Dreh- und Angelpunkt des Spektakels ist Chamonix, renommierter Wintersportort und Zentrum des Alpinismus in Frankreich, zudem Austragungsort der ersten Olympischen Winterspiele 1924. An die 10.000 Einwohner leben hier – und in der Hauptsaison ein Mehrfaches an Gästen.
Dass das traumhaft zu Füßen des mächtigen Mont Blanc Massivs gelegene Städtchen an diesem letzten Augustwochenende ganz im UTMB-Fieber steht, spüre ich sofort, als ich am Donnerstag, den 27.08.2010 ankomme. Schilder, Plakate, Fahnen, Banner, in den Straßen und in den Geschäften: überall ist der UTMB präsent. Mitten in der Stadt prangt der mächtige Zieleinlaufbogen und eine Großbühne mit Leinwand.
Mein Auto lasse ich auf dem Großparkplatz Grepon am südlichen Stadtrand zurück, gleich neben der zur berühmten Aiguilles du Midi führenden Seilbahn. Als Läufer darf ich den Parkplatz während der Veranstaltungstage kostenlos nutzen. Kostenlos ist auch “Le Mulet”, ein Bus, der in einem verschlungenen Rundkurs Chamonix durchkreuzt und auch am Parkplatz hält.
Mit dem Mulet erreiche ich bequem das Centre Sportif nahe dem Stadtzentrum, wo die Startunterlagen ausgegeben werden. In dem Betonkuppelbau werden die Läufer wie an einem langen Buffet durchgeschleust. Man wandert von zu Tisch zu Tisch und bekommt an jedem etwas in die Hand gedrückt. Mit einem bunten Bändchen wird ein Zeitmesschip ums Armgelenk gebunden. So erkennt man im Touristengetümmel in der Stadt gleich, wer wo startet. Da dem Veranstalter die Ökoverträglichkeit ein wichtiges Anliegen ist, erhält jeder Läufer unter anderem ein kleines Netzsäckchen als Gürtelanhänger, in dem er seinen Abfall unterwegs transportieren soll.
Bevor es die Startnummer gibt, muss jeder Teilnehmer eine „Ehrenerklärung“ unterschreiben, mit der er bestätigt, die vorgeschriebene Pflichtausrüstung während des gesamten Laufes mitzuführen. Dazu gehören u.a. eingeschaltetes Mobiltelefon, Getränkeflasche, Trinkbecher (denn auf Einwegbecher wird unterwegs grundsätzlich verzichtet), zwei Lampen mit Ersatzbatterien, Überlebensdecke, Pfeife, wasserdichte Jacke, Verpflegung. Bei Verlassen jeder Verpflegungsstelle muss der mitgeführte Getränkevorrat mindestens einen Liter betragen. Das heißt auch: Ohne Laufrucksack geht hier gar nichts. Das Gesamtgewicht des Gepäcks darf zudem 2 kg nicht unterschreiten, aber wer den Ausrüstungsempfehlungen des Veranstalter folgt, liegt ohnehin locker über diesem Limit.
Vom Centre Sportif ist es, immer der durch Chamonix rauschenden Arve entlang, nicht weit zur Place du Mont-Blanc. Hier findet der „Salon d’Ultra Trail“, die Läufermesse in einem auf dem Platz errichteten Hüttendorf statt. Das Warenangebot, vor allem aus dem Trail- und Outdoorbereich, ist wahrlich beeindruckend: Ich entdecke lauter Dinge, von denen ich vorher noch gar nicht wusste, dass ich sie brauchen könnte. Ultralaufveranstalter aus aller Welt, von den ich teilweise noch nie etwas gehört habe, präsentieren ihre Veranstaltungen. Ich muss schon etwas suchen, bis ich die Hütte Nr. 83 finde, wo wir uns das UTMB-Teilnehmer-Shirt abholen dürfen.
Gleich nebenan erreicht man die langgezogene Fußgängerzone der Stadt. Mit ihren alten Häusern hat sie viel Flair. Zwischen den sich dicht aneinander reihenden Lokalen und Geschäften wimmelt es nur so von Menschen. Omnipräsent ragt im Hintergrund vor dem azurblauen Himmel der in der Sonne weiß leuchtende Koloss des Mont Blanc-Massivs empor. Eine perfekte Kulisse. Es ist heiß - 30 Grad C im Schatten meldet ein Thermometer. Zum Glück muss ich nicht heute laufen. So ist es kein Wunder, dass in den Straßencafes kaum ein Platz zu bekommen ist. Und wohin ich auch schaue: die Läufer haben die Stadt erobert.
Die Stadt schläft noch, als ich früh morgens vom Parkplatz Grepon in die Stadt hinein marschiere. Mulets fahren um diese Zeit noch nicht. Mein Ziel: Die zentrale Place du Mont-Blanc. Hier starten die Shuttlebusse, die die Läufer des CCC zum Startpunkt ins etwa 24 km entfernte italienische Courmayeur bringen. Ich habe eine Reservierung für einen 7 Uhr-Bus - eigentlich viel zu früh, aber das wird mir erst zu spät bewusst. Kaum angekommen, werde ich schon in einen der wartenden Busse gelotst. Und los geht die Fahrt. Ein Großteil der Strecke führt durch den 11,6 km langen Mont-Blanc-Tunnel. Etwa bei der Tunnelmitte queren wir die Grenze zwischen Frankreich und Italien.
20 Minuten später schon erreiche ich das im autonomen Aostatal gelegene Courmayeur. Der Ort ist längst nicht so mondän und lebhaft wie Chamonix, aber mit seinen homogen schieferplattengedeckten, häufig in grauem Naturstein belassenen Häusern durchaus hübsch anzuschauen. Weniger hübsch ist allerdings das Wetter. Hatte sich der angekündigte Wetterumschwung in Chamonix bislang nur durch dicke, aber lichte Wolkenbänke bemerkbar gemacht, erwartet uns in Courmayeur eine tiefliegende dicht-düstere Wolkendecke, die nicht nur den Blick auf die Berge versperrt, sondern auch sonst nichts Gutes verheißt. Aber noch ist es trocken.
Eigentlich sollte unser Bus zu einem Sammelplatz im Ortsteil Dolonne fahren, doch findet der Fahrer das Ziel nicht und so werden wir am Busbahnhof entlassen, der zumindest nahe dem Startgelände liegt. Viel los ist allerdings um diese Zeit noch nicht. Erst allmählich trudeln immer mehr Läufer ein und verwandeln das Startgelände in einen Rummelplatz. Fasziniert beobachte ich, wie bunt und vielgestaltig meine Mitläufer „aufgebrezelt“ sind. Bisweilen kommt es mir eher vor, als stünde der Start einer Massenexpedition statt einer Laufveranstaltung bevor. Aber ich selbst bin auch bepackt wie noch nie bei einem Lauf. Aus 55 Ländern kommen die Läufer in diesem Jahr, wobei die Deutschen, was die Zahl der Starter anbetrifft, im Nationenranking gerade mal an sechster Stelle rangieren. Wie international das Renommee der Veranstaltung ist, belegt etwa die Tatsache, dass für den CCC fast so viele Japaner wie Deutsche gemeldet sind.