Dann geht’s hinab in das Alzettetal, durch das Viadukt der Passerele und zurück Richtung Grande-Duchesse Charlotte, um dann doch wieder die Richtung zu wechseln, um nach kurzem Abstieg die steilsten Treppchen der Welt zu nehmen, die dann wieder runterführen, über winzige Brücken und dann doch hinauf in die steilen Sandsteinfelsen, dann wieder aus Versehen nach unten abbrechen. Oh wie frei ist das Trailer-Leben! Frei wie ein Wiesel! Sinnfreies Trail-Hüpfen der feinsten Art, hirnverbrannte Wege für Idioten, die Nahrung aus Metalltüten lutschen. Und Gott sprach zum Menschen: Mach dir den Trail Untertan! Und siehe da, er hatte recht! Und Eva gab Rivella!
Vielleicht km 10, man weiß es nicht, km-Markierungen sind für Luschen, da beginnt irgendwie der Wald. Nicht irgendein Wald. Er ist durchsetzt mit alten Mauern und Treppen, die mit moderner Graffiti im Halbdunkeln leuchten, urige Plätze, Burgen und kriegerische Anlagen. Bunker, Tunnel und vergitterte Fenster, teils tausende Jahre alt. Dazwischen frühlingshafte, im Sonnenlicht verführerisch funkelnde Flussabschnitte mit springenden Forellen und finstere Autobahnbrücken mit eisigem Durchzug.
Felder, Matsch und gewaltige Baustellen, Rodungsstücke und Tiefflieger, Kraftwerksanlagen und quakende Frösche. Es sind unzählige Täler, die wir hoch- und zurücklaufen. Nicht einfach so, immer wieder kann man kleine, sinnfreie Abstecher nach oben oder nach unten machen, um dann auf allen Vieren unter Bäumen und über Felsen zu kraxeln oder auf uralten Stufen, schräg am Hang, völlig fertig zu hängen, mal auf unwegsamen Gelände mal in tiefem Sand, aber generell nie normal, nie normal!
Wenn ich die zahllosen, sehr jungen Helfer frage, ob sie Bier haben, sind sie froh, dass es Deutschsprachige hier im dunklen Wald gibt. Und dann kommt die übliche Antwort: “Nein! Immer noch nicht, wir sind dieselben wie vorhin!”
“Dieselben wie vorhin”? Derselbe Weg? Dasselbe Tal? Dasselbe Land? Vielleicht 40 km dauert das Wirrwarr aus Trails unterschiedlicher Beschaffenheit. Ich bin nahe der Verzweiflung. Es gibt einfach keine Orientierung. Wir sind dem Trailmaster aller Trailmaster ausgeliefert. Kein Bier, aber Verpflegungsstationen alle 4-12 km. Dieses Rivella kann man nur mit Wasser mischen, Orangen stopfe ich mir händeweise rein, die Kekse mag ich nicht. Der Honigkuchen mit warmen Tee tut gut.
An den Verpflegungsstationen kann ich Zeit gutmachen, die Besenradler müssen sich um die Kriegsversehrten kümmern, ehe diese wimmernd und offiziell ihr DNF bekannt geben und die Radler aus ihrer Pflicht entlassen.
Mental prägend sind die unzählbaren, ekelhaften Brücken, die wir unterqueren, wirklich von beiden Talseiten von ganz unten bis nach ganz oben. Hier hat der Trailmaster alle erdenklichen Quälereien umgesetzt. Dann folgen sonnendurchflutete Steilhänge mit flinken Eidechsen und kleinen Blüten. 950 Höhenmeter laut Ausschreibung, das ist sehr stark untertrieben.
Nach 6 Stunden komme ich zurück nach Luxemburg Stadt. Ich bin bereit, für das was nun folgt!
Es beginnt mit den Resten der Vauban-Feste, dann geht es durch die Abtei Neumünster, wieder zurück, die Alzette entlang, steil hinauf auf den Bock-Felsen, gesäumt von Spaziergängern, deren lange schwarze Mäntel nach altem Weihrauch, Gruft und Frittenbude stinken. Uralte, leere Fensterhöhlen grinsen mich mit ihren schwarzen Mündern an, drohen mit imaginären Kanonen und treiben mich zu Eile.
Du denkst, du wärst nahe am Ziel? Vielleicht! Zunächst geht es hinauf zum Museum für äh moderne Kunst: “Brasiiil lalalalala Brasiiil!“, ein mit drallen Brasilianerinnen vollgepfropfter Kleinwagen mit dröhnenden Lautsprechern fährt neben mir. Nicht nur dunkle Hände und pralle Arme hängen aus den dunklen Fenstern. Brüllend vor Lachen ringe ich gebückt nach Atem, wiehernd kämpfe ich nach Luft. Wie bekloppt ist das denn! Das ist wahrlich eine Hauptstadt hier! Ich bin total verdattert, dass ich kein einziges Foto mache. Dabei gibt es gerade alle dunklen Berge, Höhlen und Schluchten mit dem gesamten brutalen Profil Luxemburgs in einem einzigen Fenster! Das ist ja uuuuunglaublich! Sehnsüchtig winke ich der Truppe hinterher, um gleich die nächste Treppe anzugehen.
Aber Schub gibt das schon, 5 Plätze mache ich gut, ehe wir die - für heute nicht letzten - Stufen hoch zum Europazentrum dackeln. EU-Einrichtungen, RTL, Kongresszentren, Philharmonie, dann geht es direkt durch das Fort Thüngen und die Drai Eechelen. Schmale Durchlässe und dunkle Tunnel, und ruck-zuck wieder hinab ins Tal der Alzette. Äh, waren wir nicht gerade oben?
Dann die Katakomben: Der Tunnel bei Pfaffental, ich glaube es ist der Aqua Tunnel, ein Abwasserkanal, der in den 1950ern gebaut wurde. Er ist 1 KM lang, kalt, warm und nass, wie der mit Kippen gefüllte Rosenkübel bei Sonja auf dem Balkon. Ab und zu ein paar funzelige Lampen, dann ein Wasserfall, der in einem lauten Wirbel ins finstere Bodenlose stürzt, wie das Klo in holländischen Zügen. Hinter mir flüstern die Besenradler, ja ich bin wieder Letzter und es rinnt mir eiskalt den Rücken runter, nicht wegen der Radler, sondern weil ich raus will. Es ist ein Abwasserkanal, es ist einfach Scheiße hier unten!
Oh wie grausig, der ideale Ort, eine Leiche zu beseitigen. Irgendwie war der Tunnel dann doch zu klein für die Leichen und die Scheiße der Stadt, wurde mal als Bunker genutzt und nun für Trailrunner reaktiviert, wohl bemerkt, nur für die ganz Bekloppten unter den Trailläufern. Ausgesucht von einem voll bekloppten Trail-Master!
So viel Spaß hatte ich seit dem KUT und dem Hartfüßler-Trail nicht mehr! Oh ihr armseligen Nichtläufer ! Hier gibt es etwas, das gibt es nicht im Fernsehen, nur bei TRAILRUNNING.DE! Und das auch nur auszugsweise.
Nach unendlicher Ewigkeit kraxel ich die Stufen hinauf zum Ausgang. Die Sonne prallt mir ins Gesicht, es ist heiß und trocken. Ist jetzt endlich Schluss? Ja, langsam, es geht die Treppen hoch und ausnahmsweise wieder runter, um dann wieder hochzuführen.
Vielleicht noch 300 Meter. Ich bin ja Letzter. Da reißt es mich von den Socken. Ich greife nach dem Geländer… und…. es macht knacks! Laut und deutlich. Die Hand. Der Mittelhandknochen. Hahahaha Ermüdungsbruch! Der Ringfinger ist zwei Etagen tiefer. Naja, den braucht man eh nur zum Heiraten.
Mit Sebastian (F) und Kai habe ich mich die letzten 50 km duelliert, selten gesehen, aber immer zusammen. Damit belegen die Hälfte der Deutschen Läufer zwei Drittel der letzten Plätze. Oh wie bin ich kaputt!
Dieser Trail ist für diejenigen, die den Kick suchen, das Außergewöhnliche, für die, die Herausforderung genießen, die schon alles gelaufen sind, alles und jede hatten und jetzt noch mehr wollen. Die Großherzögliche hat es! Die Großherzögliche ist eine wahre Trail-Triebtäterin! Die Domina aller Läufe, Hannibal Lector unter den Harten!
Im Klartext: Den müsst Ihr machen! 56, 27, oder 13 – egal! Absolute Weltklasse und filmreif! Von mir bekommt Ihr ganz klar die Freigabe auch für die Unterdistanzen!