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02.09.23 - Torlauf Dachstein

Läuferglück auf dem Dachstein

Was soll ich schreiben in diesen Bergen voll Sonnenschein? Ich kann nur in Andacht schweigen und selig sein! (Peter Rosegger)

Wieder zieht es uns urlaubstechnisch mit Kindern und Enkeln nach Felix Austria zu unserer Freundin Maria, die mit ihrer Familie einen Ferienbauernhof im Radstädter Kasperdörfl betreibt. Im Urlaub will man ja nicht untätig sein (zumindest ich nicht). So  hatte ich im vergangenen Jahr den quasi in der Nachbarschaft veranstalteten Schwarzach-Trail entdeckt und berichtet. Und dieses Mal den Torlauf Dachstein, der im ebenfalls benachbarten Ramsau seinen Anfang hat und auch sein Ende findet. Richtig, das ist genau die Zentrale der „Bergretter“, der äußerst erfolgreichen ZDF-Serie.

Mittlerweile körperlich deutlich gereift, hängen die Kirschen für mich von Jahr zu Jahr höher. Folglich muss ich mir sehr genau überlegen, was ich realistischerweise noch schaffen kann, um das ungeliebte DNF zu vermeiden. Denn dafür fährt man nicht hunderte Kilometer. Derart auf dem Boden der Tatsachen melde ich mich anstatt für den Marathon mit 2.336 Hm nur für den Halbmarathon über 24 km und 500 Hm an.

Doch eigentlich mag ich keine halben Sachen. Tage- und wochenlang arbeitet es in mir. Was habe ich in den beiden letzten Jahren noch hinbekommen (und natürlich an dieser Stelle ausführlich darüber berichtet)? Vor zwei Jahren waren wir in Südtirol. Am ersten Wochenende gab's den tollen Seiser Alm-Halbmarathon (601 Hm) zum Aufwärmen, am zweiten den Skymarathon Rosengarten-Schlern mit 45 km über drei Pässe und 3.200 Hm auf- sowie 3.100 Hm abwärts. Zehn Stunden hatten wir Zeit, uns bei null Metern Asphalt über drei Pässe durchs Gebirge zu arbeiten. Den Cutoff hinter dem zweiten Paß hatte ich haarscharf gepackt, um im Ziel 42 min. verspätet, aber gewertet, einzutreffen. Fazit: Technisch zu schwierig für mich. Im letzten Jahr war, wie gesagt, der Schwarzach-Trail angesagt, auch der für mich ein Brett: 47 km, 2.600 Hm, vier Gipfelkreuze. Hier mußte ich ebenfalls in zehn Stunden durch sein, die ich erfreulicherweise in knapp neun Std. sicher unterbieten konnte. Jetzt kennt Ihr mein Seelenleben.

Hier, am Dachstein, hat der Marathon mit 42,2 km Normaldistanz bei 2.336 Hm. Die große Unbekannte sind die Untergründe. Sind die, wie im vergangenen Jahr halbwegs laufbar, läge ein Erfolg noch im Bereich des Möglichen. Ich habe das Internet rauf- und runter gegoogelt, um möglichst viele visuelle Eindrücke zu erhaschen. Ihr ahnt es: Am Ende habe ich die Pobacken zusammengekniffen und hochgemeldet, jetzt habe ich den Salat. Trotzdem freue ich mich wie Bolle auf dieses Abenteuer, wohl wissend, dass ich am Ende reichlich platt sein werde.

 

 
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Von Radstadt nach Ramsau sind es lediglich 21 km, die schnell zurückgelegt sind. Vor dem Start um 8:00 Uhr soll ab 7:00 Uhr das Briefing stattfinden, daher muss ich mich nicht zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett schälen. Der Rest meiner Bande wird später ebenfalls sein Stelldichein geben, denn Oma Elke wird, von Martha und Ida sowie deren Eltern angefeuert, den Zehner unter die Füße nehmen.

Dank der Abholung unserer Startunterlagen am Vortag reicht es, sich zum Briefing um sieben Uhr vor Ort im Langlaufstadion in Ramsau einzufinden. Hier finden im Winter Langlaufwettbewerbe statt, ich sehe die in vielen parallelen Spuren Wartenden quasi vor meinem geistigen Auge. Nach dem Start sollen die ersten 7,5 km relativ flach auf Naturwegen mit moderaten Aufs und Abs verlaufen. Ich schaue mich noch in Ruhe um und interessiere mich natürlich besonders auch für die „falschen“ Bergretter.

Tatsächlich geht es zum Einlaufen zunächst über einen flachen Weg in Richtung Sprungschanze und von hier aus weiter über den Philosophenweg bis zu einem Wanderweg und Überquerung der Hauptstraße an der Kulmkirche. Von hier aus nehmen wir die Straße hinunter am Ramsau Bach. Nach zwei km zweigt die Strecke des 10 km-Laufs ab.

 

 
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Ein erster fluffiger Trail erfreut Sinne und Geläuf bei etwa km 2,5. Natürlich weiß ich dank akribischer Vorbereitung, dass die Veranstalter den Weg so gewählt haben, um uns in Sicherheit zu wiegen. Aber wartet's ab, das dicke Ende wird kommen, diesmal sogar schon früher, nämlich in der Rennmitte. Wir tangieren die Ortschaft Sattelberg. Hier sind wir in der Vortagen mit den Enkeln und ihren Eltern bereits auf dem kurzweiligen Natur- und Erlebnispfad für Kinder gewesen.

Nach einem kurzen Anstieg laufen wir hinab in Richtung Rössing. „Von Euch war noch nie jemand hier zum Berichten, richtig?“ Peter Kohlschmidt erweist sich als profunder Kenner unseres Laufsports, war vor zwei Wochen mit unserem Markus am Rennsteig beim Höllwand-Marathon unterwegs und wohnt quasi in der Nachbarschaft unseres Toni Lautner. Fast-Verwandtschaft mit M4Y kann man so etwas nennen. Die nächsten km werden wir bei munteren Gesprächen weitestgehend gemeinsam verbringen.

 

 
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Ein schöner Wurzelweg bei km 5,5 erinnert mich – nicht lachen! - ans heimische Laufrevier Wiedtal. Noch fällt mir das Laufen auf gewohntem Untergrund leicht. Schwierig bis unmöglich ist das Überholen auf sehr schmalem Trail bei km 6,5. Hinter Rössing wartet mit der Silberklamm der erste spektakuläre Höhepunkt und zugleich Herausforderung: Entlang der beiden Wasserfälle – der größere ist stolze 70 m lang - ziehen sich, elend lang, Treppenstufen in die Höhe. Das Ganze erinnert mich doch sehr an die gar nicht mal so weit entfernte Höll am Ende des  Schladminger Wilde Wasser Laufs. 666 Stufen, für Schwermetaller eine magische Zahl (denn sie symbolisiert den Teufel) sollen es hier in der Ramsau bis ganz oben sein. Hölzerne Stufen wechseln sich mit geröllhaltigem Untergrund ab, die Ausblicke, gerade auch nach hinten, sind spektakulär. Die exakt 179 zu überwindenden Höhenmeter verteilen sich auf lediglich 519 m Länge, was nach Adam Riese einer durchschnittlichen 31%igen Steigung entspricht. In der Spitze sind's satte 45%.

 

 
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Nach 9,5 km ist diese erste Herausforderung gemeistert, zur Belohnung erwartet uns hinter der Silberkarhütte auf 1.234 m die erste Labe mit reichlich gedecktem Tisch. Reichlich verpflege ich, die Zeit nicht außeracht lassend: Zweieinhalb Stunden gönnt man uns für den ersten knappen Zehner, doch bereits nach knapp anderthalb Stunden verlasse ich diesen gastlichen Ort mit gefüllten Flaschen und vollen Backen kauend. Jede Minute wird am Ende im Zweifelsfall zählen. Und auf Geröll, das ich jetzt erlebe, bin ich als Alpin-Legastheniker gegenüber den Könnern klar im Nachteil.

1.500 weitere Höhenmeter erwarten uns auf den kommenden neun km. Zunächst noch auf recht gut zu laufenden bzw. gehenden Pfaden wird es zunehmend steiniger. Auch wenn es nicht ganz so hoch wie andernorts in den Alpen ist, trägt das Ganze schon hochalpine Züge. Die nächsten zehn km werden wir auf dem Plateau des Bergmassivs verbringen. Mühsam stapfe ich auf verschlungenem, steilem Pfad langsam voran und preise nicht zum ersten Mal die Mitnahme meiner Stöcke. Die Blicke nach oben und unten sind gleichermaßen grandios.

 

 
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Die Feistererscharte auf 2.198 m an km 14,7 ist unsere nächste Wegmarke. Hier genießen wir den herrlichen Ausblick zur Sinabell (2.349 m) und zur Wasenspitze (2.257 m). Schließlich erfolgt ein kurzer, knackiger Abstieg (eine Stelle wird mit einem Seil gesichert) zum Guttenberghaus (2.146 m) und weiter Richtung Gruberscharte. Mit dem Guttenberghaus haben wir die höchstgelegene Alpenvereinshütte der Steiermark erreicht. Hier hat man den zweiten Cut off eingerichtet: Exakt vier Stunden gönnt man uns für die bisherigen 14,8 km.
Mein Zeiteisen zeigt 3:40 Std., als ich nach der zweiten Verpflegung wieder aufbreche. Noch besteht also kein Grund zur Panik, doch ist das Polster bedenklich zusammengeschmolzen. Und oben sind wir noch lange nicht, denn auf den kommenden viereinhalb km gilt es auf dem Weg über die Gruberscharte weitere 500 m bei durchschnittlich 13,2 % Steigung zu erklimmen. An dieser beglückt uns fast vegetationsloses Geröll, soweit das Auge reicht. Knappe vier km mit 292 m Ab- und 102 m Abstieg später erreichen wir auf exakt 2.500 m Höhe die Edelgrießhöhe. Die Ausblicke sind spektakulär, nicht zuletzt dank Petrus' Gnade, uns einen solch tollen Tag zu schenken.

Ich bin gedanklich mit dem nächsten Fotoprojekt beschäftigt, als ich an einem Stein hängenbleibe, wie ein Brett der Länge nach falle und mit dem Kopf aufschlage. Sofort ist mir klar, dass der Lauf für mich beendet ist. Automatisch läuft das Selbstdiagnoseprogramm ab: Zähne noch vollzählig, drin und fest? Alle Extremitäten beweglich, nichts gebrochen? Fürs Erste beruhigt kann ich alle Fragen mit Ja beantworten.

 

 
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Vier, fünf Laufkameraden sind sofort bei mir, verständigen die Bergretter (die echten) und kümmern sich rührend um meine Erstversorgung. Da ich stark aus der Nase blute, bietet mir eine Läuferin einen Tampon für die Nase an. „Aber bitte einen OB mini!“ Na also, der Herr Bernath hat schon wieder Oberwasser und kann seine Erstversorger mit herzlichem Dank weiterschicken. Wenige Minuten später trifft der Bergretter ein, den ich noch vor wenigen Minuten in der Sonne liegend fotografiert hatte. So schnell kann man sich wiedersehen. „Brauchst Du einen Heli oder meinst Du absteigen zu können?“, fragt er nach weiterer Behandlung. „Wenn Ihr jetzt den Michi hättet, aber ich kann doch zuhause mit keinem unbekannten Piloten angeben!“

Gott sei Dank geht es mir wirklich den Umständen entsprechend gut, obwohl meine Optik deutlich gelitten hat. Mit ihm, weiteren Abbrechern und anderen Bergrettern setze ich meinen Weg, jetzt außerhalb der Konkurrenz, langsam fort. Am Edelgrießgletscher ist dann auf 2.521 m Seehöhe der Scheitelpunkt des Laufs erreicht. Ein technisch schwieriger Abstieg, also genau das, was ich nicht kann, liegt vor mir. Aber Zeit habe ich ja jetzt im Überfluss.

Übrig ist von dem (ehemaligen) Gletscher nicht mehr viel, dennoch warten einige Schneefelder auf die Durchquerung. Ich denke an meine optisch peinliche Vorstellung hinter dem zweiten Pass beim Rosengarten-Schlern-Skymarathon und bin auf das Schlimmste gefasst. Doch ist Querung etwas anderes als ein Abstieg auf der Direttissima. Obwohl ich eigentlich genug eigene Probleme habe, kann ich das Fotografieren nicht ganz lassen. So schwierig die Strecke ist, so lieblich und herausragend ist die Umgebung. Durch das Edelgrieß auf steilalpinen Wegen erreiche ich schließlich die Türlwandhütte und damit nach 23,3 km das Ende meiner heutigen Reise.

In exakt dem Wagen, den ich vor dem Start fotografiert hatte, bringt man mich zum Start zurück, wo ich mich im Bergretter-Hauptquartier frischmachen und im Hallenbad duschen kann. Im „Bergretter“-Krankenhaus attestiert man mir „nur“ eine gebrochene Nase und vielleicht eine leichte Gehirnerschütterung.Was habe ich heute gelernt? Die Strecke ist einfach geil, aber für gereifte Normalos wie mich grenzwertig. Wieso man, wie einer meiner ausgeschiedenen Begleiter auf den letzten km, ohne jede alpine Vorerfahrung auf die Idee kommen kann, hier zu melden, ist mir ein Rätsel.

Eines ist vollkommen klar: Ich werde zurückkommen. Dann aber auf der Strecke, die ich sicher und gut bewältigen kann, nämlich den 24 km. Die Erinnerung an die traumhafte Landschaft, die Top-Organisation, die supernetten, zuverlässigen Bergretter (auch ohne Katharina, Markus, Tobi, Michi & Co.) bleibt. In jeder Hinsicht habe ich heute Läuferglück auf dem Dachstein erlebt. Mein besonderer Glückwunsch gilt dem Peter, der hier in neuneinhalb Std. nicht nur souverän erfolgreich war, sondern damit seinen 100. Marathon und länger geschafft hat.

 

Streckenbeschreibung:
Technisch und konditionell sehr anspruchsvoller Lauf über 42,2 km auf bis zu 2.527 m Höhe (tiefster Punkt bei 901 m), offizielle 2.336 Hm auf- und abwärts, Zielzeit 10 Stunden, Cut Off bei der Silberkarhütte nach 2:30 Std. (9,6 km), beim Guttenberghaus nach 4:00 Std. (14,8 km), bei der Türlwandhütte nach 6:30 Std. (22,8 km) und bei der Walcheralm nach 8:00 Std. (29,4 km).

Startgebühr:
69 - 89 € für den Marathon, je nach Anmeldezeitpunkt.

Weitere Veranstaltungen:
Teamlauf (4 x 10 km), HM über 24 km mit 500 HM und 10 km mit 150 Höhenmetern.

Leistungen/Auszeichnung:
Medaille, Urkunde, Preise für die Schnellsten, auch in den Altersklassen.

Logistik:
Perfekt am und ums Stadion inkl. Dusche im benachbarten Hallenbad und inkludiertem Nudelessen samz Getränk nach dem Lauf.

Verpflegung:
An den 4 Cut Off-Stellen und noch einmal vor dem Ziel: Wasser, Isotonische Getränke (Melasan), Cola, Sportriegel (Melasan), Sportgels (Melasan), Salzkapseln (Melasan), Traubenzucker, Bananen, Essiggurken.

Zuschauer:
Verständlicherweise fast nur an Start und Ziel sowie an den Hütten.

 

Informationen: Torlauf Dachstein
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