Ein wunderbarer Wiesentrail führt uns mit sanftem An- und Abstiegen über ein kleines Plateau mit spärlichem Bewuchs. Links von uns erhebt sich unser Etappenziel, der Petit Ballon. Ganz gut sind ein paar Schneereste auf dem Gipfel auszumachen. Nach den Jagdhornbläsern wird’s spürbar steiler. Notre-Dame du Hubel nennt sich die erste Getränkestation im Wald bei km 6,7. Empfohlen, bzw. sogar Vorschrift ist in der Ausschreibung das Mitführen einer Getränkeflasche oder eines Trinkrucksacks. Stichpunktartige Proben sind ebenfalls darin angekündigt.
Waldwege und schmale Pfade, meistens bergauf, führen uns nach Osenbach (km 11,3). Zwischendrin werde ich bereits von den 30 Minuten nach uns gestarteten „Kurzstrecklern“ überholt. Mit deutlichem Abstand vor seinen Verfolgern flitzt der Führende der 24 km-Strecke an mir vorbei. In 1:31 Std. finisht er am Ende seinen Lauf mit fast 10 Minuten Vorsprung. Am Ortsanfang von Osenbach erwarten uns ein üppig ausgestatteter Versorgungsstand und kurz danach ein Dudelsackbläser. Die Läufer des kürzeren Circuit des Grands Crus werden in der Ortsmitte von uns getrennt, bei ihnen geht es bereits auf den Rückweg.
Wettkämpfe ganz anderer Art werden hier traditionell im April und Mai beim Schnackafàscht d'Osenbach ausgetragen. Schnecken liefern sich dort spannende Wettläufe über eine Distanz von 50 cm auf speziellen Holzbahnen. Beim Schneckenrennen wetten die Besucher auf die schnellste Schnecke, die dann auch feierlich zum Champion gekürt wird. Während die Festbesucher sich amüsieren, geht es den eigentlichen Hauptakteuren aber an den Kragen. Einige hundert Kilo werden an zwei Wochenenden mit Knoblauchbutter und Baguette verfuttert. Ob der Gewinner des Rennens verschont wird, ist mir nicht bekannt.
Immer ansteigend geht es meist auf Waldwegen weiter. Das einzig störende ist momentan der aufkommende leichte Regen, dazu sind auch die Temperaturen in den Keller gegangen. Ganz so dramatisch ist das aber nicht, die meisten Trailer sind eh gut gekleidet oder führen einen Rucksack mit Regenkleidung mit sich. Zudem werden wir noch nicht mal richtig nass, es nieselt mehr, aber die Piste wird doch sichtbar schmieriger. Über den Col du Firstplan erreichen wir die nächste Verpflegungsoase am Col du Boenlesgrab (19,6 km), etwa 4 km unterhalb der Ballonspitze. Das Angebot ist vielfältig. Es reicht von deftiger Salami, Käse, Brot, Kekse, Schokolade, Salzgebäck, Trockenpflaumen, Rosinen, Äpfel bis zu Orangen. Bestimmt hab ich noch einiges vergessen. Neben Wasser und Iso gibt es auch Elsässer Cola.
Immer steiniger und steiler wird der Aufstieg. Aber dafür hört der Regen wieder auf und obwohl es doch ziemlich bewölkt ist, wird uns nach durchqueren eines kleinen Waldgebietes eine herrliche Aussicht über die Vogesen geboten. Ein Schild am Baum prophezeit uns noch 25 Minuten zum Petit Ballon. Beim nächsten Schild, nur einige hundert Meter weiter wird er mit Kahler Wasen bezeichnet. Hier ist man sich also selbst unmittelbar vor dem Gipfel nicht einig, welche Bezeichnung man bevorzugt. Auf einem matschigen Schneefeld ist wieder Vorsicht geboten, darunter ist es stellenweise auch noch glatt. Kurz bevor ich oben ankomme werde ich von einem Mitläufer nach meiner Höhenmeteranzeige angesprochen. Übereinstimmend bekommen wir beide 1325 hm auf unseren Uhren angezeigt. Da werden wohl die 2140 hm in der Ausschreibung etwas hoch gegriffen sein.
Der 1.272 m hohe Gipfel des Petit Ballon wird anstelle eines Kreuzes von einer Marienstatue gekennzeichnet. Die Aussicht über den Naturpark Ballons des Vosges und die Rheinebene ist trotz nicht idealen Wetters grandios. Die schnell durchziehenden Wolkenschleier bieten eine dramatische Inszenierung. Leider bin ich nicht versiert genug, um genau die Standorte der anderen Belchen ausmachen zu können. Nach dem kurzen Aussichts-Stopp geht es super steil über eine Bergweide runter vom höchsten Punkt des Kurses. Der läuferische Höhepunkt folgt gleich unmittelbar nach dem optischen.
Nach überqueren der spärlich bewachsenen Matte tauchen wir ein in den Wald und werden mit einem traumhaft schönen Singletrail belohnt. Serpentinenartig führt er uns über mehrere Kilometer wieder runter zur schon einmal passierten VP-Station Boenlesgrab. Das Verpflegungs-Angebot hat sich schon deutlich gelichtet, ein Großteil der Trailer ist ja auch schon durch. Nach einer leichten Steigung dürfen wir uns wieder in die Büsche schlagen. Was nachfolgend kommt, entfacht bei mir einen wahren Jubelsturm. Weitere vier Kilometer geht es ausschließlich auf einem bombastischen Singletrail durch den Wald abwärts. Die Strecke bietet hier alles, was das Trailerherz begehrt. Es ist ein einziger Hochgenuss. Allerdings hätte es mich fast vor aller Euphorie auf die Schnauze gelegt. Nur mit Mühe kann ich einen Sturz vermeiden, als ich auf einem glitschigen Stein wegrutsche.
Unterbrochen wird meine Jubelorgie erst in Wintzfelden bei km 30. Hier kann ich das erste Kilometerschild für heute entdecken. Aber ich habe mir später sagen lassen, dass vereinzelt noch weitere Kilometerangaben zu finden waren. Die nachfolgenden Überführungskilometer nach Osenbach verlaufen leicht wellig über Feld- und Wirtschaftswege. Mitten im Ort gibt es wieder die Möglichkeit, nachzutanken. Dass ich doch relativ spät dran bin, kann ich wieder sehr gut an dem ausgedünnten Verpflegungs-Angebot ausmachen. Verspätet aber noch lange nicht zu spät. Zum Scheitern am Zeitlimit von 5:30 Std. fehlt doch noch einiges.
Meine Begeisterung findet ihre Vorsetzung. Nach der Ortsdurchquerung werden wir in den Pfaffenheimer Forst geleitet. Erst müssen wir wieder einiges an Höhenmetern gewinnen, bevor wir an den Rand der Vogesenausläufer gelangen. Dort bietet sich uns ein herrlicher Blick über die 200 Meter unter uns liegenden Ortschaften Geberschweier und Pfaffenheim. Nachfolgend zieht sich unsere Laufstrecke auf einem abwechslungsreichen, schmalen Pfad über viele Kilometer an der Bergflanke entlang. Immer wieder unterbrochen von einer berauschenden Aussicht hinunter ins Rheintal.