Zuerst geht es nun einige Kilometer weit auf einem wunderschönen Single-Trail oberhalb der Rheinebene entlang, immer ein paar Meter bergauf, dann wieder hinab. Schöne Blicke auf Weindörfer, rechts und links kleine Felsen, moosbewachsene Bäume, die Vögel zwitschern, die Sonne scheint, ab und zu springen wir über Wurzeln oder Steine - ach wie froh bin ich, hier in der Natur zu sein. Um keinen Preis der Welt will ich mit den Läufern tauschen, die jetzt gerade weit entfernt in einer Halle über künstliche Hindernisse laufen.
Im letzten Jahr liefen die Teilnehmer auf diesem Streckenabschnitt bereits durch Schnee. Bernie hat dies anschaulich beschrieben. Schade, dass ich damals nicht dabei war! Auch solche Bedingungen hätten mir großen Spaß gemacht. Aber heute genieße ich ganz einfach uneingeschränkt diesen herrlichen Frühlingstag.
Bei der ersten Verpflegungsstelle Schauenberg warte ich drei Minuten, bis die Jagdhornbläser aktiv werden, damit ich sie filmen kann. Inzwischen hänge ich mal wieder fast am Ende des Teilnehmerfeldes, aber bekanntlich sind mir Platzierungen völlig egal.
Da ich aber weiß, dass es während der nächsten zwei Stunden nicht allzu viele Fotomotive gibt, ich mich pudelwohl fühle und Lust habe, schneller zu laufen, beschleunige ich nun mein Tempo und überhole bis zur zweiten VP in Osenbach sicher 50 Leute. Das macht mir heute richtig Spaß. Zwischendurch höre ich hinter mir Warnrufe, sehe beim Umdrehen einige Läufer mit sehr hohem Tempo auf mich zu rasen, springe gerade noch neben den Trail, und schon sausen die schnellsten Läufer der Mitteldistanz an mir vorbei. Nachdem es bereits in den letzten Jahren Probleme gab, als die schnellen Läufer sich auf engen Trails an den langsamen Ultras vorbei drängeln mussten, starteten dieses Mal die Halben nicht 30 Minuten sondern eine Stunde nach uns. Wie zu sehen ist, reicht auch dieser Abstand nicht aus.
In Osenbach erreiche ich bei km 16 die zweite Verpflegungsstelle. Die VPs bieten neben Wasser und Cola unter anderem Äpfel, Orangen, Bananen, getrocknete Aprikosen, Rosinen, Kuchen, Gebäck, Salzstangen, Salami, Käse und Schokolade.
Danach folgen wieder einige recht sonnige Kilometer mit viel einfachem Auf und Ab. Ungefähr nach Halbmarathon-Distanz beginnt der eigentliche Aufstieg zum Gipfel. Durch den Wald marschiert die Läuferschlange stetig bergauf. Für routinierte Ultratrail-Starter ist der Petit Ballon eher ein Trainingslauf, aber manche Leute, die ansonsten Volksläufe oder Stadtmarathons bevorzugen, stoßen hier schon einmal an ihre Grenzen. Immer wieder sehe ich erschöpfte Teilnehmer am Streckenrand stehen. Trotzdem kann ich diese Veranstaltung als idealen Einstieg in das Thema Ultratrail empfehlen.
Häufig treffe ich auf Freunde und Bekannte. Solche Begegnungen bedeuten mir von Lauf zu Lauf mehr. Obwohl meine Traumziele eigentlich immer noch weit entfernte und leider unbezahlbare Lauf-Abenteuer wie Trans-Arabia oder andere Wüstenläufe sind, konzentriere ich mich doch lieber auf solche regionale Läufe.
Der lange Aufstieg wird zwischendurch von einem fast flachen Stück unterbrochen, dann geht es wieder auf Trails bergauf. Kurz vor der nächsten Verpflegungsstelle (km 25,5 und 33,1) erreichen wir den einzigen Weg, auf dem uns heute andere Läufer entgegen kommen.
Es ist schon etwas frustrierend, wenn man die vielen Trailer sieht, die jetzt schon über den noch weit entfernten Gipfel gelaufen sind und fast nur noch bergab zum Ziel laufen müssen, während in meiner Richtung noch je 400 Höhenmeter Auf- und Abstieg zu bewältigen sind.
Unterhalb der Waldgrenze laufe ich über den schönsten Trail der Strecke. Ein steiler Pfad windet sich zwischen Birken anstrengend in die Höhe. Dann sehe ich eine schier endlose Läuferschlange weit vor mir den fast baumlosen Gipfel hinauf marschieren.
Immer wieder bleibe ich beim Aufstieg stehen und genieße die weite Aussicht. Der Schwarzwald bleibt heute zwar hinter dem Dunst der Rheinebene verborgen, aber der Blick auf die Berge der Vogesen genügt mir. An klaren Tagen kann man von hier oben auch viele Gipfel der Alpen sehen.
Kurz bevor ich den Petit Ballon erreiche, komme ich aus dem Windschatten heraus. Die kalte Luft kühlt mich schnell aus. Vom Dudelsackspieler, dessen Klänge mich noch vor wenigen Minuten anspornten, ist nichts mehr zu hören und zu sehen. Zuschauer nehmen den Läufern die Kameras ab, um für sie den Gipfelsieg festzuhalten.