Transruinaulta. Trans ... was? Wer unbedarft zum ersten Mal den Namen dieses Laufes liest, wird wohl wie ich denken: Was ist denn das für ein Wortmonster!? Dabei ist alles ganz klar und einfach .... wenn man rätoromanisch versteht. "Ruinaulta" setzt sich zusammen aus den Begriffen "Ruina" für Steinbruch bzw. Geröllhalde und "aulta" für hoch und ist der Name einer rund 13 km langen, bis zu 400 Meter tiefen Schlucht des Vorderrheins im schweizerischen Graubünden, aufgrund ihrer Dimension und markanten Windungen auch als "Grand Canyon" der Schweiz bezeichnet. Das "Trans" davor bedeutet für uns Läufer: Es geht mitten hindurch.
Der Transruinaulta ist ein noch recht junges Gewächs in der Traillaufszene und mit 42,2 km bei knackigen 1.800 positiven Höhenmetern seit 2013 sozusagen der große, wenn auch (noch) weniger bekannte Bruder eines anderen Laufs: des Transviamala. Die 1.000 Startplätze des 19 km langen Transviamala durch die sagenumwobene Viamala-Schlucht sind regelmäßig und so auch in diesem Jahr vorzeitig ausverkauft. Beim auf 700 Teilnehmer limitierten Feld des Transruinalta ist das noch nicht der Fall. Deutlich über 500 Anmeldungen sprechen aber auch hier für sich.
Wer richtig gut drauf ist, kann die beiden Anfang Oktober hintereinander am Samstag und Sonntag stattfindenen Läufe im Rahmen einer Couple-Wertung kombinieren, denn das Ziel des einen - Thusis - ist der Startpunkt des anderen.
Für die Starter des Transruinalta ist Ilanz, in lokaler Sprech- und Scheibweise Glion, der Ausgangspunkt ihres Laufabenteuers durch die Rheinschlucht. Ilanz gilt als erste Stadt am hier noch recht jungen Rhein. Will man zu dessen Quelle, dem Tomasee unweit des Oberalppasses, gelangen, muss man nur der Kantonsstraße 19 folgen, die von hier aus Graubünden westwärts durchschneidet.
Auf Vorstartgeplänkel mit Messe und Pastaparty wird in Ilanz gänzlich verzichtet, ja selbst die Startnummern bekommt man erst am Lauftag ab 7:30 Uhr morgens. Das heißt nicht, dass es am Start nichts zu erleben gäbe. Erste Pflichtübung ist der Besuch des örtlichen Schulgeländes. Drei Minuten Fußmarsch sind es vom Parkplatz am Stadtrand dorthin. In einer der beiden Sporthallen bekomme ich meine Startinsignien. Dazu gehört auch ein superpraktischer faltbarer (!) Becher für unterwegs. Vorher vorzeigen muss ich allerdings die geforderte Pflichtausrüstung: Notfallequipment, Mobiltelefon und 0,5 l Getränkevorrat. Kontrolliert wird konsequent, aber flott.
Weiter geht der Fußmarsch zur Startzone. Diese ist im Herzen der kleinen Stadt direkt zu Füßen des erhöht thronenden Rathauses eingerichtet. Alphornbläser begrüßen uns mit einem Ständchen.
Ein Highlight und ein Unikum zugleich ist das Startprozedere selbst. Aufgrund der Tatsache, dass es schon bald nach dem Start auf schmalen Pfaden weitergeht, ist der übliche Massenstart ab 9:15 Uhr durch Intervall-Einzelstarts ersetzt. Konkret heißt das: Die Läufer starten einzeln in Abständen von 5 Sekunden, wobei die bei der Anmeldung angegebene 10 km-Zeit für die Reihenfolge maßgebend ist. So richtig speziell wird das Ganze durch eine weitere Eigenheit: Denn gestartet wird von einer mehrere Meter hohen Rampe, die aus Felsquadern aus Valser Granit vor dem fahnengeschmückten Hauptportal des Rathauses aufgeschichtet wurde. Von der Spitze dieser Rampe muss dann jeder Läufer nach persönlichem Aufruf über Stufen herunter steigen und zunächst einen mit Sägespänen unterlegten Parcours bezwingen. Wie Slalomstangen sind auf dem Parcours zusätzlich kleine Nadelbäume platziert. Hört sich originell an … und ist vor allem ein Heidenspaß, für Läufer wie für Zuschauer.
Um 9:15 Uhr ist es für die Top-Läufer so weit, allen voran den Vorjahressieger Daniel Bolt. Unter dem Beifall der vielen Schaulustigen winkt er hoch oben von der Rampe hinab und stellt sich sodann mit Schwung und elegant der Slalomherausforderung. Weiter geht es in der Reihenfolge der Startnummern, Schlag auf Schlag. Mit Startnummer 442 habe ich allerdings viel Zeit. Das gibt mir Gelegenheit, ausgiebig die Einzelstarts zu beobachten. Da gibt es die Entspannten, die ganz gemütlich diese erste „Hürde“ nehmen, aber auch die Brachialen, die reihenweise die armen Bäumchen umreißen. Erst um 10 Uhr reihe ich mich in den Pulk der Wartenden am Rande der Rampe ein. Endlich bin auch ich an der Reihe. Es ist ein ganz spezielles Gefühl, die steilen Stufen nach oben zu marschieren und in luftiger Höhe auf das persönliche „Go“ zu warten.
Versprochen ist Trailrunning vom Start weg. Und so ist es auch, zumindest fast. Ist der Sägespanparcours auf der Plazza Cumin bewältigt, müssen wir noch ein Stück weit der Glennerstraße stadtauswärts folgen, bis wir das Flüsschen queren. Gleich dahinter zweigen wir ab – der Trail ist erreicht. Wir folgen der Glenner, der allerdings nur noch ein kurzes Dasein beschieden ist. Mit der Einmündung in den Vorderrhein bestimmt dieser unseren weiteren Weg.
Fast schon meditative Ruhe umfängt mich auf dem Naturweg, der mal direkt, mal durch Buschwerk getrennt, dem munter dahin fließenden Wasser folgt. Meist flach geht es dahin. Tempo kann man hier machen, den Blick vom Weg sollte man angesichts zahlreicher Wurzeln und Steine nicht zu oft abwenden. Schmal ist der Pfad, aber nicht so schmal, dass man nicht überholen könnte.
Die Annäherung an die Schlucht ist eine allmähliche. Die spektakulären Abschnitte sind noch ein Stück weit entfernt und der Ausblick zumeist durch dichtes Grün eingeschränkt. Aus dem Wald treten wir, den Gleisen der Rhätischen Eisenbahn folgend, hinaus in ein weites Wiesengelände. Einen markanten Kontrast zur Landschaft bilden die knallroten Wagons der Bahn, die gemütlich an uns vorbei zockelt. Eine Straße durch die Schlucht gibt es nicht. Wer den Verlauf der Schlucht live erleben will, muss entweder den Zug nehmen oder gut zu Fuß sein, sei es als Wanderer, als Mountainbiker oder wie wir als Läufer. Ansonsten besteht nur die Möglichkeit, von einigen speziellen Aussichtsplattformen hoch oben aus der Vogelperspektive in die Schlucht zu blicken. Oder eine der abenteuerlichen Stichstraßen hinab zu den Bahnstationen zu nehmen.
Kurz darauf sind wir wieder direkt am gurgelnden Wasser. Fast schon unnatürlich türkisblau ist seine Farbe. Dichte Natur umfängt uns zur Rechten, aber vom anderen Flussufer strahlen die ersten der markant kalkweißen Abhänge der Schlucht durch das Geäst. Das macht Lust auf mehr.
Das Tal weitet sich ein wenig, als wir nach 6,8 km den kleinen Bahnhof Valendas-Sagogn und damit die erste von fünf Verpflegungsstellen entlang des Streckenkurses erreichen. Getränke und Obst gibt es hier und die wartenden Helfer tun mir fast schon etwas leid, denn noch niemand nutzt die Gelegenheit für einen ersten Break. Wir sind einfach noch zu frisch. Und vielleicht auch zu motiviert, von hier aus schnell weiter ins Herz der Schlucht vorzustoßen.
Den Bahngleisen folgend geht es weiter. Vor uns türmen sich mächtig die Felsen und lassen erahnen, dass die Schlucht an Dramatik gewinnt. Die Bahngleise verschwinden in einer Einhausung und wenig später ganz. Wir dürfen in der freien Natur bleiben und folgen, weiter hart am Ufer, dem sich nun stärker windenden Verlauf des Flusses. Zumindest bis dorthin, wo das trockene Bett des Carreratobelbachs in den Rhein abfällt. Erneut blicken wir hier auf einen imposanten, faltig-kahlen Steilhang.
Diesen Blick müssen wir für ein Weilchen im Herzen tragen, denn es heißt vorübergehend Abschied zu nehmen vom Flusspanorama. Die erste konditionelle Bewährungsprobe steht bevor. Zunächst über einen breiten Naturweg, dann einen schmalen Pfad werden wir durch den Wald in die Höhe gelotst. Umso nachhaltiger ist der „Wow“-Effekt, als sich völlig unerwartet hoch oben auf einmal der Wald öffnet und einen wundervollen Ausblick tief ins Tal hinein eröffnet. Sogleich schließt sich das Blickfenster aber wieder und wir jagen auf engen Pfaden in die Tiefe.
Die schönsten Passagen des Trails stehen bevor. Auf einem ausgesetzten, meist offenen Trampelpfad geht es nun in stetigem Auf und Ab durch den Steilhang. Durchaus herausfordernd ist dieser Pfad, doch die fantastische Landschaft scheint den Läufern Flügel oder besser gesamt Gämsenbeine zu verleihen. Unter uns zieht das hellblaue Band des Flusses, begleitet von den Bahngleisen, dahin, neben und vor uns türmen sich dramatisch die vom Bergwald umrahmten Steilhänge der Schlucht. Immer näher rücken die Wände zu beiden Seiten des Flusses zusammen.
Kaum zu toppen ist die Szenerie, als ich aus einem Waldstück in der Höhe hinaus trete und zu einem schmalen Pfad gelange, der sich über eine Art natürlichen Damm, ähnlich einer Gletschermoräne, in die Tiefe stürzt. Unwillkürlich muss ich an die berühmte Eigermoräne am Ende des noch berühmteren Jungfrau-Marathons denken, die das Bild und die Erinnerung der gesamten Veranstaltung prägt. Hier ist es letztlich dasselbe und das Gesamtkunstwerk aus bis zu vierhundert Metern aufragenden Kalksteinklippen und bizarren Felsformationen um mich herum nicht minder beeindruckend.
Sie sind das erosionsbedingte Ergebnis einer großen Naturkatastrophe, die allerdings fast 10.000 Jahre zurück liegt. Der gewaltige Flimser Bergsturz, unter Geologen einer der größten, die weltweit je bekannt wurden, begrub seinerzeit das Vorderrheintal unter einer mehreren hundert Meter dicken Schuttschicht. Durch diese schnitt sich der zum Ilanzer See aufgestaute Fluss im Laufe der Jahrtausende immer tiefer hinein und schuf so die einmalige Landschaft, wie sie sich uns heute präsentiert. Eine Landschaft, der man aber auch ansieht, wie labil und vergänglich ihre Konsistenz ist. Verstärkt wird der Eindruck durch die Helligkeit des Gesteins, das von der Sonne angestrahlt fast weiß zu leuchten erscheint. Es ist nicht einfach, das Bild und den Eindruck in Worte zu fassen, man muss es einfach gesehen haben.
Über das bröselige Gestein trabe ich hinab ins Tal und erreiche inmitten dieses Idylls wenig später die Bahnstation Versam-Safien. Auch mit dem Auto lässt sich die Station vom hoch oben liegenden Versam über ein überaus kurviges, enges Sträßlein erreichen. Dieser Weg lohnt sich auch deshalb, weil man unterwegs die Aussichtsplattform Islabord passiert, einen jener Viewpoints, die optisch einen besonders spektakulären Eindruck von der Schlucht ermöglichen. Ein bisschen erinnert mich die Situation an den originalen Grand Canyon, wo auch die bequemen Ausblicke vom South Rim einen ganz besonderen "Wow"-Faktor haben. Ein weiterer Top-Spot für das ultimative Schluchtenfoto ist übrigens die Aussichtsplattform Il Spir, hoch oben auf der anderen Flussseite gelegen. Diese muss man sich allerdings von der Bahnstation Versam-Safien aus oder von Flims via Caumasee erwandern.
An der Bahnstation müssen wir die Gleise queren. Vor und hinter den Gleisen ist eine Zeitmessmatte installiert, mit der die Zeitmessung individuell unterbrochen werden kann, wenn gerade ein Zug einfährt und einen Zwangsstopp nötig macht.
Jenseits der Station wird uns wieder einmal ein flaches Wegstück direkt am Flussufer entlang gegönnt. Zeit zum Verschnaufen, Zeit zum Genießen. Aber nur für kurze Zeit. Denn jetzt geht`s zur Sache.
Nach etwa 12 km inmitten der Schlucht, gleich hinter der besonders fotogenen Rheinschleife, verschwindet die Bahntrasse erneut im Tunnel. Am Flussufer verhindert der senkrecht ins Wasser stürzende Fels ein Fortkommen. Für uns bedeutet das: Wir müssen einen anderen Weg nehmen. Und der führt hinauf. Der erste der drei großen Anstiege des Transruinaulta-Parcours, hinauf nach Versam, liegt vor uns. Und es ist auch gleich der mit Abstand steilste.
Über Stufen und große Wurzeln steigen, nein: schleppen wir uns in die Höhe. Die Belohnung sind einmal mehr fantastische Ausblicke in die Schlucht und auf die Abhänge der gegenüber liegenden Flussseite, die sich uns zwischen den Bäumen immer wieder eröffnen. Die Fotostopps sind mehr denn je willkommene Anlässe für mich, um zu verschnaufen.
Je höher wir kommen, desto dichter wird der Wald und weniger Ablenkung ist geboten. Tief in sich versunken und schweigend zieht die Schneckenkarawane der Läufer dahin. Kurzzeitige Erholung verspricht eine flache Passage durch raschelndes Laub am Hang entlang, nur um danach, steiler denn je, erneut in die Höhe zu streben.
Wie durch ein Fenster sehe ich in der Höhe auf einmal Sonnenlicht in den Wald hinein strahlen. Da weiß ich: Die Schluchtkante ist erreicht. Wie geblendet sind wir, als wir in das gleißende Licht hinaus in saftig grüne Almwiesen treten. Durch das kleine beschauliche Dorf werden wir in Richtung der am Ortsrand erhöht liegenden Dorfkirche gelotst. Zu deren Füßen ist bei km 15,2 in überaus idyllischer Lage die zweite Versorgungsstation für uns eingerichtet. Es ist eine der beiden „großen“ Verpflegungsposten an der Strecke, wo es zusätzlich zu Getränken und Obst einen Tisch mit lokalen Spezialitäten gibt, etwa Mostbröckli (Trockenfleisch) und Käse, Birabrot (Früchtebrot) und Biberli (Lebkuchen). Vor allem die Rohschinken-Käse-Platte ist nicht nur optisch ein besonderer Genuss.
Es fällt mir schon etwas schwer, Versam zu verlassen. Die herrliche Sonne, die leckere Verpflegung, die schöne Landschaft … eigentlich der ideale Ort für „einfach in der Wiese liegen und die Seele baumeln lassen“. Aber da ich innerlich auf Marathon-Mission eingestellt bin, kann ich mich dann doch losreißen.
Mit dem Pistenattribut „steil“ geht es weiter, nur jetzt unter umgekehrten Vorzeichen. Steil führt der Pfad durch den Wald nun hinab in die Versamer Schlucht, auch Versamertobel genannt. Im Sonnenlicht strahlt das herbstlich bunt eingefärbte Laub. Felswände durchbrechen die Natur auch in dieser Schlucht. Der Pfad mündet in einen bequemeren und vor allem flacheren Forstweg, der uns immer näher dem Talgrund entgegen führt. Aber nicht ganz: Auf Höhe der Versamer Tobelbrücke können wir ganz komfortabel die im Talgrund plätschernde Rabiusa queren. Einen schönen Blick hat man von hier auf die parallel verlaufende ,120 Jahre alte historische Eisenbrücke mit der Bergkulisse im Hintergrund.
Wie gewonnen, so zerronnen, könnte man bezogen auf die Höhenmeter sagen. Denn jenseits der Brücke geht es sogleich wieder in den Berganlauf- bzw. gehmodus. Primär durch Wald geht es den gegenüber liegenden Hang des Versamertobels hinauf. Der Weg schraubt sich schließlich in langen Serpentinen auf laubbedecktem Waldboden beständig in die Höhe. Der Anstrengungsfaktor ist deutlich geringer als beim Anstieg nach Versams, aber dafür ist der Zeitfaktor ein deutlich gravierender. An der Streckenbeschaffenheit ändert sich nichts Wesentliches, als wir nach gut dreihundert Höhenmetern über eine Hochalm den Kulminationspunkt erreichen und wieder talwärts geschickt werden.
Mal auf breiten Naturwegen, dann wieder auf Waldpfaden geht es moderat dahin. Aus der Höhe können wir unser nächstes Zwischenziel, Rhäzüns, tief unten im Tal schon bald ausmachen. Das Tal, in das wir blicken, ist bereits das des Hinterrheins, der in Adula-Alpen entspringt und sich bei Reichenau mit dem Vorderrhein zum eigentlichen Rhein vereinigt.
Am Ortsrand von Rhäzüns wartet nach 24,5 km die nächste Verpflegung auf uns. Bis 14:15 Uhr muss man es bis hier her geschafft haben, sonst muss man sich vorzeitig aus dem Lauf verabschieden.
Vor dem anstehenden Streckenstück wurde ich schon gewarnt. Der längste Anstieg mit den meisten Höhenmetern - etwa 500 - wurde mir als besonders zermürbend, weil nicht enden wollend, beschrieben. Nun ja, wenn man mental schon darauf eingestellt ist, dass es Kilometer lang nicht steil, aber beständig bergan geht, ist das die beste Voraussetzung dafür, dass es dann doch nicht so schlimm wird. Vor allem, wenn man nicht die Ambition hat, dieses Streckenstück so schnell wie möglich zu bewältigen.
Breite Forstwege und Wald sind die prägenden Merkmale der anstehenden Kilometer, die uns immer weiter ins Niederrheintal hinein bringen. Ein Flachstück sorgt zwischendurch für ein wenig läuferische Abwechslung, aber ansonsten ist Ablenkung jedweder Art auf diesem Streckenstück eher ein Fremdwort.
Das Highlight, höhenmetermäßig wie auch optisch, ist die nach 29,5 km unweit von Präz auf etwa 1.150 m üNN luftig gelegene Verpflegungsstelle, vor allem wegen des Bergpanoramas im Hintergrund. Mehrere Bänke laden dazu ein, ein wenig länger in der äußerst entspannten Atmosphäre zu verweilen. Gerne nehme ich diese Einladung an.
Die folgenden Kilometer bringen optisch keine Neuerung, sind allerdings läuferisch deutlich attraktiver. Auf breiten Schotterpisten führt der Parcours zunächst flach durch den in der Höhe nicht mehr so dichten Wald, was uns immer wieder schöne Aus- und Einblicke ins Niederrheintal ermöglicht. Noch naturnaher sind die Wald- und Wiesenwege, die uns in der Folge dem Tal zunehmend näher bringen, bis nach 36,1 km bei Cruttis ein letztes Mal die Möglichkeit besteht, sich getränkemäßig aufzufrischen.
Schon im Streckenplan explizit gewarnt wird man vor den finalen Kilometern: nochmals „3 sehr steile Anstiege“ heißt es da. Sehr gespannt bin ich, was damit wohl gemeint ist. Im Nachhinein muss ich sagen: Ja, diese drei Anstiege haben es durchaus in sich. Klein, aber gemein, könnte man sagen, was sich vor allem auf die Tatsache bezieht, dass sie uns nach 36 km zugemutet werden. Andererseits: Sie sind durchaus abwechslungsreich, keiner wie der andere. Und vor allem absehbar. Aber der Reihe nach.
Anstieg eins ist bereits akustisch ein Erlebnis. Von weit her hört man schon das lautstarke Glockengebimmel oberhalb einer Schafweide. Dessen Ursache sind sechs stramme Jungs, die jeder zwei gigantische, über eine Schultergabel verbundene und sicherlich ordentlich schwere Treicheln stemmen und rhythmisch ein Höllenspektakel für die vorbeiziehenden Läufer veranstalten. Eine wirklich nette Idee! Noch mehr amüsiert mich, als kurz nach mir eine jüngere blonde Läuferin vorbei kommt und der Rhythmus des Gebimmels sogleich deutlich an Fahrt gewinnt. Auf bequemen Wald- und Wiesenwegen geht es bei diesem Anstieg gute hundert Meter in die Höhe und auf einem Asphaltweg genauso kommod hinab.
Das Gegenteil davon: Anstieg zwei. Ein schmaler, matschiger, steil durch Dickicht führender Pfad prägt dieses Etappenstück. Nochmals ordentlich ins Schnaufen komme ich dabei. Der dritte Anstieg ist im Wesen noch mehr trailbehaftet, verteilt den Anstieg aber auf drei kleine Stufen. Ein wenig nach Erlösung fühlt es sich schon an, als ich den letzten „Gipfel“ erreiche und weiß: Jetzt geht es nur noch hinab. Herbstlich nochmals besonders schön eingefärbt ist die lange Gerade, die nach Thusis hinab führt. Ein paar hundert Meter müssen wir dort noch auf Asphalt hinter uns bringen, dann führt ein Abzweig ohne weitere Umschweife hinein ins Ziel.
Vor einem leinwandgroßen Bilderbuch-Schluchtenbild aus dem Herzen der Ruinalta laufen wir über einen Steg direkt dem Zielmoderator in die Arme. Jeder Ankömmling wird persönlich begrüßt, mancher gleich interviewt. Weiters darf man sich im Ziel über reichlich Stimmung und Trubel freuen, obwohl die Finisher nur sporadisch eintröpfeln. An Biertischen und -bänken wird eifrig nachgefeiert.
Ein schöner Ausklang eines besonders schönen, nein: spektakulären Lauferlebnisses. Die Ruinaulta gehört ohne Zweifel zum Schönsten und Eindrücklichsten, was man als Trail- und Bergläufer in den Alpen erleben kann.