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14.01.22 - swiss snow walk & run

Exponentieller Anstieg

Der Kurzurlaub beginnt bereits bei der Anreise. Der Swiss Snow Walk and Run Arosa gehört zu den Veranstaltungen, welche als Teil des Startpakets das kostenlose Swiss Runners Ticket anbietet. Am frühen Freitagnachmittag setze ich mich in den Zug und fahre ganz entspannt, ohne Parkplatzsorgen, nach Arosa. Wegen den Straßenverhältnissen müsste ich mir zwar keine Sorgen machen, denn jede Wetter-App verkündet im Brustton der Überzeugung, ohne jeglichen Unterton eines Zweifels, ausschließlich allerbeste Verhältnisse. Sonne satt – mit der normalen Einschränkung der noch kurzen Januartage.

Vor drei Jahren startete ich erstmals beim Weisshorn Snow Trail, den 10 Meilen für Schnee- und Bergziegen. Damals blieb mir wegen dicken Nebels im oberen Teil der Strecke die Aussicht verwehrt. Deshalb wählte ich erneut diese Option.

Nach einem gemütlichen, ausgiebigen Frühstück mache ich mich am Samstagmorgen auf den Weg zur Eishalle. Den Umweg über die Talstation der Weisshorn-Luftseilbahn erspare ich mir. Ich könnte dort einen Kleiderbeutel fürs Ziel abgeben, ich entscheide mich aber dafür, Zusatz- und Wechselkleidung im Rucksack mitzuführen, zusammen mit Tranksame und Verpflegung.

 

 
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Damit folge ich der dringenden Empfehlung der Orga, die im Vorfeld zusammen mit der Mail eintraf, in welcher über die verschärften Bedingungen auf meiner Laufstrecke informiert wurde. Die Schneeverhältnisse und die damit verbundene Schwierigkeiten bei der Präparierung der vorgesehenen Strecke, machten eine andere Routenführung notwendig. Auf diesem vier Kilometer langen Abschnitt ist mit Tiefschnee zu rechnen, zudem ist bei einem Notfall eine Evakuierung praktisch nur per Helikopter möglich.

Eine der wichtigsten und glücklicherweise noch nie benötigen Apps auf meinem Mobiltelefon ist die der Rettungsflugwacht, die rega-App. Wer sich in der Schweiz in die Berge begibt, ob als Wanderer oder Trailrunner, sollte diese App auf jeden Fall installiert und konfiguriert haben. Es wurde auch schon ein Schweizer in Alaska über diese App in der Wildnis gerettet, da die Zentrale in der Schweiz den örtlichen Rettungskräften die genaue Ortsangabe des Verunfallten übermitteln konnte!

Was mich beunruhigte, war der Hinweis, dass nur Topfitte den Weisshorn Snow Trail unter die Füße nehmen sollten, allen anderen werde die Ummeldung auf eine der anderen Strecken empfohlen. In meiner realistischen Einschätzung kann ich mich nicht wirklich dieser Kategorie zurechnen… Da ich Seit Anfang Oktober immerhin viermal die Marathondistanz zurückgelegt habe und zweimal sogar noch weiter lief, versuche ich, die Zweifel zu zerstreuen, und bleibe bei meiner Streckenwahl.

Zugang zum Startgelände gibt es für alle Träger des entsprechenden Armbands. Der Anlass steht auch Personen mit 3G offen, allerdings ohne Benutzung der Innenräume, in welchen Garderoben und Duschen zu finden sind und wo man sich vor und nach dem Lauf bewirten lassen kann.

Pünktlich zum Start des Aufwärmprograms mit den Klängen der Guggenmusik erreicht die Morgensonne das Startgelände. Auf den letzten Drücker begebe ich mich in die Startaufstellung, in welche ich mich nur nach Abgabe einer schriftlichen Erklärung zu den besonderen Bedingungen dieses Laufs einreihen darf.

Am Schluss des Feldes zwischen den Häusern hindurch auf den Spazierweg dem Obersee entlang, und schon sehe ich die Spitze beim Bahnhof drüben mit Siebenmeilenstiefeln davoneilen. Spreu und Weizen trennen sich schon früh.

Am anderen Ende des Obersees geht es dann in die heutige Hauptrichtung: nach oben. Es dauert nicht lange und ich mache das, was viele andere um mich herum auch tun. Ich entledige mich bereits meiner Jacke und stopfe sie ins Außenfach des Rucksacks.

 

 
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Bald schon biegen wir auf den schönen Wanderweg im Wald ein, den „Eichhörnliweg“. Fußgänger kommen entgegen, Familien mit Schlitten, eine Dame wartet mit Nüssen in den Händen geduldig auf die putzigen Abnehmer; es riecht nach Wald und Urlaub. Später dann geht es wieder auf die Straße, unter dem Sessellift hindurch, von welchem Anfeuerungsrufe erklingen. Die Skipiste wird gekreuzt und weiter geht es durch den Wald bis zu dem gerade oberhalb der Waldgrenze liegenden Ortsteil Prätschli.

Das war es für den Moment mit Anstieg. Vorerst werden die gewonnen Höhenmeter eingetauscht gegen lockeres Abwärtslaufen. Von links kommt die Strecke, welche ich von der zweiten Hälfe des Halbmarathons gut kenne. Auf diese wird eingebogen und bald schon wieder im Wald in Richtung der vorher gequerten Skipiste gelaufen. Von dort aus geht es zusammen mit den nach uns gestarteten Halbmarathonis zum Tschuggentor, wo die futuristischen Lichtgewölbe des Grand Hotels in der Landschaft mehr auffallen als die Karawane von Winterläufern, die sich hier den gut gewalzten Winterwanderweg hocharbeitet.

Meinen für die zweite Streckenhälfte vorgesehenen Getränkevorrat muss ich bereits jetzt anbrechen. Ich habe das Gefühl schon dermaßen ausgetrocknet zu sein, dass es mich nicht wundern würde, beim Ausatmen Staubwolken zu sehen. Kein Hauch von Hauch ist nämlich vorhanden

Jens und etwas später Ricarda, beide auf der Halbmarathonstrecke unterwegs, ziehen an mir vorbei und ich glaube nicht, dass ich dem Chef der TorTour de Ruhr eine Visitenkarte für eine Teilnahme an diesem Ultra abgebe.

Dann, endlich die Tschuggenhütte, mit Zeitmessung, Guggenmusik und - das Wichtigste – Verpflegungsposten. Ich mache den Fehler, dass ich zu heftig zugreife. So sehr ich das gereichte Rivella mag und das Gefühl habe, dass es beim Hineinschütten gleich verdunstet, für meinen Bauch ist dieses ungezügelte Trinken das Dümmste, was ich machen kann. Da hilft auch das gut temperierte Wasser nicht, das ich zum Wärmeausgleich nachschütte. Kaum mache ich mich auf den Weg, grummelt mein Bauch; je länger, umso mehr.

 

 
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Zum Glück ist es nicht mehr weit bis zur Mittelstation der Weisshorn Luftseilbahn. Statt daran und an der Warteschlange des Brüggerhorn-Sessellifts vorbei, halte ich mich rechts. Nicht um die Seilbahn zu nehmen und nicht um die Bärenhöhle im Bärenland zu besuchen. Zwar ist der Ort, den ich aufsuche auch höhlenmäßig im Untergeschoss, doch ziemlich profan, aber sehr herbeigesehnt.

Ohne Uhr am Handgelenk habe ich keine Ahnung, wie es zeitlich für mich aussieht und ob mein dringender Ausflug abseits der Spur Konsequenzen für das Einhalten des Cut Offs hat. Guter Hoffnung, dass ich deswegen nicht außer Rang und Traktanden falle, nehme ich das Projekt wieder in Angriff. Dies fällt insofern nicht so schwer, als dass wieder ein mehrheitlich abwärts führender Streckenteil folgt. Von den anderen grünen Startnummern darf ich mich allerdings nicht täuschen lassen, denn die Ummelder behielten ihre ursprüngliche Nummer. Das erste mir aus der Startaufstellung bekannte Gesicht gibt mir dann Zuversicht, dass ich noch dabei bin.

Beim Arlenwald gibt es wieder eine Verzweigung. Wer jetzt sonst mit uns auf diesem Abschnitt läuft, gehört meiner Einschätzung nach zu den Startenden des Long Distance Runnings über 12km. Während sie nach rechts und damit weiter abwärts geleitet werden, geht es für mich links und – wer hätte es gedacht? – hoch. Es ist immer noch ein gut präparierter, breiter Winterwanderweg.

Wie es vor drei Jahren hier weiterging, kann mir mein Gedächtnis nicht mehr genau sagen. Auf jeden Fall spätestens von dem Augenblick an, als ein Streckenposten mich freundlich vom Weg nach links dirigiert, geht es heute dorthin, wo das Versprechen Tiefschnee beginnt. Ein Hinweisschild macht darauf aufmerksam, dass dieser Weg gesperrt sei. Mit dem Privileg des Teilnehmenden stapfe ich los. Freiwillige haben mit Schneeschuhen für eine Minimalpräparierung gesorgt, was nicht bedeutet, dass alles ganz locker geht.

 

 
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Der Vorteil auf den folgenden vier Kilometern und 300 Höhenmetern ist im hintersten Teil des Feldes der, dass bereits besser vorgespurt ist. Dass es sich dabei um die angekündigten mindestens 30 Zentimeter Tiefschnee handelt, ist realistisch. Die Spuren der vorausgegangenen Läufer sind Anhaltspunkte, wo man den nächsten Schritt platzieren kann, aber keine Garantie, dass der Untergrund sich verhält wie erhofft. Ich bin nicht der Einzige, der auf der Straße aus dem Verkehr gezogen würde, weil sein Torkeln zu offensichtlich ist. Dann und wann setzt der Fuß deswegen an einem anderen Ort als geplant auf und sinkt in der Folge mehr als nur einen englischen Fuß tief ein. Mitte Oberschenkel und gleichzeitig fast bis zum Ellbogen – mit hochgekrempelten Ärmeln – ist mein Rekord.

Bei dem strahlenden Sonnenschein, dem Glitzern des Schnees und dem Bergpanorama rundum ist es ein Traum, sich hier den Berg hochzuquälen. Eine gewisse Leidensfähigkeit ist hilfreich und ein Mindestmaß an Kondition nicht falsch. Dass ich schon lange nicht mehr in der Höhenluft unterwegs war, kann ich allerdings nicht wegdiskutieren.

Das kurze Gefälle zwischendurch ist, anders als auf ebenem Untergrund, kein Abschnitt der Erholung. Mit jedem schnelleren Schritt wird es schwieriger, in der Spur zu bleiben. Noch ist es ein weiter Weg bis zum Ziel, doch die anderen sich in meiner Sichtweite befindlichen Läuferinnen und Läufer geben mir das Gefühl, dass mir in Bezug auf einen Finish nichts vor der Sonne stehen sollte. Ganz im Gegensatz zum Brüggerhorn auf der linken Seite. Der Sonnenstand Mitte Januar ist zu tief, als dass dieser Teil der Strecke nicht im Schatten liegen würde. Sofort wird es recht frisch und ich überlege mir, wie lange ich warten soll, bevor ich die Jacke wieder hervornehme. Ein paar stramme Schritte später und mit der Aussicht, dass bei der Ferdinandshütte der Weg wieder von der Sonne beschienen wird, sehe ich davon ab.

Das Brüggerhorn war schon immer ein beliebter Gipfel für Skitourengeher, weshalb der örtliche Skiclub vor 111 Jahren diese Hütte errichtete. Bereits zwanzig Jahre später übernimmt die 130 Höhenmeter und knapp eineinhalb Kilometer weiter oben gelegene Sattelhütte diese Aufgabe. Dort warten auf uns eine Zwischenzeitnahme und ein weiterer Verpflegungsposten mit warmem Tee.

Von hier aus sind es eineinhalb Kilometer bis zum Gipfel des Weisshorn. Nur noch eineinhalb Kilometer, würde ich am Ende eines Marathons sagen. Solches hier zu sagen, wäre eine Selbsttäuschung übelster Art. Zwar liegt das Kräfte zehrende Streckenviertel durch den Tiefschnee hinter mir und der Weg ist ab Sattelhütte wieder perfekt gewalzt, doch die Tatsache, dass bis zum Zielbogen auch noch 250 Höhenmeter zu überwinden sind, lässt es nicht zu, schon in den Entspannungsmodus zu schalten. Was jetzt kommt, ist nicht nur Zugabe.

Vor mir tut sich eine wahre Wand auf. Es ist gewissermaßen die 3D-Version der in jüngster Vergangenheit überall abgebildeten Grafik der «Omikron-Wand». Steil war vorher, nun ist der Anstieg exponentiell. Ich habe die Wahl, in der Mitte des Weges zu gehen und dort immer wieder durch die gewalzte Schneedecke durchzubrechen oder dort, wo der Pistenbully mit seinem gesamten Gewicht den Schnee dichter komprimiert hat, auf dem festen Untergrund selbst mit den Schneeketten am Schuh kaum Halt zu finden. Ein Erlebnis ist es allemal.

Der Untergrund benötigt trotzdem nicht mehr volle Konzentration, wodurch mir mehr Kapazität bleibt, die Umgebung genussvoll aufzusaugen. Für einen im vom Nebel geplagten Unterland Wohnhaften sind der blaue Himmel und das ins Gesicht scheinende und vom Schnee reflektierte Sonnenlicht eine Wohltat.

 

 
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Bis zum Ziel sind es noch zwei Biegungen, dann noch eine und eine weitere… Egal wie viele es sind, es ist nicht mehr weit dorthin. Dass bei meinem Halt ohne Eile am Verpflegungsposten bei der Sattelhütte die Cut Off Zeit kein Thema war und ich mich seitdem kontinuierlich weiterbewege, gibt mir ein gutes Gefühl. Bald werde ich mir das Prädikat «sehr fit» aneignen können. Zumindest in der Schlussfolgerung, dass dieser Konditionsstand Bedingung für eine erfolgreiches Absolvieren des Weisshorn Snow Trails ist.

Mit einem soliden Zeitpolster erreiche ich den Gipfel des Weisshorn. Dass ich mich damit im hintersten Teil der Rangliste bewege, stört mich nicht, denn diese fällt relativ kurz aus, zeigt aber ein ungewohntes Bild in Bezug auf das Geschlechterverhältnis. Auf fünf Klassierte Männer kommen vier klassierte Frauen! Grund dafür ist, dass die Veranstalter spontan eine neue Laufkategorie kreieren mussten, den Weisshorn Speed Trail. Unglücklicherweise ist mehr als die Hälfte des Feldes fehlgeleitet worden und hat damit statt zehn Meilen zehn Kilometer zurückgelegt.

Mit mir zusammen sind sicher über 700 andere Teilnehmende dem OK-Präsidenten Daniel Durrer dankbar, dass er und sein ganzes Team das Durchhaltevermögen hatten, um in diesen pandemischen Zeiten diese besondere Veranstaltung stattfinden lassen zu können. Dass sie und wir alle mit Traumwetter beschenkt wurden, sei Ihnen von Herzen gegönnt. Denn ich bin mir sicher, dass sich mit den Erinnerungen an einen solchen Tag zahlreiche Wiederholungstäter fürs kommende Jahr finden lassen. Was mich betrifft, hoffe ich auf einen exponentiellen Anstieg meiner Kondition, damit ich mir überhaupt keine Gedanken ums Zeitlimit machen muss.

 

Informationen: swiss snow walk & run
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