Die Geele Fra ist nicht die scharfe Alte vom Festungsbauer Vauban, es ist die Goldene Frau, die auf dem Obelisken stehend an die gefallenen Soldaten erinnert. Sie steht für Frieden, den Sieg und für die Nation Luxemburg und hält den goldenen Lorbeerkranz über das Startgelände des DKV Urban Trail.
Vom Balkon des Grand Hotel Cravat hat man einen herrlichen Blick hinüber zur Geelen Frau und zum Turm der Sparkasse. Im Grand Hotel Cravat findet man den ältesten Aufzug Luxemburgs: Ein Liebhaberstück von 1900 mit Messing-Fayencen, Edelholz und Glas. Ein wenig mulmig fühlt man sich in dem goldenen Käfug schon, vor allem wenn man weiss, wie tief der Untergrund Luxemburgs ist.
Graf Siegfried errrichtete 963 auf dem Bockfelsen die Burg mit gewaltigen Ringmauern, die die Burgunder nicht hindern konnten, die Stadt einzunehmen. Spanier, Franzosen, Österreicher, der Deutsche Bund, die Preussen, diese fremden Herrscher schufen eine der stärksten Festungen der Welt.
Ludwig XIV., der Sonnyboy, hatte einen genialen Architekten: Sebanstian Le Prestre (der Priester) de Vauban. In 56 Dienstjahren hat er 160 Festungen für die enceinte de fer, den eisernen Gürtel für die Aussengrenzen Frankreichs gebaut. Er drückte der Festung Luxemburg den finalen Stempel auf: 23 km unterirdische Galerien.
Der Trail Trace de Vauban führt uns durch die Kasematten („Erdschlund“), Bastionen, Flanken, Kurtinen, Rondengänge, Glacis, Ravelins, Grabenscheren, Contregarden, Tennaillons, Banketts, Traversen, Schulterwehre, Lünetten, Kavalliere, Kronwerke, Escarpe, Flesche, Brücken, Enveloppen, Pulvermagazine, Batterien und Geschützbänke.
636 Treppenstufen, 13 km. Klar habe ich getönt, niemals Unterdistanzen zu laufen. Außerdem habe noch weitere 3 Monate Laufverbot. Aber diesen geelen Trail will ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.
Auf der Suche nach Kalorien treffe ich in Luxemburg Stadt sogleich Birgit und Norbert. Der Anblick einer Frau namens Lea Linster lässt Birgit fast ausflippen. So, als sei diese Frau Bill Kaulitz. Zwei Euro kostet eines der winzigen Madelaines, welche die Luxusköchin hier anbietet.
Das Grand Hotel Cravat ist wie gesagt direkt am Startplatz, sodass ich um 10 Uhr den Start der 56 km-Läufer und um 12 den der 27 km-Läufer miterleben kann. Bißchen wehmütig bin ich schon, letzes Jahr hatte ich so viel Spass auf der langen Strecke.
700 Läufer mehr als letztes Jahr, insgesamt 2500 laufen die unterschiedlichen Strecken. Die 13 km sind das Herzstück dieses Erlebnislaufes, die nehme ich drei Stunden nach dem Start des 56ers in Angriff.
Vom Start geht es durch die Fussgängerzone Luxemburgs, bei km 1 vorbei am Palast des Großherzogs (Gran Ducal), über den Krautmarkt (Gewürzmarkt) mit dem Hotel des Chambre (dem Parlament). Bei km 2 grandioser Blick hinab ins Tal der Petruss und hinüber zum Bockfelsen, dann geht’s hinunter zum Fluss, vorbei am Staatsarchiv. Treppen, die meinen extrem abgemagerten Unterschenkeln Probleme bereiten, dann auf der Stadtmauer entlang, Wendeltreppen hinab und Eisengestelle hinauf. Es ist ein wunderbares Trailgebiet, auf kleinem Raum. Über uns die steinerne Eisenbahnbrücke, unter uns kleine Irrgärten mit Torbögen, Türmchen und verwinkelten Gassen.
Unter der Schlassbreck (Schlossbrücke) wohnt ein grausamer Geist, den man Sterchesgescht nennt („Sternchengeist“, nach der Schleuse, die man Sternchen nannte). Meistens begegneten Männer diesem grausigen Wesen am Wochenende, fanden daraufhin nicht mehr den Weg hinauf in die Oberstadt, weswegen sie es am nächsten Morgen nicht rechtzeitig zur Kirche schafften.
Km 2,5 entlang der Alzette, über uns der Bockfelsen. Wir sind im Stadtteil Grund, einem urigen Nightliveviertel. Wer es aus den Kneipen nicht mehr in die Oberstadt schafft, der kann heutzutage den Lift benutzen. Doch auch dort wohnt der Sterchesgescht. Links das Fort Rumigny. 218 Stufen hinauf.
Km 4 Plateau de Rham mit den Batterien, welches hoch über einer Schleife der Alzett gebaut ist. Auch hier gibt es eine grausige Geschichte: Ein Mann wurde von seiner Frau beauftragt, Wasser aus der Alzette zu holen. Da greift ihn aus dem Wasser heraus der lange dürre Arm des Sterchesgescht und setzt den armen Mann auf einen Felsen mitten im Wasser. Der arme Kerl musste am nächsten Morgen mit großem Aufwand von dem Felsen geborgen werden.
Viele der alten Häuser hier in Luxemburg haben noch unterirdische Zugänge zu den Kasematten und es gibt viele Geschichten von verschwundenen Kindern. Jolly aus Luxemburg erzählt mir glaubhaft von einem Haus in Preizerdaul, man nennt es Hingerhaff. Sie seien mal nach einer Fete spasseshalber dort hineingegangen, hätten Kinderschreie gehört und Blut gesehen. Als sie zurück zum Auto kamen, war dieses voller Staub und man sah darauf Handabdrücke von Kindern.
71 Sufen hinab, 55 hoch, 24 runter, 25 hoch - Km 5, Teilung der Laufstrecken. 109 Stufen hoch. Brücke, dann durch die Neumünster Abtei. Die alte Abtei Altmünster wurde durch Vauban zerstört, die Benediktiner bauten daraufhin Neumünster hier unten im Tal, (im Grund). Doch 120 Jahre später enteignete Napoleon den Kirchenbesitz, nun ist die Abtei ein Kulturzentrum.
Nach der Überquerung der Brücke folgt der Treppenaufstieg zum Bockfelsen. Die Bockkasematten, angelegt vom Habsburger Karl VI und Maria Theresia, boten 40 Meter tief Schutz für Tausende von Soldaten samt Ausrüstung und Pferden, für Metzger, Bäcker, Köche, Handwerker und, so isses, auch für die wichtigen Konkubinen. 35.000 Menschen wohnten hier unten, da ging was!
Ich gehe auch weiter, muss über diese witzige Fussgängerbrücke, die eigens für uns gebaut wurde, und wieder unter der grausigen Schlassbreck durch. Kurze Erholung, dann 125 Stufen hinab und dann hinauf zum Fort Thüngen (Thüngen war der österreichische Festungsbauer). Von hier aus könnte man den 169 Meter langen unterirdischen Gang hinüber zum Fort Obergrünwald nehmen, aber wir laufen zunächst entlang des Congresszentrums, später durch das Fort. Wer hier unter dem Fort stand, der hatte keine Chance, ein Pfeilregen hätte ihn niedergestreckt.
Km 8, Avenue de JF Kennedy. Es ist das neue Luxemburg, hier wird für die EU viel Geld verteilt. Durch die Anlage der Philaharmonie und um das Museum für moderne Kunst, dann an den „drei Eicheln“ (die Türme ) von Fort Thüngen vorbei. Wir passieren Fort Niedergrünwald, von Vauban 1684 gebaut.
Km 9, Pulverdepot Fort Obergrünwald. Wie viele Leute wurden hier in die Löcher geworfen, weil sie die Steuern nicht bezahlt hatten? So mancher Hoeneß ist hier elendig verreckt, weil er aus den Sandsteinlöchern nicht mehr raus kam.
La Pport de Fort Obergrünwald, Km 10 Pfaffental, Überquerung der Alzette. Passenderweise laufen wir jetzt durch die Gasse „ Beim Beinchen“, welches mir muskelkatermäßig ganz schön schmerzt.
Nach Durchquerung einer der mächtigen Vauban Türme sind wir am Port d Eich. Jetzt geht es hinein in den Aquatunnel, der nur für diesen Lauf geöffnet wird. 60 Meter über uns befinden sich das Fort Berlainmont und die gesamte Innenstadt. Straßenschilder zeigen an, unter welchem der Boulevards wir uns gerade befinden. Der Autoverkehr ist deutlich hörbar, er ist beängstigend laut.
Etwa in der Mitte des Tunnels stürzt ein ohrenbetäubender Wasserfall in eine gurgelnde Erdspalte. Da der Tunnel nicht öffentlich zugänglich ist, könnte man hier wunderbar eine Leiche in dieser Art Gletschermühle verschwinden lassen, sie käme wohl in Beggen ans Tageslicht. Lange verfolgt mich das heisere Gurgeln des Leichenwassers auf meinem einsamen Weg durch den Tunnel.
Geheimgänge führen hinauf in die Festungsanlagen, links führt einer unter den Brunnen des Place d Armes (Paradeplatz). Wie ein ferner Stern so leuchtet ein winziger heller Punkt in 56 Meter Höhe über mir. Ich hebe meine Nase und sauge die frische Luft ein, die herunterfällt. Wehe, so ein Rotzbengel steht jetzt da oben und spuckt hier herunter!
Der Tunnel war eine Fehlplanung (1961), er sollte als Abwassertunnel dienen. Jedoch nahmen die Politiker an, dass in dieser Stadt so wenig Mist produziert würde, dass man ihn durch diesen shortcut schnell loswerden könnte. Tatsächlich war es aber so viel, dass der Tunnel nie seinem Zweck erfüllen konnte. Brüssel verhängte letztes Jahr eine Strafe von 2 Mio Euro gegen die Stadt, weil die Gülle der Stadt noch immer nicht EU-vorschriftsmäßig entsorgt wird. Vom Ende des Tunnels übertönt passende Musik den oberirdischen Strassenlärm. Das hat was!
Treppen hoch und Austritt im Tal der Petrusse, die in einem schmalen Kanal geführt wird. Dann die Treppen hinauf zur Geelen Frau. Von oben feuern mich die Zuschauer an, wissen nicht, dass ich ursprünglich Ultraläufer bin. Ich passe noch auf, dass ich mir nicht wie letztes Jahr hier wieder die Hand breche, dann bin ich im Ziel.
Es ist ein bewegendes Erlebnis, nach 6 Monaten Sofadasein wieder unter normalen Menschen zu sein. Ein wenig Selbstbewusssein kommt mit einer kleinen Träne wieder zurück. Für all die Normalen unter Euch: Lasst Euch diesen weltweit einmaligen Traumtrail nicht entgehen. Ihr habt 5 Std Zeitlimit für die 13 km! Ich hoffe, dass ich im nächsten Jahr wieder von den 56 km berichten darf.