Langsam nähern wir uns dem Kontrollpunkt auf einem sehr steilen rutschigen Weg nach oben. Das erklärt auch, warum es sich hier staut. Ein weiterer Grund ist die Ausrüstung meiner Mitstreiter. Viele haben normale Straßenlaufschuhe ohne hochgebirgstaugliches Profil an und rutschen permanent aus, zwei Schritte vorwärts, einen rückwärts. Der Stau hat mich insgesamt eine halbe Stunde gekostet und dann ist’s endlich vorbei. Um 12:00Uhr bin ich oben und der nette Herr mit dem Handscanner begrüßt uns, scannt uns und ab geht’s in Richtung
La Thuile (1448 m – 21,2 km, Cutoff-Zeit: 14:30 Uhr)
Das ist eine fantastische Downhill-Trail-Rennstrecke und ich fliege die nächsten 10 km förmlich ins Tal. Breite Wege, Almen, Wiesen und ich kann es rollen lassen. Schnell finde ich endlich einen Laufrhythmus und habe auch wieder das Gefühl vorwärts zu kommen.
Ich muss mich aber zuweilen etwas bremsen und nicht mein ganzes Pulver hier zu verschießen. Viele Brunnen und Tränken mit frischen Gebirgswasser sorgen für Abkühlung und um 13:24 treffe ich am VP La Thuile ein. Kurz alles auftanken, ein paar Leckereien essen und gleich weiter, nicht zu lange rumtrödeln, eine längere Pause habe ich für später eingeplant. Bis jetzt war‘s ein Halbmarathon mit 1450 HM, weiter geht’s in Richtung
Col du Petit St-Bernard (2188 m - 29,9 km)
Was jetzt folgt ist Leiden. Ich leide, weil es heiß ist. Ich mag Hitze beim Laufen einfach nicht. Noch dazu innerhalb einer Ortschaft auf Asphalt und schon gar nicht gerne bergauf. Damit ist alles gesagt, aber da muss ich (und alle anderen auch) durch. Ich habe im Laufe vieler Rennen gelernt, dass ich manche Dinge einfach so hinnehmen muss wie sie nun mal sind. Es macht keinen Sinn zu jammern oder sich selbst zu bedauern, das bringt nichts, kostet nur Energie und sorgt für schlechte Stimmung. Der Berg kann nichts dafür dass er so steil ist und die Sonne ist auch nicht schuld daran, dass ich hier schwitze. Niemand und nichts hat Schuld. Ich wollte es so, basta. Also kommt jetzt wieder der Punkt, wo ich mein Hirn ausschalten und einfach nur gehen muss. Und das klappt.
Die Landschaft ist traumhaft und der Weg zum Col du Petit St-Bernard ist wunderschön, ich mache noch ein paar Fotos und ziehe weiter. Die ersten Läufer liegen schlafend am Wegrand. "Jetzt schon?" denke ich mir. Ich frage sie, ob alles OK ist, aber sie möchten nur etwas Ruhe.
Ich kämpfe schon ordentlich bis ich die paar Höhenmeter zum nächsten VP hinter mir habe. Mein Wasserverbrauch ist enorm und somit die größte Sorge in diesem ganzen Rennen. Durch die Hitze verliere ich viel Flüssigkeit und ich weiß, dass ich saufen muss wie ein Kamel, um nicht komplett zu dehydrieren. Die wenig erfreuliche Vorstellung mit einer Infusion im Arm im Sanitätszelt von einer bösen Oberschwester versorgt zu werden, lässt mich immer wieder trinken. Meine zwei 0,75 Liter-Flaschen reichen zwar einigermaßen, aber ich muss den Inhalt schon rationieren.
Ich erreiche den VP auf dem Col du Petit St-Bernard um 15:20. Erst mal richtig volltanken, was essen, kurze Pause zum Runterkommen und dann langsam weitergehen. Das funktioniert und ich bin wieder komplett hergestellt um das nächste Zwischenziel anzupacken:
Bourg St-Maurice (813m – 44,1 km, Cutoff-Zeit: 19:30 Uhr)
Ich starte zunächst langsam gehend, dann bergab im Laufschritt. Ich kann an Speed zulegen und der "Fahrtwind" kühlt mich angenehm. Ich habe das Gefühl, dass ich noch Stunden so weiterlaufen könnte. Kann ich aber nicht. Irgendwann muss ich drosseln.
In Seez werden die Läufer von einer kleinen Delegation am Ortsrand empfangen. Sie haben es sich an Biertischen gemütlich gemacht, stoßen auf uns an und jubeln uns zu. Ein wirklich spaßiger Anblick. Ich laufe auf Teerstraßen weiter und treffe in der Stadt Bourg St-Maurice ein. Es beginnt leicht zu regnen. An den umliegenden Bergregionen entladen sich bereits heftigere Gewitter.
Der Regen tut gut und kühlt mich ein wenig ab. Das auf der Stirn getrocknete Salz läuft mir jetzt in die Augen und ich komme tränenüberströmt im Stadtzentrum an. Die glauben sicher, dass ich vor Rührung heule... Hier ist der nächste VP aufgebaut, den ich um 17:23 erreiche.
Ich habe über zwei Stunden auf die Cutoff-Zeit. Wir werden kurz gesundheitlich gecheckt. Ich verstehe zwar nicht, was der nette Herr von mir will, aber ich scheine seinem Ideal eines gesunden Sportlers zu entsprechen und er winkt mich durch. Jetzt gießt es richtig und wir drängen uns im Versorgungszelt. Es ist viel zu eng hier, überall liegt Equipment rum, sowie die dazugehörigen Läufer. Cola, Suppe, Wasser, Käse, Brot, Kekse... alles stopfe ich in mich rein. Ich glaube ich habe einen Magen wie ein Schwein und komischerweise vertrage ich das alles.
Ich entdecke ein Schild, auf dem eindringlich steht, dass der nächste VP in 25 km (!) kommt und man solle genügend Wasservorräte mitnehmen. Ihr Spaßvögel.
Das ist jetzt eine echte Hiobsbotschaft für mich, die haben echt eine Meise, denke ich bei mir. 25km im hochalpinen Bereich mit 1,5 Liter Wasservorrat bei schwülheißem Wetter. Ich sehe mich schon aus Pfützen trinken und von Aasfressern umkreist in der hochalpinen Bergwelt verenden. Von der Oberschwester ganz zu schweigen...