Vor vier Jahren war ich zum ersten Mal beim Trail Du Petit Ballon am Start. Dieser Lauf wird wohl allen Teilnehmern unvergessen bleiben und war auch in diesem Jahr noch Gesprächsthema bei dem ein oder anderen Starter, der damals dabei war. Ein überraschender Wintereinbruch auf dem Ballon hatte dafür gesorgt, dass der Lauf zu einem Balanceakt wurde, wie Bernie seinen Bericht von damals auch tituliere. Ich fand ihn damals trotzdem schön und wollte mir das ganze nochmal bei schönem Wetter anschauen. Wie gesagt, vier Jahre hat es gedauert, aber heuer bin ich wieder mit dabei.
Schon am Vortag mache ich mich deshalb zusammen mit Kati auf den Weg ins elsässische Rouffach. Der Ort mit rund 4500 Einwohnern liegt etwa fünfzehn Kilometer südlich von Colmar und achtundzwanzig Kilometer nördlich von Mühlhausen, an den Weinbergen der östlichen Ausläufer der Vogesen. Wie schon damals bin ich von Rouffach begeistert. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Dem besonderen Charme erliege ich wieder sofort.
Die Startnummernausgabe findet wie schon in den vergangenen Jahren in einer Mehrzweckhalle am Rande der Ortschaft statt. Ich hatte das von meiner Teilnahme noch anders in Erinnerung. Da holten wir unsere Startnummern noch im alten Rathaus und die Pasta-Party fand im großen Rathaussaal statt. Aufgrund der steigenden Teilnehmerzahl musste man wohl in die Mehrzweckhalle weichen, was ich persönlich sehr bedauerlich finde. Das Ambiente im alten Rathaus machte die Pasta-Party damals schon zu einem Erlebnis. Die Startnummer bekomme ich gegen Aushändigung meines Gesundheitszeugnisses, das in Frankreich bei der Teilnahme an Laufveranstaltungen vorgeschrieben ist. Zudem bekommen wir noch ein Teilnehmershirt und eine Flasche „Crèmant D`Alsace“. Dieses edle Tröpfchen werde ich mir mal zu einem besonderen Anlass gönnen.
Kati und ich entscheiden uns gegen die Teilnahme an der Pasta-Party. Ich kenne vom letzten Mal noch einen gemütlichen Italiener, der mich in diesem Moment mehr anspricht. Satt und doch schon etwas müde von der Anfahrt, die für mich rund sechs Stunden dauerte, verabschiede ich mich für diesen Abend von Kati und verziehe mich auf mein Zimmer. In der Früh sind wir wieder verabredet.
Rouffach ist heute komplett für den Autoverkehr gesperrt und wir müssen zu Fuß zur Halle. Das bringt unseren Zeitplan etwas durcheinander, aber schließlich sind wir eine Stunde später rechtzeitig am Start. Über 52,6 Kilometer und rund 2300 Höhenmeter wird der Trail Du Petit heute führen. Später werden auch noch die Teilnehmer des Les Grands-Cus über 27 Kilometer und 900 Höhenmeter, sowie des L`Ane Minitrail über 9 Kilometer und 250 Höhenmeter auf die Strecke geschickt. Wenn ich die Ansage richtig verstanden habe, sind insgesamt über 2000 Läufer am Start. Ich schätze, dass etwa 1100 davon auf den langen Lauf entfallen.
Kati und ich wollen heute den Lauf gemeinsam bestreiten und haben uns relativ weit hinten im Feld einsortiert. Hinter uns steht der „Besenläufer“ und Kati witzelt noch, ob wir uns denn nicht schon mal bei ihm vorstellen sollen. Dass wir noch genügend Zeit haben werden, uns kennenzulernen, können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.
Um punkt neun laufen wir flankiert von zahlreichen Zuschauern los. Es geht ein paar hundert Meter durch Rouffach, bevor wir in die umliegenden Weinberge entlassen werden. Dabei haben wir auch gleich den ersten Anstieg vor uns und schon finden wir uns am Ende des Feldes wieder. Nur der Besenläufer und ein paar vereinzelte Mitläufer sind mit uns gleich auf. Ich mache mir keine Sorgen, der Lauf ist lange und da kommt es nicht auf die ersten Meter an. Das Wetter ist übrigens prima. Es hat etwa zehn Grad und hier und da schafft es sogar die Sonne durch die Wolken. In den Weinbergen ist es herrlich zu laufen, immer wieder geht es leicht bergauf und bergab und nahezu unbemerkt machen wir die ersten wirklichen Höhenmeter. Erste Läufer entledigen sich ihrer Laufjacken und verstauen diese im Rucksack. Auch mir wird es warm, ein Laufshirt ist völlig ausreichend.
Wir kommen in die höher gelegenen Weinberge und ich kann mich noch gut erinnern, dass es hier letztes Mal schon zu schneien begann. Dieses Mal ist alles prima und die Aussicht auf die umliegenden Täler hervorragend. Ich fühle mich richtig gut, wundere mich nur, dass wir immer noch nur einen einzigen Läufer hinter uns haben. Kati fängt an, über den Cut-Off bei Kilometer 43 nachzudenken. Ich habe keine Bedenken, sieben Stunden sollten reichen.
Nun kommt ein Streckenabschnitt auf den ich mich wirklich freue. Bis Schauenberg bei Kilometer 10 beginnen tolle Single-Trails, die Zeit vergeht wie im Flug. Alles läuft prima und wir haben richtig Spaß. So erreichen Kati und ich schließlich Schauenberg und damit die erste Verpflegungsstation. Ich gönne mir ein paar Kekse und spüle sie mit einem Becher Iso hinunter. Ach ja, auch das ist für mich neu. Die Becher muss man selbst mitführen. Es gibt an den Verpflegungsstellen keine Einwegbecher, was ich sehr löblich finde.
Ab jetzt begleitet uns der Besenläufer. Uns ist das etwas peinlich. Er ist zwar rührig, aber offensichtlich hält er uns für Anfänger und erklärt uns gleich mal, dass wir reichlich trinken sollen, da der Weg noch weit ist. Wir lassen das jetzt einfach mal so stehen und machen uns wieder auf die Socken.
Die Führenden des Les Grans-Cus sind hinter uns, wir passen auf, dass wir die flotten Jungs nicht behindern. Wir laufen jetzt auf breiten Waldwegen, so dass dies auch kein Problem darstellt. Kati und ich spenden hier und da artig Applaus und werden im Gegenzug gegrüßt und angefeuert. Der Zusammenhalt und den Trailern ist einfach einzigartig.
Unsere nächste Station wird Osenbach sein. Dort finden wir bei Kilometer 17 die nächste Verpflegungsstation, aber davor kommt erst nochmal ein genialer Single-Trail, der uns einige der erlaufenen Höhenmeter wieder verlieren lässt. Ab und zu muss ich in die Büsche ausweichen, um den schnellen Kurzstrecklern aus dem Weg zu gehen, doch irgendwann ist die Strecke einfach zu eng und uns bleibt nichts anderes übrig, als deren Tempo mitzugehen. Es macht richtig Spaß, so den Berg runter zu fliegen, aber schließlich sind wir froh, als uns der Wald wieder ausspuckt und ich die Möglichkeit habe, zu verschnaufen.
Ich bin etwas verwundert, als wir die Verpflegungsstation auf einem Bauernhof außerhalb von Osenbach erreichen. Bei meiner letzten Teilnahme war die noch im Ort. Ich merke, die Strecke hat sich seit meiner letzten Teilnahme grundlegend geändert und ist drei Kilometer länger. Einfacher ist sie dadurch nicht, sondern wesentlich härter. Daran kann auch das tolle Wetter nichts ändern.
Auf den nächsten sechs Kilometern bis zur Verpflegungsstation am Hirtzenstein warten rund 300 Höhenmeter auf uns und wir kommen nur noch schleppend voran. Der Besenläufer ist immer in unserer Nähe, lässt uns jedoch größtenteils in Ruhe. Nur gelegentlich begleitet er uns, und erzählt uns „Novizen“ Erlebnisse aus seiner Laufkarriere und beginnt, mit seinen Bestzeiten zu prahlen. Kati und ich schmunzelten uns an. Aufklärungsarbeit wollen wir heute nicht mehr leisten.
Nach dem Verpflegungsposten Hirtzenstein bei Kilometer 23 geht es erst mal wieder nach unten und wir traben gemütlich an einem beschaulichen Bergbach entlang. Dann der Aufstieg zum Petit Ballon. Wir befinden uns auf etwa 580 m, auf den nächsten fünf Kilometern heißt es rund 700 Höhenmeter zu überwinden. Eine Rast gibt es nur noch bei der Verpflegungsstation Drei Schoepf. Beim Aufstieg sehe ich seit langer Zeit mal wieder einen Mitläufer. Er ist rund 500 Meter vor uns. Nach und nach sammeln wir die Höhenmeter ein. Ein Blick zurück muss sein, die Aussicht ist herrlich, die Landschaft ein wahrer Traum. Erste kleine Schneefelder kommen in Sicht und es wird deutlich kühler!; Wind kommt auf, die Sonne verzieht sich und es wird neblig.
Die Verpflegungsstation bei Kilometer 29 erreichen wir problemlos und stellen fest, dass wir die Jagd auf den in Sichtweite gelaufenen Kollegen einstellen können. Er hat sich mit einem anderen Läufer niedergesetzt und das Rennen beendet. Ich packe meine Jacke aus, es kalt geworden und der Wind pfeift ganz ordentlich. Wir stärken uns für den weiteren Aufstieg und bekommen von unserem Besenläufer wieder „wertvolle“ Tipps. Kati spricht französisch und bekommt mit, wie er den Helfern sagt, dass er uns noch auf den Gipfel bringt, dann aber wohl Schluss sei. Wir schmunzeln und denken, dass wir es dem schon zeigen werden.
Der Aufstieg ist anstrengend, aber problemlos. Ich kann es kaum erwarten, vor der Madonna am Gipfel des Petit Ballons zu stehen. Endlich ist es dann auch so weit. Eisig kalt ist es hier oben, gefühlte Minusgrade. Der Besenläufer hat wohl Angst zu erfrieren und macht sich auf den Weg. Wir rufen ihm noch zu, dass wir alleine klarkommen. Rund eine Stunde bleibt uns nun noch bis zum Cut-Off in Osenbach. Eine Stunde für zehn Kilometer, das wäre bei einem Straßenlauf machbar, aber nicht bei diesem Trail. Kati ist ziemlich platt und will in Osenbach aussteigen. Ich ihr das aus und wir nehmen uns vor, den Lauf gemeinsam zu finishen, auch wenn wir die Zeit nicht schaffen.
Wir kommen auf einem breiten Waldweg gut voran. Erst bei Kilometer 39 (statt 37) sind wir an der nächsten Verpflegungsstelle. Wir treffen unseren Besenläufer, der sein Läuferoutfit bereits abgelegt hat. Wo kommt ihr denn her, ich habe mir schon Sorgen gemacht? Ich verstehe gerade gar nichts mehr. Schließlich wird klar, dass wir falsch und deshalb 2 km extra gelaufen sind. Gut, die Cut-Off-Zeit war damit endgültig kein Thema mehr.
Fünf Kilometer sind es noch bis Osenbach und da es nur noch leicht bergab geht und die Wege wirklich gut zu laufen sind, werden wir den Ort schnell erreichen. Auf dem Bauernhof sind die Helfer bereits am Abbauen und begrüßen uns freudig. Ihr könnt gleich in das Auto hier einsteigen, meint ein Helfer. Wir erklären ihm, dass wir lieber ins Ziel laufen wollen und einigen uns darauf, dass wir unsere Startnummern abgeben und auf eigene Faust weitermachen. Wir werden kurz begutachtet und für fit genug für die letzten 13 Kilometer eingeschätzt. Wir bekommen sogar noch etwas Verpflegung mit und werden mit anerkennenden Blicken verabschiedet. Ein besonderes Erlebnis für Kati und mich.
Wir sind beeindruckt, als sich ein Helfer dezent zurück hält, um die Markierungen hinter uns einzusammeln, damit wir uns nicht noch einmal verlaufen. Es folgt nur noch ein sachten Anstieg in einem Waldgebiet, dann geht es über eine Teerstraße zwischen den Weinfeldern steil bergab. Unten können wir die schon beleuchteten Ortschaften sehen. Wir freuen uns riesig, dass noch ein Streckenposten bei Kilometer 49 mit Verpflegung auf uns wartet. Danke für so viel Gastfreundschaft.
Es ist inzwischen dunkel, die Ausblicke sind herrlich. Wir sind einfach nur happy. Es ist für uns ein ganz besonderer Lauf und wir zählen uns zu den Finishern, obwohl unseren Zieleinlauf (Hand in Hand) niemand mitbekommt.
In der Mehrzweckhalle sind die Helfer bereits am Feiern. Wir können duschen und werden sogar zum Buffet eingeladen. Auch unsere Finisher-Westen will man uns noch zuschicken. Einfach super, diese Elsässer.
28.03.17 | Erster ECU-Wertungslauf 2017 über den Petit Ballon |