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28.08.11 - Ultra Trail du Mont Blanc (UTMB)

TDS: 112 km von Courmayeur nach Chamonix

Wir erreichen das Tal La Gittaz auf 1665m. Hier haben die Sanitäter ihr Quartier aufgeschlagen und geben uns in englischer Sprache ein paar Tipps für den kommenden Aufstieg. Wir legen einen kleinen Break ein und ziehen weiter zum

Col E. de la Gitte (2315 m)

Die Sanitäter hatten uns unterschwellig vor diesem Aufstieg gewarnt, der Weg sei durch das hohe Gras schlecht zu erkennen und wir sollen die Augen nach Markierungen offenhalten. Ich kann diesen Weg jetzt schon nicht leiden, ich weiß auch nicht warum. Er ist glatt, steil, eng, ausgewaschene Rinnen, schmierig, er teilt sich in Trampelpfade die in alle Richtungen führen, nur nicht dahin wo ich hin will. Mittendrin stehen wir im hüfthohen Gras auf einer 45-Grad-Rampe und sehen keine Markierung mehr. Wir gehen einfach nach oben, oben ist immer richtig. Irgendwann erreichen wir dann auch wieder Markierungen und einen breiten Fahrweg. Um 2:53 Uhr kommen wir zum Kontrollpunkt auf dem Entre-deux-Nants (2164 m – 79,6 km). Kurz die Startnummer scannen lassen und weiter bis zum Gipfel zum Col E. de la Gitte.

Hier weht ein kalter Wind und zieht uns die letzte Kraft aus den Gliedern. In Anbetracht der schlechten Bedingungen einen Tag später für die UTMBler, ist das jetzt Jammern auf hohem Niveau, aber wir frieren und ich werde nicht müde zu behaupten: Die Pflichtausrüstung mach Sinn! Wir ziehen alles an Kleidungsschichten an, was wir dabei haben und dann stapfen wir fröstelnd auf dem Bergrücken entlang. Ich möchte nicht wissen, wie es hier bei schlechtem Wetter abgeht und bin nachträglich froh, dass der Lauf einen Tag früher gestartet wurde.

Dann höre ich irgendwann Musik aus der Ferne, sowie Stimmen. Ich traue mich Friedbert gar nicht zu fragen, ob er das auch hört. Ich habe Angst, dass er "nein" sagt und ich mir erste akustische Halluzinationen eingestehen muss. Dann teilt er mir die gleichen akustischen Wahrnehmungen mit und wir sind daraufhin beide beruhigt: Hier ist irgendwo eine Party im Gange. Wir laufen weiter in Richtung

Col du Joly (1989m - 87,6 km, Cutoff-Zeit: 07:15 Uhr)

Auf diesem Teilstück können wir die lange, sich den Berg hinaufwindende Lichterkette der Läufer vor uns sehen, die dann in einer Querung am Refuge de la Roselette hinter dem Bergrücken verschwindet. An einer Stelle wird‘s extrem technisch und wir machen ein paar Höhenmeter unter Zuhilfenahme der Hände - Klettern ist angesagt. Felsblöcke, rauf und runter.

Das unterscheidet den TDS von allen anderen Läufen, aber es macht unglaublichen Spaß und bringt Abwechslung. Es gibt für mich nichts Schlimmeres als bei Nacht auf einem eintönigen Weg dahinzutrotten. Hier pennt jetzt keiner mehr und alle sind wieder hellwach. Dann geht es die bereits erwähnte Querung in Richtung zum nächsten Verpflegungspunkt. Ein Blick zurück ins Tal offenbart die Lichterkette der Läufer, welche die Kletterpartie noch vor sich haben. Dann wird die Musik lauter und die Stimmen auch. Wir kommen vorbei an Kuhweiden und sehen bereits schon den VP Col du Joly.

Hier ist also die Party. Es ist 05:14 Uhr, 19km sind seit dem letzten VP vergangen und wir haben hierfür über 6 Stunden benötigt. Das Erste was uns empfängt, ist die Meldung des Sprechers, dass in zwei Minuten der Bus nach Chamonix abfährt, für alle die aufhören wollen. Wir machen hierüber Scherze und stellen uns vor, wie schön Busfahren jetzt wäre. Aber Aufgeben kommt überhaupt nicht in Frage. Die bekommen mich heute nur gegen meinen Willen mit Polizeigewalt oder mit der Finisherjacke von der Strecke.

Angekommen im Zelt, ist das Elend bereits sehr groß. Läufer liegen auf Bänken in Alufolien eingewickelt. Angehörige kauern daneben, als würden Sie um Verstorbene trauern. Wir sind relativ pietätlos und lassen uns dennoch die Suppe und alle anderen Leckereien schmecken. Wir sind nach dieser Gebirgsstrecke allerdings auch ziemlich am Ende und freuen uns auf die Morgendämmerung und auf den Abstieg nach

Les Contamines (1170 m – 96,5 km, Cutoff-Zeit: 10:00 Uhr)

Der Abstieg verläuft zunächst auf einer Straße, wir werden aber dann zum Glück wieder ins Gelände geschickt und laufen fortan auf einem an sich schönen Waldweg mit viel Wurzelwerk nach unten ins Tal. Und da beginnt auch das Problem, wenn man schon länger unterwegs ist. Ich stolpere ein paar Mal, kann mich aber fangen, die Stirnlampe ist im Morgengrauen schon ziemlich am Ende. Ich bin ehrlich gesagt auch zu faul, jetzt noch Batterien zu wechseln. Außerdem gibt’s in Les Contamines beim nächsten VP ohnehin Frühstück.

Es wird zunehmend wärmer und wir entledigen uns unserer Bekleidungsschichten. Wir laufen auf der UTMB-Strecke in entgegengesetzter Richtung und erreichen den nächsten VP. Alle Cutoffzeiten wurden aufgrund der Streckenänderung um eine Stunde nach hinten verschoben und somit haben wir genügend Zeit um aufzutanken.

 
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Friedbert schlägt vor, wir sollen uns aus dem gegenüberliegenden Supermarkt noch ein Bierchen gönnen, aber ich vertrage nichts und wäre für den Rest der Strecke breit wie eine Tür. Wir verwerfen diese Idee und einigen uns auf das Bier im Ziel. Wir starten um 07:52 los zum

Chalet Du Trucs (1721 m)

Jetzt ist’s noch ein lockerer Halbmarathon bis ins Ziel, den packen wir auch noch. Wir unterliegen diesem Irrglauben, aber nur 200 Meter und werden von der Realität in Form eines Anstiegs schnell wieder eingeholt. Was auf den Höhenprofil wie drei Hügel aussieht, entpuppt sich noch mal  als richtig harte Nummer. Es geht 3 km auf einer Forststraße knapp 500 HM hoch, das hatte ich echt unterschätzt und nach der zurückgelegten Strecke tut das nochmal richtig weh.

Wir haben aber noch Glück, dass dieser Aufstieg auf der sonnengeschützten Nordseite ist. Anfangs ist der Weg steil, weiter oben wird es dann leichter. Friedbert muss auf halber Höhe pausieren, sein Fuß macht Probleme. Er vermutet eine größere Blase, die ihm große Schwierigkeiten bereitet. Ich will warten, aber er schickt mich weiter. Ich mache das nur ungern, weil wir bislang unseren Weg gemeinsam gegangen sind und ihn auch gemeinsam zu Ende bringen wollten.

So mache ich mich zumindest mal langsam auf den Weg und warte öfter an Wegbiegungen, aber ich sehe ihn nicht nachkommen. Ich erreiche den höchsten Punkt des Chalet Du Trucs, die Aussicht ist atemberaubend, das Wetter perfekt. Es ist ein wunderschöner sonniger Morgen.  Ich warte hier noch eine Zeit lang auf Friedbert, aber er kommt nicht. Ich hoffe, dass alles ok ist und er weiterlaufen kann. Ich ziehe langsam weiter und sehe im Tal gegenüber meine letzte große Herausforderung:

Col de Tricot (2120 m – 103,6 km)

Im Höhenprofil sieht es aus, als müsste man nur Anlauf nehmen und mit Schwung die nächste Steigung hochlaufen.

 
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Es ist aber so, dass es über einen nicht gerade komfortablen Abstieg (was anderes hatte ich zu dem Zeitpunkt auch nicht mehr erwartet) wieder auf 1570 m runter geht, um dann nochmal 550 Höhenmeter in Serpentinen steil nach oben anzusteigen.

Meine Beine sind mittlerweile schon richtig sauer, ich auch. Manchmal wird  bei der Wegführung auch komplett auf Serpentinen verzichtet und es geht direkt und gerade rauf. Die Waden jubeln. Langsam setze ich einen Schritt vor den anderen, schalte wieder das Hirn aus, atme gleichmäßig und lasse mich von überholenden Läufern nicht beirren. Nur auf nichts einlassen, sage ich mir, wenigstens laufe ich im Schatten.

Ab und zu sehe ich die Oberschwester mit der Infusion vor mir herlaufen, aber damit kann ich mittlerweile umgehen. Ich sehe nicht nach oben, das frustriert nur. Ich konzentriere mich auf jeden Schritt und weiß, dass ich das schaffe und bald oben bin. Dann ist’s um 10:14 endlich geschafft und nach dem mein Chip gescannt ist, lasse ich mich ins Gras fallen und genieße erst mal die Aussicht.
Nach einem Energieriegel und Wasser ist die Welt wieder in Ordnung und ich weiß, dass es jetzt so gut wie in trockenen Tüchern ist. Der Rest bringt mich auch nicht mehr um. Ich kann jetzt bergab wieder gut laufen. Weiter geht’s zum letzten "Hügel":

Bellevue (1801 m – 107,6km)

Was jetzt kommt ist Spaß pur. Ich laufe durch wunderschöne Wälder, es riecht überall nach Harz, ich kreuze Bäche und darf auch noch über eine lange Hängebrücke über die Gletscherzunge des Bionnassay Gletschers. So etwas habe ich noch nie gemacht und mir ist nicht ganz wohl dabei, als ich den Abgrund zwischen den Brettern durchscheinen sehe. Unter mir tobt der Bach und als ich auf der anderen Seite ankomme, würde ich gerne noch verweilen, aber so langsam möchte ich auch mal ankommen.

Das kommende Waldstück verleitet dazu, sich einfach mal hinzusetzen und die Morgensonne zu genießen. Einige meiner Mitläufer tun das, liegen im Gras und schlafen. Es geht noch einen kleinen Anstieg nach oben und ich bin noch so voll mit Adrenalin, dass ich in Bellevue die Kontrollposten fast umrenne (11:25 Uhr). Hier gibt’s eine kleine Erfrischung und danach geht’s nur noch runter nach

Les Houches (1012 m – 112,4 km, Cutoff-Zeit: 15:15 Uhr)

In Bellevue rufe ich wie versprochen meine Frau an und sage ihr, dass ich Chamonix bereits sehe und ich in ca. 2 Stunden da sein will, Helden wollen schließlich gebührend empfangen werden.

Schöne Wanderwege bringen mich nach unten, die Vegetation wird dichter und mein Wasservorrat allerdings immer knapper. Ich habe einen Riesendurst, aber es dauert länger, als erwartet, die "paar Höhenmeter" bis zum nächsten VP in Les Houches zurückzulegen. An einer Wegbiegung glaube ich auch die Oberschwester wieder zu erkennen. Als ich auf sie zulaufe, ist’s eine Engländerin. Sie kämpft wie ich mit sich und der Erdanziehung.

Dann mündet der Weg in eine Teerstraße und die Zivilisation hat mich wieder. Lautstark werde ich beklatscht und angefeuert. Das gibt’s nur hier. Nette Omas stehen mit Wasserflaschen und anderen gut gemeinten Spezialitäten, die ich nicht näher identifizieren kann, am Gartenzaun und verköstigen die Läufer, Kinder machen Lärm mit Kuhglocken und allem was laut ist, es ist unglaublich.

Um 12:29 Uhr erreiche ich den VP in Les Houches. Hier treffe ich auf 4 weitere Deutsche.  Schon lustig, wenn man bedenkt dass nur 32 Landsleute gemeldet sind. Kurz was essen, trinken, Wasservorrat für 8km aufnehmen und ab geht’s zum Endspurt nach

Chamonix (1035 m – 120,3 km, Zielschluss: 17:00 Uhr)

Hier laufe ich auf der UTMB-Strecke in umgekehrter Richtung. Ich weiß nicht genau, was den Schalter in mir umgelegt hat, aber ich kann auf einmal Kräfte in mir mobilisieren, von denen ich bislang nichts wusste. Ich beginne zu laufen und halte das bis zum Schluss nach Chamonix durch.

Es ist ein atemberaubender Augenblick, durch die abgesperrte Läufergasse zum Ziel zu laufen. Überall Menschen die mir zujubeln. Ich muss mich immer wieder mal umdrehen. Aber da ist außer mir keiner, die meinen wirklich mich.

Dann entdecke ich Daniel Steiner, ich halte kurz an und wir begrüßen uns. Ich freue mich riesig über ihn. Dann geht’s weiter und kurz vor dem Ziel wartet meine Frau, die ich kurz umarme. Dann kommt der große Moment: Der Zielbogen.

Laute Musik, Jubel, der Sprecher nennt meinen Namen und ich überschreite die Ziellinie. Endlich geschafft... Nach 28:37:24 bin ich um 13:37 Uhr im Ziel.

Die Platzierung ist mir letztendlich egal, aber es geschafft zu haben ist ein Triumph für mich und gibt mir die Bestätigung, alles richtig gemacht zu haben.
Danach halte ich die langersehnte Finisherjacke in Händen, esse ein paar Happen, tausche mich mit Daniel und meiner Frau noch aus und dann geht’s ab ins Hotel, duschen, entspannen, schlafen...
   
Fazit:

Wunderschöne und anspruchsvolle Strecke, ohne das umleitungsbedingte Straßenstück wäre sie perfekt gewesen. Es ist alles dabei, stellenweise sehr anspruchsvolle und rauhe Trails. Die Verpflegung ist erstklassig und wem wie mir permanent die Wasservorräte ausgehen: Es gibt genügend Bäche und Tränken am Wegrand. Die Stimmung in der Bevölkerung ist grandios und die Arbeit der vielen unermüdlichen Freiwilligen nicht mit Gold aufzuwiegen.

 

Informationen: Ultra Trail du Mont Blanc (UTMB)
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