Fotos: Kay Spamer und Andrea Helmuth
Von Oberstdorf in Deutschland bis nach Latsch in Südtirol. Und das alles in nur 8 Tagen. 273 Kilometer Strecke, 15.436 Höhenmeter, 320 Läuferpaare aus 25 Nationen – der Transalpine-Run ist seit 2005 ein Hochgebirgsrennen, das seines gleichen sucht und eine Herausforderung für jeden Athleten.
Oberstdorf, ein sonniger Samstag. In den Gassen ist Markt und Hunderte von Athleten mischen sich unter die vielen Touristen. Die Läufer wollen zu einem Lauf über die Alpen aufbrechen. Nicht zu irgendeinem Marathon oder Ultra-Marathon – das hier ist der Startbereich des härtesten Hochgebirgsrennen Europas, dem Transalpine-Run, kurz TAR. Zumindest bis heute. Denn bevor wir noch zu diesem Rennen starten, erhalten wir schon einen neuen Flyer, in dem für den TransMallorcaRun mit 350 Kilometern und sieben Etappen beworben wird. Ständig wird die Latte höher und höher gelegt. Auch bei m TAR wurde in diesem Jahr die Latte höher gelegt. So können wir aus der aktualisierten und letzten Fassung im Internet entnehmen: „Der GORE-TEX® TRANSALPINE-RUN 2011 bietet mit über 273 Kilometern und 15.436 Höhenmetern im Aufstieg die anspruchsvollste Strecke, die auf der Westroute von Oberstdorf nach Latsch im Vinschgau je gelaufen wurde! Wenn es nach mir ginge, wäre das ja nun wirklich nicht nötig gewesen – oder besser, wenn ich das vorher gewusst hätte.
Wie Soldaten einer Armee, bewaffnet mit Trinkrucksäcken, Notausrüstung, Carbonstöcken, so stehen wir in den Einkaufsstraßen des Ferienortes. Wer auf uns herabblickt, sieht alte Gesichter und junge, männliche und auch sehr viele weibliche. 38 Damenteams sind unter den Teilnehmern; falls jemand die Läufer überhaupt unterscheiden kann, denn alle Teilnehmer tragen die gleiche Ausrüstung und ihre Haut ist von der Sonne gegerbt. Jeder hat seine Geschichte, jeder hat seinen eigenen Beweggrund warum er diesen Wettkampf auf sich nehmen will.
Zuvor konnte man bereits mit dem Rennrad die Alpen queren oder die BikeTransalp mit dem Mountainbike jeweils in acht Tagen bewältigen. Ein paar verrückte Ausdauer-Athleten kamen auf die Idee, was mit dem Bike funktioniert könnte man auch allemal zu Fuß machen. Die Veranstalter von PlanB ließen sich darauf ein und der TAR wurde geboren, auch wenn man erst skeptisch war, ob die Läufer dieser Herausforderung überhaupt gewachsen sein würden.
Der TAR muss –aus Sicherheitsgründen- als Teamwettkampf bestritten werden. Beide Teilnehmer eines Teams müssen am Start, an allen Kontrollstellen und im Ziel gemeinsam erscheinen sonst werden sie nicht gewertet. Sollte ein Partner zwei Minuten früher vor dem anderen an einer Kontrollstelle oder im Ziel ankommen, wird eine Zeitstrafe von 60 Minuten verhängt. Im Wiederholungsfall droht die Disqualifikation. Die erste Ausgabe des TAR startet am 4. September 2005 in Oberstdorf. Am Start: 97 Läuferpaare. Das erste Team schafft die damals noch 202,71 Kilometer und 9.816 Höhenmeter lange Strecke in 19:43:34 Std. Das Ansehen des Wettbewerbs wird von da an immer größer.
Täglich muss vor jedem Start die Materialkontrolle passiert werden – schließlich geht es durch das Hochgebirge. Wir klatschen und jubeln, überall klicken Kameras. Gemeinsam grölen die Starter zu AC/DC´s „Highway to Hell.“ Irgendwer erzählt, es würde der „Highway to Paradies“ vor uns liegen. Der Startschuss fällt. Ein Traum geht in Erfüllung, wir sind dabei. Gänsehautfeeling.
Zwischen den Marktständen hindurch laufen wir, begleitet von Zuschauerapplaus und dem Dröhnen des Hubschraubers aus dem Ort, in Richtung Berge. Wie die Lemminge, über 600 Athleten im Laufschritt, auf der Jagd nach dem Tagessieg, Gesamtsieg oder den Sieg über sich selbst, nach Hirscheck (A) das heutige Etappenende. Nur 27,20 Kilometer und 1.806 Höhenmeter sind es von Oberstdorf nach Hirschegg im Kleinwalsertal. Dabei geht es über die Fiderepass-Hütte (2.060m) und weiter über die Wildenalpe (1.777m) und die Außerkuhgehrenalpe (1.622m).
Hinter uns liegen etliche Trainingskilometer und viele Jahre Erfahrung als Ausdauersportler. Lange haben wir gebraucht, um uns diesem Lauf „gewachsen“ zu fühlen. Wir sind gut vorbereitet. Der Transalpine-Run soll unser absoluter sportlicher Höhepunkt werden. Bereits seit 2005 wollen wir wissen, wie es sich anfühlt dort oben. An immer schwierigere, längere und höhere Läufe haben wir uns gewagt. So vollzog sich auch bei uns der Wechsel vom Stadtmarathon hin zum Landschaftsmarathon mit Abenteuer-Charakter. Schwierigere Strecken, längere Etappen, kürzere Cut-off-Zeiten, Qualifikationspunkte. Egal, an uns ging dieser Reiz des Abenteuers „Alpenquerung“ nie vorbei. Es sind die Ungewissheiten, die das Abenteuer ausmachen. Ganz nach dem Spruch eines griechischen Philosophen: „Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende“.
Am Mut und am Training mangelt es nicht - nur am Glück. Bereits die erste Etappe endet für uns mit einem Paukenschlag. Nachts bekommt Kay Fieber. Wir schlafen die ganze Nacht nicht mehr. Wir diskutieren: soll ich alleine weiter laufen? Wir beide hatten ein Ziel vor Augen und wollten es gemeinsam verfolgen. Am kommenden Morgen melden wir uns in kompletter Laufmontur offiziell vom Lauf ab. Wir waren auf alles vorbereitet, nur nicht darauf, wie es sich anfühlt, nicht mehr im Rennen zu sein. Muskelkater vergeht, Blasen verheilen …
Zum Glück hatten wir von Anfang an ein sehr abwechslungsreiches Training. Denn jeder Trainingslauf war zugleich ein Erlebnis. Trotz dieses Rückschlages freuen wir uns auf die letzten Läufe unserer „Bundesländer-Serie“.