Mittlerweile ist der Ultra-Trail du Mont Blanc (UTMB) zu einer Riesenveranstaltung rund um das Mont Blanc-Massiv mit einem perfekt durchorganisierten Programm für Teilnehmer wie auch für Begleitpersonen herangewachsen. Für die Trailläufer gibt es fünf verschiedene Wettkämpfe entlang des Wanderwegenetzes “Tour du Mont Blanc“. Der UTMB mit 170 km und 10 000 Hm ist die ursprüngliche Strecke, die bereits vor 13 Jahren die ersten Trailläufer nach Chamonix lockte. Nur 3 Jahre später war die kürzere Variante um den nördlichen Teil des Massivs, der CCC (Courmayeur-Champex-Chamonix) mit 100 km und 6 100 Hm geboren.
Über das südliche MontBlanc-Massiv führt seit 6 Jahren der Wettbewerb TDS (Sur les Traces des Ducs de Savoie) mit 119 km und 7 250 Hm, der die Läufer bis ins Aostatal bringt. Ganz neu im Programm ist seit letztem Jahr der OCC (Orsières-Champex-Chamonix) mit 53 km und 3 300 Hm, der als einziger Lauf nur am Tag stattfindet. Und schließlich gibt es noch den PTL (La Petite Trotte à Léon), der über 300 km und 26 000 Hm als Teamlauf die Athleten in die entlegenen Mont Blanc-Gebiete vordingen lässt. Insgesamt waren bei der UTMB-Veranstaltung mehr als 8 000 Läufer auf den verschiedenen Strecken unterwegs. Je nach Wettkampf kamen zwischen 60 und 70 % aller Läufer ins Ziel.
Nachdem ich bereits den CCC und zweimal den UTMB gefinisht hatte und beim PTL im letzten Jahr vorzeitig ausgestiegen bin, wollte ich 2015 den TDS laufen, weil ich einen Großteil dieser Strecke noch nicht kannte. Die Eckdaten dieses Laufes über 119 km und 7250 Hm bergauf bzw. 7520 Hm bergab waren schon beeindruckend. Er sollte auch technisch anspruchsvoller sein als die anderen UTMB-Wettkämpfe. Die gesamte TDS-Strecke hatte 11 Berge oder Pässe, die ich überschreiten musste, der höchste Punkt lag am Col de Chavannes bei 2603 m ü.M. und der tiefste Punkt in Bourg Saint-Maurice bei 813 m ü.M. Dazwischen würde ich mich in einem ewigen Auf und Ab von einem Berg zum nächsten oder von einem Tal zum nächsten bewegen.
Bereits am Dienstag konnte ich meine Startunterlagen im Sportzentrum von Chamonix abholen, leider wie jedes Jahr mit etwas Wartezeit verbunden, auch wenn die Organisation das Abholen der Startunterlagen immer wieder zu optimieren versucht. Alle Läufer müssen mit ihrem Laufrucksack erscheinen und ihre Pflichtausrüstung vorlegen, was natürlich mit Aus- und Einpacken ziemlich viel Zeit in Anspruch nimmt. In diesem Jahr bekam ich am Anfang meiner Abholrunde einen Zettel mit Namen und den Pflichtausrüstungsgegenständen, die ich vorzeigen musste. So hatte dann jeder Teilnehmer, per Zufall generiert, etwas unterschiedliche Ausrüstungsteile auszupacken. Mit der Unterschrift verpflichtete ich mich dann noch, alles andere bei meinem Wettkampf mitzutragen.
Erst jetzt erhielt ich meine Startnummer, mein Starterpaket mit Eventshirt und zwei Läufersäcke. Am Abend vorm Wettkampf kontrollierte ich dann noch einmal meine Ausrüstung und legte meine Laufkleidung für den kommenden Morgen bereit. Schon früh um 3 Uhr sollte mich der Wecker aus dem Tiefschlaf reißen, aber ich wollte ja auch noch etwas frühstücken und mich dann rechtzeitig auf den Weg zur Bushaltestelle machen, wo um 4:40 Uhr der Bus aus Vallorcine kommend nach Courmayeur fahren würde. Kurz nach 5 Uhr traf ich in Courmayeur (1200 m) vor dem Sportzentrum ein und machte mich auf den Weg zum Startbereich, wo ich auch meine Läufersäcke für Cormet de Roselend und für Chamonix abgeben konnte. Nun war nicht mehr viel Zeit bis zum Start, so dass ich gerade noch meine Regenhose und –jacke im Rucksack verstauen und mir ein Plätzchen inmitten der Läufer suchen konnte. Mit dem Titelsong aus Fluch der Karibik wurden wir pünktlich um 6 Uhr auf die Strecke geschickt.
Bis zum Col Chécrouit verlief die Strecke meist über breite Wege hinauf entlang der Skipisten von Courmayeur. Die erste Verpflegung war dann auch schon nach 6,5 Kilometern am Maison Vielle auf dem Col de Chécrouit (1956 m). Bis zum Lac Combal (km 15,2/1970 m/VP) kannte ich die Strecke über den Arête du Mont-Favre (2435 m) vom UTMB, die hier in umgekehrter Richtung verlief.
Auch wenn sich das Läuferfeld immer mehr auseinanderzog, bildete sich eine lange Läuferkette den Berg hinauf und ich musste mich wie alle anderen einreihen und die Geschwindigkeit meines Vorgängers aufnehmen. Nur selten konnte ich auf diesen Wegstücken überholen. Schon von weitem konnte ich den Übergang am Col de Chavannes (km 19,7/2603 m) erkennen, wie sich im Schatten des Berges die bunt gekleideten Trailläufer langsam den Weg hinaufschlängelten. Schritt für Schritt näherte ich mich dem Passübergang, wo sich wie schon am Col de Chécrouit ein Kontrollposten befand, der die Startnummern der einzelnen Läufer einscannte, damit man via Livetrail die Teilnehmer verfolgen konnten.
Ein gleichmäßig abfallende Schotterstraße brachte uns in etwa 9 Kilometern bis zur schmalen Holzbrücke Alpetta (km 29,2/1786 m). Nun begann der 7 km lange Aufstieg über ein Hochtal mit teils vertrockneten Almwiesen auf den Col du Petit St.-Bernard. Um den See herum über einen mit Alpenrosen bewachsenen Steilhang ging es dann zur 2188 m hohen Passhöhe (km 35,9/VP), wo auch die Landesgrenze zwischen dem Département Savoie/Frankreich und dem Valle d´Aoste/Italien verläuft. Oben auf der Passhöhe waren die Temperaturen sehr angenehm mit einem erfrischenden Wind, doch das sollte sich dann bald ändern!
Die nächsten 15 Kilometer bis nach Bourg Saint-Maurice ging es kontinuierlich runter, mal etwas steiler, mal wieder flacher, mal auf einer staubigen Schotterstraße, dann wieder auf einem schmalen Pfad. Und immer weiter ins Tal der Hitze entgegen! An St. Gervais und Séez vorbei ging es dann noch einige Kilometer flach, eigentlich gut zu laufen. Aber wegen der Hitze wollte ich da nicht laufen. Endlich hatte ich das Städtchen im oberen Tarentaise-Tal erreicht. Am Bahnhof vorbei lief ich dann in die Fußgängerzone zur nächsten VP (km 50,7/813 m). Hier versammelten sich viele Trailläufer und trafen ihre Freunde und Familien, ein buntes Durcheinander im schattigen Verpflegungszelt. Mir war es fast zu umtriebig, so dass ich mich auch bald wieder auf den Weg machte.
Beim Verlassen der VP Bourg Saint-Maurice musste ich eine Kontrolle passieren, bei der ich einen Teil meiner Pflichtausrüstung (zwei Stirnlampen, Handy und Regenjacke mit Kapuze) vorzeigen musste. Erst jetzt durfte ich weiterlaufen! Hinter der Kirche ging es dann steil den Berg hinauf, unserem nächsten Zwischenziel entgegen, dem Fort du Truc und dem Fort de la Platte (km 56,0/1976 m). Der Aufstieg war besonders kräftezehrend. In nur 6 Kilometern mehr als 1000 Höhenmeter und dann auch noch in der prallen Nachmittagssonne zu bewältigen, war schon ein Ding. Bis zum Cormet de Roselend waren es noch einmal weitere 10 Kilometer, die wohl schwersten auf der ganzen Strecke. Schon der Aufstieg zum Col de la Forclaz (km 59,2/2354 m) kam mir endlos vor und dann ging es wieder einige Höhenmeter bergab, bevor der eigentliche Anstieg auf den Passeur de Pralognan (km 62,2/2567 m) begann.
In engen Serpentinen ging es steil hinauf. Kaum hatte ich den höchsten Punkt erreicht, ging es auch schon über einen Felsgrat direkt wieder steil hinunter. Seilversichert kletterte ich über die Felsen und war gottfroh, dass ich diesen Streckenabschnitt noch bei Tageslicht erleben konnte. Es war schon beeindruckend, wie steil dieser Abstieg war und wie schnell ich gleich wieder die hart erkämpften Höhenmeter verlor. Nachdem ich die meisten Kletterfelsen hinter mir hatte, musste ich über steile Geröllhalden bergab laufen. Ein Gebirgsweg brachte mich auf eine Schotterstraße, die fast eben zum Cormet de Roselend (km 66,6/1967 m/VP) ging. Hier hatten sich viele Zuschauer versammelt, die die Läufer bei ihrer Ankunft klatschend begrüßten. Für Angehörige und Freunde war es auch einfach, zum Cormat de Roselend zu kommen, weil es eine durchgängig asphaltierte Passstraße gibt, die von Bourg Saint-Maurice nach dem Städtchen Beaufort in den Savoyer Alpen führt.
Beim Betreten der VP überreichten mir die Helfer meinen Läufersack mit Wechselkleidung, den ich dann beim Verlassen wieder abgeben konnte. Hier zog ich mir warme Sachen für die bevorstehende Nacht über. Und ein warmes Essen sollte mich dann für die nächsten Kilometer stärken. Als ich die VP verließ, stand die Sonne schon recht tief, in einer guten Stunde würde ich in der Dunkelheit unterwegs sein. Zum Glück blieben die Temperaturen recht angenehm, so dass ich in kurzen Hosen und Langarmshirt weiterlaufen konnte. Also alles gute Bedingungen für die Nacht! So war der Aufstieg auf den Col de la Sauce (km 70,0/2307 m) schon fast im Dunkeln, ich musste mich erst wieder an den Lichtkegel meiner Stirnlampe gewöhnen, die mir in erster Linie den weiteren Weg ausleuchtete.
Kaum hatte ich mich an das Licht auf meinem Kopf gewöhnt, befand ich mich auf einem rutschigen Felsenweg durch eine tiefe Schlucht. In der Dunkelheit konnte ich nur das Rauschen des Gebirgsbaches vernehmen und die steile Kante an meiner rechten Seite. Eigentlich gab es ursprünglich mal eine Steinmauer, die den Abgrund sicherte, sie war aber nicht durchgängig und wurde dann mit rot-weißen Absperrbändern zusätzlich markiert. Dieser Weg wird auch der „Chemin du Curé“ (le curé = Pfarrer) genannt und ist ein in die steile Felswand gehauener Weg mit Felsüberhängen. Schade, dass ich hier nichts mehr sehen konnte, wäre bestimmt schön gewesen!
Als ich dann die Schlucht verlassen hatte, befand ich mich auf einem steilen, rutschigen Pfad nach La Gitte (km74,5/1665 m). Endlos zog sich bald danach der Weg hinauf zum Col Est de la Gitte, einzig die Stirnlampenlichter der Läufer vor mir zeigten mir die Entfernung zur nächsten Kuppe. Schon bald konnte ich in weiter Ferne die nächste VP am Col du Joly ausmachen, aber die Lichterkette der Läufer zog sich in einem großen Bogen über einen Steilhang noch weitere 7 Kilometer hin. Endlich hatte ich die großen Pfeiler der Liftanlagen am Col du Joly erreicht und hoffte, dass es nicht mehr weit bis zur VP (km 85,6/1989 m) sein würde. Der Col du Joly bildet übrigens die Grenze zwischen den Department Savoie und Haute-Savoie und bietet bei Tag eine wunderschöne Aussicht auf das gesamte Mont Blanc-Massiv.
Die nächsten zwei Streckenpunkte kannte ich bereits vom UTMB, den Weg durch die Schlucht von Notre Dame de La Gorge und Les Contamines-Montjoie (km 95,4/1153 m). Nach diesem 10 Kilometer langen Abschnitt stand dann das letzte Teilstück vor Chamonix auf dem Plan. Über das Chalet du Truc (km 98,8/1721 m), den Col de Tricot (km 102,4/2120 m) und schließlich Bellevue (km 106,4/1801 m) war ich dann zurück im Arve-Tal südlich von Chamonix. Doch diese 16 Kilometer hatten es wirklich in sich. Es waren nicht die steilen, steinigen Aufstiege, die mich viel Kraft kosteten, sondern die ebenso steilen Abstiege über mindestens zwei/drei Kilometer. Ich wunderte mich jedes Mal, wenn ich die Stirnlampenlichter tief unten im Tal erkennen konnte, wie weit ich noch hinunterlaufen musste, bevor ich auf der gegenüberliegenden Seite wieder aufsteigen konnte.
Dann war auch dieser Teil geschafft, bei Bellevue wurde es dann endlich wieder hell und ich konnte meine Stirnlampe wegpacken. Zuerst über einen schmalen Wiesen- und Waldweg, später auf der steilen Asphaltstraße kam ich dem Talort Les Houches (km 111,2/1008 m/VP) immer näher. Ein kurzer Stopp, um noch einmal etwas zu trinken und schon gleich brach ich wieder auf, um die letzten 8 Kilometer nach Chamonix in Angriff zu nehmen. Den breiten Schotterweg kannte ich ebenfalls vom UTMB und wusste, dass ich dort vielleicht noch einige Meter laufen könnte, wenn meine Beine nicht zu müde wären.
Um 8:20 Uhr erreichte ich das Ziel auf dem Place du Triangle de l´ Amitié im Zentrum von Chamonix. Nur wenige Zuschauer waren an der Strecke unterwegs und im Ziel war es auch noch recht verschlafen, aber egal, ich hatte es mal wieder geschafft und war mächtig stolz auf mein Finish nach 26 Stunden und 21 Minuten, was mir den 410. Gesamtplatz von 1214 Finishern und einen 40. Platz von allen 145 Frauen einbrachte.