Musik von Vangelis und die Nationalhymnen der drei vom Lauf berührten Länder ertönen aus dem Lautsprecher. Der Läuferpulk formiert sich dichtgedrängt vor der Startgeraden. Die Spannung steigt. Nur Petrus will nicht mitspielen: Ausgerechnet jetzt fängt es an zu regnen und als endlich der Startschuss ertönt, ergießt sich das Nass wie aus Kübeln über uns. Der Stimmung tut dies allerdings keinen Abbruch. Mit einem Geschrei, als ginge es in die Schlacht, stürzt sich die Meute auf die Strecke, wobei die Straßenbreite zunächst einmal ziemlich limitierend auf den Tatendrang wirkt. Überrascht bin ich, dass sich trotz der unerfreulichen Witterung Hunderte Zuschauer entlang des Streckenbeginns postiert haben und uns lautstark zu unserem Laufabenteuer verabschieden.
Auf 1.190 m üNN liegt das Startgelände, 1.400 Meter höher unser erstes Etappenziel: der Tête de la Tronche. Höhenmeter werden zunächst aber noch nicht viele gesammelt. Ganz gemütlich, wenn auch etwas beengt dreht die Läuferschlange zum Entree eine Schleife durch die Gassen Courmayeurs, wobei der Lauffluss vor allem in Kurven immer wieder ins Stocken gerät oder gar zum Erliegen kommt. Aber richtig eilig haben es ohnehin die wenigsten. Weitere Zuschaueransammlungen erwarten uns und feuern uns an. Ich kann mich nicht erinnern, jemals bei einem Berglauf am Start ein so enthusiastisches Publikum erlebt zu haben.
Die ersten vier Kilometer geht es noch recht moderat bergan, mal auf Asphalt, mal auf einem Forstweg oder einem aufgeweichten Naturweg. Es geht durch kleine Streusiedlungen, durchbrochen von Wald und Wiesen. Hindernisse, wie etwa kurze Anstiege, bremsen den Läuferpulk sofort aus und führen zum Rückstau. Viele sind auch damit beschäftigt, angesichts des anhaltend heftigen Regens doch noch Schutzkleidung überzuziehen. Aber die meisten, wie auch ich, sind ohnehin schon durchnässt. Zumindest bietet die Regenjacke Schutz vor dem kühlen Wind.
Wir passieren den hübschen kleinen Weiler Etreves, wo sich die Gasse an einer Stelle bis auf gerade mal zwei Meter verengt. Das Ergebnis: natürlich wieder ein Stau. Hinter Entreves nimmt die Steigung zu und schon jetzt verfällt der Großteil der Läufer in ein strammes Walken - frühzeitige Schonung der Energien lautet die Devise. Das Erreichen der Siedlung Planpincieux (1.579 m üNN) nach gut 6,5 km bedeutet Abschied zu nehmen von der Zivilisation.
Die Strecke macht hier eine Kehrtwendung zurück in Richtung Coumayeur, führt nun jedoch auf einem Pfad an der Bergflanke entlang immer höher hinauf und aus der Talsenke hinaus. Der Weg durch das ungeschützte, offene Wiesengelände ist matschig und ausgetreten und häufig so schmal, dass ein Überholen kaum möglich ist. Einige können es aber doch nicht lassen. Wie eine endlose Ameisenstraße zieht sich die Läuferkette den Hang hinauf. Immer mal wieder unterbrochen wird der Aufstieg durch flachere Passagen, die dann auch Laufeinlagen zulassen. Letztlich bestimmt jedoch die Menschenkette den Lauftakt.
Der Regen lässt leicht nach, die Wolken hängen aber weiterhin in dicken Schwaden in den Bergen. Zunehmend wird die Sicht aber besser und ich kann erstmals einen schemenhaften Blick auf die sich auf der jenseitigen Talseite mächtig bis auf 4.200 m auftürmende Gipfelkette der Grandes Jorasses erhaschen.
Gut zwei Stunden und 12,3 km nach dem Start erreiche ich das auf 1.989 m üNN geschützt in einer Mulde gelegene Refuge Bertone. Vor der Schutzhütte werden erstmals Getränke ausgegeben und der Andrang ist groß. Ausnahmsweise gibt es hier Plastikbecher, denn ansonsten muss man sein mitgeführtes Trinkgefäß auspacken. Bei Luftlinienbetrachtung wäre Courmayeur von hier aus gerade einmal einen Katzensprung entfernt - allerdings ein 800 Meter in die Tiefe führender. UTMB-Läufer erreichen die Schutzhütte ab Courmayeur übrigens auf einem anderen Weg bereits nach 5 km.