Arosa - dieses Wort zaubert mir schon seit vielen Jahren ein Lächeln auf die Lippen. Wenn ein Ultratrail-Fan einen Lauf mit nur 16 km Länge zu seinen Lieblingsveranstaltungen zählt, dann muss daran etwas ganz Besonderes sein. In der Tat, der Swiss Snow Run in dem berühmten Schweizer Wintersportort Arosa ist wirklich einzigartig. Verschiedene Routen führen auf hervorragend präparierten Wanderwegen durch das Skigebiet, eine davon sogar auf den Gipfel des 2653 m hohen Weisshorn.
Schon zwei Mal lief ich hier mit großer Begeisterung den Halbmarathon, heute starte ich erstmals beim Weisshorn Snow Trail. Dieser hat zwar etwas weniger Kilometer, aber dafür mehr Höhenmeter und einige knackige Anstiege. Technisch ist die Strecke bei den aktuellen Bedingungen nicht schwer, aber man sollte die Steigungen und die Höhe nicht unterschätzen.
Zur Wahl stehen verschiedene Distanzen: Der Halbmarathon mit 630 Höhenmetern, der Weisshorn Snow Trail 16,8 km mit 918 hm, die Long Distance 12 km mit 315 hm, die Short Distance 6,1 km mit 155 hm sowie ein Kinderlauf auf oder um den See. Außerdem werden ohne Zeitmessung (Nordic)-Walking und Schneeschuhlaufen angeboten.
Natürlich kann man auch mit dem Auto von Chur im Rheintal bis nach Arosa die 1150 Höhenmeter hinauf kurven, aber die etwa einstündige Fahrt mit der Rhätischen Bahn, die auf 26 km 41 Brücken, 19 Tunnel und 12 Lawinenschutz-Galerien aufbietet, ist so schön, dass ich selbst notorischen Bahn-Verweigerern die Anfahrt mit dem Zug sehr ans Herz lege. 1914 wurde diese Schmalspurbahn erbaut. Höhepunkt der Strecke ist das spektakuläre, 284 m lange und 62 m hohe Langwieser Viadukt.
Teilnehmer aus dem Ausland können für sagenhaft günstige 5 Franken ein Ticket kaufen, mit dem sie von der Schweizer Grenze, z.B. in Basel, bis Arosa hin und zurück fahren können. Daher spart man bei der Bahnfahrt nicht nur Nerven, sondern auch viel Geld und schont nebenbei die Umwelt. Da Arosa ein überschaubar großer Ort mit sehr gutem Busverkehr ist, muss man sein Gepäck vom Bahnhof zum Hotel auch nicht weit tragen. Start und Ziel sind fast unmittelbar beim Bahnhof.
Bis Ende des 19. Jahrhunderts war Arosa nur ein kleines, unbedeutendes Dorf. Erst mit der Entdeckung als Luftkurort und dem Bau der Straße sowie von Sanatorien, Heilstätten und Hotels begann der Tourismus, der bald durch den Wintersport noch mehr Aufschwung erlebte. Bereits 1900 fanden auf dem gefrorenen Obersee Pferderennen statt. 1914 wurde nach Eröffnung der Bahnstrecke Arosa zum international bekannten Tourismusziel. Heute hat der Ort mit etwas mehr als 3000 Einwohnern über 12000 Tourismusbetten.
Die Teilnehmer des Weisshorn Snow Trail können morgens eine Tasche mit Wechselbekleidung zum Gipfel transportieren lassen. Da ich fast immer mit Rucksack laufe, trage ich meine Sachen selbst.
Das Startgelände ist, wie schon gesagt, unmittelbar in Bahnhofsnähe beim Obersee auf 1735 m. Im Sommer rauscht auf diesem See eine Fontaine, die nachts durch multimediale Lichtspiele beleuchtet wird.
Auf dem Startgelände sorgt eine Live-Band für gute Stimmung. Das Wetter ist mehr als nur perfekt. Tiefblauer, wolkenloser Himmel, kein Wind, knapp unter 0 Grad, was sich aber dank intensivem Sonnenschein wärmer anfühlt – bessere Bedingungen für einen Winterlauf kann es nicht geben. Es gibt ein Fotoshooting, u.a. mit einigen prominenten Spitzensportlern und zur Freude mancher weiblichen Teilnehmer zwei Ex-Bachelor und Mr. Schweiz. Das ist aber nicht meine Welt. Ich plaudere lieber noch kurz mit einigen Läufern, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe.
Wir werden mit Musik zu etwas Aufwärmgymnastik animiert, dann startet um 10.35 Uhr als erste Disziplin der Weisshorn Snow Trail. Da in diesem Jahr der See nicht dick genug gefroren ist, fällt die kurze Runde auf dem Eis aus und wir laufen am Ufer um den See herum. Leider gibt es daher die farbenfrohen Heißluftballons nicht, die in den letzten Jahren immer auf dem See starteten.
Kurz nachdem wir am Bahnhof vorbei kommen, geht es schon bergauf. Während der ersten Kilometer ist die Steigung moderat, so dass auch ich die meiste Zeit über laufe und nur zwischendurch kurz zum Gehen wechsle. Zwischen schneebedeckten Bäumen laufen wir kurz durch den Wald. Auf den Dächern der Häuser am Streckenrand liegt metertiefer Schnee. Ab und zu sehe ich lange Eiszapfen an den Dachrinnen hängen.
Schon bald liegt der See weit unter uns. Noch spüre ich nichts von der Anstrengung des Aufstiegs. Es macht enorm viel Spaß, auf dem heute hervorragend präparierten Schnee zu laufen. Schon früh überholen mich die schnellsten Halbmarathonis, die wenige Minuten nach uns gestartet sind. Der Weg ist breit genug, Engpässe gibt es hier keine. Bald kommen wir am Tschuggen Grand Hotel vorbei, das innen von Stararchitekten zu einer sehr kostspieligen Wunderwelt ausgestattet wurde, aber auch außen durch wie große Segel wirkenden Bauteile sehr auffällig wirkt.
Jetzt laufen wir bereits oberhalb der Baumgrenze.
Über mir sehe ich die Kette der schnellen Läufer den Berg hinauf eilen, hinter mir mühen sich die langsameren noch die Serpentinen hinauf. Weit öffnet sich der Blick in die tief verschneiten Berge und den Talkessel von Arosa. 2014 wurden die Skigebiete von Arosa und Lenzerheide durch eine Gondelbahn verbunden und bieten nun insgesamt 225 km Piste. Doch während andere Wintersportorte sich ausschließlich auf Skifahrer konzentrieren, setzt man in Arosa auch stark auf die Winterwanderer. Entsprechend viele hervorragend präparierte Wanderwege gibt es hier. Auf diesen sind heute nicht nur wir Läufer unterwegs, sondern auch sehr viele Spaziergänger.
Obwohl ich den grandiosen Panoramablick in den hinteren Talkessel von Arosa nun schon seit Jahren kenne, würde ich auch dieses Mal vor Begeisterung am liebsten einfach nur verweilen und die Sicht genießen. So eindrucksvoll sind Sonne, blauer Himmel und weiße Pracht. Da es völlig windstill ist, kommt es mir trotz einer Temperatur von unter 0 Grad viel wärmer vor. Bald öffne ich meine Jacke.
Um keinen Preis der Welt würde ich mit meinen Vereinskameraden tauschen wollen, die morgen wieder 15 km auf flachen, langweiligen Straßen um Minuten kämpfen. Hier oben in dieser unglaublich schönen Bergwelt ist mein wahres Leben, über das ich mich bei meinem Schicksal nicht genug bedanken kann.
Bei der Tschuggenhütte auf 1990 m Höhe ist die erste Verpflegungsstelle. Eine Guggemusik heizt die Stimmung ein. "Paranoid" von Black Sabbath mit Blasinstrumenten - das muss man gehört haben, das macht Laune!
Dann queren wir eine Skipiste, was trotz vieler Skifahrer überhaupt kein Problem ist, da alle genug Platz haben. Im Skigebiet herrscht heute wieder viel Betrieb, aber überlaufen ist es nicht. Viele verschiedene Lifte und eine große Gondelbahn transportieren die Skifahrer auf die Berge, hinab geht es über Pisten für jeden Geschmack. Streckenposten an den wichtigsten Stellen sorgen dafür, dass wir Läufer ungefährdet über die Pisten kommen.
Das Vorurteil, Laufen im Schnee sei immer sehr anstrengend, wird heute widerlegt. Klar, auf Schnee braucht man etwas mehr Kraft, als auf Asphalt oder auf festen Waldwegen, aber heute ist auf dem festen, gut griffigen Schnee die Strecke leichter als mancher rustikaler Trail
Bei km 6,5 steht kurz vor der Mittelstation der Gondelbahn ein Helfer und weist die Halbmarathonis nach links, wo sie nun eine weite und wunderschöne Schleife mit Blick auf Arosa laufen dürfen. Vor dem Restaurant der Bergbahn ist die Stimmung noch recht relaxt. Mittags wird hier mit lauter Partymusik kräftig gefeiert.
Einige Zeit kann ich nun bergab in gutem Tempo laufen. Der urwüchsige Arlenwald ergänzt das Alpenpanorama durch schöne Vegetation. Auf diesem bequemen Streckenabschnitt sind wieder sehr viele Spaziergänger unterwegs. Dann zweigt unsere Route nach links ab und es geht wieder bergauf. Je weiter wir kommen, desto mehr Berge rücken in unser Blickfeld, die man von Arosa aus nicht sehen kann. Der Weg ist meist nicht steil, ich fühle mich fit und wechsle nur zwischendurch kurz vom Laufschritt zum Gehen. So komme ich überraschend gut voran und erreiche früher als gedacht die 11km-Marke. Bis hier ist unsere Strecke nicht schwerer wie die des Halbmarathons.
Doch jetzt ist für mich und alle anderen Teilnehmer um mich herum für heute Schluss mit Laufen. Auf den letzten Kilometern müssen wir noch 650 Höhenmeter erklimmen. Es ist entweder steil oder sehr steil, nur zwischendurch aufgelockert durch kurze Entspannungen. Schon stapfen wir die ersten steilen Rampen hinauf. Aber so etwas kennt man ja auch von den Hochgebirgs-Trails im Sommer, wo unsereins für einen Kilometer eine gefühlte Ewigkeit braucht. Das gehört dazu. Umso mehr freut man sich über jeden bewältigten Höhenmeter.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich in der letzten Stunde wohl etwas zu schnell gelaufen bin, denn jetzt geht mir ein wenig die Kraft aus und ich lasse immer mehr Läufer an mir vorbei. Normalerweise reise ich vor alpinen Wettkämpfen zum Akklimatisieren gerne ein paar Tage vorher an, doch dafür hatte ich dieses Mal keine Zeit. Die kurze Runde gestern Abend war zu wenig. Ich bekomme Probleme. Vielleicht habe ich bisher auch zu wenig getrunken. Ich gehe etwas langsamer weiter. Umso mehr habe ich von der grandiosen Landschaft.
Inzwischen ist Arosa aus unserem Blick verschwunden, dafür sehen wir nun bis hinab nach Chur und zu vielen Gipfeln auf der anderen Seite des Rheintals. Dies ist der große Vorteil, den der Weisshorn-Trail gegenüber den anderen Routen hat. Hier wird unser Panoramablick von Kilometer zu Kilometer um mehr Gipfel bereichert.
Hier oben ist der Schnee manchmal etwas weicher. Die vielen Läufer vor mir und die Sonne haben die Oberfläche gelockert, aber die Beschaffenheit ist immer noch bestens. An besonders steilen Rampen kann ich die Fußabdrücke wie Treppenstufen nutzen. Es ist einfach herrlich. Aber je nach Witterung (wie zum Beispiel bei Wind und eisiger Kälte wie im letzten Jahr) kann es hier aber ganz schön ungemütlich werden.
Nach einigen stillen Kilometern weit abseits der Skipisten flitzen nun wieder Skifahrer und Snowboarder an uns vorbei. Da bis zum Ziel die Piste immer parallel und gut getrennt vom Wanderweg verläuft, kommen alle in perfekter Harmonie voran.
Ein Blick nach oben - das Weisshorn ist noch verdammt weit weg. Doch noch immer sehe ich weit hinter mir andere Läufer. Inzwischen haben mich auch die schnellen Nordic-Walker eingeholt. Stöcke könnte ich an den steilen Stellen auch gut gebrauchen, aber für Läufer sind sie nicht erlaubt. Bei der Verpflegungsstelle an der 2400 m hohen Sattelhütte freue ich mich über einen Becher Tee. Hier sehen wir auch mal wieder den Talkessel von Arosa, der zuletzt durch das Brüggerhorn vor uns verborgen war.
Auf den letzten 1,6 km müssen 253 Höhenmeter bewältigt werden. Und schon keuche ich die steilste Rampe des Tages hinauf. Echt krass! Aber der Blick auf die Umgebung lenkt von der Anstrengung ab. Es kommt mir vor, als würde ich von Meter zu Meter langsamer. Doch gleichzeitig wird die Aussicht immer schöner. Und dann erreiche ich endlich das Ziel auf dem Gipfel des 2653 m hohen Weisshorns. Ich bin restlos glücklich.
Bei klarer Fernsicht wie heute blickt man von hier unter anderem bis zu den Gipfeln der Silvretta, zur Berninagruppe sowie ganz weit hinten den Dom im Wallis und Finsteraarhorn und Jungfrau in den Berner Alpen. 1933 wurde auf dem Gipfel die erste Hütte errichtet. 1956 wurde die erste Gondelbahn auf den Weisshorngipfel gebaut, damals die größte und schnellste der Schweiz. Gleichzeitig wurde neben der Bergstation ein Restaurant eröffnet. Seit 2012 bietet ein neues Aussichtsrestaurant Platz für 220 Gäste.
Welch ein toller Tag! Am liebsten würde ich den ganzen Mittag hier oben bleiben, steige aber dann doch in die Gondelbahn, die mich schnell hinab nach Arosa bringt.
Als am nächsten Morgen die Sonne erneut vom blauen Himmel lacht, ändere ich spontan meine Pläne und fahre schon um 8.30 Uhr für nur 10 Euro mit der Gondelbahn erneut auf das Weisshorn.
40 Minuten lang genieße ich warm verpackt die Stille und das herrliche Panorama. Ich kann mich kaum von diesem Rundblick trennen. Doch dann wird es Zeit für den Abstieg. Die steilste Rampe kurz vor der Sattelhütte kommt mir bergab sogar noch heftiger vor als gestern beim Aufstieg.
Von der Sattelhütte aus nehme ich den Wanderweg, der direkt hinab in Richtung Mittelstation führt. Weiter unten bin ich dann einige Kilometer auf der Halbmarathonstrecke, die vorbei an der Carmennahütte, Gasthof Alpenblick und Innerarosa führt. Am Nachmittag sitze ich dann wieder im Zug und blicke vollgepackt mit schönen Erinnerungen zurück auf die Berge. Welch ein glückliches Wochenende! So kann dieses Jahr gerne weiter gehen.
(Klaus und Margot Duwe)
Weisshorn Snow Trail (16,8 Kilometer/918 Höhenmeter).
Männer:
1. Daniel Lustenberger (Kriens) 1:16:54.
2. Stefan Lustenberger (Kriens) 1:19:46.
3. Gabriel Lombriser (Bern) 1:26:32.
Frauen:
1. Jasmin Nunige (Davos) 1:31:11.
2. Michela Segalada (Winterthur) 1:32:35.
3. Corinne Zeller (Weissenburg) 1:45:00.
Halbmarathon (21,1/630).
Männer:
1. Manuel Wyssen (Belp) 1:32:34.
2. Rolf Thallinger (Utzensdorf) 1:33:14.
3. Stefan Marty (Steinen) 1:33:38.
Frauen:
1. Franziska Inauen (Windisch) 1:40:49.
2. Simone Raatz (Deutschland) 1:40:51.
3. Ornella Poltera (Domat/Ems) 1:47:18.