Einer der großen Trailevents im europäischen Raum ist der TransGranCanaria auf der drittgrößten Kanareninsel Gran Canaria. Die beiden Ultratrailstrecken, der TGC125 über 125 Kilometer und 8000 Höhenmetern und der Advanced über 82 Kilometer und 4300 Höhenmeter führen quer durch das Inselinnere von Nordwest in den Süden nach Maspalomas. Seit diesem Jahr gibt es eine weitere anspruchsvolle Ultradistanz, der Trans360° über 265 Kilometer und 16 500 Höhenmeter, der die Läufer in einem Rundkurs über die ganze Insel führt. Um das Portfolio auch für die kürzeren Distanzen zu füllen, können sich Laufbegeisterte für den Marathon über 42 km und 1200 hm, den Starter über 30 km und 750 hm und schließlich den Promo/Family über 17 km und 300 hm einschreiben.
Auf meinem Programm an diesem Wochenende stand der Trans125, den ich in den vorgegebenen 30 Stunden finishen wollte. Zum ersten Mal war ich so früh im Jahr auf einem Ultrawettkampf unterwegs, was mich nicht weiter beunruhigen sollte. Allerdings war das Zeitlimit von 30 Stunden für die 125 Kilometer und 8000 Höhenmeter schon eine ambitionierte Zeit, aber machbar.
Als ich am späten Nachmittag in der Ausstellungshalle Expomeloneras von Maspalomas meine Startunterlagen abholte, war ich eine der letzten an der Startnummernausgabe. Die Zeit reichte gerade noch, um mein Reisegepäck im Hotel in Playa del Inglés abzugeben und dann wieder rechtzeitig zum Bustransfer nach Agaete/Puerto de las Nieves um kurz nach 20 Uhr am Expo-Gelände zu sein. Nachmittags war es hier überschaubar ruhig, doch kurz vor der Abfahrt der Shuttlebusse hatte sich die Eingangshalle und der Vorplatz am Expomeloneras mit Trailläufern gefüllt, die auf ihren Transport zum Startpunkt warteten. Die Busfahrt dauerte etwa eine Stunde, also würde ich noch mehr als eine Stunde Zeit haben, bis um 23 Uhr der Startschuss fallen würde. Der Moderator in den Gassen des Fischerdorfes Puerto de las Nieves, wo sich das Startgelände befand, nutzte die Zeit, um lautstark alle international bekannten Trailläufer anzukündigen. Die lauten Ansagen wurden immer wieder von ohrenbetäubender Musik unterbrochen. Ich habe mich wie viele Läufer auch in ein Restaurant zu einer Tasse Café Americano zurückgezogen.
Eine halbe Stunde vor dem Startschuss begab ich mich in das abgesperrte Startgelände und stellte mich mitten in die wartende Läufermenge. Die laute Musik und die Ansagen auf Spanisch und Englisch motivierten die Läufer und ich spürte, wie die Spannung allmählich ihren Höhepunkt erreichte. Alle warteten nur noch auf den Startschuss, der dann auch kurz nach 23 Uhr fiel. Zuerst ging es auf Asphalt aus dem Ort heraus. Auf zuerst breiten Schotterwegen verließen wir die Küste um Agaete bergan. In den ersten 10 Kilometer ging es dann auch gleich auf dem Camino de los Romeros auf 1200 mü.M. bis zum ersten Verpflegungspunkt in Tamadaba (km 9,8/1219 mü.M.). Hier oben war es extrem windig und kalt, so dass ich froh um meine Armlinge und mein Stirnband war. Durch den Parque Natural de Tamadaba, benannt nach dem höchsten Berg Tamadaba mit 1443 mü.M., ging es dann ebenso steil nach Tirma (km 18,8/545 mü.M.) hinunter, umgeben von Pinienwäldern und begleitet von dem intensiven Pinienduft.
Was war das? Stau mitten auf dem engen Trail und keine Möglichkeit, vorbeizukommen. Dies brachte mir dann eine ungewollte Wartezeit von mehr als 30 Minuten ein, bis ich endlich an einem seilversicherten Felsen ankam, über den sich jeder einzeln abseilen musste. Die letzten zehn Kilometer bis Artenara bewegte ich mich meist auf einer Höhe von 1000 Metern mit vielen kleinen, kräftezehrenden Auf- und Abstiegen. Leider hatte ich hier plötzlich mit extremer Müdigkeit zu kämpfen. Auch wenn ich versuchte, mich auf den Weg zu konzentrieren, war jeder Schritt mühsam. Was war nur los? Ich wollte mich an andere Läufer dranhängen, vergebens! Ich musste irgendwie aus dieser Müdigkeit rauskommen, aber das erforderte Geduld. In Artenara (km 33,2/1229 mü.M.) hatte ich auf den 33 Kilometern mehr als 3300 Höhenmeter im Aufstieg gesammelt. Nun überraschte mich nichts mehr! Nicht nur die Müdigkeit sorgten für ein langsames Vorankommen, sondern auch die vielen Höhenmeter, die auf dem ersten Streckenabschnitt zusammenkamen.
Die nächsten 30 Kilometer würde ich dann noch einmal 2200 Höhenmeter im Aufstieg sammeln, was mir erneut ein schnelleres Vorankommen erschweren würde. Zum Glück verflog mit dem Morgengrauen meine Müdigkeit. In Fontanales (km 42,5/989 mü.M.) war es dann endlich hell. Geschafft! Meine nächtliche Müdigkeit war kein Thema mehr. Leider war der Himmel immer noch von tiefhängenden Wolken bedeckt und es war trübe, keine Sonne und kein blauer Himmel waren zu sehen. So blieben auch die Ausblicke etwas eingeschränkt. Auch die Temperaturen blieben im Keller und es war nur unwesentlich wärmer als in der Nacht. Immer noch pfiff mir ein eisiger Wind um die Ohren. Vielleicht kommt ja später ein wenig die Sonne zwischen den Wolken zum Vorschein, mal abwarten.
Steinige Wege und schmale Trail wechselten sich ab, gesäumt von riesigen Sukkulenten, großgewachsenen Agaven und krummen Opuntien. Die Verpflegung in Fontanales (km 42,5), in Valleseco (km 50) und in Teror befanden sich in der Ortsmitte, auf der Plaza gesäumt von malerischen Häusern und meist einer übermächtigen Kirche. Zum Cruz de Arinez musste ich auf nur 8 Kilometer mehr als 1000 Höhenmeter im Aufstieg bewältigen, wurde aber dafür mit tollen Blicken auf die umliegende Landschaft und auf die ferne Küste und das Meer belohnt!
Nach der Verpflegung in Arinez (km 64,3/1426 m) ging es weiter durch schattenspendende Pinienwälder bis nach Tejeda (km 71/1050 m). Mittlerweile schien die Sonne und ich genoss die Wärme. In Tejeda befand ich mich mitten in einer atemberaubend schönen Bergwelt. Bis zum Roque Nublo würde ich von Tejeda weitere 800 Höhenmeter bezwingen müssen, ein Highlight des TGC125. Riesige, freistehende Felsen zwischen Pinienbäumen säumten den Weg, auf dem ich mich stetig bergauf dem Roque Nublo mit 1813 mü.M. näherte. In einer kleinen Schleife erreichte ich über das Felsplateau das Wahrzeichen der Kanareninsel, den Roque Nublo, einem frei stehenden Monolithen.
Hier oben waren nicht nur Trailer unterwegs, die mir vom Roque entgegenkamen, sondern auch viele Touristen, die vom Parkplatz aus auf dem Weg zum Roque Nublo waren. Mein Interesse galt schon dem nächsten Programmpunkt, gleichzeitig der höchste Punkt des TGC125, dem Pico de las Nieves mit 1935 mü.M.. Nur noch wenige Kilometer trennten mich von der nächsten Verpflegungsstelle vor diesem finalen Aufstieg, an der ich mich noch einmal stärken wollte. Doch wie weit ist es noch bis dorthin? Aus der Ferne hörte ich schon laute Musik, aber der dichte Pinienwald versperrte mir die Sicht. Und plötzlich tauchte vor mir das Banner mit der Aufschrift „Garanon“ auf. Von hier aus waren es nur noch wenige Meter bis zur Verpflegung in Garanon (km 81,7/1672 m).
Dort hatte ich nicht mal mehr eine halbe Stunde auf das Zeitlimit um 19 Uhr. Eigentlich wollte ich mich etwas ausruhen, essen und mich für die kommende Nacht wärmer anziehen. Viel zu wenig Zeit, um alle Wünsche zu erfüllen! Ich musste mich auf das Wichtigste konzentrieren: Essen und Umziehen und Weitergehen! Ich informierte mich über den Aufstieg auf den Pico de las Nieves, an dem es einen weiteren Cut-off um 20 Uhr gab, der aber sonst nirgendwo vermerkt war! Würde ich diese 300 Höhenmeter bis zum Cut-off schaffen?! Schon war ich wieder unterwegs, geradewegs den Berg hinauf. Im Rücken hatte ich die untergehende Sonne, aber für Fotos blieb hier keine Zeit. Ohne Serpentinen und ohne Verschnaufpause war ich nach nur 30 Minuten am höchsten Punkt des TGC angelangt und hatte nun einen langen Downhill von etwa 9 Kilometern und 1050 Meter nach Tunte vor mir.
Die Sonne war schon längst verschwunden und das Abendrot ebenfalls, schade! Schon bald musste ich meine Stirnlampe anschalten, die mir den steilen Trail oder über riesige Felsplatten ausleuchten wird. Später wechselte der Trail in einen steil in Serpentinen abfallender Pflasterweg. Nicht ganz einfach zu laufen auf den glatten Steinen. Schon von weitem konnte ich die Lichter von Tunte (km 91/887 m) sehen. Doch irgendwie kamen die Lichter nicht näher und die Strecke führte mich zuerst in eine ganz andere Richtung und dann in einem großen Bogen auf den Ort zu. Im Kopf begann ich zu rechnen, ob ich die 10 Kilometer bis zum Zeitlimit um 22 Uhr schaffen würde. Eigentlich sollte die Zeit gerade so reichen, aber leider konnte ich nur noch schnell gehen und nur selten wechselte ich in einen Laufschritt. Es würde auf jeden Fall sehr knapp werden, das stand jetzt schon fest!
Als ich endlich die Häuser von Tunte erreichte und die Asphaltstraße zur Verpflegungsstelle lief - keine Ahnung wie weit diese VP noch entfernt war - hörte ich die Kirchenglocken 22 Uhr schlagen. Jetzt war ich also genau auf dem Zeitlimit und meine Anspannung war immens groß – würde ich noch eine Chance haben weiterzulaufen? Die Absperrungen der VP vor mir begrüßte mich schon ein Helfer, dass es hier nicht mehr weitergeht. Es waren noch nicht einmal fünf Minuten überm Zeitlimit und alles war vorbei! Nicht nur für mich, sondern auch für viele andere Läufer.
Ich hatte kaum Gelegenheit, mich mit meiner Situation zu befassen, da forderte mich auch schon ein Betreuer auf, doch noch schnell etwas zu essen und zu trinken, um dann noch schneller zum Bus dort um die Ecke zu gehen! Noch nicht einmal eine Minute Zeit, um das ein oder andere Foto von Tunte als Erinnerung mitzunehmen. Ich war gestresst! Und zugleich enttäuscht über das knappe Ausscheiden aus dem Wettkampf. Ich stieg in den voll besetzten Bus, der mich über eine kurvenreiche Strecke nach Maspalomas zurückbrachte.
Immerhin hatte ich ungefähr 91 Kilometer und fast 7500 Höhenmeter im Aufstieg in 23 Stunden geschafft, ganz beachtlich. Und eigentlich hatte ich ja schon das meiste geschafft, wenn ich bedenke, was ich noch hätte laufen müssen. Die restliche Strecke über 30 Kilometer wäre bestimmt kein Spaziergang gewesen, immerhin müssen noch einmal 700 Höhenmeter mit zwei anstrengenden Anstiegen bewältigt werden. Aber das wäre nun wirklich bis am nächsten Morgen um 5 Uhr irgendwie zu schaffen gewesen! Davon war ich überzeugt, doch leider interessierte das hier niemanden…
Zurück zu den siegreichen Finishern und den Siegern dieses Rennens. Die fünf erstplatzierten Männer des TGC konnten die anspruchsvollen 125 Kilometer in unter 14 Stunden finishen, bei den Frauen blieben die ersten drei deutlich unter 18 Stunden. Aus diesen Resultaten kann schon abgeleitet werden, dass die Strecke einen hohen technischen Anspruch aufweist und selbst erfahrene Trailläufer/innen etwas länger unterwegs waren, als auf vielen Trails in Europa mit ähnlicher Distanz.
Sieger des TGC125:
1. Capell Gil, Pau (Spanien) 13:21:03 h
2. Zlapys, Vaidas (Litauen) 13:35.38 h
3. Hermansen, Didrik (Norwegen) 13.50:06 h
Siegerinnen des TGC125:
1. Garcia de los Salmones, Azara (Spanien) 16:25:20 h
2. Huser, Andrea (Schweiz) 17:15:45 h
3. Rousset, Mélanie (Frankreich) 17:30:40