Niemand kennt bei uns diesen Lauf, obwohl letzten Sonntag die 38. Veranstaltung ausgetragen wurde. Offensichtlich ist er für die meisten Medien kein „wichtiger“ Lauf. Events werden wichtig durch Preisgelder, Stars, Matterhorn Kulissen oder durch die Möglichkeit, für den UTMB Punkte zu sammeln.
Preisgelder gibt es beim Tre Rifugi nur, wenn der Lauf im offiziellen Laufkalender der „International Skyrunning Federation“ steht und man sich in diesem Jahr als europäischer oder weltbester Skyrunning Champion auf der bergigen Strecke beweisen kann. Dann sind auch die Stars am Start. Für den UTMB konnte man letzen Sonntag in den Cottischen Alpen 2 Punkte sammeln. Jedoch ist der Lauf in jedem Jahr eine von den örtlichen Vereinen liebevoll und perfekt organisierte Veranstaltung, die sich über jeden Freizeitläufer freut. Für mich ist der Tre Rifugi, ob mit oder ohne Stars, ob mit oder ohne Punkte, ein absoluter Geheimtipp und die Sicht auf den 3.841 Meter hohen Monte Viso genauso schön wie die Sicht auf das Matterhorn. Hier ein Bild aus 2012. Dieses Jahr hüllte sich der Berg leider in Nebel.
Nun der Lauf in Zahlen: 54,2 km lang, 3.818 positive und negative Höhenmeter. Start und Ziel ist in Bobbio Pellice auf 732 m. Der höchtse Punkt wird am Col Manzol überschritten bei 2.701 Meter Meereshöhe. Geteerter Streckenanteil ca. 500 Meter. Befahrbare Waldwege ca. 8 km. Ansonsten schmale Bergpfade steil bergauf, steil bergab oder steile Grashänge querend.
Unterhalb des Col Manzols ist eine kurze Kletterstelle mit Seilen gesichert. Es gibt zwei Zeitlimits. Man hat diese, um den Lauf für Freizeitsportler möglicher zu machen, etwas gelockert. Nach 4 Stunden (ca. 18 km) sollte man die Barbara Lowrie Hütte erreicht haben und nach 9 Stunden (ca. 38 km) an der Alpe Crosenna auftauchen. Wer das Streckenprofil betrachtet, weiß, dass diese Zeitlimits ohne Vorbereitung auf bergigen Strecken nicht möglich sind.
Am Sonntag musste der Start wegen eines Gewitters in den Morgenstunden um eine halbe Stunde verschoben werden. Mancher nutzte diesen Umstand für einen gemütlichen Kaffee. Gegen 7:30 scharten aber alle 300 Läufer/innen ungeduldig mit den Hufen als endlich der Startschuss fiel.
Bis zum ersten Pass, dem Colle Barant verläuft die Strecke auf alten, wieder restaurierten Alppfaden durch einsame Buchen-, Lärchen- und Kiefernwälder. Pilzsammler freuen sich hier über prächtige Steinpilze. Später, über der Baumgrenze, läuft man ein kurzes Stück auf einer alten Militärstraße, die den Pass überquert. Von hier gibt es den ersten steilen Abstieg hinunter zur Barbara Lowrie Hütte. Sie ist bei Wanderern sehr bekannt, weil sie an einem beliebten Alpenfernwanderweg liegt. Hinauf zum Colle Manzol und wieder hinunter zur Willi Jervis Hütte hat man im folgenden auch häufig Begleitung durch schwer bepackte Rucksackwanderer, die neidisch sind auf unser kleines Gepäck. Fast jeder Läufer trägt die vorgeschriebene Ausrüstung (Regenjacke, Trinken und ein wenig Essbares) in einem kleinen Laufrucksack mit sich. Der Veranstalter bietet während des Laufs zwar überall ausreichend Getränke an, jedoch kann er aus logistischen Gründen eine Verpflegung mit Essen nur den ersten 250 Läufern garantieren. Bedingt durch die Wettervorhersage, Gewitter, kam bei vielen auch noch ein Pullover, Handschuhe und Mütze ins Gepäck. Die wenigen Wanderer und die unermüdlichen Helfer an den Versorgungspunkten sind im übrigen die einzigen Bewunderer, die man auf der Strecke hat, denn mit Zuschauermassen ist dort oben nicht zu rechnen.
Nach der Willy Jervis Hütte wird es richtig einsam auf der Strecke, denn man läuft in einen touristisch unerschlossenen Gebirgsteil der Cottischen Alpen. Steil geht es hinauf zu dem Punkt Le Barricate, dort zweigen sie Wanderer Richtung Westen zum Colle dell'Urina ab. Sie laufen über die Grenze nach Frankreich. Wir queren in nördlicher Richtung steile Grashänge. Hier gibt es wunderschöne Blumenwiesen und ohne Nebel phantastische Ausblicke bis zur Poebene, bevor man über steile rutschige Pfade die Alpe Crosenna (1.654 m) erreicht.
An dieser Alm sollte man sich ausruhen, genügend trinken und essen, denn der folgende Anstieg bis auf 2.249 Meter verlangt noch einmal alle Reserven. Die meisten sind am Nachmittag hier und bei schönem Wetter brennt erbarmungslos die Sonne auf den baumfreien Almhang. Wir hatten Glück. Gnädig hüllte kühlender Nebel uns Läufer ein. Allerdings blieb dadurch auch die Sicht auf den bereits erwähnten Monte Viso verhangen. Kenner zählen diesen Berg zu den schönsten der Erde. Vom Mittelmeer kommend ist er die erste Erhebung über 3.500 Meter und überragt seine sämtlichen Nachbarn um mindestens 500 Meter.
Die Alpe Bancet wartet noch einmal auf mit hausgemachtem Käse und leckerer Salami. Danach führt uns ein Pfad hinunter zu einer Almenstraße, auf der wir wieder ansteigend die Alpe Giulian erreichen. Schwer fällt nun der sanfte Anstieg auf der zahmen Schotterpiste. An der Alm steht ein Schild „-9 km“. Was nicht dort steht ist die Information: es sind noch -1.373 Höhenmeter. Doch ein Blick ins Tal klärt diese Situation sofort und die Oberschenkel bereiten sich auf einen gesalzenen Muskelkater vor. Erbarmungslos steil geht es anfangs über Wiesen bergab. Später erreicht man einen wunderschönen Wald und die ersten alten, teils aufgelassenen Ortsteile von Bobbio Pellice tauchen auf. Im Ortsteil Podio auf 916 m sollte man noch ein paar Körner übrig haben, um den kleinen Anstieg nach Le Pausette zu meistern. Auch auf dem letzten Kilometer, in Hörweite des Zieleinlaufes, bleibt die Strecke was sie von Anfang an ist: Ein anspruchsvoller Trail auf steilen Pfaden.
Fazit: ich war zum dritten Mal begeistert von der Organisation und der Strecke. Die lange Anfahrt aus Deutschland hat zwar eine ungünstige CO2 Bilanz, wer diese jedoch im Alltag mit dem Rad, zu Fuß oder öffentlichen Verkehrsmittel in Schach hält, der darf sich die Fahrt nach Bobbio Pellice erlauben. Verglichen mit andern Läufen aus der italienischen Skyrunning-Szene gehört der Tre Rifugi unbedingt zu meinen Favoriten. Die Strecke ist anspruchsvoll, aber für geübte Trailrunner im Zeitlimit machbar.
Noch ein Wort zur Punktevergabe für den UTMB. Diese zwei Punkte für den Tre Rifugi Val Pellice sind völlig angemessen, wenn diese den Schwierigkeitsgrad des Laufes ausdrücken sollen. Die Sella Ronda z.B., von Länge und Höhenmeter vergleichbar, ist wesentlich einfacher zu laufen und hat einen Punkt. Achtung jedoch bei der Punktevergabe des Trofeo Kima. Dieser Lauf erhält ebenfalls nur einen Punkt, ist jedoch um einiges anspruchsvoller als alle anderen Sky-Ultras, die ich kenne.
Mehr Infos zu diesem Lauf findet man im Blog auf meiner Homepage
Zum 54,2 km langen Tre Rifugi gibt es in Bobbio Pellice auch einen „kleinen“ Bruder, den 33,6 km langen „Alpeggi Val Pellice“.