Ein Berg – drei Namen: Petit Ballon, Kleiner Belchen, Kahler Wasen. Der Begriff „Wasen“ kommt aus dem Althochdeutschen und bedeutet Wiese. Der alemannische Begriff „Belchen“ bezieht sich indirekt auf den Bewuchs, damit wird eine kahle Kuppe bezeichnet. Die Franzosen tauften sie wegen ihrer Kuppelform in „Ballon“ um. Das Attribut „Klein“ wird verwendet, da es noch zwei weitere Belchen in den Vogesen gibt, den in Sichtweite gelegenen, aber 150 m höheren Grand Ballon (Großer Belchen) und den Ballon d'Alsace (Elsässer Belchen).
Wahrscheinlich waren es die Kelten, die den Belchen ihre Namen gaben und sie zur Bestimmung ihrer wichtigsten Feste im Jahreslauf nutzten. Bei ihnen bedeutete „bel" hell oder glänzend. „Beim Belenus!“ Jeder fleißige Asterix-Leser wird den Ausruf kennen, er war der keltische Gott des Lichtes. Die Elsässer Belchen haben noch Namensvettern in der Schweiz (Belchenflue) und im nahen Schwarzwald (Belchen). Sie gehören zu einem System von „bel-Bergen“ oder auch Licht-Bergen, das aus dieser Zeit stammt. Damit waren sie auch heilige Berge, auf denen große Feste und kultische Handlungen stattfanden.
Zentraler Ausgangspunkt dieses Sonnenkalenders der Kelten ist der Elsässer Belchen. Zur Frühjahrs- (23.3.) und zur Herbst- (23.9.)Tagundnachtgleiche ist zu beobachten, wie die Sonne über dem Belchen im Schwarzwald aufgeht; umgekehrt ist am Abend der Tagundnachtgleichen auf dem Schwarzwälder Belchen zu beobachten, wie die Sonne hinter dem Elsässer Belchen versinkt. An Mittwinter (21.12.) ist auf dem Elsässer Belchen zu sehen, wie die Sonne über der Belchenflue im Jura aufgeht, während sie an Mittsommer (21.6.) über dem Kleinen Belchen aufgeht. Am 1. Mai wiederum erscheint die Sonne über dem benachbarten Großen Belchen. Alles kapiert?
Bei den Elsässer Ballons gibt es noch eine weitere Gemeinsamkeit, die zwar nicht mystisch ist, aber dafür vor allem uns Läufer-Spezies freut. Auf jeden Berg werden regelmäßig hochkarätige Trails ausgetragen. Im Juni kann man sich beim Mara-Trail du Ballon d’Alsace mit 42,5 km und 1700 m Aufstieg austoben. Der „La Montée du Grand Ballon“, auf den Gipfel des gleichnamigen ist heuer ein World Grand Prix-Bergrennen mit 13,3 km und über 1200 Höhenmetern. Im Mai wird dort sogar Bergkönig Jonathon Wyatt erwartet.
Der längste Ballon-Lauf ist der „Trail du Petit Ballon" mit knapp 47 km und 2100 hm. Den wollen Jan und ich morgen bezwingen. Start- und Zielort ist Rouffach am Rande der Vogesen im Oberen Elsass, in Frankreich nennt sich das dann Départment Haut-Rhin. Die Stadt liegt in etwa auf halben Weg zwischen Collmar und Mühlhausen. Auf der anderen Seite des Rheintals ist Freiburg etwa 50 km entfernt. Rouffach ist bisher vom übermäßigen Touristenansturm verschont geblieben und strahlt eine wunderbare Ruhe aus. Die Zeit scheint hier stehengeblieben zu sein, was dem Ort einen ganz besonderen Reiz und Charme verleiht. Unser erster Weg führt zum Place de la République, einem der schönsten Marktplätze im ganzen Elsass. Im dort gelegenen Alten Rathaus, auf Französisch klingt das mit I‘Ancien Hôtel de Ville wesentlich vornehmer, ist der Anmeldebereich untergebracht.
Der Komplex des Alten Rathauses mit zwei Gebäuden war früher ein Teil der alten Stadtmauer. Ebenso der danebenliegende mittelalterliche Hexenturm, der bis ins 18. Jahrhundert als Gefängnis diente, in Zeiten als Rouffach noch Hochburg von Hexenprozessen war.
Über uns kreisen Störche. Sie sind eine besondere Attraktion in der Stadt und im Elsass allgemein. Zwischen Hexenturm und First des alten Rathauses ziehen sie heute eine tolle Flugshow ab. Der „Cigogne“ ist das Wappentier des Elsass und im Haut-Rhin häufig anzutreffen. Die Elsässer lieben ihren Storch so sehr, dass sie europaweit sogar die größte Aufzuchtstation betreiben und einen Storchenpark gegründet haben. Die Siegertrophäen für die morgigen Trails sind im Rathaus auch schon zu begutachten, natürlich in Storchform.
Für den Trail du Petit Ballon waren bei rechtzeitiger Anmeldung 26 Euros zu berappen. Aber auch die Nachmeldegebühr mit 30 € liegt in einem erschwinglichen Bereich. Dafür gibt es, sozusagen zum Warm-up vorab mal für jeden eine Flasche Crèmant d‘Alsace, dessen Herstellverfahren dem des Champagners gleicht.
Ganz wichtig und das gilt generell für Veranstaltungen in Frankreich: ohne einen ärztlichen Gesundheitsnachweis, der nicht älter als ein Jahr ist, geht hier gar nix.
Neben der Ultradistanz werden auch noch der 24 km lange Circuit des Grands Crus mit 900 hm und zum Reinschnuppern ein 9 km Mini-Trail mit 200 hm angeboten. Eine besondere Aufwertung hat die Langdistanz heuer erfahren durch die Aufnahme zu den Wertungsläufen des Europacups der Ultramarathons. Diese Serie geht in seine 20. Auflage. Vertreten sind jetzt Läufe in Deutschland, Frankreich, Österreich, Schweiz, Slowenien und Tschechien, darunter u.a. der Rennsteiglauf-Supermarathon, die 100 km von Biel, der Wörthersee-Trail und der Alb Marathon. Für die Endwertung reichen drei erfolgreich abgeschlossene Läufe, die in einem komplizierten System zu einem Ergebnis addiert werden. Speziell dazu anmelden muss man sich aber nicht, es reicht an dreien davon teilzunehmen.
Gegen Aufpreis von 10 € kann man die Teilnahme an der Pasta Party buchen. Die findet ebenfalls im Alten Rathaus statt, in einem großen Raum unten im Kellergewölbe. Ab 19:00 Uhr ist Einlass. Man sollte aber tunlichst vermeiden, diese Verköstigung mit einem allgemein üblichen Nudelessen zu vergleichen. Hier gibt es für die Moneten ein vollwertiges Drei-Gänge-Menü mit Vorspeisenteller, Nudelgericht und Obstsalat zum Nachtisch. Obendrein werden noch Wasser und Wein gratis dazu serviert. Nachgeschenkt wird so oft wie man will. Zumindest wenn es im Rahmen bleibt, ob das auch bei Joe’s Konsum problemlos hinhauen würde, kann ich nicht beurteilen.
Überall herrscht gute Laune. Hier eine Begrüßung, da ein Hallo – fast lauter Freunde und Bekannte haben sich zum Start des Ultra eingefunden. Es ist fast wie zuhause. Von den ca. 670 Läufer/innen kommen über 150 aus Deutschland. Das ist eine erhebliche Steigerung zum Vorjahr. Ja, Trailrunning ist auch in Deutschland im Kommen.
Um Punkt 9 Uhr werden wir in Marsch gesetzt. Es gibt keine Nettozeit, wer es eilig hat, sollte sich am besten vorne einordnen. Gedränge gibt es deswegen aber keines. Nur wenige hundert Meter sind vom Startplatz weg durch Rouffach zu absolvieren, schon geht es bergwärts rein durch die Rebstöcke. Über die ersten Vorhügel der Vogesen erreichen wir nach drei Kilometer Westhalten. In der Ortschaft geht es rechts ab, steil einen schmalen Weg hinauf. Ein Großteil der Meute vor mir hat sich hier wieder versammelt, wir stehen im Stau. Wer es gemütlich hat anrollen lassen, hat definitiv die bessere Wahl getroffen. Rudolf Mahlburg ist ganz begeistert, bei seinen Gruppenläufen hätte er gerne mal alle so gemeinsam auf einem Haufen. Zwei, drei Minuten und alles hat sich wieder aufgelöst und schnell zieht sich das Feld wieder auseinander.