Es war im Oktober. Die Saisonschlussoffensive mit vier Marathons und einem Ultra stand kurz bevor, da war ich in Gedanken schon im Frühjahr. Ich setzte mir den Ultra Serra de Tramuntana zum Ziel, damit ich mich auch bei üblen Bedingungen im Winter nicht vom Laufen abhalten lasse.
Drei Tage nachdem Flug und Hotel gebucht waren, fing es mit meiner Verletzungssträhne an und beim Besteigens des Flugzeuges nach Mallorca sind es noch nicht einmal drei Wochen her, seit ich wieder laufen darf. Ich hoffe, dass das Fundament, das ich mir mit all den langen Läufen in den vergangenen Jahren aufbauen konnte, mich über die Runden bringen wird.
Mallorca. Dutzende Male war ich schon dort, der Bewegungskreis weitete sich aber nie über das Flughafengebäude aus. Eine Gruppe junger Männer im Warteraum lässt das Bild von Mallorca aufleben, welches die privaten Prolo-Fernsehsender so intensiv gezeichnet und die gedruckte Presse kolportiert haben. Sie tragen alle ein T-Shirt mit dem Konterfei eines ihrer Kumpels zusammen mit der Aufschrift „Polter-Kreuzfahrt“ auf der Vorderseite, hinten sind die täglichen Stationen aufgedruckt.
Damit habe ich nichts am Hut; ich will das landschaftlich reizvolle Mallorca im Westen kennlernen. Dazu bietet der Ultra Mallorca Serra de Tramuntana die Zutaten. Der Weg folgt der gleichnamigen Gebirgskette und durchzieht auf 107 Kilometern die Insel von Südwest bis Nordwest, von Andratx bis Pollença. Anlässlich dieser Veranstaltung bleibt man aber nicht immer auf dem bekannten Fernwanderweg GR221, sondern darf Privatgelände queren.
Nach der Anreise am Donnerstagabend nutze ich den folgenden Morgen, um den Abschnitt wenigstens mit dem Auto zu erkunden, den ich beim Laufen nur im Dunkeln erleben werde. Von Andratx fahre ich nach Valldemossa und lerne unterwegs die ersten zwei Etappenziele Estellencs und Port des Cononge kennen. Nach dieser kleinen Rundreise sind Vorfreude und Aufregung noch viel größer, so groß, dass ich am Nachmittag nur mit Mühe noch etwas Schlaf finde. Zeitig fahre ich nach Pollença und sehe mich dort im Städtchen um, denn bis ich ankomme, ist es auch hier stockdunkel. Dass das Zeitlimit von 24 Stunden für mich ausreicht, hoffe ich zwar, dürfte aber auch nicht hadern, wenn es anders kommt. Beim Abendessen gleich neben dem schon aufgestellten Zielbogen auf der Plaza Mayor unterhalte ich mich mit der Bedienung über mein Vorhaben und sage ihm, er solle doch bitte schon ein Bleifreies (woher wohl?) kühl stellen, das ich nach meinem Zieleinlauf bestellen werde. Er erzählt dem Chef des Hauses davon und umgehend habe ich das Angebot, mir eines auf Kosten des Hauses kredenzen zu lassen, wenn ich es schaffe. Wenn das keine Motivationsspritze ist!
Beim Sportzentrum parke ich und halte Ausschau nach anderen Läufern, die auch hier den Bus zum Startort besteigen werden. Die Informationen auf der Website sind zwar auch in Deutsch und Englisch aufgeschaltet, dennoch bestehen bei gewissen organisatorischen Abläufen noch Unklarheiten. Nicht nur bei mir. So lernen ich René kennen, der sich auch schon viel zu früh an diesem Treffpunkt eingefunden hat. Die eintreffenden einheimischen Läufer geben uns Gewissheit, dass wir mit unseren Interpretationen ziemlich nah bei den Tatsachen sind. Was wir nicht wissen, müssen aber auch sie erfragen, nur ist das sprachlich für sie einfacher.
Mein Müdigkeitspegel wäre hoch genug zum Schlafen, aber die Aufregung hindert mich daran, die Fahrt nach Andratx so zu nutzen. Dort angekommen folgen wir dem Herdentrieb, denn eine Ausschilderung nach alemannisch-helvetisch-germanischem Organisationsverständnis gibt es nicht.
Personalausweis vorzeigen, Enthaftungserklärung unterschreiben und schon bin ich im Besitz der Startunterlagen, zu welchen ein Funktionshemd und drei (!) Chips auf Papierstreifen für die Zeitmessung gehören. Einer kommt ums Handgelenk, einer ist auf der Rückseite der Startnummer und einer klebt an einem Plastikkästchen, welches im Stil einer Fußfessel um den Knöchel geschnallt wird.
Wie zu erwarten, treffe ich einige bekannte Gesichter aus Deutschland und der Schweiz, doch in der Masse der Teilnehmer sehe ich nicht alle Trailkumpel, deren Namen ich auf der Startliste begegnet bin.
Bei einem Computerterminal bildet sich eine immer längere Schlange von Leuten. Müssen dort die Chips aktiviert werden oder ist es nur eine Überprüfung, ob die Streifen richtig programmiert sind? Nach einer Weile finde ich heraus, dass ich an diesem Gerät nichts müssen muss. Das ist auch gut so, denn ein Aufruf nötigt uns, den Marsch in Richtung Start anzutreten, denn dieser ist ein Stück Fußmarsch von der Sporthalle entfernt. Er ist beim Rathaus in Andratx, einem Gebäude, dessen äußere Erscheinung mit Zinnen zu verstehen gibt, dass mindestens ein Grund besteht, wenn sich Politiker und Behörden wie kleine Könige aufführen.