Der Teide ist der höchste Berg Spaniens und befindet sich auf der Urlaubsinsel Teneriffa. Man kann ihn mit der Seilbahn erreichen, erwandern oder im Rahmen des Tenerife Bluetrail, der in diesem Jahr sein 10 jähriges Bestehen feiert, erklimmen. Dabei durchquert man die Insel beim Ultra auf 105 Kilometer einmal komplett vom Ferienort Adeje im Süden bis nach Puerto de La Cruz im Norden.
Schon vor zwei Jahren angemeldet, hat mir Corona im letzten Jahr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der Lauf wurde um ein Jahr verschoben. In der Vorbereitung habe ich nicht viel zu dem Rennen gefunden, aber allein die harten Fakten sprechen eine deutliche Sprache. 105 Kilometer, 6975 Höhenmeter im Auf- und Abstieg, höchster Punkt bei 3555m an der Bergstation der Teide-Seilbahn, aber vor allem: Zeitlimit 25 Stunden. Das ist für mich dann doch eine Hausnummer, bezeichne ich mich doch eher als Genussläufer. Für mich gehört es eigentlich auch dazu, unterwegs in einer Hütte mal ein Bier zu schlabbern. Außerdem bin ich ein alter Sack, dessen Leistungsfähigkeit in den letzten Jahren ungefähr so viel abgenommen hat, wie Kilos dazu kamen. Um für den Lauf in Form zu kommen hat mir dann wiederum Corona geholfen.
Der Lauftrainer unseres Vereins hat zum Jahresbeginn eine sogenannte Schweinehund-Challenge gestartet, mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit individuell zu steigern, aber auch gezielt Probleme wie Gewicht und Rumpfstabilität anzusprechen und entsprechende Trainingseinheiten dazu anzubieten. Ich habe dann tatsächlich nach Anleitung und Plan trainiert und siehe da: es haben sich deutliche Erfolge eingestellt. Zuerst sind die Kilos gepurzelt und dann kam auch wieder Tempo in die Bude.
Gut vorbereitet stehe ich also am Start zu dem anspruchsvollen Abenteuer. Wir sind zu viert unterwegs. Drei von uns starten beim Ultra und einer auf der 74km-Strecke. Die Modalitäten zum Reisen sind Corona bedingt etwas holprig. Der leere Frankfurter Flughafen gibt schon ein seltsames Bild ab und die Einreiseformalitäten scheinen nicht jedem sehr geläufig zu sein. Jedenfalls dauert es eine Weile, bis alle eingecheckt sind und wir fliegen mit einer Stunde Verspätung los. Erst geht es nach Cran Canaria, wo viele ein- und austeigen und dann mit einem kurzen Hüpfer nach Teneriffa. Für den geplanten Ausflug in die Höhe wegen der Akklimatisation ist es schon zu spät und so fahren wir direkt in unser Hotel, das praktischer Weise direkt an der Ziellinie in Puerto de la Cruz liegt.
Nach einem fantastischen Frühstücksbuffet geht es nach Santa Cruz, in die Hauptstadt der Insel. Im Kongresszentrum gibt es die Startnummernbeutel. Auf eine große Messe wird verständlicherweise verzichtet. Am anderen Ende der riesigen Halle warten Menschen auf Ihre Covid Impfung. Hoffentlich ist der Spuk bald vorbei. Wir hätten uns aber sowieso nicht lange aufgehalten. Wir wollen heute hoch hinaus. Eigentlich sollte man für die Akklimatisation ein paar Tage einplanen, aber uns bleibt nur noch heute. Also schrauben wir uns mit dem Mietwagen in die Höhe. Anfangs ist es noch sonnig, dann kommen wir in die Wolken. Auf der Höhe von 1000 bis 1500 Metern bleiben die Wolken von Norden her kommend am Teidemassiv hängen und geben dort ihre Feuchtigkeit ab. Mal in Form von Nebel, gern auch als Regen. In diesem Bereich ist alles grün und in den Lorbeer- und Kiefernwäldern hängen Moose und Flechten von den Bäumen. Für die Landwirtschaft ist das natürlich ein großer Vorteil zum kargen und trockenen Süden, aber für Läufer sieht das hier ziemlich ungemütlich aus.
Langsam werden die Wolken zu einem luftigen Schleier und wir erreichen die Baumgrenze, wo jetzt ungetrübt die Sonne scheint. Wir erfreuen uns an der bizarren Vulkanlandschaft, die hier alle Spielarten von Stein, Sand, Geröll, Farben aber auch exotischen Pflanzen bereithält. Wir fahren mit der Seilbahn hoch zum Gipfel. Von dort sind es noch 200 Höhenmeter zum Krater. Für diesen Ausflug braucht es allerding ein Permit, das wegen der Kontingentierung schon Monate im Voraus gebucht werden muss. Wir belassen es bei einem kleinen Spaziergang. Das Flatterband für morgen zeigt uns schon in etwa den Streckenverlauf. Von hier oben kann man ja quasi die ganze Strecke überblicken. Nur der Norden, also der Heimweg macht mir Sorgen. Dunkle Wolken versperren die Sicht und beim Nachhause fahren regnet es heftig. An der Küste scheint dann wieder die Sonne, aber die Wolken sind doch sehr bedrohlich.
Freitag ist Raceday. Wir schlafen alle so lange es geht und der Tag wird mit Ein- und Auspacken des Rucksacks, Essen und Schlafen verbracht. Da wir quasi vier Vegetationszonen durchqueren, ist eine entsprechende Mindestausrüstung vorgeschrieben. Direkt vor dem Hotel geht dann abends um 9 auch der Shuttlebus. Beim Anblick der Wartenden kommen mir erste Zweifel, ob die Schweinehund-Challenge wirklich ausgereicht hat. Viele Spitzenläuferinnen und –Läufer haben sich versammelt. Auf der Ultrastrecke finden heute die spanischen Trail-Meisterschaften statt. Die spanischen Oberschenkel sprechen eine deutliche Sprache, aber zum Kneifen ist es jetzt zu spät. Mein Plan ist recht einfach: so lange es geht, so schnell laufen wie ich kann. Dann wird das schon klappen.
Der Start ist ganz im Süden der Insel, am Strand von Adeje. Nach bequemer Busfahrt feuern uns die Partygäste am Zuweg zum Start an. Schnell noch das Dropbag abgeben und wir stehen schon im Startkanal. Zuerst startet die Elite, danach geht es in Wellen weiter. Bei allen wird beim Zutritt die Temperatur gemessen. Mit nur einem Messgerät, das nicht so richtig funktioniert, tut mir das Mädel wirklich leid, aber irgendwie klappt es und tres, dos, uno geht es auch los. Es werden noch links und rechts ein paar Raketen gezündet und schon bin ich unterwegs.
Es ist kurz nach Mitternacht und ich fühle mich sehr gut. Erst geht es ein oder zwei Kilometer über den Sandstrand, dann biegen wir ein in ein Kerbtal. Es staubt von den vielen Füßen, die vor mir die Strecke bearbeiten. Es ist wolkenlos und sehr warm. So etwa 25 Grad. Das erste Cutoff kommt schon nach 90 Minuten bei 8,5 Km auf der Plaza de Adeje. In den letzten Jahren sind dort immer schon einige ausgeschieden, was den kompetitiven Charakter der Veranstaltung unterstreicht. Geduldig warten hier die Laufenden, um ihre Flaschen auffüllen zu können. Es wird immer nur eine Person bedient. Das hält natürlich auf, aber ich will mich nicht beschweren. Mit lecker Iso und Wasser geht es weiter. Der eine Liter war bereits verbraucht. Ich schwitze wie ein Pferd.
Jetzt kommt der erste lange Anstieg von etwa 500 Höhenmetern. Ich schieße ein paar Fotos aus der Hüfte, die aber allesamt nicht gelingen. Lange stehen bleiben, wie sonst, geht aber nicht. Das kostet zu viel Zeit. Ich sehe eine Lichterkette bis hinunter ins Tal. Es sind also noch ganz viele hinter mir. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Bei der nächsten Allimentation habe ich schon gut eine halbe Stunde Vorsprung auf den Cutoff. Die Wege sind bis hier recht gut laufbar. Wir durchqueren Kiefernwälder und Abschnitte mit spärlichem Bewuchs. Ein Blick in die Gegend wird aber direkt mit einem Stolpern bestraft. Ich konzentriere mich voll auf die Strecke, um nicht zu stürzen. Zwei Suchscheinwerfer und die Klänge der Moderation kündigen den nächsten Verpflegungspunkt an. Dort startet um 6 Uhr mein Freund Swen auf die 74km-Strecke. Zu meiner Überraschung laufen wir den Punkt aber gar nicht an, sondern verpflegen uns an anderer Stelle auf der Plaza de Vilaflor.
Ich setze mich kurz und stärke mich mit einem Stück Melone. Es ist 5 Uhr. Ich habe jetzt 45 Minuten auf das Cutoff und bin zufrieden. Ab Vilaflor wird es etwas ruppiger. Wir durchqueren die letzten Kiefernwälder vor der Baumgrenze. Der Weg führt vor allem über Asche. Es knirscht unter den Schuhen und das Vorankommen ist mühsam. Im Osten beginnt langsam die Dämmerung. Durch die Bäume blicke ich auf die Wolkendecke, die schon unter uns liegt. Schließlich zaubert die Sonne ein Farbspektakel von Lila über Rosa und Orange, bis sie dann endlich ihre Kraft vollends entfaltet. Schlagartig endet der Bewuchs und eine steile Rampe führt durch tiefe Asche einfach nach oben. Unter uns streben schon die Läuferinnen und Läufer der Trail Strecke den Berg hoch. An der Rampe werde ich von einer großen Gruppe überholt. Unfassbar für mich, wie man in diesem Tempo dort hochlaufen kann.
Am Ende der Rampe liegt er dann zum ersten Mal vor uns: der Teide. Mit 3715 Metern der höchste Berg Spaniens. Ein Vulkan, wie aus dem Bilderbuch. Imposant thront er über der Insel. Mir macht er gerade etwas Angst, denn es sieht verdammt hoch und noch verdammt weit aus. Die Bergstation der Seilbahn, also unser höchster Punkt, ist gut zu erkennen. Aber ich lasse mich nicht einschüchtern. Ich bin gut trainiert. Ich bin mental stark und ich will das Ding bezwingen. Ich bin der Sturm! Aber Moment noch. Erst geht es mal wieder runter. Am Parador wartet mein Dropbag. Swen, der auf der 74km-Strecke ist, holt mich kurz davor ein. Meine beiden Laufkollegen Katja und Burkhard hat er schon vor ein paar Kilometern überholt. Sie sind leider nicht so fit und müssen Gas geben, um das Cutoff zu halten.
Ich wechsele an der Verpflegung die Schuhe und trinke ein Bier aus dem Dropbag. Das musste jetzt sein. Mit den 45 Minuten Vorsprung, die ich halten konnte, geht es an den Monsteraufstieg. Etwa 1500 Höhenmeter am Stück. Zuerst noch durch eine wildromantische Felsenlandschaft. Verschiedene Vulkan- und Lavakegel geben der Landschaft ein bizarres Bild wie in einem Western. Ein guter Weg windet sich beharrlich nach oben. Auf hellem Boden schrauben wir uns in die Höhe. Am Wegesrand oft der Wildprets Natternkopf, eine imposante Pflanze, die nur hier und auf La Palma vorkommt.
Der Teide liegt wolkenlos vor mir. Die Luft wird kühl und, wie ich jetzt schon merke, auch dünn. Läuft man in den Alpen in großer Höhe, startet man ja meisten schon relativ hoch. Hier startet man aber auf genau Null. Das macht es aus meiner Sicht noch schwerer und der Unterschied ist ohne große Akklimatisation heftig. Mir geht es aber noch gut. Zumindest so lange wir auf den guten Trails unterwegs sind. Irgendwann hören diese aber abrupt auf und eine schwarze Lavazunge versperrt den Weg. Die Läuferinnen und Läufer scheinen ohne erkennbaren Pfad einfach darin zu verschwinden.
Mit großen Tritten und kleinen Schritten quäle ich mich durch das Felslabyrinth den Berg hoch. Die Lava ist zum Anfassen fast zu scharfkantig. Ich versuche bewusst schnell zu atmen, muss aber immer wieder ausruhen. Der Puls geht zwar nicht sonderlich hoch, aber er klopft mächtig in den Schläfen. Stöcke dürfen im gesamten Nationalpark nicht benutzt werden. Hier wären sie nur hinderlich. Zu zerklüftet ist der Aufstieg und Balancieren geht einfacher ohne Stöcke. Wenn ich den Kopf beim Ruhen nach unten halte, wird es mir beim Aufblicken schwindlig. Ich will auch gar nicht hoch schauen, denn der Gipfel scheint noch zu weit weg. Okay, da will ich auch nicht hin, sondern nur auf die Bergstation der Seilbahn. Also Zähne zusammen beißen und wieder 20 Meter weiter.
Die letzten 200 Höhenmeter leide ich, aber dann sehe ich den Aussichtspunkt von gestern und weiß, dass es von dort nicht mehr weit ist. Ich habe das Ding im Sack. Vorbei an ein paar Flip-Flop-Touris erreiche ich die Bergstation der Seilbahn und kann sogar die 45 Minuten Vorsprung retten. Ich brauche lange, um etwas Verpflegung zu ergattern. Das Covid Konzept ist streng und in dem Raum, wo es die Verpflegung gibt, liegt - quasi als Warnung - ein Läufer mit Sauerstoff in der Nase. Katja und Burkhard werden es später auch noch auf den Teide schaffen, aber dort ist für die beiden Schluss. Sie haben das Zeitlimit überschritten und werden mit der Bahn hinunter zum Bus gebracht, der sie nach Puerto de la Cruz bringt.
Ich esse ein paar Nudeln, mache die Flaschen nochmal voll und stürze mich in den Downhill. Die ersten paar hundert Meter geht es eine schwarze Lavazunge hinunter. Jetzt bloß aufpassen. Wenn Du hier fällst, wird es blutig. Der Fels ist so scharfkantig, dass meine Schuhe hinterher aussehen, wie geschreddert. Die Seiten sind regelrecht aufgerissen. Am Ende der Lavazunge steht schon mal ein Wagen vom Roten Kreuz, um die Verletzten zu versorgen. Immerhin fühlen sich meine Oberschenkel noch gut an und so laufe ich entspannt den langen anschließenden Fahrweg auf heller Asche hinunter in Richtung Wolkendecke, die man jetzt wieder unter uns sieht. Bis dahin sind es aber noch ein paar Meter. Nach einem kurzen Wasserstop am Besucherzentrum geht es zügig in schöner Landschaft in die Tiefe. Wie schwarze Riesenmurmeln liegen Lavabrocken auf dem hellen Untergrund. So langsam meldet sich auch der Bewuchs wieder. Zuerst ein paar Wolfsmilchgewächse und Margeriten und dann beginnen auch schon die ersten Kiefernbüsche zaghaft Wurzeln zu schlagen. Wir laufen durch einen schönen Regionalpark, wo auch die nächste Verpflegung untergebracht ist. Die Spaziergänger feuern uns an und die Helferinnen und Helfer sind allesamt super freundlich und nett. Wer schon mal in Spanien gelaufen ist, weiß, was ich meine. Animo! Venga!
Ich bin enttäuscht, als ich auf die Uhr blicke. Ich dachte, ich hätte meinen Zeitpuffer verbessern können, aber es sind immer noch 45 Minuten. So ein Mist. Ich frage nach dem Wetter und nach drohendem Regen. Naja, bei km 13 soll es heftig gießen, aber bis dahin ist es ja noch ein Stück.
Nach der Verpflegung bei km 75 laufe ich dann in die Wolken. Zuerst als ganz feiner Schleier, wird es dann immer dichterer Nebel und kleine Wassertropfen kühlen den überhitzten Körper. Meine Füße brauchen Pflege. Ich merke, dass durch den langen Downhill Blasen im Anmarsch sind. Deshalb ziehe ich schnell die Schuhe aus und schmiere mir Antiblasengel drauf, was tatsächlich bis zum Schluss halten sollte. Allerdings fehlen mir jetzt auch 15 wertvolle Minuten. Der Schweiß läuft in Strömen, aber immerhin regnet es nicht.
Wir laufen durch Kiefern- und Lorbeerwälder. An den Bäumen hängen nasse Flechten. In den Fugen der Felswände wachsen saftige Steinpflanzen. Überall sehe ich Blühendes im Nebel. Es sieht aus wie im Märchenwald. Die Strecke wird dagegen jetzt ruppiger. Schöne, gut zu laufende Downhills wechseln sich mit scharfen, steilen Rampen ab. Ich hasse es. 500m schön runter laufen und wieder 50m Rampe hoch. So geht es eine ganze Weile. Manchmal denke ich, ich laufe in einer Endlosschleife, den Blick nur auf den Boden gerichtet. Rutschig ist es jetzt und nass. Besonders an den vielen Holzstufen ist Vorsicht geboten. Ein Ausrutscher verläuft glimpflich. Das war Glück.
Wir sind jetzt ein Dreiergespann. Ich bin auf zwei Spanier aufgelaufen, die schon öfters hier waren. Gemeinsam ziehen wir nach der Verpflegung los. Mit einem geschrumpften Zeitpuffer geht es auf den vorletzten Abschnitt. Zwei Stunden zwanzig für sieben Kilometer. Das hört sich nicht gut an. Direkt nach der Verpflegung geht es am Fels senkrecht nach oben. 700 Höhenmeter auf 2 Kilometer. Ich frage meine Begleiter was das soll. Es ist reine Quälerei. Immer nur hoch. Stufen, Felsblöcke, Felsblöcke, Stufen. Wenigstens sind wir nicht mehr so hoch Warum macht jemand so was? „It’s Trail“, sagt mein Begleiter und lächelt. Und er hat Recht. Es ist wie es ist. Wenn es hoch geht, geh hoch. Wenn es runter geht, geh runter. Ganz einfach. Immerhin bleiben wir tatsächlich vom Regen verschont. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Der Downhill ist dann aber auch nicht besser. Rutschig, steil und gemein geht es in die Tiefe. Am schlimmsten ist das letzte Stücke auf einer Betonpiste. Meine Füße und Knie haben schon lange aufgehört sich zu beschweren. Wir brauchen jetzt die Stirnlampe wieder, sind dann aber gleich am letzten Cutoff in Tigaiga. Dort ist Party und wir werden herzlich empfangen. Leider gibt es kein Bier, dafür aber Eisspray auf die Knie und die Oberschenkel. Mein Vorsprung ist auf 27 Minuten geschrumpft, aber das sollte reichen. Bei anderen Rennen wird es gegen Ende ja immer etwas einfacher für mich und die Cutoffs werden entspannter, aber hier darf ich wirklich nicht trödeln. Ich muss konstant Leistung bringen, sonst schaffe ich es nicht.
Der letzte Abschnitt beginnt dann auch wieder hundsgemein mit steilen Betonpisten und Straßen, die runter zum Meer führen. Von den schönen Ausblicken auf die Küste und das Meer ist leider nichts mehr zu sehen. Es ist stockdunkel und ich bin froh, einen Ortskundigen an der Seite zu haben. Es geht kreuz und quer an der Küste entlang. Manchmal hört man das Meer rauschen, manchmal die Fahrstraße. Natürlich wird keine Rampe ausgelassen. Auch hier geht immer noch ständig hoch und runter. Dann der Alptraum. Wir haben uns irgendwie in dem Ort vorm Ziel verheddert. Ich lade mir die Strecke auf die Uhr und nach elenden 10 Minuten sind wir wieder auf der Strecke. Jetzt wird es verdammt eng.
Vor dem Hotel Maritim ist die letzte Verpflegung. Von hier sind es noch 3,6 Kilometer. Mein Begleiter ist platt. Er will sich noch mit Melonen stärken. Bei mir ist das Gehirn oder das was davon noch übrig ist, anscheinend total unterzuckert. Ich glaube, dass der Zielschluss um 24 Uhr ist. Das wären noch 24 Minuten. Das könnte reichen. Also verabschiede ich mich und renne los. Ich bin jetzt in der Stadt. Die Straße zum Ziel führt quasi über die gesamte Strandpromenade, wo noch viele Gäste im Freien sitzen und die Läuferinnen und Läufer feiern, die vorbei laufen. Ich drücke noch einmal auf die Tube und wundere mich, dass überhaupt noch was kommt. Es läuft sogar ganz gut. Nur an den Steigungen macht der Körper nicht mehr mit. Dort muss ich Gehpausen einlegen.
Am Eingang zum imposanten Zielbereich in dem großen Aquapark am Strand erwarten mich meine Freunde. Sie konnten online meinen Lauf mitverfolgen und immer sehen, wo ich gerade bin. Nach einigen Zielbögen passiere ich einen riesigen Bildschirm, wo jede Läuferin und jeder Läufer einzeln angesagt wird. Dann geht es auf einen großen blauen Teppich, der über einer Wasserfläche zu schweben scheint. Die letzten Meter sind geschafft. Ich laufe über die Zeitmatte. Am Ende des Laufsteges gratuliert der Moderator und die Medaille wird mir umgehängt. Sehr beeindruckend. Kurz nach mir kommt dann auch mein Mitstreiter ins Ziel. Es war noch eine halbe Stunde Zeit. Aber irgendwie hab ich das nicht mehr auf die Kette bekommen.
Ich bin sehr stolz, dass ich den Lauf finishen konnte. Ohne das strukturierte Training im Vorfeld hätte ich es wohl nicht geschafft. Katja und Burkhard mussten am höchsten Punkt aussteigen. Aber sie haben sich nichts vorzuwerfen. Sie haben stark gekämpft, aber heute hat es nicht gereicht. Swen konnte erfolgreich finishen. Bei einem mitgebrachten Finisherbier – die Kneipen sind jetzt schon zu – beklatschen wir noch die restlichen Läuferinnen und Läufer. Ich bin so fertig, dass ich das Bier nicht ganz packe. Jetzt nur noch unter die Dusche und ins Bett.
Fazit:
Schwerer, sportlicher Lauf durch beeindruckende Landschaften. Abwechslungsreich, ruppig, hart. Das typische spanische Flair auf der Strecke und an den Verpflegungspunkten hat unter der Pandemie wohl etwas gelitten. Aber wo ist das nicht so? Wobei im Zielbereich den ganzen Tag die Hütte gebrannt hat.
Neben dem Ultra gibt es noch vier andere Strecken. Trail (74km, auch als Staffel), Maraton, Media (20km) und Vertical Night Challenge.
Beim Ultra kamen 64% der Teilnehmenden ins Ziel. Der Sieger brauchte 12:54:16. Die schnellste Frau brauchte 14:36:26. Zeitlimit Ultra 25 Stunden.
Der Tenerife Bluetrail ist gut mit einem Urlaub zu verknüpfen. Die Anreise, die Unterkünfte und die Verpflegung vor Ort sind relativ günstig.