Ultra Trail du Montblanc, La petite Trotte à Léon (PTL) 2009
„Es gab Überlebende …“. Mit diesen Worten begrüßte der Directeur course des PTL, Jean-Claude Marmier, am späten Sonntagnachmittag die Teilnehmer der Abschlussveranstaltung des PTL in Chamonix.
Nach einer horizontalen Distanz von ca. 240 km und einem vertikalem Höhenunterschied von ca. 17.500 m (+/-) war der längste und schwierigste Teilwettbewerb des Ultra Trail du Montblanc nach über 114 Stunden zu Ende gegangen. Ich hatte mich nach meiner Teilnahme bei der ersten Auflage in 2008 dieser besonderen Herausforderung bereits zum zweiten Mal gestellt.
55 Dreier-Teams waren am Dienstag, den 25.08.2009 um 22:00 h in Chamonix zur ganz großen Runde um den Weißen Berg gestartet. Aus Gründen der Sicherheit muss das einzelne Team während des gesamten Wettbewerbs zusammen bleiben. Wegen der objektiven Gefahren des Hochgebirges, der größte Teil der Strecke verläuft in einer Höhe über 2.500 m, ist eine umfangreiche persönliche Pflichtausrüstung, zusätzlich auch ein Zelt für das Team u.a.m., mitzuführen. Damit erreichen die Rücksäcke der Läufer schnell ein Gewicht von 8 bis 12 kg.
Mein Team hatte den vorausschauend und durchaus zutreffend gewählten Namen „Take the hard way home“. Die ursprünglich vorgesehene Zusammensetzung des Teams hatte sich während der Vorbereitungszeit mehrfach geändert. Unser Mann der ersten Stunde, Rainer Satzinger aus Forchheim, musste aus zwingenden beruflichen Gründen aussteigen, als willkommener Ersatz stellte sich das Urgestein der fränkischen Ultra-Laufszene, Olaf Schmalfuß aus Nürnberg zur Verfügung. Leider konnte er nach einem Motorradunfall sein Vorhaben, mit Helmut Kimmerle und mir beim PTL zu starten und zu finishen, verletzungsbedingt nicht wahr machen.
Nach unzähligen und letztlich erfolglosen Versuchen, innerhalb Deutschlands einen Ersatz für Olaf aufzutun, fanden wir buchstäblich in letzter Minute innerhalb der Ummeldefrist einen französischen Läufer, Adel Hassan aus Paris, der das Team komplettieren wollte.
Adel lernten wir erst am Tag vor dem Start in Chamonix persönlich kennen. Ich fand ihn auf Anhieb sympathisch, auch wenn unsererseits Zweifel daran bestanden, dass er ausreichend vorbereitet wäre bzw. über entsprechende Erfahrungen im Hochgebirge verfügte.
Die Ausgabe der Startunterlagen, die Abgabe der Läufersäcke mit Wechselkleidung und weiterer Ausrüstung für Morgex in Italien (bei ca. km 96), das Briefing für den Lauf und die anschließende Pasta-Party ließen den Dienstagnachmittag schnell vergehen.
Ab ca. 21:30 h fanden wir uns zusammen mit den anderen Mannschaften am PLace du Triangle de l`Amitié, von dem aus auch der UTMB und der TDS starten, ein, um auf das Startsignal zu warten. Die unvergleichliche Atmosphäre vor dem Start, untermalt mit der Musik von Vangelis, ist für mich auch beim vierten Mal (UTMB 2005 und 2006, PTL 2008) aufs Neue bewegend. Eine letzte Umarmung meiner Frau Margot, dann setzt sich die Läuferschar, von erstaunlich vielen Zuschauern angefeuert, um 22:00 hin Bewegung.
Schnell sind „Les Gaillands“ am Ortsende von Chamonix erreicht. Der diesjährige Weg des PTL führt zunächst auf der Strecke des UTMB unschwierig nach Les Houches, weiter über den Col de Voza nach Les Contamines. Etwa 30 Minuten nach dem Start beginnt es, exakt nach der Vorhersage von meteociel.fr, erst langsam, dann immer heftiger zu regnen. Blitz und Donner sowie teilweise Starkregen begleiten uns für die nächsten drei Stunden.
Im Licht der Stirnlampen sind wir, trotz dieser widrigen Umstände, recht flott unterwegs. Auch Adel ist gut dabei, was uns sehr freut. Umso überraschender ist sein Entschluss, bereits in Les Contamines (ca. km 25) die Aufgabe zu erklären. Er hat, wie er uns mitteilt, große Bedenken, unter den herrschenden Bedingungen den folgenden Anstieg zum Refuge de Balme bzw. zum Col d´Enclave (2.667 m) zu bewältigen und will uns auch nicht aufhalten. So sind Helmut und ich schon nach kurzer Zeit nur noch als Zweier-Team unterwegs.
Den Col d´Enclave erreichen wir im ersten Morgenlicht. Der Regen hat aufgehört und auch die Sicht bessert sich. Gegen 08:00 h am Mittwoch sind wir an der ersten Partnerhütte, dem Refuge Robert Blanc (2.760 m), die in felsig-wilder Umgebung zwischen dem Col d´Enclave und dem Col de la Seigne liegt. Wir haben ca. 41 km hinter uns gebracht. Nach einer kurzen Rast in der Hütte (Spaghetti und Cola) machen wir uns auf den weiteren Weg. Der führt uns über den Col de la Seigne, den Col de Chavanne und den Col de Bassa Serra auf teils schwierigen Wegen, Pfadspuren, durch leichtes Klettergelände aber auch weglos über Block- und Schutthänge zum Kleinen Sankt Bernhard (km 62).
Dort befindet sich eine Verpflegungsstelle, die denen des UTMB ähnelt. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, im Ristorante Piccolo San Bernardo eine warme Mahlzeit einzunehmen. In einem Zelt sind Feldbetten aufgebaut, und wir beschließen, uns eine Ruhepause von ca. 1 ½ Sunden zu gönnen.
Kurz bevor wir wieder aufbrechen, spricht mich Luc Guenard an. Er gehört zum Team
Nr. 1 „Le Rire Médecin“ und seine beiden Partner haben am Kleinen Sankt Bernhard aufgegeben. Er würde sich uns gerne anschließen. So sind wir ab sofort wieder zu Dritt, auch wenn wir kein gemeinsames Team bilden.
Gemeinsam mit Luc geht es gegen 20:15 h weiter, um die nächste Partnerhütte, das Refuge Deffeyes, zu erreichen. Die Entfernung dorthin beträgt ca. 17 km, der zu überwindende Höhenunterschied ca. 1.200 m. Wir halten das auch in der Nacht für eine lösbare Aufgabe und rechnen mit einem Zeitaufwand von ca. 5 bis 6 Stunden.
Bereits beim Aufbruch kündigt sich Schlechtwetter an. Zunächst erschwert Nebel die Orientierung, später beginnt es zu regnen. Wir sind gemeinsam mit zwei weiteren Teams unterwegs und beschließen angesichts der Wetterverhältnisse zusammen zu bleiben. Der Regen wird stärker, die Sicht schlechter. Die Suche nach dem richtigen Weg wird, trotz GPS, in schwierigem Gelände immer zeitaufwändiger. Die Witterungsbedingungen und die langen Standzeiten lassen uns schnell auskühlen. Während des Anstiegs zum Col de la Louie Blanche (2.591 m) schießt uns das Regenwasser als Sturzbach den Abhang herunter entgegen. Innerhalb kürzester Zeit sind wir vollständig durchnässt.
Ein äußerst schwieriger Abstieg führt durch wegloses Blockgelände, bevor wir nahe dem Lac Bellecombe wieder auf eine Pfadspur treffen. Der Weg führt uns nun zunächst ca. 300 m nach unten um dann zum lang ersehnten Refuge Deffeyes (2.494 m) anzusteigen. Statt wie geplant gegen 02.00 h, treffen wir dort erst gegen 04:00 h ein. Als Belohnung gibt es auf der Hütte dennoch zwei Bierchen, um danach eine Schlafpause von ca. 1 ½ Stunden einzulegen.
Der Morgen begrüßt uns mit blauem Himmel und Sonnenschein. Von der Hütte geht es steil hinauf zum Passo Alto (2.869 m). Ab dort liegt der Abstieg nach Morgex im italienischen Aostatal vor uns. Auf 14 km geht es mit einem durchschnittlichen Gefälle von 14,5 % nach unten auf eine Höhe von 884 m. Eine echte Herausforderung für Knie und Oberschenkel.
In der Sporthalle von Morgex lagern unsere Kleiderbeutel. Eine schnelle Dusche, um erstmals nach 2 Tagen zumindest beim angebotenen Mittagessen nicht vor uns hin zu müffeln, dann steht ein erneuter Aufstieg bevor.
In der heißen Mittagssonne machen wir uns auf zur Tete Licony. Wer beim UTMB den Anstieg von Courmayeur zum Rifugio Bertone kennt, kann sich eine gewisse Vorstellung machen. Nur dass dort der Anstieg nach ca. 800 hm endet, wir haben über 2.000 hm vor uns.
Die Dämmerung bricht bereits herein, als wir von der Tete Licony (2.914 m) den Weiterweg zum Rifugio Bonatti beginnen. 900 hm geht es steil hinunter ins Val Sapin, dann wieder 500 m hinauf auf den Col Sapin. Von dort sind es noch ca. 8 km bis zum Rifugio, welches wir gegen 02:30 h am Freitag erreichen. Ein verspätetes Abendessen, ein Bierchen und 2 Stunden Schlaf. Schon geht es weiter.
Unser Weg führt uns auf der Trasse des UTMB hinunter nach Arnuva (1.737 m). Kurz danach verlassen wir den Weg des UTMB und beginnen über weitgehend wegloses Schuttgelände den Anstieg zum Col du Ban Darray (2.695 m). Hier überschreiten wir die Grenze von Italien in die Schweiz. Über leichteres Gelände folgt ein Abstieg auf 1.955 m und ein erneuter Anstieg auf den Col de Névé de la Rousse (2.752 m).
Über diesen Pass führte der PTL, damals vom Großen St. Bernhard kommend, auch im vergangenen Jahr. Der folgende Abstieg Alpe Richtung La Tsisette ist mir noch in guter Erinnerung. Leider liegt die Almhütte heuer nicht am Weg. So entgehen uns die dort gehaltenen „Schweizerischen Kampfkühe“ aber auch das hervorragende Essen auf der Hütte.
Wir steigen nach Westen auf den Col de Revedin (2.510 m), um von dort äußerst steil und teilweise ausgesetzt nach La Prayron im Val Ferret abzusteigen. Dabei geht es ermüdend ca. 950 hm nach unten.
Im Ort gönnen wir uns in einer Bar ein warmes Essen. Fantastische Nudeln und ein frisch gezapftes Bier wecken unsere Lebensgeister wieder. Wir überqueren den Fluss und treffen erneut auf die Trasse des UTMB. Dort tummeln sich gerade die etwas langsameren Läufer des CCC, der Freitagmorgen in Courmayeur gestartet wurde. Wir sind gut drauf und halten, trotz der ca. 150 km, die wir bereits in den Beinen haben, mit, teilweise überholen wir die „CCCler“ sogar.
Diesen Übermut müssen wir beim folgenden Aufstieg zur Cabane d´Orny etwas büßen. Vom Tal aus geht es erneut ca. 1.200 hm hinauf. Die Hütte (2.651 m) erreichen wir ziemlich geplättet. Wir schlafen 2 Stunden und beginnen bei dichtem Nebel den Abstieg nach Champex (1.444 m). In der Auberge du Bon Abri wartet ein Frühstück auf uns, bevor wir den Anstieg zum „Fenêtre d´Arpette“ (2.665 m), dem nächsten Übergang beginnen. Uns wird klar, dass es einer gewaltigen Anstrengung bedarf, um bis zur Cut-off-Time um 16:00 h in Vallorcine zu sein.
Luc hat beim Abstieg Probleme mit den Knien und schickt Helmut und mich alleine weiter. Er meint, dass mit ihm das Zeitlimit nicht zu schaffen wäre. Ich finde das einerseits sehr schade, auf der anderen Seite jedoch auch sehr kameradschaftlich. Wir waren jetzt zwei Tage miteinander unterwegs und haben uns schätzen gelernt, dennoch waren bzw. sind wir die „Reste“ von ursprünglich zwei Teams.
Vor Helmut und mir liegen 17 Entfernungskilometer mit insgesamt 2.700 hm im Abstieg und 1.300 hm im Aufstieg. Dafür bleiben uns knappe 5 Stunden. Trotz aller Mühe treffen wir erst 10 Minuten nach der Zeitbarriere in Vallorcine (1.263 m) ein. Gedanklich habe ich mich bereits damit angefreundet, ab jetzt auf der Strecke des UTMB weiter nach Chamonix zu laufen und dort noch in der Nacht anzukommen.
Die Ankündigung, dass die Zeitbarriere aufgehoben worden sei, erfordert für mich erst ein Umdenken und dann eine verstärkte Selbstmotivation. Nach einer kurzen Essenspause steigen wir über das Refuge de Loriaz zur Cabane du Vieux Emosson (2.173 m) auf. Nach einem üppigen und schmackhaften Abendessen verziehen wir uns für 1 ½ Stunden in ein vom Veranstalter aufgestelltes Schlafzelt. Keine Matten oder Liegen, pro Person eine Wolldecke und Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt, bringen nicht wirklich die notwendige Erholung. Trotzdem fühle ich mich angesichts des in greifbare Nähe gerückten Ziels recht fit.
Kurz nach 02:00 h morgens verlassen wir die Hütte, um zum Cheval Blanc auf 2.816 m aufzusteigen. Der anschließende Übergang zum Col du Génévrier über wegloses Blockgelände bringt in der herrschenden Dunkelheit mehrfache Orientierungsprobleme. Trotzdem stehen wir in der Morgendämmerung auf dem höchsten Punkt der Strecke, dem Gipfel des Buet (3082 m). Ein traumhafter Sonnenaufgang entschädigt für die Mühen der vergangenen Tage. Der vor uns liegende Montblanc strahlt majestätisch in der Morgensonne.
Ein langer Abstieg steht uns bevor. Zuerst zum Col d´Anterne (1.997m) mit der gleichnamigen Hütte, dann weiter zur Brücke über die Arlevé (1.558 m). Dort beginnt der letzte Anstieg des diesjährigen PTL. Ca. 750 hm sind es hinauf auf den Brevent (2.366 m). Von nun an geht es bergab. Wohl wissend, dass die nun folgenden 1.300 hm im Abstieg noch einmal alles von uns fordern, lassen wir uns Zeit. Wir wissen, dass wir ca. 1 ½ Stunden vor dem Zeitlimit im Ziel sein werden und gehen keinerlei Risiko mehr ein.
Ich telefoniere mit meiner Frau Margot, die uns in Chamonix vor der Bar National mit einem frischen Bierchen erwarten will. Das Bier steht bereit und wird uns von Maya und Jens Lukas serviert, die ebenfalls dort sind.
Die letzten Meter durch die Fußgängerzone lassen mich nahezu fliegen. Vergessen sind die Anstrengungen, die Müdigkeit, die üblen Wetterbedingungen der ersten beiden Nächte und die unvermeidlichen Schmerzen. Ich bin nur noch froh und überglücklich. Ich werde von Margot umarmt und schäme mich nicht, Tränen der Freude und der Erleichterung zu vergießen.
Frisch geduscht nehmen wir an der Abschlusskundgebung teil und machen uns danach daran, unsere geleerten Kohlehydrat- und Fettspeicher aufzufüllen.
Fazit:
In der Ausschreibung des PTL 2009 versprachen die Veranstalter eine längere Distanz, mehr Höhenmeter und größere Schwierigkeiten als bei der Erstauflage 2008. Das ist gelungen, auch wenn aus den ursprünglich vorgesehenen 245 km und 21.000 hm am Ende „nur“ 240 km und 17.500 hm geworden sind. Die Streckenführung und die technischen Schwierigkeiten waren im Vergleich zu 2008 ungleich anspruchsvoller, die teilweise schlechten Wetterbedingungen erschwerten den Lauf zusätzlich. Für mich war der PTL 2009 eine wirkliche Herausforderung, das Erleben in Teilbereichen auch grenzwertig. Dennoch möchte ich auf diese Erfahrung nicht verzichten.