Es gibt kein Zurück mehr. Ich sitze im Bauch der Tiger. Was ich nicht bei mir habe, wird mir fehlen. Mal eben zum Auto, noch was holen, geht nicht. Das steht an Land, hinter dem Zaun. Und die Tiger rast mit hohem Tempo über die Wellen. Den Bauch voll mit Läufern. Mit Kurs auf die Insel.
Wie sich herausstellt, auf eine der schönsten im Wattenmeer: Terschelling. Dreimal größer als Borkum, so lang wie Norderney und abwechslungsreich wie nur sonst was. Dünen, hoch und niedrig, Wald und nochmal Wald und Strand, 30 km lang, bis 1 km breit. Der Regen von heut Nacht ist versickert und hat den Boden verfestigt. Ein paar Wolken nähern sich, Lorenz leuchtet intensiv. Ein wunderbarer Tag beginnt.
Ideal für den Terschelling- Trailrun. Zum 4. Mal von Columbia gesponsert, wie der UTMB. Das heißt schon was. Es gibt ein Übernachtungsprogramm für uns, Willkommensessen vorher und barbecue hinterher. Alles von Freitag bis Montag. Die Zeit nehmen sich viele, die Insel ist ja auch wirklich toll. Die Steinhäuser sind alle nicht älter als 353 Jahre, 1666 wurde alles niedergebrannt und urgemütlich wiederaufgebaut. Überall Lekker und Koffie, seafood, lunch und dinner. Waffeln mit Cranberry- eine lokale Spezialität. Klasse.
Es ist ein 20 min Fußmarsch zum Startplatz am Hotel Boschrijck, da begeben sich nur die Ultras (50km) direkt hin. Die kürzeren Distanzen (15 und 25 km) frühstücken erstmal gründlich und verschwinden so nach und nach in den Lokalen. Ein Fiets mieten ist auch keine schlechte Idee. Erste Eindrücke von der Insel sind sehr angenehm. Da das Hotel selbst nicht beschildert ist, folge man „Zwembad“, das ist gleich daneben. Aufpassen: man muss später auch zurück und wenigstens ½ Stunde vor Abfahrt der Fähre da sein! Also rechtzeitig abmarschieren!
Im Hotelkomplex ist die Anmeldung. Mit einem Beleg erhält man seine Nummer und einen Chip für den Schuh. Garderobe und Umkleide, Dusche und Toilette, alles dicht bei. Im Hotelhof dann Start und Ziel. Ja, und dann geht es auch schon los. Nur stramme Helden/innen am Start, die sind so schnell, wie sie aussehen. Da ist klar, wer das Schlusslicht sein wird. Ich drehe mich einmal um für ein Bild und alle sind weg…
Kleine Eisenstangen mit blauem Flatterband markieren die Strecke. Gut zu sehen, verlaufen geht nicht. Sofort und überall Sand. Noch tanzen alle um die tiefen Stellen herum, nicht schon hier alles in die Treter kriegen. Das ändert sich aber ganz bald schon. Fantastisch die Strecke: leicht wellige Wälder, mal offen, mal dicht; zum aufwärmen auch mal kurze Steigungen. Im Zickzack trailt es sich gut. Generalrichtung Süd, aber am Ort vorbei. Und dann hoch auf die Dünen. Steil. Tiefer Sand. Und hinten dann wieder runter, in weiten Sätzen, richtig schnell, in noch tieferem Sand. Wer keine Gamaschen trägt, hat spätestens jetzt alles voll damit.
Und plötzlich weite Sicht über den Ort, über das Watt, die Schiffe - alles spezielle Wattensegler- dat Groenestrand, in dat wir nun eintauchen. Auf den hohen Dünen als Hinterlassenschaften des Krieges Bunker, hier war Teil des Atlantikwalles und die Radarstation Tiger. Kann man alles in Ruhe besichtigen. Später.
Im Grünen wird der Weg immer schmaler, dann einspurig. Oft mit Heidekraut überwachsen und von kleinen Birken eingeengt. Wir schlängeln uns da durch. Einfach ein Traum von Trail. Das wird noch getoppt von der Dünenkette vor dem Strand: richtig hoch, steil, tiefer, tiefer Sand. Ich glaub fast, in den Bergen zu sein. Oben wieder so ein umwerfendes Panorama, Blick über die schäumende Nordsee diesmal. Unten der VP (nur Wasser), mit prächtiger Stimmung. Ein kleines Stück am Strand längs, wer mag, aufs PortaPotti, und die Düne wieder hoch. Jetzt haben alle die Schuhe voll, auch die Gamaschenträger. Ein verflixt wellig-buckliges Kleindünengelände empfängt uns hier. Immer mal viel Kraut, dann mal offen; auch ein breiter Wanderweg wird mitbenutzt. Aber schnell leiten die blauen Fähnchen uns auf verschwiegene Trails durchs Gelände zurück in den Wald.
Etwa bei km 13 ist Streckentrennung, rechts zum Ziel, links ins Abenteuer. Zurück an die Küste, zum Strand. Wieder so ein Anstieg und mit Karacho zum Meer runter. Endlich: Fester Sand und gutes Laufen auf brettebenem Grund. Natürlich Gegenwind, war ja klar. Erste Wanderer begegnen uns und winken freundlich. Success! So heißt das hier.
Bald ist Schluss, ein Dünendurchlass rechts voraus. Der einzige für Fahrzeuge (davon später mehr). In tiefem Sand stapfe ich auf den VP zu. Orangen, Cola, Wasser, Salzstangen, Weichgummi. Und ein tolles Team. Neben dem Ferienort West aan Zee vorbei. Nicht zu glauben, aber wirklich wahr: ein asphaltierter Radweg – wer es lieber rustikaler mag, läuft auf dem Streifen daneben, der Sand ist mit Heu bestreut. Links ab in die Heide. Schmal, kurvig, wellig. Sehr wellig. Dann wieder ein großes Waldstück. Mal sind wir am Rand, mal mitten drin. Sehr, sehr angenehmes Laufen hier. Und außer uns – niemand da.
Die Koegelwiecksdune ist hier der Höhepunkt. Von hier aus ein prächtiger Rundblick. Ich sehe nur noch eins: den VP da hinten. Nix wie hin. Nach 9 km Prachttrail brauch ich wieder was im Magen. Also: direkt drauf zu. Aber- wo sind die Fähnchen? Tja, eine kleine, aber feine Extraschleife durch den Wald hätte es gegeben. Hier also aufpassen. Egal. Cola muss her.
Km 28. Die Zeit ist schon ziemlich fortgeschritten. Beim nächsten VP ist ein cutoff.15:00. Für 33 km also 4,5 Stunden. Noch bin ich gut in der Zeit. Und 5 km… Vom VP hoch in den Wald, dann wieder in die Heide: Douwesplak. Links-rechts über zugekrautete Pfade. Ein Radfahrer folgt mir, überholt aber nicht. Etwa der Besen…? Als ewiges Schlusslicht bin ich‘s ja gewöhnt. Und tatsächlich. Wir freunden uns an, auf Englisch geht das, und er folgt mir durchs wilde Heidekraut, bis, ja, bis es nicht mehr weiter geht. Für ihn. Denn nun muss ich in die Meeresdünen und in tiefen Sand, der mich mächtig ausbremst. Es ist toll hier, keine Frage, das Dünengras, der Sand, Wind von hinten ( ich habe gerade den Umkehrpunkt hinter mir), aber schwer zu laufen. Ich gehe das Stück lieber. Die Brandung rauscht von rechts, sonst ist alles still. Kein Mensch hier, weit und breit. Dieser Kilometer dauert.
Feierabend. Am VP bin ich off limits. Die Distanz geht wohl noch klar, aber bei dem Tempo bin ich im Ziel, wenn meine Fähre ablegt. Das geht auch nicht. Und der Marsch zum Hafen, das Einchecken…woran man so alles denken muss, hier auf der Insel. Aber jetzt kommt‘s: Ein lange, lange gehegter Wunsch erfüllt sich - im Landrover über den weiten Strand heizen. Endlich, mit Allrad durchs Dünengetümmel, im Affenzahn über den Strand, dann wieder bis zum Dünendurchbruch von vorhin, wo der Landy durch muss. Wahnsinn. Ich bereue nichts. Und dann noch ein wenig sightseeing über die Inselstraßen. Einfach klasse.
Im Ziel sind gerade die Einläufe der kürzeren Strecken, so manch ein Ultra ist auch bereits da. Schlangen vor der Dusche. Ein schönes whooling ist das hier. Und alle sind gut drauf, bestens gelaunt. Schnell machen sie sich dann aber davon. Die Fähre ruft halt und am Sonntagnachmittag verlassen auch die letzten Urlauber die Insel. Eine knappe Wäsche reicht mir, dann habe ich wieder Zeit. Muscheln mit Sauce und Fritten, ein kleiner Bummel durch den Ort, den Hafen und dann in aller Ruhe zurück auf die Fähre. Die fährt noch nach Vlieland rüber, noch ein paar Fahrgäste aufsammeln, und dann nach Harlingen.
Dieser Hafen ist ja auch toll. Stadtgrachten, alte Schiffe, friesische Gemütlichkeit. Es lohnt sich, zu gucken. Diesmal bringt mich der Shuttlebus zum Parkplatz. Ein fantastischer Tag endet hier. Und ich komme wieder. Garantiert.
Fazit
Ein Wahnsinnstrail, Meter für Meter. Aber viel im Sand, man braucht Gamaschen, die gut sitzen müssen. Stöcke helfen hier überhaupt nicht. Kniestrümpfe reißt man sich im Kraut kaputt. Trailprofil unter den Tretern muss auch nicht sein. Für den Ultra sollte man sich einen kleinen Vorrat mitnehmen, zwei längere Strecken ohne Tanke.
Auf jeden Fall: Hin am Freitag, erst Harlingen, dann auf die Insel! Und am Samstag die Insel gucken. Sehenswertes und Naschenswertes überall. Vielleicht ein Stayokay- Arrangement, da ist man in guter Läufergesellschaft. Ach ja, es schadet auch nicht, so ein paar nederlandse Vokabeln zu kennen…