Die gesamte Laufstrecke befindet sich in einer Höhe von 1000 bis 2000 Meter ü.M. Trotzdem bin ich unerwartet schnell unterwegs. Es scheint an der glasklaren, trockenen Luft zu liegen, die keinen Schweisstropfen zulässt.
Samir, der Viertplatzierte des diesjährigen MdS, taucht immer wieder vor mir auf, um mich zu fotografieren. Ich verstehe nicht, wie er das schafft. Der Mann fliegt und hilft bei der Organisation des Laufes, lebt Tag und Nacht aus seinem Laufrucksack, den er nicht mal zum Schlafen im Inscription-Tent ablegt.
Wie Schwalbennester kleben Lehmdörfer in den steilen Hängen und geniessen die aufgehende, goldene Sonne und die unglaublich lange Schatten, die meine geniale Lauffigur auf der rotbraune Erde wirft. Hier unten wachsen die ältesten Bäume der Welt: die Arganien, aus denen das teurste Öl der Welt hergestellt wird. Früher hat man die mandelgroßen Früchte an Ziegen verfüttert, um anschliessend besser an die drei inneren Ölfrüchte zu kommen. Heute sammelt man die reifen Früchte. Röstet man die Kerne vor dem Mahlen, dann erhält man ein Öl, das sogar mir einen Salat schmackhaft machen würde.
„Berber-Nutella“ wird aus Arganöl, Mandeln und Honig hergestellt, kostet ein Vermögen und wird deswegen in den Hotels nicht angeboten. Dafür gibt es immer, ja wirklich immer, „ La vach qui rit“, einen Streichkäse, der eine Erfindung aus dem ersten Weltkrieg ist. Original heißt er „Wachkyrie“, was „deutsche Walküre“ bedeutet, oder die Füllige, von der jeder Franzose beim Frühstück träumt.
Jeder träumt hier. Es ist nicht die mangelnde Markierung, es sind die Farben, die Sonne, die Luft, die Lust, das Laufen. Wer hier noch nicht gelaufen ist, der hat noch nie Lust in den Beinen gehabt. Es ist der Hit, die Freiheit und das Leben! Während in Deutschland der erste Schnee fällt, lege ich hier mal einen schnellen Ultra hin und freue mich auf die folgenden heissen Nächte im Club Robinson in Agadir.
Als mir ein Trupp schneller Läufer entgegenkommt, …. was heisst hier schneller Trupp? Es waren alle! Traillaufen hat immer etwas mit Intelligenz zu tun.
Die Häuser sind mit Zinnen bewehrt, Schieferplatten und Ornamente garnieren die Fronten. Die Häuseransammlungen tragen Namen, wie 100 andere Dörfer in Marokko auch: Tadart, Tazka, Awdad Anizarine, Agidraine, Imougane, also absolut nichtssagend.
Gut ist auch, dass Jalal nichts sagt. Er läuft sichtbar an der Grenze des Machbaren, ich lasse mich von ihm ziehen. Beim ersten Aufstieg zum Tnizi Taska finden wir Paul, den ich aus Kambotscha kenne. Der Belgier ist zwar immer gut drauf, hat sich aber jetzt schon gewaltig verlaufen. Er muss heute noch zweimal per Auto zurück auf die Strecke gebracht werden. Ich dagegen habe erstaunlicherweise auch nach zwei Jahren eine ausgesprochen gute Ortskenntniss und finde den Weg auf Anhieb. Das liegt nicht an meiner hoch entwickelten Intelligenz, sondern an den Fotos, die ich während eines Laufes schieße. Ich kann mir so im Nachhinein die Topografie wunderbar merken.
An diesem Pass habe ich damals Ismail fotografiert, den bärtigen Sozialhilfeempfänger aus Casa, der eigentlich nie auf Marokko-Fotos fehlen darf. Er schnorrt sich durch alle Läufe. Diesmal ist er aufgelaufen, die Zeiten ändern sich. 50 Euro kostet jetzt das Startgeld.
Ewig lange dauert der Anstieg, dann stehen wir oben am Pass und blicken auf das schönste Hochtal der Welt, an dessem Ende die Wohnkarossen der Afrika-Kenner auf dem schönsten Campingplatz der Welt stehen. Es ist ein Tal, in dem ich heulen könnte. Deswegen bitte ich Jalal Fotos von mir zu schiessen. Von mir und meiner heißen 300er Flagge in den Farben von Marokko und der Oase von Tafraout.
Das Tal ist in Besitz von drei Nomadenfamilien, die hier unter Plastikplanen und dicken, fetten, roten Granitkugeln leben. Es ist eine Landschaft aus Jurassic Park, ein liebliches Paradies aus Farben und Formen, ein Gebiet für Gespräche über Gott und die Schöpfung. Jalal wünscht sich eine Welt ohne Religionen. Ich erkläre ihm, dass Religionen entstanden sind, damit Menschen in Frieden leben können.
Paul setzt sich nach vorne ab. Ich stöbere am Ende des Tales zwischen den gewaltigen Wohnmobilen rum. Es campen hier Bekloppte aus aller Welt in riesigen Kreuzfahrtschiffen unter Palmen. Die Kölner waren vor zwei Jahren auch hier, pennen noch und das Lagerfeuer der letzten Nacht glüht noch nach. Der Campingplatz Tazka gehört in eine andere Welt. Es gibt hier unglaublich alte Felszeichnungen, Palmen, Granitkugeln, Sonne, grünes Gras und hübsche Mädchen, mit denen ich gleich Fotos schiessen muss.
Man muss sich das mal klar machen: Es gibt in Afrika niemanden, der je 300 Marathons gelaufen ist. Und jetzt läuft so ein bekloppter Typ, der in jeder Zeitung erwähnt wird, mit roter Fahne und ner großen „300“ hier rum und baggert wie ein Weltmeister. Und das noch mit Erfolg!
Ich habe ein richtiges Hochgefühl, Durst wie Sau und die Salztabletten vergessen. Das mit den Salztabletten ist eher Scheisse, ein Fehler der nicht pasieren darf. In Deutschland braucht man die Dinger nicht. Aber hier gibt es nur klares Wasser, und irgendwann knicken die Beine weg. Nach 20 Kilometern erreichen wir den nächsten CP, aber nur, weil ich mich erinnert habe. Ich saufe Wasser wie ein Kamel. Jamal torkelt rum, trinkt nix, wartet auf mich und labert auf Arabisch wirres Zeug. Soviel verstehe ich mittlerweile.
Vor Aguarsif finde auch ich den Weg nicht mehr. Jalal fantasiert weiter, läuft in die falsche Richtung. Er ist sehr hartäckig in seinem labilen Zustand, träumt von einem grünen Tal. Das erinnert mich an meine Zeit, als ich eine Tauchschule in Indonesien hatte und mir ein Schüler in 45 Meter Tiefe in die schöne blaue Welt abdriften wollte. Es ist nicht einfach, jemanden aus einem solchen fatalen Glücksrausch zu reißen. Da hilft nur ein heftiger Schlag in die Frontscheibe.
In Argouarsif, hat wirklick Ähnlichkeit mit „aggressiv“, finde ich ein Geschäft und Cola. Nun muss man sich Orte nicht als Orte, und Geschäfte nicht als Geschäfte vorstellen. Jalal weigert sich, zu trinken. Ich zwinge ihm die Cola rein. Wenige Meter entfernt, das weiss ich jetzt noch nicht, liegt Paul, der Belgier, fertig am Boden.
Als Jalal wach wird, quatscht er mit einem Einheimischen. Die gemeinsame Sprache ist Arabisch, auch nur Zweitsprache. Austausch von Floskeln, wenig Informationen, da muss ich dazwischengehen. Das geht so nicht! Ich werde grob, was absolut normal ist. Arabische Gespräche haben wenig Inhalt, um den anderen, der auch nichts weiss, nicht bloß zu stellen. Wenn man in Marokko nach dem Weg fragt, gebietet die Höflichkeit des Gefragten, den Fragenden an die Hand zu nehmen. Das geht zu 100 % schief, weswegen ich mich in die Unterhaltung einmische. „ Kifach? Stop, Stop, Stop!“ Für europäische Verhältnisse ist das ein grobes Verhalten, aber in Afrika überlebt der Stärkste.
Bis Talkarount hat sich Jalal erholt und dampft ab. Am CP plündere ich wieder ein Geschenkpacket. Ich weiss genau, dass die Laufstrecke rechts um den Berg geht. Aber die Helfer laufen vor und zeigen mir einen Weg, den „die Atleten“ nehmen. Ein Fehler.
Wie fette Titten stehen mir jetzt die 2000er im Weg. Wer schon einmal zwischen zwei 2000ern war, der weiss, dass nur der Wille die Atmungsaktivität aufrechterhält. Ich dackel mit Jalal durch wirklich gefährliche Gebiete und achte bei jedem Griff in die Botanik auf die drohenden Gesten der Skorpione. Davon gibt es hier echt viele!
Tarcoiwat lasse ich aus, stosse nach angsterfüllter Stunde auf der Höhe von Tawdit wieder auf die Originalstrecke und bin absolut stolz, mit meiner topografischen Erinnerung den Weg gefunden zu haben. Jalal heult. Den lasse ich hinter mir, es hat keinen Sinn,
Bei Tawdit ist eine Kontrolle, eine elektronische, eine vernünftige, nicht so ein Abhaken auf‘m Blatt Papier. Wir sind weit oben bei den Planeten, die sich jetzt in der klaren Luft vordrängen. Km 47 wird angesagt. Das ist Quatsch. Alle Km Angaben sind Quatsch. Irgendwie ist das aber egal. Jalal umarmt mich, bedankt sich wie ein Sterbender und bleibt zurück.
Hier oben sterben alle, auch die, die einmal vor 500 Jahren in den alte Siedlungen lebten, von denen man nur noch Ruinen, keine Knochen mehr gibt. Da es keinen Sinn macht, hier oben auf der Kuppe des Amzar zu überleben, muss ich schnell hinab. Es interessiert auch keinen, wer die gewaltigen Anlagen gebaut hat. Mich auch nicht, ich muss runter, und zwar schnell.
Mein nächster Punkt wäre dann Awib, oder so, ganz ganz hübsch in einer Kurve der Berge gelegen. Und in 2 Stunden ungefähr werde ich im Ziel sein. Ich habe doch am Anfang geschrieben, ich werde heute gut sein, oder? Und ich bin gut! Je näher ich dem Ziel komme, desto mehr Mopets, 4x4 und Motorräder begleiten mich. Ab Tasamt habe ich keine Ruhe mehr, Kamerateams sind vor mir. Einige Flaggen aus den Geschenkeboxen habe ich bei mir. Jalal steigt aus einem Auto, ich gebe ihm meine Kamera, ich blühe auf. Es ist mein 300.!
Je mehr Fahrzeuge mich begleiten, je mehr Blitzlichter mich blenden, desto schneller werde ich. Man brüllt mir „seulement 15 kilometre“ zu. Wenn Fotografen mich überrholen, dann schaue ich angestrengt und nehme Haltung an. Ich bin Mittelpunkt von Afrika, ich bin Afrika.
Mein Lauf wird vom Militär gesichert. Es ist noch nicht vollkommen dunkel, aber mein Lauf wird mit Leuchtdingern garniert. Jemand brüllt: „Seulement 2,5 Kilometre“, was aber vom Heulen der Polizeisirenen übertönt wird. Ich lege nochmal zu, laufe wirklich gut, laufe wie damals, ich bin wieder der Alte. So ne geile Stimmung, so viele Leute, die mir Beifall klatschhen, während mir die Mundwinkel vor Anstrengung seitlich runterfallen.
Und dann kommt die Zielgerade. Verschleierte Frauen stehen da, hängen über den Absperrungen und wollen Kinder von mir. „Juuuo Kebeile, 300cetieme Maratomn“ dröhnt es grammatisch grausam aus den Lautsprechern, als sei ich aus dem Hochland von Kenia. Dann überfallen mich Fotografen wie Fliegen einen Elefantenschiss. Ich bin Elefantenschiss, ich bin großartig, ich bin Gewalt! Ich bin Afrika! Als man mich hochwirft, schliesse ich die Augen und schwebe davon.
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