedenfalls werde 2014 wiederkommen, um dann auch die noch fehlenden 40 km des Südtirol Ultrarace kennen zu lernen.
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