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23.02.13 - Tafraout Atlas Trail

Ein Traum für jeden Trailer

Autor: Joe Kelbel

Mein Hirn ist schneller als meine Füße, ich dreh um, laufe immer hin und her durch das Hochtal, bis ich nach 20 Minuten eine Markierung entdecke. Andere Läufer gestehen sich ihre Lauffehler erst später ein. Karim verliert so 45 Minuten. Ich habe viel Zeit verloren, aber Platzierungen gut gemacht.

Bei km 20 kommen wir kurz auf die HM-Strecke, biegen beim Verpflegungspunkt in eine sehr trockene Ebene ab. Alle fünf Kilometer gibt es Verpflegungspunkte mit Wasser, Bananen, Rosinen und Orangen.

Km 27 Agrssif. Ich suche die wenigen Gebäude nach einem kleinen Geschäft ab. Ich hätte gerne eine Cola, aber es sind wohl eher leer stehende Wochenendhäuser.

Links oben Talkanout. Kleine Mauern ziehen sich in enge Bahnen um die Berge. Einst waren die Berge sehr fruchtbar, doch in den 70ern kam die Trockenheit, die Bewohner flüchteten in die Städte nach Norden. Geblieben sind diese kleinen Terrassen und verfallene Ruinen. Die Kinder und Enkel der einstigen Bewohner bauen seit einigen Jahren neue Häuser in den Dörfern ihrer Vorfahren, man hat ein wenig Geld verdient. 

 
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Km 34 - rechts liegt Imi Agadir, vor uns die wenigen Häuser von Tarsaout, deren kleine dreieckige Fenster, die Lokbas mit Pferdehaaren verstopft sind. Zehn, fünfzehn Frauen sitzen an einer Mauer. Ich fuchtel mit meiner Kamera, damit sie Zeit haben sich die schwarzen Stoffe über das Gesicht zu ziehen, dann mach ich ein Foto. Lautes Lachen und Beifall begleitet mich auf den nächsten Metern. Sehr freundliche Damen. Überhaupt sind die wenigen Menschen, denen ich begegne, überaus fröhlich, rufen mir Beifall zu, bieten Zuckerstückchen, Wasser oder Orangen an, lassen sich gerne fotografieren und schauen mir dann noch lange nach, wie ich meinen einsamen, langen Weg zurücklege.

Ein zehrender Anstieg auf 1760 Meter Höhe liegt vor uns. Die Berge leuchten nun lila, sind trocken und steinig. Der Trail führt weglos durch Geröllfelder und über diese niedrigen Terrassenmauern steil hinauf. Dann folgen wir einige Stunden einem  schmalen Pfad, der mit einer Mauer aus losen Steinen in einer autolosen Zeit an die Steilwand geklebt wurde. Karge Gegend, die mental dem Läufer viel abfordert.

Der Blick zurück ins weite Tal ist überwältigend. Der Wind ist eiskalt, ohne Jacke hätte ich es nie geschafft. Sie schützt nun auch gegen die brennenden Sonnenstrahlen.

Km 45, an der Verpflegungsstation werde ich eindringlich gefragt, ob alles ok sei, ob ich Verletzungen hätte. Der blinde Didier ist schwer gestürzt, eine Amerikanerin hat sich beim Sturz die Sonnenbrille in die Schläfe gerammt, muss genäht werden. Nein, mir geht es blendend. So blendend, wie der Untergrund, über den wir laufen. Es sind Glimmerkristalle, die aus dem verwitterten Granit wie kleine Spiegel das grelle Sonnenlicht reflektieren. Das ist sehr unangenehm. Oh, hätte ich nur mein Sonnenbrille!

Kopfschmerzen, Schmerzen um die Augen, in der Stirn, immer wieder muss ich die Augen minutenlang schließen, während ich den Weg hoch zum Pass stolpere. Sonnenbrand im Nacken. Die Waden bekommen am meisten Sonne ab, die Haut brennt höllisch.

Zwischen dem gleißenden Geröll leuchten farbenfrohe Blumen, unter mir im saftigen Tal locken Palmen und Mandelbäumchen.  Oben auf dem Pass ist der kalte Wind nicht auszuhalten. Ich bin froh, als ich die Markierung an einer alten Hauswand entdecke, die mir den Pfad ins Tal weist. Große Stücke Rosenquarz, auch grün und schwarz glänzende Quarzstücke zwischen schweren Basaltblöcken, die das Abwärtslaufen zur Qual machen.

Lahcen kommt mir den steilen Weg mit seinem klapprigen Allradwagen entgegen. Beim UTAT hatte er noch einen Kasten Bier im Kofferraum, jetzt strahlen mich nur braune Augen umrahmt von langen schwarzen Haaren vom Rücksitz aus an.

 
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Der Weg nach Al Daoud im Tal ist weit, im Schnitt brauche ich etwa 45 Minuten für 5 Kilometer, die ich aber Schritt für Schritt genieße.

Bei km 55 reißt es mich plötzlich von den Beinen. Sekundenschlaf, Schmerz, Blut, ich wache im Dreck liegend auf. Das Knie ist gespickt mit schwarzen Steinchen, die aus der blutenden Wunde hervorstehen. Ich sortiere meine verstaubten Sachen, suche meine Kamera und drücke den Zehennagel wieder in seine Position zurück. Niandi aus Südafrika holt mich ein. Ich bringe meine wenigen Wörter Africaans an, sie ihre paar Wörter Deutsch. Sie schreibt für eine französische Trail-Zeitschrift.

Die Painted Rocks (Les peintures), in den 80ern von einem Belgier bemalte Felsen, leuchten blau und rosarot zwischen den rotbraunen Felsen. Ist alles Geschmackssache, auch wenn die 20.000 Kilo Farbe nach altägyptischem Rezept hergestellt wurden.

Bei km 62 laufen wir durch den blitzsauberen Ort Aguard Oudad mit dem markanten Napoleonshut, einer eigenartigen Felsformation, die dem Hut des Korsen gleicht. Es gibt eine wunderschöne Fußgängerzone, an den Rändern hängen gusseiserne Laternen. Zwei französische Frauen sitzen mit ihren Rucksäcken auf der sonnigen Treppe der Herberge. Zeit für einen kleinen Plausch, aber Cola gibt’s hier nicht.

Der weitere Lauf durch den schmucken Ort macht sehr viel Spaß, der Weg besteht aus sauberen, roten Pflastersteinen, dann überhole ich eine Gruppe unverschleierter Mädchen mit offenen, langen schwarzen Haaren, die wohl auf dem Weg zur Siegerehrungs-Party in zwei Stunden in Tafraout sind. Ich bitte um ein Foto. Sie machen ein Riesengeschrei. Schade, wäre ein schönes Bild gewesen.

Zwei Fahrradfahrer überholen mich auf der Straße Richtung Tafraout. “Super”, sagt die Frau, eindeutig deutsch, und so schwatzen wir ein wenig. Richie heißt der  freundliche Deutsche, der Fahrräder für 5 Euro am Tag vermietet. Auch mehrtägige Mountainbike-Touren durch die tiefe Schluchten mit unerwartet vielen, kleinen Flüssen hat er im Programm.

Als ich in die Stadt komme, verabschieden sie sich. Zahlreiche Einwohner flanieren die Straße entlang, rufen laut, um andere auf mich aufmerksam zu machen. Jeder weist mir den Weg, dirigiert Autos um, damit ich freie Bahn habe. Alle spenden Beifall, nicht so brüllend-aufgeregt wie in Europa, sondern bewunderungs- und respektvoll. “Bonne Courage”.

Die Hauptstraße hinunter in lockerem Tempo, der Zielbogen ist sichtbar. 9:53 entspannte, wunderbare Stunden liegen hinter mir und vor mir eine fiese OP durch den Arzt, der mir mit spitzer Nadel die Steinchen aus dem Knie puhlt. Ich bekomme eine Medaille und eine Tüte mit gesunder Ernährung, dazu glücklicherweise ein frisches, dringend benötigtes Finisher-Shirt.

 
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Oft werde ich gefragt: „Ist der Trail schwer?“ Nein, er ist schön, wunderschön. Allerdings muss man gut vorbereitet sein, dann kann man den Lauf und die Natur und den Traum eines jeden Trailers genießen.

Nach der Dusche im Hotel gehe ich eine Zahnbürste und Strümpfe kaufen. Natürlich gibt es keine Strümpfe in meiner Größe, aber das Design ist unschlagbar.

Die Infrastruktur in Tafraout ist unerwartet gut. Kleine Restaurants locken mit leckeren Brochettes (gegrillte Fleischspieße) und Tajine (gut durchgegarter Eintopf unter der Spitzhaube), man muss einfach mal die Tajine mit Pflaumen und Mandeln probiert haben, danach einen kräftigen, süßen Minztee, oder noch besser eine Avocadonmilch. Dazu mixt man die Avocado mit ein wenig Zucker, Milch und ein wenig Sahne. Köstlich!

Mit 12:45 kommt der blinde Franzose Didier Benguigui als letzter Läufer mit seinem Führer ins Ziel. Die Menschenmenge brodelt, es müssen Tausende sein. Polizisten versuchen eine schmale Gasse freizuhalten, er wird gefeiert wie ein Olympiasieger. Umwerfend diese Begeisterung, so was haben wir noch nie erlebt!

Frierend sitzen wir im abgesperrten Bereich bei der Siegerehrung. Ein Trupp Musiker zieht in die “Arena” ein, hinter uns die schwarze Menge des “einfachen Volkes”.  Die weiß verschleierten Frauen der Musikergruppe bekommen ein langes grünes Tuch über den Kopf, sodass man nur die dick mit Silber behängten Körper sehen kann. Sie  “singen” markerschütternd in die Mikrofone. Ein Stunde geht diese groteske Vorstellung, bei der wir uns die eiskalten Finger tief in die Ohren quetschen müssen. Die Einheimischen lauschen andächtig als handele es sich um die Weihnachtsgeschichte, während wir diese kulturelle Vorstellung nur peinlich finden.

Gabi rückt auf den dritten Podiumsplatz vor, da ihre Laufkollegin mutmaßlich einen Teil der Strecke mit dem Auto zurückgelegt hat. Eine Siegerehrung bleibt ihr aber verwehrt, da die mutmaßliche Schummlerin Protest eingelegt hat. Vorläufiges Ergebnis bei den Frauen: Marokko und Argentinien vor Deutschland, dotiert mit 200, 100 und 50 Euro. Die ersten drei Plätze bei den Männern werden eindeutig von Marokko belegt. Mouha Mouddouji siegt in 4:43. Die Seniorenwertung werden mit 30, 20 und 10 Euro belohnt. Die Plätze 1-6 beim Halbmarathon, der zur internationalen K21 Serie gehört, gibt es 100-40 Euro. Dazu gibt es Freistarts in Zagora, Peru und China.

Die nächste Stunde gehört Lahcen Ahansal, der (leider auf Berber) die Siegerehrung mit vielen lustigen Worten (so die Zeitung) vornimmt. An ihn geht mein Dank für die Möglichkeit, an diesem wunderbaren Lauf der Superlative teilzunehmen. Dank auch für die perfekte Organisation rund um den Lauf und einen unvergesslichen Kurzurlaub.

Gerne möchte ich bei den drei nächsten Trails von Lahcen Ahansal (je 100 km) dabei sein. Einer geht sogar entlang der Küste. Dann wäre da noch der Trans Atlas Marathon (250 km) von Mohamad Ahansal. Es ist einfach phantastisch, hier zu laufen. Einmalig, die Trails, die kleinen Abenteuer entlang der Strecke und die freundlichen Menschen.

Nach einem schönen, sonnigen Vormittag am Pool fahren wir zum Flughafen und nehmen unser unberührtes Gepäck in Empfang. Das erspart mir das Packen, wenn es in wenigen Tagen nach Antalya geht.

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Informationen: Tafraout Atlas Trail
interAir GmbH Sport- und Incentive-Reisen
D-35415 Pohlheim
http://www.interair.de
Veranstalter-WebsiteE-MailOnlinewetterGoogle/Routenplaner

 
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